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[Tagebuch, 26. Februar 1912; Montag]

26. II 12 Besseres Selbstbewußtsein. Herzschlag näher den Wünschen. Das Rauschen des Gaslichtes über mir.

Ich öffnete die Haustür, um nachzusehn, ob das Wetter zu einem Spaziergang verlocke. Blauer Himmel war nicht zu leugnen, aber große blaudurchschimmerte graue Wolken mit klappenförmig abgebogenen Rändern schwebten niedrig, wie man an den nahen Waldhügeln abmessen konnte. Trotzdem war die Gasse voll Menschen die zu Spaziergängen auszogen. Kinderwagen wurden von festen Mutterhänden gelenkt. Hie und da stockte in der Menge ein Gefährt und wartete, bis vor den auf- und absteigenden Pferden die Menschen auseinandertraten. Indessen blickte der Wagenlenker, ruhig die zitternden Zügel haltend, vor sich hin, übersah keine Kleinigkeit, untersuchte alles einigemal und gab dem Wagen im richtigen Augenblick den letzten Antrieb. Kinder konnten laufen, sowenig Raum auch war. Mädchen in leichten Kleidern mit Hüten, die so ausgesprochen wie Briefmarken gefärbt waren, giengen am Arm junger Leute und eine in ihren Kehlen unterdrückte Melodie zeigte sich im Tanzschritt ihrer Beine. Familien hielten gut zusammen und waren sie auch einmal in langer Reihe zerstreut so fanden sich leicht rückwärts ausgestreckte Arme, winkende Hände, Ausrufe von Schmeichelnamen welche die Verlorenen verknüpften. Allein gelassene Männer suchten sich noch mehr abzuschließen, indem sie die Hände in die Taschen steckten. Das war kleinliche Narrheit. Zuerst stand ich im Haustor, dann lehnte ich mich an um ruhiger zuzusehn. Kleider streiften mich, einmal ergriff ich ein Band das hinten einen Mädchenrock verzierte und ließ es durch die sich Entfernende aus der Hand ziehn; als ich einmal einem Mädchen, nur um ihm zu schmeicheln über die Schulter strich, gab mir der folgende Passant einen Schlag auf die Finger. Ich zog ihn aber hinter den einen verriegelten Haustorflügel, meine Vorwürfe waren erhobene Hände, Blicke aus den Augenwinkeln, ein Schritt zu ihm hin ein Schritt von ihm weg, er war glücklich, als ich ihn mit einem Stoß entließ. Von jetzt an rief ich natürlich öfters Leute zu mir her, ein Winken mit dem Finger genügte oder ein rascher, nirgends zögernder Blick.

In einer wie mühelosen Schläfrigkeit ich dieses Unnütze, Unfertige geschrieben habe.

Heute schreibe ich an Löwy. Ich schreibe die Briefe an ihn hier auf, weil ich mit ihnen etwas zu erreichen hoffe:

Lieber Freund

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at