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An Felice Bauer
Ich, der ich an das Spielen mit Vorstellungen so gewöhnt bin, dass
ich diese Gewohnheit auch in der Wirklichkeit nicht ablegen kann, selbst
wenn der Herzschlag drohend daran mahnt, dass es sich diesmal um Wirklichkeit
handelt - ich werde ganz traurig, Liebste, über Deine Bemerkung, meine
Reise nach dem Süden betreffend. Ich habe nicht, wie Du zu meinen
scheinst, den Plan Deiner bloßen Beurteilung vorgelegt (denn was
mich betrifft, so ist es sehr gleichgültig, wohin ich fahre, wohl
wird mir nirgends sein, von einigen überraschenden Augenblicken abgesehn),
und wenn ich auch wußte, dass das Ende doch schließlich
nur Beurteilung sein würde, die ich als Segen für meine Reise
annehmen wollte - so fehlt mir doch zwischen dem ersten Urteil und dem
zweiten das Mittelglied, ohne das sich meine Vorstellungen nicht beruhigen
wollen, da sie Dich doch mitziehn wollen mit einem unausrottbaren und verzweifelten
Verlangen.
Ist nun der schlimme Tag vorüber und leidest Du nicht mehr? Wie Du
mitfühlen kannst, und wie Dich Mitgefühl erschüttert! Ich
wäre unter ganz gleichen und noch ärgeren Umständen gewiß
trocken dabeigesessen, ich hätte allerdings auch den Schmerz des Mädchens
nicht zu einem solchen Ausbruch bringen und durch meine Nähe so beruhigen
können, wie Du es gewiß getan hast - ich fühle es im eigenen
Herzen - trotzdem Du es verschweigst. Was für eine Kraft wohnt in
Dir, Liebste! dass sie selbst Dich umwirft, ist nur ein Beweis ihrer
Größe. Ich kann niemandem zusprechen und dies zwar, weil mir
Worte fehlen, aber Worte sind nicht launenhaft. Worte fehlen nicht aus
Laune. Früher, als ich noch weniger Überblick über mich
selbst hatte und glaubte, keinen Augenblick die Welt außer Acht lassen
zu dürfen, in der kindischen Annahme, dort sei die Gefahr und das
Ich werde sich schon von selbst ohne Mühe und Zögern nach den
Beobachtungen einrichten die ich drüben gemacht hatte - damals, nein
eigentlich auch damals nicht, vielmehr war ich immer in mich zusammengefallen,
damals und heute. Nur dass es heute Zeiten gibt (ein Ersatz für
die damaligen falschen Annahmen), in denen ich glaube, solche Dinge am
Fuß und im Dunkel eines Berges zu schreiben, auf den zu steigen,
den emporzufliegen mir vielleicht einmal gegeben sein wird.
Nun beantworte ich aber seit einiger Zeit überhaupt keine Fragen mehr,
schreibe gar nichts Wirkliches mehr, weil eben dieses Unwirkliche mir die
schönste Wirklichkeit verdunkeln will und ich es durch Schreiben zu
vertreiben suchen muß. Liebste, sei geduldig (eben höre ich,
es geht schon gegen 2 Uhr, Kanonenschüsse, einen nach dem andern,
ich weiß keinen Grund und ich zittere und habe eisige Wangen, als
betreffe es uns, Dich und mich). Es ist schon still. Also Geduld, Liebste.
Mehr darf ich nicht verlangen, aber das allein ist ja schon etwas Ungeheueres.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at