Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Felice Bauer
Du warst mir also nicht bös, meine liebste Felice, wegen des Sonntagsbriefes
und hast noch einen Teil Deines Nachmittagschlafes, den Du zehnmal Übermüdete
so sehr brauchst, für mich geopfert. War es denn wenigstens ein fester,
guter Schlaf? Aber gehst Du gar nicht einlaufen? gar nicht spazieren? Und
Zeit zum Lesen hast Du natürlich auch gar keine. Du hast wohl ehe
Du mich, diesen von Deinem Schreiben und durch Dein Schreiben lebenden
Menschen, kanntest, eine ganz andere, schönere Zeiteinteilung gehabt.
Sag mir, Liebste, etwas darüber, aber die Wahrheit! Zur Erklärung
der vielen Zeitschriften, die Du nach Deinem allerersten Briefe immer bekommst,
hast Du mir auch noch nichts gesagt.
Über die Hochzeit will ich lieber nichts einzelnes schreiben, ich
müßte die neuen Verwandten und ihre Freunde beschreiben, und
das würde mich zu sehr in die nun schon überstandene Zeit zurückbringen.
Meine Cousine heißt Martha, sie hat einige gute Eigenschaften, darunter
auch die Anspruchslosigkeit, an die allein ich mich gewendet habe. Meine
Eltern, (ich kann der Versuchung nicht widerstehn und sage hier "meine
armen Eltern") waren sehr glücklich über die Festlichkeit
trotz der unsinnigen Summe, die mit Schmerzen dafür hinausgeworfen
wird. Mein Vater setzt sich nach dem Essen immer für ein Weilchen
in den Schaukelstuhl zu einem kurzen Schlaf, nachher geht er dann immer
ins Geschäft (legen darf er sich wegen seines Herzleidens nach dem
Essen nicht). Heute setzte er sich auch wieder in den Schaukelstuhl, ich
glaubte, er sei schon eingeschlafen, (ich mittagmahlte eben) da sagte er
plötzlich im Beginn des Halbschlafes: "Jemand hat mir gesagt,
die Valli habe gestern im Brautschleier wie eine Fürstin ausgesehn."
Nutz sagte er das aber tschechisch, und von der Liebe, Bewunderung und
Zartheit, die sich in dem Worte "Kněžna" vereinigen
ist in "Fürstin" keine Ahnung, denn dieses Wort ist ganz
auf Pracht und Breite hergerichtet.
Die Bemerkung meines Schwagers hast Du, Liebste, ein wenig mißverstanden.
Wenn auch nur die geringste Möglichkeit für den Schwager bestanden
hätte, Deine Briefe zu meinen, dann wäre eine gewisse Bosheit
der Bemerkung nicht zu leugnen. Nun weiß aber gerade er von Deinen
Briefen natürlich nichts, und eine solche Bezugnahme war ausgeschlossen.
Die einzige Beziehung, die man meinem Schwager immerhin hätte zumuten
können, die aber auch nicht bestand, war die, dass er sagen wollte,
ich kümmere mich um die Familie so wenig, als sei ich in
der Fremde und hätte mit der Familie nur brieflichen Verkehr. Von
meiner wirklichen Heimat weiß er also nichts.
Franz
in der Fremde . . . also nichts: Bezieht sich auf
Josef Pollaks Bemerkung "Guten Abend, Franz! Wie geht's? Was schreibt
man von zu Hause?" Vgl. Kafkas Brief vom 10. zum 11. Januar 1913,
S. 243f.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at