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An Felice Bauer

1.XII.12 [1.Januar 1913]
 


Liebste, nur paar Worte vom Neujahrsnachmittag. Weißt Du, was augenblicklich meine größte Sorge ist? Deinen mir für gestern, Dienstag, zugedachten großen, schönen Brief habe ich erst heute, Mittwoch, mit der zweiten Post bekommen. Nun schreibst Du aber: "Du bekommst aber auch. am Sonntag früh bestimmt noch einen Brief" und meinst mit dem Sonntag offenbar den heutigen Neujahrstag. Gut, aber diesen zweiten Brief habe ich nicht bekommen, auch im Bureau war er nicht. Dann kommt er wahrscheinlich erst morgen in die Wohnung, während ich im Bureau bin. Nun, ich werde den Auftrag geben, dass man mir ihn gleich ins Bureau bringt, aber ob man daran nicht vergißt, ob man es rechtzeitig bringt, ob auch sonst noch ein Brief ins Bureau kommt? Das sind also, Liebste, meine Sorgen. Verdammte Post! Verdammte Entfernung!

Wie gut Du mich aber in Deinem heutigen Brief behandelst! Wie Du mir verzeihen und wie Du meine Sorgen verstehen kannst! Warte, dafür danke ich Dir noch heute in der Nacht nach Kräften. Liebste, adieu, ich habe meinen dumpfen, großen, über dem linken Auge ein wenig zuckenden, urdummen Nachmittagskopf und so soll ich unter Leute. Warum denn nicht? Für die bin ich immer noch gut genug, denn wenn ich auch in meinem verhältnismäßig besten Zustand bin, gehöre ich ihnen ja doch nicht.

Die Überwindung Eulenbergs freut mich unmäßig und der Mensch hat keine Ahnung davon, sondern freut sich über seinen Schillerpreise und über die 12 000 M., die er, wie Werfel erzählte, jährlich von Rowohlt bekommt. Ich gönne sie ihm durchaus, denn ich habe Dich, Felice, zu mir hinübergezogen. Nun bleib aber auch hier!

Franz




Schillerpreise: Herbert Eulenberg erhielt 1912 für sein Stück Belinde den Volks-Schillerpreis.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at