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An Felice Bauer
Die Schwester? Und ich, der ich mich ganz verbohrt immerfort um mein eigenes
Unglück drehe, ahnte nichts und wünschte Dir, armes Herz, in
dem Brief, den ich Dir nach Dresden schickte, "ruhige Stunden".
Hätte ich nur in dieser Allgemeinheit wie heute etwas von dem Zweck
der Dresdner Reise gewußt, ich wäre wahrscheinlich doch mit
allen meinen Zuständen nach Dresden gefahren, denn Dich dort allein
und unglücklich zu wissen, hätte ich trotz aller meiner Stumpfheit
kaum ertragen. Es fiel mir schon letzthin ein wenig auf, dass Deine
Schwester plötzlich den guten Posten in Dresden verlassen sollte und
dass Du in Berlin eine derartigbesondere Beschäftigung bei Professoren,
u.s.w. für sie suchtest - aber ich las darüber hinweg. Um was
es sich, Liebste, eigentlich handelt, will ich gar nicht erfahren, wenn
es Dir schwer wird, es zu sagen-es müßte denn sein, dass
auch nur die entfernteste Möglichkeit dafür bestünde, dass
ich raten oder helfen könnte (es wäre ja für Dich und das
gäbe mir Kraft und Geschicklichkeit) - aber das muß ich, Liebste,
bald erfahren, - bald, sage ich! - wie Du Dich befindest. In diesem
Herbst und Winter hat sich wirklich unter meiner Anführung gerade
genug vereinigt, um an Dir zu reißen. Und ich kann es unmöglich
für ein gutes Zeichen halten, dass ich noch keine Nachricht über
den Erfolg der Dresdner Reise und über Deinen Zustand auf der Heimfahrt
hatte. Ich hätte unbedingt nach Dresden fahren sollen, zu irgendetwas
hättest Du mich doch brauchen können und der Anblick Deiner Not
hätte mich zu vielem fähig gemacht.
Ich wage kaum mehr weiter zu schreiben, ich weiß ja nicht, was Du
machst. Wenn ich Samstag und Sonntag abend, also zu einer Zeit, als Du
Dich mit allen Gedanken mit dieser Reise beschäftigtest, nicht eigentlich
viel unglücklicher als sonst bei Max in seiner neuen Wohnung gesessen
bin, als wärest Du auf einem andern Stern und als wäre nicht
der Boden unter meinen Füßen im Zusammenhang mit jenem, auf
dem Du offenbar in größter Unruhe herumgingst - wer weiß,
wie es jetzt mit Dir steht, während ich kalt ein Wort hinter das andere
setze. Liebste, es ist ein elendes Leben und nur der, welcher mit der Peitsche
hineinzufahren versteht, hat es ganz erfaßt. Ich will Dich, Liebste,
nicht davor warnen, Dich solchen Aufregungen auszusetzen, selbst wenn sie
nutzlos sein sollten-wie könnte ich Dich davor warnen, Deinem Herzen
zu folgen, da ich nichts Besseres wüßte, als das gleiche zu
tun, aber jetzt in Berlin - sei rücksichtsloser und schone Dich. Laß
ein Weilchen lang alles sein, die Sitzungen der Mutter, die Tanzabende
der Schwester, die Handarbeiten, die Tante und schlafe, schlafe! Nur im
Schlaf gehört man den guten Geistern, das viele Wachsein zerquält
Dich.
Franz
Letzte Änderung: 10.6.2016 werner.haas@univie.ac.at