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[Tagebuch, 17. März 1912; Sonntag]

17. III. (1912) In diesen Tagen "Morgenrot" von Stössl gelesen.

Maxens Koncert am Sonntag. Mein fast bewußtloses Zuhören. Ich kann mich von jetzt an bei Musik nicht mehr langweilen. Diesen undurchdringlichen Kreis, der sich mit der Musik um mich bald bildet, versuche ich nicht mehr zu durchdringen, wie ich es früher nutzlos tat, hüte mich auch, ihn zu überspringen, was ich wohl imstande wäre, sondern bleibe ruhig bei meinen Gedanken, die in der Verengung sich entwickeln und ablaufen, ohne dass störende Selbstbeobachtung in dieses langsame Gedränge eintreten könnte. - Der schöne "magische Kreis" (von Max) der stellenweise die Brust der Sängerin zu öffnen scheint. - Goethe "Trost im Schmerz". Alles geben die unendlichen Götter Ihren Lieblingen ganz, die Freuden die unendlichen, die Schmerzen die unendlichen ganz. - Meine Unfähigkeit gegenüber meiner Mutter, gegenüber Frl. T. und gegenüber allen dann im Kontinental und später auf der Gasse.

Mam'zelle Nitouche am Montag. Die gute Wirkung eines französischen Wortes innerhalb einer traurigen deutschen Vorstellung. - Pensionatsmädchen in hellen Kleidern laufen hinter einem Gitter mit ausgestreckten Armen in den Garten. - Kasernenhof des Dragonerregimentes in der Nacht. Officiere feiern in einem über paar Treppen zu erreichendem Saal des hintern Kaserngebäudes ein Abschiedsfest. Mam'zelle Nitouche kommt und läßt sich durch Liebe und Leichtsinn dazu bringen, an dem Fest teilzunehmen. Was Mädchen passieren kann! Früh im Stift, abends Auftreten für eine absagende Operettensängerin und nachts in der Dragonerkaserne.

Heute den Nachmittag mit schmerzhafter Müdigkeit auf dem Kanapee verbracht.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at