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An Felice Bauer
Liebste, nein, so sollst Du nicht schreiben wie in dem vorletzten Brief.
Du streichst es ja in dem heutigen Brief durch, aber es steht nun doch
einmal hier, und ich habe es 24 Stunden in mir herumgetragen. Weißt
Du denn nicht, wie ich solche Dinge lesen muß? Weißt Du denn
nicht, wie schwach und armselig und auf den Augenblick gestellt ich bin?
Gar wenn ich, wie heute, schon den 4ten Tag nichts für mich geschrieben.
habe. Du ahnst es, Liebste, gewiß, ich könnte mich Dir sonst
nicht so nahe fühlen, aber ich schreibe es doch noch besonders auf:
Als ich den gestrigen Brief gelesen hatte, sagte ich zu mir: "Also
da steht es, nicht einmal für Felice, die dir doch gewiß viel
mehr zugute hält als andere Menschen, genügst du an Beständigkeit
und Selbstsicherheit. Wenn du aber ihr nicht genügst, wie sollst du
auch nur irgendjemandem sonst genügen? Und das, was du damals schriebst
und worauf dir Felice hier antwortet, kam dir ja wirklich aus dem Herzen.
Du brauchst den Keller, wenn es dir auch z. B. heute scheint, dass
nicht einmal der Keller dir nützen würde. Hat
Felice diese Notwendigkeit nicht eingesehn? Kann sie sie nicht einsehn?
Weiß sie nicht, zu welcher Überfülle von Dingen du unfähig
bist? Und weiß sie nicht, dass, wenn du im Keller wohnst, auch
dieser Keller bedingungslos ihr gehört? (Wobei man allerdings zugeben
muß, dass ein Keller und nichts als ein Keller ein trauriger
Besitz ist.)" Liebste, meine Liebste, weißt Du denn das alles
nicht? Ja aber Liebste, wenn das so ist, was für Leid werde ich über
Dich bringen müssen, selbst wenn alles noch so günstig wird,
wie in manchen Träumen? Und je günstiger, desto mehr Leid. Darf
ich das? Und selbst wenn die Selbsterhaltung es mir befiehlt? Manchmal
fällt die Unmöglichkeit wie eine Welle über die Möglichkeit
hin.
Unterschätze, Liebste, nicht die Standhaftigkeit jener chinesischen
Frau! Bis zum frühen Morgen - ich weiß gerade nicht, ob
die Stunde angegeben wird - wachte sie in ihrem Bett, der Schein der Studierlampe
ließ sie nicht schlafen, sie verhielt sich aber ruhig, versuchte
vielleicht durch Blicke den Gelehrten vom Buche abzuziehn, aber dieser
traurige, ihr doch so ergebene Mann merkte es nicht, nur Gott weiß
es, aus wieviel traurigen Gründen er es nicht merkte, über die
er eben keine Herrschaft hatte, die aber alle insgesamt im höhern
Sinn ihr, wieder nur ihr ergeben waren. Schließlich aber konnte sie
sich nicht halten und nahm ihm doch die Lampe weg, was ja schließlich
ganz richtig, seiner Gesundheit zuträglich, dem Studium hoffentlich
nicht schädlich, der Liebe nützlich war, was ein schönes
Gedicht hervorrief und doch alles in allem nur eine Selbsttäuschung
der Frau gewesen ist.
Liebste, nimm mich zu Dir, halte mich, laß Dich nicht beirren, die
Tage werfen mich hin und her, bringe Dir zum Bewußtsein, dass
Du niemals reine Freude von mir haben wirst, reines Leid dagegen soviel
man nur wünschen kann, und trotzdem - schick mich nicht fort. Mich
verbindet nicht nur Liebe mit Dir, Liebe wäre wenig, Liebe fängt
an, Liebe kommt, vergeht und kommt wieder, aber diese Notwendig(keit],
mit der ich ganz und gar in Dein Wesen eingehakt bin, die bleibt. Bleibe
auch, Liebste, bleibe! Und schreib solche Briefe -,vie den vorletzten nicht
mehr.
Ich bin diese Tage von Donnerstag abend an nicht mehr zu meinem Roman gekommen
und heute wird es auch nichts mehr werden. Ich werde nachmittag mit Max
beisammen sein müssen und mit Werfel, der schon morgen wieder nach
Leipzig fährt. Ich habe den Jungen täglich lieber. Gestern habe
ich auch mit Buber gesprochen, der persönlich frisch und einfach und
bedeutend ist und nichts mit den lauwarmen Sachen zu tun zu haben scheint,
die er geschrieben hat. Die Russen endlich gestern abend waren prachtvoll.
Der Nijinski und die Kyast sind zwei fehlerlose Menschen, im Innersten
ihrer Kunst, und es geht von ihnen die Beherrschung aus wie von allen solchen
Menschen.
Aber wie das alles auch sein mag, von morgen abend an rühre ich mich
wieder für lange Zeit nicht von zu Hause weg. Ja vielleicht hat gerade
dieses Herumbummeln Unruhe über meine Liebste gebracht. Gerade zu
jener Zeit, als jener Brief geschrieben wurde, war ich in der Gesellschaft,
die sich nach jenem Vortragsabend um Buber und die Eysoldt zusammengefundcn
hatte, und benahm mich im Genuß der falschen Lust, einmal von zuhause
fort zu sein, genug übertrieben und auffallend. Wenn ich nur schon
wieder bei meiner Geschichte säße! Wenn nur
die Liebste schon wieder ruhig wäre und entschlossen, das Unglück,
das ich ihr verursache und das sie für einen Augenblick auf den Boden
gestellt hat, wieder aufzunehmen!
Franz
Was hat die Mutter bei Übergabe des Briefes gesagt? Was schreibt der
Vater? Wann übersiedele Ihr? Deine Fragte über die Betrachtung
beantworte ich nächstens. Nicht Zwei Tage habe ich gut geschrieben,
nur einen. Nur einen in der ganzen Woche! Und da verwehrst Du mir noch
den Keller!
Keller:Vgl. Kafkas Brief vom 14. zum 15. Januar
1913, S. 250.
chinesischen Frau: Vgl. Kafkas Brief vom 24. November
1912, S. 119.
Geschichte :Vermutlich ist hier auch wieder der
"Roman" der früheren Briefe, der Amerika-Roman, gemeint.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at