Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Felice Bauer
Selbst wenn ich es nicht seit einigen Tagen schon beabsichtigt hätte,
heute ins Theater zu "Hidalla" zu gehn (Wedekind
und seine Frau spielen natürlich), ich hätte es nach Deinem heutigen
zweiten Brief unweigerlich, Liebste, tun müssen. Denn sieh, so weit
wir auch entfernt sind und so wenig es irgendjemand merkt oder wenigstens
glauben will, uns verbindet ein fester Strick, wenn es schon Gott nicht
gefällig sein will, dass es eine uns umschließende Kette
werde. Aber wenn Du nun, Liebste, zu "Professor Bernhardi"
gehst, so ziehst Du mich an jenem zweifellosen Strick eben mit und es ist
die Gefahr, dass wir beide in die schlechte Literatur verfallen, die
Schnitzler zum größten Teil für mich darstellt. Um uns
nun aber davor zu bewahren, hatte ich die Pflicht, dem Zug des Strickes
nicht ganz nachzugeben, sondern zu Hidalla zu gehn, um Dich ein wenig von
dem "Professor" abzuhalten, ein wenig wahre, gut geschnittene
Wedekindsche Worte Deinem für "Professor Bernhardi" klopfenden
Herzen zukommen zu lassen und die Schnitzlerischen Eindrücke, die
zu mir heute abend herüberwehn und die ich gierig aufnehme, weil sie
von Dir, Liebsten, kommen, ohne Schaden der Seele zu ertragen. Denn ich
liebe den Schnitzler gar nicht und achte ihn kaum; gewiß kann er
manches, aber seine großen Stücke und seine große Prosa
sind für mich angefüllt mit einer geradezu schwankenden Masse
widerlichster Schreiberei. Man kann ihn gar nicht tief genug hinunterstoßen.
Die Stücke, die ich von ihm gesehen habe (Zwischenspiel, Ruf des Lebens,
Medardus) sind mir noch vor dem zuschauenden Blick vergingen, und während
ich zuhörte, habe ich sie vergessen. Nur vor seinem Bild, vor dieser
falschen Verträumtheit, vor dieser Weichmütigkeit, an die ich
auch mit den Fingerspitzen nicht rühren wollte, kann ich verstehn,
wie er aus seinen zum Teil vorzüglichen anfänglichen Arbeiten
(Anatol, Reigen, Leutnant Gustl) sich so entwickeln konnte. - In dem gleichen
Brief rede ich gar nicht von Wedekind.
Genug, genug, wie schaffe ich nur gleich wieder den Schnitzler fort, der
sich zwischen uns legen will, wie letzthin die Lasker-Schüler. Warst
Du, Liebste, allein im Theater? Und warum so plötzlich? Ist Dein Auge
also schon in Ordnung, ganz in Ordnung? Jetzt nach dem Nachtmahl sah ich
im Abendblatt ein Bild Eueres neuen prinzlichen Brautpaares. Die zwei gehn
in einem Karlsruher Park spazieren, sind ineinander eingehängt, haben
aber, damit noch nicht zufrieden, auch noch die Finger verschlungen. Wenn
ich diese verschlungenen Finger nicht 5 Minuten lang angesehen habe, dann
werden es eben 10 Minuten gewesen sein.
Heute mittag hätte ich ein Loch gebraucht, um mich darin zu verstecken;
ich habe nämlich im neuen Heft des "März" die
Besprechung meines Buches von Max gelesen; ich wußte, dass
sie erscheinen wird, aber ich kannte sie nicht. Es sind schon paar Besprechungen
erschienen, natürlich nur von Bekannten, nutzlos in ihrem übertriebenen
Lob, nutzlos in ihren Anmerkungen und nur als Zeichen der irregeleiteten
Freundschaftlichkeit, der Überschätzung des gedruckten Wortes,
des Mißverstehen des Verhältnisses der Allgemeinheit zur Literatur
zu erklären. Sie haben dies schließlich mit der größten
Anzahl der Kritiken überhaupt gemeinschaftlich und wären sie
nicht ein trauriger, allerdings bald sich verbrauchender Stachel für
die Eitelkeit, man könnte sie ruhig gelten lassen. Maxens Besprechung
aber übersteigt alle Berge. Weil eben die Freundschaft, die er für
mich fühlt, im Menschlichsten, noch weit unter dem Beginn der Literatur,
ihre Wurzel hat und daher schon mächtig ist, ehe die Literatur nur
zu Atem kommt, überschätzt er mich in einer solchen Weise, die
mich beschämt und eitel und hochmütig macht, während er
natürlich bei seiner Kunsterfahrung und eigenen Kraft das wahre Urteil,
das nichts als Urteil ist, geradezu um sich gelagert hat. Trotzdem schreibt
er so. Wenn ich selbst arbeiten würde, im Fluß der Arbeit wäre
und von ihr getragen, ich müßte mir über die Besprechung
keine Gedanken machen, ich könnte Max in Gedanken für seine Liebe
küssen, und die Besprechung selbst würde mich gar nicht berühren!
So aber - Und das Schreckliche ist, dass ich mir sagen maß,
dass ich zu Maxens Arbeiten nicht anders stehe als er zu den meinen,
nur dass ich mir dessen manchmal bewußt bin, er dagegen nie.
Habe ich aber in meinem dummen Kopf wirklich keine freundlichem Sonntagsgedanken
für Dich, Liebste, Liebste! Wenn ich nicht wußte, dass
alles Schlechte, was aus mir gegen Dich fließt, vor Dir, bestes Wesen,
ins Gute sich verwandeln muß - ich würde Dir solche Dinge wahrhaftig
nicht schreiben.
Ich lege Dir einen Brief meines Madrider Onkels (Alfred Löwy] (er
ist 60 Jahre alt, Eisenbahndirektor) zu beliebiger Beurteilung bei. Möchtest
Du mich nicht, Liebste, bei Gelegenheit auch hie und da einen Brief aus
Deiner Verwandtschaft lesen lassen, von Deiner Budapester oder Dresdner
Schwester z.B.? Damit ich auch den Kreis um Dich verstehen lerne, in den
ich mich eingeschlichen habe. Auch Dein Bücherverzeichnis habe ich
noch nicht. Kann man von der, die man liebt, auch zuviel verlangen? Wenn
ich es, Liebste, tue, dann sag es mir. Das wäre ein schlechter Tausch,
dass ich eine Kenntnis über Dich bekäme, dass aber
dafür in Deinem Herzen ein Widerstreben, und sei es das winzigste,
entstünde.
Franz
Hidalla: Frank Wedekinds Schauspiel Hidalla
oder Sein und Haben. Die Prager Erstaufführung im Neuen Deutschen
Theater fand am 12. Februar 1913 statt.
die Besprechung meines Buches: Max Brods Rezension
von Betrachtung "Das Ereignis eines Buches", in der
Wochenschrift März (München) 1913, 7, (Februar) S. 268
ff. Wiederabgedruckt in Kafka-Symposion zus. gest. vonn Jürgen
Born, Ludwig Dietz, Maldom Pasley, Paul Raabe und Klaus Wagenbach, Berlin
1965, S. 129 ff. (Im weiteren zitiert als Kafka-Symposion.)
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at