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An Felice Bauer

vom 13. zum 14.1.13
 


Du warst mir also nicht bös, meine liebste Felice, wegen des Sonntagsbriefes und hast noch einen Teil Deines Nachmittagschlafes, den Du zehnmal Übermüdete so sehr brauchst, für mich geopfert. War es denn wenigstens ein fester, guter Schlaf? Aber gehst Du gar nicht einlaufen? gar nicht spazieren? Und Zeit zum Lesen hast Du natürlich auch gar keine. Du hast wohl ehe Du mich, diesen von Deinem Schreiben und durch Dein Schreiben lebenden Menschen, kanntest, eine ganz andere, schönere Zeiteinteilung gehabt. Sag mir, Liebste, etwas darüber, aber die Wahrheit! Zur Erklärung der vielen Zeitschriften, die Du nach Deinem allerersten Briefe immer bekommst, hast Du mir auch noch nichts gesagt.

Über die Hochzeit will ich lieber nichts einzelnes schreiben, ich müßte die neuen Verwandten und ihre Freunde beschreiben, und das würde mich zu sehr in die nun schon überstandene Zeit zurückbringen. Meine Cousine heißt Martha, sie hat einige gute Eigenschaften, darunter auch die Anspruchslosigkeit, an die allein ich mich gewendet habe. Meine Eltern, (ich kann der Versuchung nicht widerstehn und sage hier "meine armen Eltern") waren sehr glücklich über die Festlichkeit trotz der unsinnigen Summe, die mit Schmerzen dafür hinausgeworfen wird. Mein Vater setzt sich nach dem Essen immer für ein Weilchen in den Schaukelstuhl zu einem kurzen Schlaf, nachher geht er dann immer ins Geschäft (legen darf er sich wegen seines Herzleidens nach dem Essen nicht). Heute setzte er sich auch wieder in den Schaukelstuhl, ich glaubte, er sei schon eingeschlafen, (ich mittagmahlte eben) da sagte er plötzlich im Beginn des Halbschlafes: "Jemand hat mir gesagt, die Valli habe gestern im Brautschleier wie eine Fürstin ausgesehn." Nutz sagte er das aber tschechisch, und von der Liebe, Bewunderung und Zartheit, die sich in dem Worte "Kněžna" vereinigen ist in "Fürstin" keine Ahnung, denn dieses Wort ist ganz auf Pracht und Breite hergerichtet.

Die Bemerkung meines Schwagers hast Du, Liebste, ein wenig mißverstanden. Wenn auch nur die geringste Möglichkeit für den Schwager bestanden hätte, Deine Briefe zu meinen, dann wäre eine gewisse Bosheit der Bemerkung nicht zu leugnen. Nun weiß aber gerade er von Deinen Briefen natürlich nichts, und eine solche Bezugnahme war ausgeschlossen. Die einzige Beziehung, die man meinem Schwager immerhin hätte zumuten können, die aber auch nicht bestand, war die, dass er sagen wollte, ich kümmere mich um die Familie so wenig, als sei ich in der Fremde und hätte mit der Familie nur brieflichen Verkehr. Von meiner wirklichen Heimat weiß er also nichts.

Franz




in der Fremde . . . also nichts: Bezieht sich auf Josef Pollaks Bemerkung "Guten Abend, Franz! Wie geht's? Was schreibt man von zu Hause?" Vgl. Kafkas Brief vom 10. zum 11. Januar 1913, S. 243f.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at