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A Felice Bauer

vom 28. zum 29.1.13
 


Wieder komme ich, Liebste, von Hebbels Briefen zu Dir. Ich weiß nicht, wie Menschen, die von einem bürgerlichen Beruf und von bürgerlichen Sorgen ausgefüllt sind, solche Briefe lesen, in denen sich ein Mensch aus seinem durch die dichterische Arbeit aufgeregten und ewig, selbst in der Ohnmacht, strömenden Innern mit den wildesten Selbstgeständnissen erhebt, - ich fühle ihn tatsächlich (trotzdem ich, mit ruhigem Auge gemessen, soweit von ihm entfernt bin, wie der kleinste Mond von der Sonne) ganz nahe an meinem Leib, er klagt an meinem Hals, er rührt an meine Schwächen unmittelbar mit seinen Fingern und manchmal, selten genug, reiht er mich mit sich fort, als wären wir zwei Freunde.

Im einzelnen kann ich seine Wirkungen nicht beschreiben, aus dem ersten das zweite entwickeln kann ich nicht, in solcher dünner Luft wird mir das Leben zu schwer, ich breche aus dem tatsächlichen Kampfe aus, um im Anblick des Ganzen zu ruhn. Meine Denkkraft hat unglaublich enge Grenzen, in den Ergebnissen die Entwicklung fühlen, kann ich; aus der Entwicklung zu den Ergebnissen steigen oder aus den Ergebnissen Schritt für Schritt hinabzugehn, das ist mir nicht gegeben. Es ist, als fiele ich auf die Dinge herab und erblickte sie nur in der Verwirrung des Falles.

Hebbel denkt ganz genau und ohne die geringsten Winkelzüge, in denen man sich so gern mit seiner Verzweiflung zu retten sucht. Er denkt nicht nur mit einer ihm von frühester Jugend an innewohnenden Kraft (seine Bildung war ganz zufällig und jammervoll zusammengetragen), sondern auch nach einer ihm von Anfang an innewohnenden, bis zur Einfältigkeit charakterisierten Methode. Wenn ich mir das genau vorzustellen suche, hört die gute menschliche Wirkung seiner Briefe für mich sofort auf, und er tritt mich einfach nieder.

Für Deinen heutigen Brief, Liebste, meinen besondern Dank. Gott weiß, unter welchen Mühseligkeiten Du ihn geschrieben hast, aber Du hast ihn doch geschrieben, und ich hatte, als ich aus dem Bureau ging, ein von Dir am vorigen Tag beschriebenes Papier in der Tasche, das ich dort halten, streicheln und liebhaben konnte. Denk nur, sogar die Chokolade habe ich gegessen, natürlich langsam, zögernd, ängstlich, aber die Verführung, möglichst viel an Deiner Existenz und Deiner Lust teilzunehmen, war zu groß. Es hat mir auch nicht geschadet, denn alles, was von Dir kommt (darin bist Du anders als ich) ist lieb und gut und unschädlich.

Franz


Letzte Änderung: 4.5.2016werner.haas@univie.ac.at