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An Felice Bauer

vom 19. Zum 20. II. 13
 


Ich, der ich an das Spielen mit Vorstellungen so gewöhnt bin, dass ich diese Gewohnheit auch in der Wirklichkeit nicht ablegen kann, selbst wenn der Herzschlag drohend daran mahnt, dass es sich diesmal um Wirklichkeit handelt - ich werde ganz traurig, Liebste, über Deine Bemerkung, meine Reise nach dem Süden betreffend. Ich habe nicht, wie Du zu meinen scheinst, den Plan Deiner bloßen Beurteilung vorgelegt (denn was mich betrifft, so ist es sehr gleichgültig, wohin ich fahre, wohl wird mir nirgends sein, von einigen überraschenden Augenblicken abgesehn), und wenn ich auch wußte, dass das Ende doch schließlich nur Beurteilung sein würde, die ich als Segen für meine Reise annehmen wollte - so fehlt mir doch zwischen dem ersten Urteil und dem zweiten das Mittelglied, ohne das sich meine Vorstellungen nicht beruhigen wollen, da sie Dich doch mitziehn wollen mit einem unausrottbaren und verzweifelten Verlangen.

Ist nun der schlimme Tag vorüber und leidest Du nicht mehr? Wie Du mitfühlen kannst, und wie Dich Mitgefühl erschüttert! Ich wäre unter ganz gleichen und noch ärgeren Umständen gewiß trocken dabeigesessen, ich hätte allerdings auch den Schmerz des Mädchens nicht zu einem solchen Ausbruch bringen und durch meine Nähe so beruhigen können, wie Du es gewiß getan hast - ich fühle es im eigenen Herzen - trotzdem Du es verschweigst. Was für eine Kraft wohnt in Dir, Liebste! dass sie selbst Dich umwirft, ist nur ein Beweis ihrer Größe. Ich kann niemandem zusprechen und dies zwar, weil mir Worte fehlen, aber Worte sind nicht launenhaft. Worte fehlen nicht aus Laune. Früher, als ich noch weniger Überblick über mich selbst hatte und glaubte, keinen Augenblick die Welt außer Acht lassen zu dürfen, in der kindischen Annahme, dort sei die Gefahr und das Ich werde sich schon von selbst ohne Mühe und Zögern nach den Beobachtungen einrichten die ich drüben gemacht hatte - damals, nein eigentlich auch damals nicht, vielmehr war ich immer in mich zusammengefallen, damals und heute. Nur dass es heute Zeiten gibt (ein Ersatz für die damaligen falschen Annahmen), in denen ich glaube, solche Dinge am Fuß und im Dunkel eines Berges zu schreiben, auf den zu steigen, den emporzufliegen mir vielleicht einmal gegeben sein wird.

Nun beantworte ich aber seit einiger Zeit überhaupt keine Fragen mehr, schreibe gar nichts Wirkliches mehr, weil eben dieses Unwirkliche mir die schönste Wirklichkeit verdunkeln will und ich es durch Schreiben zu vertreiben suchen muß. Liebste, sei geduldig (eben höre ich, es geht schon gegen 2 Uhr, Kanonenschüsse, einen nach dem andern, ich weiß keinen Grund und ich zittere und habe eisige Wangen, als betreffe es uns, Dich und mich). Es ist schon still. Also Geduld, Liebste. Mehr darf ich nicht verlangen, aber das allein ist ja schon etwas Ungeheueres.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at