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An Felice Bauer
Heute dachte ich daran, welche Vorstellungen ich an Deuter Stelle über
mich mir machen würde, wenn ich, abgesehen von jener für Dich
flüchtigen Stande unseres wirklichen Beisammenseins, kein anderes
Material hätte, als die Briefe der letzten Woche. Sie sind doch wohl
derartig, dass sie alles, was in frühem Briefen zum Leben Taugliches
stand, genügend widerlegen und vergessen machen, wenn ich auch bei
ihrem Niederschreiben ein allerdings kraftloses Verlangen hatte, sie gerade
in dieser Richtung noch einschneidender zu machen und ich keinen Brief
tatsächlich ohne äußersten Überdruß überlesen
konnte und zwar - um von allen sonstigen begreiflicheren Gründen zu
schweigen - vor allem aus dem Grunde, weil ich mich von ihm nicht genug
tief und oft gestochen fühlte. Müssen Dir nun solche Briefe nicht
jede Vorstellung von mir auflösen? Kannst Du Dir, wenn nicht hier
der Beweis vor Dir liegen würde, euren Menschen nach Deiner sonstigen
Erfahrung denken, der so nutzlos lebt wie ich und doch lebt, der
mit seinem Lebendigsein nichts anderes leistet, als ein riesiges Loch zu
umlaufen und zu bewachen. Mußt Du nicht, Liebste, fast glauben, es
schreibe Dir kein Mensch, sondern irgendein falscher Geist?
Und doch schreibt Dir ein Mensch, Liebste. (Er weiß aber freilich,
nachdem er sich zu dieser Behauptung verstiegen hat, kaum die Konsequenzen
dieses Menschseins zu beschreiben, sie gehn schon zu hoch über ihn
hinaus.) Und strebt zu Dir und sammelt seine armen Kräfte dafür
und empfindet die Entfernung Berlins bei weitem nicht so schwer, wie die
Höhe, die ihn von Dir trennt. Und trotz alles seines guten Willens
wird er nichts anderes erreichen, als dass er Dich "immer wieder
von neuem enttäuschen" wird, wie Du heute schreibst (in anderer
Beziehung allerdings, aber die Beziehung solcher Bemerkungen zu mir bildet
sich von selbst ganz ohne Deine Absicht). Er kann nicht anders, denn wir
haben nur die Kräfte, mit denen wir auf die Welt hinausgestellt worden
sind und können, selbst wenn es sich um unser Leben handelt, keine
neuen aus irgendwelchen dunklen Vorräten holen.
Du konntest weder im Bureau noch in der Straßenbahn an mich schreiben.
Soll ich es Dir erklären, Liebste? Du wußtest nicht, an wen
Du schreiben solltest. Ich bin kein Ziel für Briefe. Wenn ich ruhig
in der ganzen Ausbreitung meines elenden Zustandes vor Dich hintreten würde,
hintreten könnte, Du würdest zurückschrekken. Und so laufe
ich - es ist natürlich keine Absicht dabei - wie die verrückten
Eichhörnchen in ihrem Käfig nach allen Richtungen in Kreisen,
nur um Dich, Liebste, vor meinem Käfig festzuhalten und Dich mir nahe
zu wissen, auch wenn ich Dich nicht sehen kann. Wann wirst Du das durchschauen
und, bis Du es durchschaut hast, wie lange wirst Du dableiben?
Franz
[vermutlich beigelegt]
Mit solchen Vorstellungen oder Wünschen gebe ich mich ab, wenn ich
schlaflos im Bett liege:
Ein grobes Holzstück sein und von der Köchin gegen ihren Leib
gestemmt werden, die aus der Seite dieses steifen Holzstückes (also
etwa in meiner Hüftengegend) das Messer mit beiden Händen heranziehend
mit aller Kraft Spähne zum Anmachen des Feuers losschneidet.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at