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An Felice Bauer

vom 20. zum 21. 1. 13
 


Bei Tag, Liebste, ist die Entfernung zwischen Prag und Berlin so wie sie in Wirklichkeit ist, aber von 9 Uhr abend beiläufig angefangen dehnt sie sich und dehnt sich ins Unwahrscheinliche. Und doch kann ich gerade am Abend leichter beurteilen, was Du tust. Du nachtmahlst, trinkst Tee, unterhältst Dich mit der Mutter, machst Dir dann im Bett Deine Märtyrerstellung zurecht, schreibst mir und schläfst hoffentlich in Frieden ein. Ist Dir der Tee gesund? Regt er Dich nicht auf? Jeden Abend dieses aufregende Getränk zu trinken! Mein Verhältnis zu den Speisen und Getränken, die ich selbst niemals oder nur in Not essen und trinken würde, ist nicht so, wie man es erwarten sollte. Ich sehe nichts lieber essen als solche Dinge. Wenn ich an einem Tische mit 10 Bekannten sitze und alle trinken schwarzen Kaffee, habe ich bei diesem Anblick eine Art Glücksgefühl. Fleisch kann um mich dampfen, Biergläser können in großen Zügen geleert werden, diese saftigen jüdischen Würste (wenigstens bei uns in Prag sind sie so üblich, sie sind rundlich wie Wasserratten) können von allen Verwandten ringsherum aufgeschnitten werden (die gespannte Haut der Würste gibt beim Aufschneiden einen Klang, den ich noch von den Kinderzeiten her im Ohre habe) - alles das und noch viel Ärgeres macht mir nicht den geringsten Widerwillen, sondern tut mir im Gegenteil überaus wohl. Es ist ganz gewiß nicht Schadenfreude (ich glaube gar nicht an die absolute Schädlichkeit schädlichen Essens, wen es zu diesen Würsten zieht, wäre ein Narr, wenn er dem Zug nicht folgte), es ist viehmehr die Ruhe, die gänzlich neidlose Ruhe beim Anblick fremder Lust und zugleich die Bewunderung eines in meinen nächsten Verwandten und Bekannten wohnenden, für mich aber gänzlich phantastischen Geschmacks. Aber das alles hat nichts Eigentliches mit meiner Furcht zu tun, dass der Tee, besonders wenn Du am Tag wegen der Krankheit der Fakturistin so viel arbeiten mußt, Dir schaden könnte, indem er zumindest Deinen Schlaf, den Du so brauchst, unruhig macht. Sonst liebe ich ja auch den Tee, und in die Beschreibung des Nachtmahls Deiner Schwester habe ich mich geradezu versenkt. Wie wäre es aber, wenn Du statt Tee Milch trinken würdest, wie Du es, wenn ich mich recht erinnere, zu seiner Zeit Deinen Eltern versprochen hast? Das Essen im Bureau ist ja auch nicht viel wert, wie Du selbst zugestehst. Und vormittag und nachmittag ißt Du gar nichts?

Das ist wirklich merkwürdig, dass Du das Buch von Buber gekauft hast! Kaufst Du regelmäßig Bücher oder nach Laune und dann ein so teures Buch. Ich kenne es nur aus einer ausführlichen Besprechung, in der verschiedene Citate standen. Daß es irgendwie an Casanova erinnern sollte, kann ich mir gar nicht denken. Auch schreibst Du "seine" Art, es sind doch wohl Übersetzungen? Oder sollten es so eingreifende Bearbeitungen sein, welche mir seine Legendenbücher unerträglich machen.

Ja, Werfel war einen Monat lang hier. Als der schöne Faulenzer, der er ist, hat er sich eben auf einen Monat von Leipzig nach Prag gewälzt. Er hat hier auch öffentlich vorgetragen. Es war aber am Vorabend der Hochzeit, und ich hatte damals mehr Lust, mich begraben zu lassen, als aus dem Haus zu gehn.

Das freut mich, dass Dir die Ottla gefallen hat. Du hast recht, sie ist riesig groß, sie kommt eben aus der Familie des Vaters her, wo die starken Riesen zuhause sind. Die andere Nackte ist die Valli, die hast Du wohl nicht erkannt. Nun aber gute Nacht, Liebste. Es ist spät. Der Kanarienvogel hinter mir singt traurig und unaufhörlich.

Franz




das Buch von Buber:offenbar wieder Chinesische Geister-und Liebesgeschichten.Vgl.Anm. 2 S.252.


seine Legendenbücher:Von Buber waren bis dahin erschienen - Die Geschichten des Rabbi Nachman, ihm nacherzählt, Frankfurt am Main 1906 und Die legende des Baalschem, Frankfurt am Main 1908.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at