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An Felice Bauer

vom 6. zum 7. 1 - 13
 


Lache nicht, Liebste, lache nicht, es ist mir augenblicklich schrecklich ernst mit dem Wunsch: Wenn Du doch hier wärest! Ich rechne oft zum Spiel, in wieviel Stunden könnte ich schnellstens bei günstigsten Umständen bei Dir sein, in wieviel Stunden Du bei mir. Es ist immer zu lang, viel zu lang, so verzweifelt lang, dass man, selbst wenn nicht andere Hindernisse wären, schon angesichts dieser Zeitdauer sich zu dem Versuch nicht entschließen könnte. Heute abend ging ich von zuhause geradewegs zu dem Hause in der Ferdinandstraße, in dem Euer Vertreter sein Geschäft hat. Es sah fast aus, als hätte ich dort ein Rendezvous mit Dir. Aber ich umging das Haus allein und ging allein wieder weg. Nicht einmal eine Erwähnung der Fa Lindström konnte ich auf den Firmatafeln finden. Der Mann nennt sich nur Generalvertreter einer Gramophone-Company. Warum? Oft klage ich, dass so wenige Örtlichkeiten in Prag, wenigstens meiner Kenntnis nach, Beziehungen zu Dir haben. Die Wohnung bei Brods, die Schalengasse, der Kohl[en]markt, die Perlgasse, die Obstgasse, der Graben. Dann noch das Café im Repräsentationshaus, die Frühstückstube im Blauen Stern und das Vestibül. Es ist wenig, Liebste, aber dieses Wenige, wie hebt es sich für mich aus der Karte der Stadt heraus!

Ich habe Dir heute auf Deine beiden heutigen Briefe so viel zu sagen dass sich Deine Mutter, wenn sie es übersehen könnte, eigentlich folgendermaßen wundern müßte : Wie kann man nur überhaupt schreiben, wenn man so viel zu sagen hat und wenn man weiß, dass die Feder durch die Menge des zu Sagenden nur eine unsichere und zufällige Spur ziehen wird.

Mein Bild hast Du also in Dein Herzchen (nicht Herzchen, Anspruchsvoller!), in Dein Medaillon gegeben zur unbequemen Nachbarschaft für Dein kleines Nichtchen und, lese ich recht? Tag und Nacht willst Du es tragen? Hast Du denn keine Lust gehabt, das schlechte Bild wegzuwerfen? Starre ich Dich daraus nicht allzu erschreckend an? Verdient es die Ehre, die Du ihm gibst? Zu denken, dass mein Bild in Deinem Medaillon steckt und ich hier allein in meinem eiskalten Zimmer sitze (in dem ich mich, scheint mir, zu meiner großen Schande in den letzten Tagen verkühlt habe). Aber warte, Du schlechtes Bild, der Augenblick wird gesegnet sein, in dem ich kommen und mit eigener Hand Dich aus dem Medaillon nehmen werde. Wegwerfen werde ich Dich nur wegen der Blicke nicht, die Felice vielleicht auf Dich verschwendet hat.

Ich höre auf, es ist schon spät, fertig werden könnte ich nie, was ist es auch für eine Beschäftigung für die Hände, Briefe zu schreiben, wenn sie dazu gemacht sind und nichts anderes wollen, als Dich zu halten.


Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at