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[Tagebuch, 20. August 1912; Dienstag]

20. August (1912).

Die kleinen Jungen, beide in blauen Blusen, einer in heller, der andere kleinere in dunklerer, tragen über den Universitätsbauplatz vor meinem Fenster, der zum Teil wild mit Gras bewachsen ist, mit vollen Armen jeder ein Bündel trockenen Heus. Sie schleppen sich damit einen Abhang hinauf. Annehmlichkeit des Ganzen für die Augen.

Heute früh der leere Leiterwagen und das magere große Pferd davor. Beide, wie sie die letzte Anstrengung machten, einen Abhang hinaufzukommen, ungewöhnlich in die Länge gezogen. Für den Beschauer schief aufgestellt. Das Pferd ein wenig die Vorderbeine gehoben, den Hals seitwärts und aufwärts gestreckt. Darüber die Peitsche des Kutschers.

Wenn Rohwolt es zurückschickte und ich alles wieder einsperren und ungeschehen machen könnte, so dass ich bloß so unglücklich wäre, wie früher.

Frl. Felice Bauer. Als ich am 13. VIII zu Brod kam, saß sie bei Tisch und kam mir doch wie ein Dienstmädchen vor. Ich war auch gar nicht neugierig darauf, wer sie war, sondern fand mich sofort mit ihr ab. Knochiges leeres Gesicht, das seine Leere offen trug. Freier Hals. Überworfene Bluse. Sah ganz häuslich angezogen aus, trotzdem sie es, wie sich später zeigte, gar nicht war. [Ich entfremde ihr ein wenig dadurch, dass ich ihr so nahe an den Leib gehe. Allerdings in was für einem Zustand bin ich jetzt, allem Guten in der Gesamtheit entfremdet und glaube es überdies noch nicht. Wenn mich heute bei Max die litterarischen Nachrichten nicht zu sehr zerstreuen, werde ich noch die Geschichte von dem Blenkelt zu schreiben versuchen. Sie muß nicht lang sein, aber treffen muß sie mich] Fast zerbrochene Nase. Blondes, etwas steifes reizloses Haar, starkes Kinn. Während ich mich setzte, sah ich sie zum erstenmal genauer an, als ich saß, hatte ich schon ein unerschütterliches Urteil. Wie sich -

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at