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An Felice Bauer

vom 16. zum 17. II. 13
 


Liebste, heute abend auf dem langen Spaziergang, den ich allein in der Kälte (bin ich wieder verkühlt? Über meinen Rücken gehen wirkliche oder eingebildete Schauer) kreuz und quer durch die Stadt, über den Hradschin, rund um den Dom und über das Belvedere machte, habe ich Dir in Gedanken endlose Briefe geschrieben, und wenn Du auch durch diese Schreibarbeit Einzelheiten nicht erfahren haben kannst, so muß es Dir doch, Liebste, wieder einmal eingegangen sein - wäre es das nicht, ich wußte mir keinen Rat -, dass ich über allem, unter allem, was ich Dir schreibe und was bei den Launen und Schwächezuständen, die sich in meine Existenz teilen, leicht ein abstoßendes, künstliches, oberflächliches, kokettes, falsches, bösartiges, unzusammenhängendes Aussehen annehmen kann oder vielleicht gar nicht nur so aussieht, sondern unleugbar so ist, - dennoch, dennoch, in dem Grunde, in dem zeitweise sogar mir selbst verschlossenen Grunde, alles Schlechte, was ich tue und schreibe, erkenne, richtig bewerte und vor Hilflosigkeit weine. Daß Du mich lieb hast, Felice, ist ja mein Glück, aber meine Sicherheit ist es nicht, denn Du kannst Dich ja täuschen, vielleicht führe ich da im Schreiben Künste auf, die Dich täuschen, Du hast mich ja kaum gesehn, kaum mich reden gehört, kaum unter meinem Schweigen gelitten, weißt nichts von den zufälligen und notwendigen Häßlichkeiten die vielleicht meine Nähe für Dich mit sich bringt - meine Sicherheit liegt vielmehr darin, dass ich Dich liebe, dass ich Dich an dem kurzen Abend erkannt habe, von Dir mich ergriffen fühlte, dass ich nicht schwächer als diese Liebe war, sondern diese Probe bestanden habe, dass sich diese Liebe meiner Natur eingeordnet hat, als wäre sie mit mir auf die Welt gekommen und nur erst jetzt begriffen worden.

Täusche Dich, Liebste, nicht über den Schrecken, den Du hattest, als Du hörtest, dass Deine Mutter meine Briefe gelesen hatte. (Was ist doch Dein Vater für ein merkwürdiger Mann! Sieht behäbig und ernst aus, liebt ein lustiges Leben, weint über Romanen, nimmt Dich gegenüber der Mutter in einer äußerlich so fragwürdigen Sache in Schutz!) Es war nicht eigentlich der Schrecken vor der Mutter. Ich fürchte, er war es nicht eigentlich, denk nur darüber nach. Du stehst doch genug selbständig in der Familie da, die Mutter hatte auch schon einmal die Briefe gelesen und es hatte, soviel ich weiß, keine besonderen Folgen gehabt. Die eigentliche Wirkung jener Nachricht war eher die, dass in den kleinen (in Wirklichkeit, Gott, so riesenhaft großen) Raum, in den Du, Liebste, zu mir gekommen warst (so wie Du eben in Deinem Traum über das Geländer im traumhaften Leichtsinn zu dem Tiefstehenden gesprungen bist), jetzt von der Mutter her ein fremder, kalter Blick drang, Dich frösteln ließ und Dir zu denken gab, indem er Dich das, was Du bisher nur aus engster Nähe gesehen hattest, einmal aus der Ferne sehen ließ. Wären wir wieder allein und nie gestört!

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at