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An Felice Bauer

vom 12. zum 13. 1. 13
 


Mein liebstes Kind, es ist vorüber, es entstehen Aussichten auf bessere Zeiten, verhältnismäßige Zufriedenheit beginnt. Manchmal habe ich das Gefühl, diese fremden Leute Iosgeworden zu sein, sei kein Opfer zu groß gewesen, nicht einmal das Opfer meiner Schwester. Dabei darfst Du natürlich nicht denken und denkst es auch nicht, dass einem solchen Gefühl irgendetwas Tatsächliches entspricht, aber das Gefühl ist unaustreibbar.

Ich bekam Deinen Brief, die Karte und die Bilder mitten in der Hochzeitsgesellschaft, gerade als wir uns zum Zuge ordneten, mir war, als drücktest Du mir die Hand.

Ach Liebste, wie ist das mit den Bildern doch ein sehnsüchtiges Vergnügen. Alle stellen die Liebste dar, keines gleicht dem andern, alle fassen einen mit Gewalt. Auf diesen Bildern gleichst Du wieder sehr dem kleinen Mädchen auf dem ersten Bild, das Du mir schicktest. So still sitzt Du da, die linke Hand, ganz unbeschäftigt, darf doch nicht erfaßt werden, etwas sehr Nachdenkliches wird diktiert. Eine raffinierte Aufnahme für den Fall, als man es darauf angelegt haben sollte, den Mund zu küssen. Bist Du hier in Deinem Bureau photographiert? Was für ein Unterschied ist zwischen den verschiedenen Mundstücken der Apparate? Soll das Bild vielleicht zu Reklamezwecken verwendet werden? Vielleicht zu Ansichtskarten? Das doch nicht?

Liebste, was hättest Du wohl heute zu mir gesagt, wenn Du mich während der Hochzeit hättest beobachten können. Es verlief ja alles beiläufig so wie ich es Mir gedacht hatte, das einzig Überraschende war, dass es wirklich zu Ende ging. Aber dass ich mich wieder in einem solchen ausgetrockneten kopfhängerischen Zustand befinden würde, in dem ich dem kläglichsten aller Gäste noch weit unterlegen war, das hatte ich doch nicht erwartet; solche Zustände, dachte ich, lägen schon für immer in sagenhafter Zeit hinter mir. Und nun waren sie wieder da, frisch wie am ersten Tag einer langen Reihe endloser Tage. Erst wie ich nachher auf einen Augenblick allein im Kaffeehaus war und 4 Bilder von Daumier (Der Metzger, das Koncert, die Kritiker, der Sammler) gesehen hatte, fand ich mich wieder leidlich zusammen.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at