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An Felice Bauer

vom 3. zum 4.1.1913
 


Gewiß, Liebste, hätte ich noch nicht aufhören sollen mit meinem Schreiben, gewiß habe ich zu bald aufgehört, es ist erst 1 Uhr vorüber, aber ich hatte eine Spur mehr Abneigung als Lust, wenn auch große Lust, wenn auch mehr Schwäche als Abneigung, und so ließ ich es. Bitte, Liebste, wenn Du dieses gelesen hast, so nicke mir zum Beweise, dass ich recht getan habe, zu und dann wird es eben richtig gewesen sein.

Wir tauschen, scheint mir, unsere Unruhe aus. Heute war ich der Unruhige. Ich hätte gern gewußt, ob Du meine Briefe doch noch bekommen hast. Es gab Augenblicke im heutigen Tag, wo es mir schien, ich würde den nächsten Augenblick nicht ertragen können, wenn er Dich nicht zu mir brächte. Noch gestern nacht, nachdem ich den vorigen Brief geschrieben und verschlossen hatte, fiel es mir im Bett ein, dass die ganze Geschichte meiner nicht angekommenen Briefe nur dadurch zu erklären ist, dass irgendeine der Bureaudämchen aus Neugierde und Lüsternheit die Briefe versteckt und erst am Abend Dir übergeben hat. Ich bin neugierig, ob ich richtig geraten habe.

Über Deine Wette um die Champagnerflasche habe ich gestaunt. Auch ich habe nämlich, allerdings schon vor Jahren, aber wie ich glaube für eine zehnjährige Frist, mit einem guten Bekannten eine ähnliche Wette meine Heirat betreffend abgeschlossen. Ich habe ihm sogar einen schriftlichen Verpflichtungsschein ausgestellt, den er noch in Händen hat. Ich hätte nicht daran gedacht, wenn mich dieser Bekannte nicht gerade in den letzten Tagen, nachdem schon jahrelang davon nicht gesprochen wurde, zufällig daran erinnert hätte. Es handelt sich auch um Champagner, aber wenn ich nicht irre, gar um 10 Flaschen des allerfeinsten. Wahrscheinlich dachte ich damals daran, mir in 10 Jahren einen schönen Junggesellenabend zu bereiten und hoffte, mit den Jahren werde sich auch das Vergnügen am Champagner einstellen, was allerdings bis heute nicht geschehen ist. Die Wette stammt, wie Du schon erraten haben wirst, aus jener längst vergangenen angeblichen Bummelzeit, in der ich viele Nächte in Weinstuben versessen habe, ohne zu trinken. Nach den Namen zu schließen, waren es wunderbare Örtlichkeiten: Trocadero, Eldorado und in dieser Art. Und nun? Nun stehe ich in der Nacht auf der Gasse einer amerikanischen Stadt und gieße unbekannte Getränke in mich hinein wie in ein Faß.

Den alten Traum soll ich noch erzählen? Warum gerade den alten, da ich doch fast jede Nacht von Dir träume? Denke nur, heute nacht habe ich Verlobung mit Dir gefeiert. Es sah schrecklich, schrecklich unwahrscheinlich aus und ich weiß auch nicht mehr viel davon. Die ganze Gesellschaft saß in einem halbdunklen Zimmer an einem langen Holztisch, dessen schwarze Platte von keinem Tuch bedeckt war. Ich saß unten am Tisch zwischen unbekannten Leuten, Du standest aufrecht, genug weit von mir entfernt, weiter oben, schief mir gegenüber. Ich legte vor Verlangen nach Dir den Kopf auf den Tisch und spähte zu Dir hinüber. Deine Augen, die auf mich gerichtet waren, waren dunkel, aber in der Mitte jedes Auges war ein Punkt, der glänzte wie Feuer und Gold. Dann zerstreute sich mir der Traum, ich bemerkte, wie das bedienende Dienstmädchen hinter dem Rücken der Gäste eine dickflüssige Speise, die es in einem braunen Töpfchen zu servieren hatte, verkostete und den Löffel wieder in die Speise steckte. Darüber gerieth ich in die größte Wut und führte das Mädchen - es stellte sich nun heraus, dass das ganze in einem Hotel stattfand und dass das Mädchen eine Hotelangestellte war - hinunter in die ungeheueren Geschäftsräume des Hotels, wo ich bei den maßgebenden Personen über das Benehmen des Mädchens Klage führte, ohne übrigens viel zu erreichen. Dann verlief sich der Traum in maßlosen Reisen und maßloser Eile. Was sagst Du dazu? Den alten Traum habe ich aber eigentlich noch klarer im Kopf als diesen, aber heute erzähle ich ihn nicht mehr.

Auf die Gefahr hin, Dir den Sonntag zu verderben, schicke ich Dir meine neueste Photographie, und zwar gleich in 3 Exemplaren, da ich gefunden zu haben glaube, dass sie in größerer Anzahl an Schrekken verliert. Ich weiß mir keine Hilfe, dieses Blitzlicht gibt mir immer ein irrsinniges Aussehn, das Gesicht wird verdreht, die Augen schielen und starren. Habe keine Angst, Liebste, so sehe ich nicht aus, dieses Bild gilt nicht, das sollst Du nicht bei Dir tragen, ich werde Dir bald ein besseres schicken. In Wirklichkeit bin ich zumindest noch einmal so schön wie auf dem Bild. Genügt Dir das nicht, Liebste, dann ist es allerdings schlimm. Was soll ich dann machen? Übrigens hast Du ja ein ganz wahrheitsgemäßes Bild von mir; so wie ich in dein kleinen Buch [Betrachtung] aussehe, so sehe ich auch wirklich aus, so sah ich wenigstens vor kurzem aus. Und ob Du willst oder nicht, ich gehöre Dir.

Franz




Nun stehe ... faß. : Anspielung auf eine Szene im Amerika-Roman, S. 284.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at