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An Felice Bauer
Gewiß, Liebste, hätte ich noch nicht aufhören sollen mit
meinem Schreiben, gewiß habe ich zu bald aufgehört, es ist erst
1 Uhr vorüber, aber ich hatte eine Spur mehr Abneigung als Lust, wenn
auch große Lust, wenn auch mehr Schwäche als Abneigung, und
so ließ ich es. Bitte, Liebste, wenn Du dieses gelesen hast, so nicke
mir zum Beweise, dass ich recht getan habe, zu und dann wird es eben
richtig gewesen sein.
Wir tauschen, scheint mir, unsere Unruhe aus. Heute war ich der Unruhige.
Ich hätte gern gewußt, ob Du meine Briefe doch noch bekommen
hast. Es gab Augenblicke im heutigen Tag, wo es mir schien, ich würde
den nächsten Augenblick nicht ertragen können, wenn er Dich nicht
zu mir brächte. Noch gestern nacht, nachdem ich den vorigen Brief
geschrieben und verschlossen hatte, fiel es mir im Bett ein, dass
die ganze Geschichte meiner nicht angekommenen Briefe nur dadurch zu erklären
ist, dass irgendeine der Bureaudämchen aus Neugierde und Lüsternheit
die Briefe versteckt und erst am Abend Dir übergeben hat. Ich bin
neugierig, ob ich richtig geraten habe.
Über Deine Wette um die Champagnerflasche habe ich gestaunt. Auch
ich habe nämlich, allerdings schon vor Jahren, aber wie ich glaube
für eine zehnjährige Frist, mit einem guten Bekannten eine ähnliche
Wette meine Heirat betreffend abgeschlossen. Ich habe ihm sogar einen schriftlichen
Verpflichtungsschein ausgestellt, den er noch in Händen hat. Ich hätte
nicht daran gedacht, wenn mich dieser Bekannte nicht gerade in den letzten
Tagen, nachdem schon jahrelang davon nicht gesprochen wurde, zufällig
daran erinnert hätte. Es handelt sich auch um Champagner, aber wenn
ich nicht irre, gar um 10 Flaschen des allerfeinsten. Wahrscheinlich dachte
ich damals daran, mir in 10 Jahren einen schönen Junggesellenabend
zu bereiten und hoffte, mit den Jahren werde sich auch das Vergnügen
am Champagner einstellen, was allerdings bis heute nicht geschehen ist.
Die Wette stammt, wie Du schon erraten haben wirst, aus jener längst
vergangenen angeblichen Bummelzeit, in der ich viele Nächte in Weinstuben
versessen habe, ohne zu trinken. Nach den Namen zu schließen, waren
es wunderbare Örtlichkeiten: Trocadero, Eldorado und in dieser Art.
Und nun? Nun stehe ich in der Nacht auf der Gasse einer
amerikanischen Stadt und gieße unbekannte Getränke in mich hinein
wie in ein Faß.
Den alten Traum soll ich noch erzählen? Warum gerade den alten, da
ich doch fast jede Nacht von Dir träume? Denke nur, heute nacht habe
ich Verlobung mit Dir gefeiert. Es sah schrecklich, schrecklich unwahrscheinlich
aus und ich weiß auch nicht mehr viel davon. Die ganze Gesellschaft
saß in einem halbdunklen Zimmer an einem langen Holztisch, dessen
schwarze Platte von keinem Tuch bedeckt war. Ich saß unten am Tisch
zwischen unbekannten Leuten, Du standest aufrecht, genug weit von mir entfernt,
weiter oben, schief mir gegenüber. Ich legte vor Verlangen nach Dir
den Kopf auf den Tisch und spähte zu Dir hinüber. Deine Augen,
die auf mich gerichtet waren, waren dunkel, aber in der Mitte jedes Auges
war ein Punkt, der glänzte wie Feuer und Gold. Dann zerstreute sich
mir der Traum, ich bemerkte, wie das bedienende Dienstmädchen hinter
dem Rücken der Gäste eine dickflüssige Speise, die es in
einem braunen Töpfchen zu servieren hatte, verkostete und den Löffel
wieder in die Speise steckte. Darüber gerieth ich in die größte
Wut und führte das Mädchen - es stellte sich nun heraus, dass
das ganze in einem Hotel stattfand und dass das Mädchen eine
Hotelangestellte war - hinunter in die ungeheueren Geschäftsräume
des Hotels, wo ich bei den maßgebenden Personen über das Benehmen
des Mädchens Klage führte, ohne übrigens viel zu erreichen.
Dann verlief sich der Traum in maßlosen Reisen und maßloser
Eile. Was sagst Du dazu? Den alten Traum habe ich aber eigentlich noch
klarer im Kopf als diesen, aber heute erzähle ich ihn nicht mehr.
Auf die Gefahr hin, Dir den Sonntag zu verderben, schicke ich Dir meine
neueste Photographie, und zwar gleich in 3 Exemplaren, da ich gefunden
zu haben glaube, dass sie in größerer Anzahl an Schrekken
verliert. Ich weiß mir keine Hilfe, dieses Blitzlicht gibt mir immer
ein irrsinniges Aussehn, das Gesicht wird verdreht, die Augen schielen
und starren. Habe keine Angst, Liebste, so sehe ich nicht aus, dieses Bild
gilt nicht, das sollst Du nicht bei Dir tragen, ich werde Dir bald ein
besseres schicken. In Wirklichkeit bin ich zumindest noch einmal so schön
wie auf dem Bild. Genügt Dir das nicht, Liebste, dann ist es allerdings
schlimm. Was soll ich dann machen? Übrigens hast Du ja ein ganz wahrheitsgemäßes
Bild von mir; so wie ich in dein kleinen Buch [Betrachtung] aussehe, so
sehe ich auch wirklich aus, so sah ich wenigstens vor kurzem aus. Und ob
Du willst oder nicht, ich gehöre Dir.
Franz
Nun stehe ... faß. : Anspielung auf eine Szene
im Amerika-Roman, S. 284.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at