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An Felice Bauer

vom 24. zum 25. II. 13
 


Die Schwester? Und ich, der ich mich ganz verbohrt immerfort um mein eigenes Unglück drehe, ahnte nichts und wünschte Dir, armes Herz, in dem Brief, den ich Dir nach Dresden schickte, "ruhige Stunden". Hätte ich nur in dieser Allgemeinheit wie heute etwas von dem Zweck der Dresdner Reise gewußt, ich wäre wahrscheinlich doch mit allen meinen Zuständen nach Dresden gefahren, denn Dich dort allein und unglücklich zu wissen, hätte ich trotz aller meiner Stumpfheit kaum ertragen. Es fiel mir schon letzthin ein wenig auf, dass Deine Schwester plötzlich den guten Posten in Dresden verlassen sollte und dass Du in Berlin eine derartigbesondere Beschäftigung bei Professoren, u.s.w. für sie suchtest - aber ich las darüber hinweg. Um was es sich, Liebste, eigentlich handelt, will ich gar nicht erfahren, wenn es Dir schwer wird, es zu sagen-es müßte denn sein, dass auch nur die entfernteste Möglichkeit dafür bestünde, dass ich raten oder helfen könnte (es wäre ja für Dich und das gäbe mir Kraft und Geschicklichkeit) - aber das muß ich, Liebste, bald erfahren, - bald, sage ich! - wie Du Dich befindest. In diesem Herbst und Winter hat sich wirklich unter meiner Anführung gerade genug vereinigt, um an Dir zu reißen. Und ich kann es unmöglich für ein gutes Zeichen halten, dass ich noch keine Nachricht über den Erfolg der Dresdner Reise und über Deinen Zustand auf der Heimfahrt hatte. Ich hätte unbedingt nach Dresden fahren sollen, zu irgendetwas hättest Du mich doch brauchen können und der Anblick Deiner Not hätte mich zu vielem fähig gemacht.

Ich wage kaum mehr weiter zu schreiben, ich weiß ja nicht, was Du machst. Wenn ich Samstag und Sonntag abend, also zu einer Zeit, als Du Dich mit allen Gedanken mit dieser Reise beschäftigtest, nicht eigentlich viel unglücklicher als sonst bei Max in seiner neuen Wohnung gesessen bin, als wärest Du auf einem andern Stern und als wäre nicht der Boden unter meinen Füßen im Zusammenhang mit jenem, auf dem Du offenbar in größter Unruhe herumgingst - wer weiß, wie es jetzt mit Dir steht, während ich kalt ein Wort hinter das andere setze. Liebste, es ist ein elendes Leben und nur der, welcher mit der Peitsche hineinzufahren versteht, hat es ganz erfaßt. Ich will Dich, Liebste, nicht davor warnen, Dich solchen Aufregungen auszusetzen, selbst wenn sie nutzlos sein sollten-wie könnte ich Dich davor warnen, Deinem Herzen zu folgen, da ich nichts Besseres wüßte, als das gleiche zu tun, aber jetzt in Berlin - sei rücksichtsloser und schone Dich. Laß ein Weilchen lang alles sein, die Sitzungen der Mutter, die Tanzabende der Schwester, die Handarbeiten, die Tante und schlafe, schlafe! Nur im Schlaf gehört man den guten Geistern, das viele Wachsein zerquält Dich.

Franz


Letzte Änderung: 10.6.2016werner.haas@univie.ac.at