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[Tagebuch, 8. März 1912; Freitag]

8. III (1912) Vorgestern Vorwürfe wegen der Fabrik bekommen. Eine Stunde dann auf dem Kanapee über Aus-dem-Fenster-springen nachgedacht.

Gestern Hardenvortrag über "Teater". Offenbar gänzlich improvisiert, ich war in ziemlich guter Laune und habe ihn deshalb nicht so leer gefunden wie andere. Guter Anfang: "Zu dieser Stunde, in der wir uns hier zu einer Besprechung des Teaters zusammengefunden haben, teilt sich in allen Schauhäusern Europas und der übrigen Erdteile der Vorhang und enthüllt dem Publikum die Szene." Mit einer Glühlampe, die vor ihm in Brusthöhe auf einem Ständer beweglich angebracht ist, beleuchtet er die Hemdbrust, wie in der Auslage eines Wäschegeschäftes, und bringt im Laufe des Vortrages durch Bewegen dieser Glühlampe Abwechslung in die Beleuchtung. Fußspitzentanz, um sich größer zu machen sowie um die Improvisationsfähigkeit anzuspannen. Gespannte Hose selbst in der Leistengegend. Ein wie bei einer Puppe aufgenagelter kurzer Frack. Fast angestrengt ernsthaftes Gesicht, einmal einer alten Dame, einmal Napoleon ähnlich. Erblassende Färbung der Stirne wie bei einer Perücke. Wahrscheinlich geschnürt.

Einige alte Papiere durchgelesen. Es gehört alle Kraft dazu das auszuhalten. Das Unglück, das man ertragen muß, wenn man in einer Arbeit, die immer nur in ganzem Zug gelingen kann, sich unterbricht und das ist mir bisher immer geschehn, dieses Unglück muß man beim Durchlesen wenn auch nicht in der alten Stärke, so gedrängter durchmachen.

Heute beim Baden glaubte ich alte Kräfte zu fühlen, als wären sie unberührt von der langen Zwischenzeit

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at