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An Felice Bauer

vom 21. Zum 22. II. 13
 


Heute dachte ich daran, welche Vorstellungen ich an Deuter Stelle über mich mir machen würde, wenn ich, abgesehen von jener für Dich flüchtigen Stande unseres wirklichen Beisammenseins, kein anderes Material hätte, als die Briefe der letzten Woche. Sie sind doch wohl derartig, dass sie alles, was in frühem Briefen zum Leben Taugliches stand, genügend widerlegen und vergessen machen, wenn ich auch bei ihrem Niederschreiben ein allerdings kraftloses Verlangen hatte, sie gerade in dieser Richtung noch einschneidender zu machen und ich keinen Brief tatsächlich ohne äußersten Überdruß überlesen konnte und zwar - um von allen sonstigen begreiflicheren Gründen zu schweigen - vor allem aus dem Grunde, weil ich mich von ihm nicht genug tief und oft gestochen fühlte. Müssen Dir nun solche Briefe nicht jede Vorstellung von mir auflösen? Kannst Du Dir, wenn nicht hier der Beweis vor Dir liegen würde, euren Menschen nach Deiner sonstigen Erfahrung denken, der so nutzlos lebt wie ich und doch lebt, der mit seinem Lebendigsein nichts anderes leistet, als ein riesiges Loch zu umlaufen und zu bewachen. Mußt Du nicht, Liebste, fast glauben, es schreibe Dir kein Mensch, sondern irgendein falscher Geist?

Und doch schreibt Dir ein Mensch, Liebste. (Er weiß aber freilich, nachdem er sich zu dieser Behauptung verstiegen hat, kaum die Konsequenzen dieses Menschseins zu beschreiben, sie gehn schon zu hoch über ihn hinaus.) Und strebt zu Dir und sammelt seine armen Kräfte dafür und empfindet die Entfernung Berlins bei weitem nicht so schwer, wie die Höhe, die ihn von Dir trennt. Und trotz alles seines guten Willens wird er nichts anderes erreichen, als dass er Dich "immer wieder von neuem enttäuschen" wird, wie Du heute schreibst (in anderer Beziehung allerdings, aber die Beziehung solcher Bemerkungen zu mir bildet sich von selbst ganz ohne Deine Absicht). Er kann nicht anders, denn wir haben nur die Kräfte, mit denen wir auf die Welt hinausgestellt worden sind und können, selbst wenn es sich um unser Leben handelt, keine neuen aus irgendwelchen dunklen Vorräten holen.

Du konntest weder im Bureau noch in der Straßenbahn an mich schreiben. Soll ich es Dir erklären, Liebste? Du wußtest nicht, an wen Du schreiben solltest. Ich bin kein Ziel für Briefe. Wenn ich ruhig in der ganzen Ausbreitung meines elenden Zustandes vor Dich hintreten würde, hintreten könnte, Du würdest zurückschrekken. Und so laufe ich - es ist natürlich keine Absicht dabei - wie die verrückten Eichhörnchen in ihrem Käfig nach allen Richtungen in Kreisen, nur um Dich, Liebste, vor meinem Käfig festzuhalten und Dich mir nahe zu wissen, auch wenn ich Dich nicht sehen kann. Wann wirst Du das durchschauen und, bis Du es durchschaut hast, wie lange wirst Du dableiben?

Franz


[vermutlich beigelegt]


Mit solchen Vorstellungen oder Wünschen gebe ich mich ab, wenn ich schlaflos im Bett liege:

Ein grobes Holzstück sein und von der Köchin gegen ihren Leib gestemmt werden, die aus der Seite dieses steifen Holzstückes (also etwa in meiner Hüftengegend) das Messer mit beiden Händen heranziehend mit aller Kraft Spähne zum Anmachen des Feuers losschneidet.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at