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[Reisetagebuch Weimar-Jungborn, 28. Mai 1912; Dienstag]

Freitag 28. V (Juni 1912) Abfahrt Staatsbahn. Gut beisammen. Sokoln verzögern die Zugsabfahrt. Ausgezogen in ganzer Länge auf der Bank gelegen. Elbeufer. Schöne Lage der Orte und Villen, ähnlich den Seeufern. Dresden. Mengen der frischen Waren überall. Reinliche korrekte Bedienung. Ruhig gesetzte Worte. Massives Aussehn der Bauten infolge der Betontechnik, die doch z. B. in Amerika nicht so wirkt. Das sonst ruhige von Wirbelringen marmorierte Elbewasser. - Leipzig. Gespräch mit unserem Dienstmann. Max fragt ihn trotzdem er wie unser Großvater aussieht nach Mädchen. Opels Hotel. Der halbe neue Bahnhof. Schöne Ruine des alten. Gemeinsames Zimmer. Von 4 Uhr ab lebendig begraben, weil Max wegen des Lärms die Fenster zumachen muß. Großer Lärm. Dem Gehör nach zieht ein Wagen den andern hinter sich. Die Pferde wegen des Asphalts wie laufende Reitpferde anzuhören. Das sich entfernende durch seine Unterbrechungen Gassen und Plätze andeutende Läuten der Elektrischen. Abend in Leipzig. Maxens topographischer Instinkt, mein Verlorensein. Dagegen stelle ich, später vom Führer bestätigt, einen schönen Erker am Fürstenhaus fest. Nachtarbeit auf einem Bauplatz, wahrscheinlich auf der Stelle von Auerbachs Keller. Nicht zu beseitigende Unzufriedenheit mit Leipzig. Unentschlossenheit in den Bordellgäßchen. Mein Schuhbandbinden wird von der Gasse zum Fenster hin besprochen. Lockendes Cafe Oriental. "Taubenschlag" Bierstube. Der schwer bewegliche langbärtige Biervater. Seine Frau schenkt ein. Zwei große starke Töchter bedienen. Fächer in den Tischen. Lichtenhainer in Holzkrügen. Schandgeruch wenn man den Deckel öffnet. Ein schwächlicher Stammgast, rötliche magere Wangen, faltige Nase sitzt mit großer Gesellschaft, bleibt dann allein zurück, das Mädchen setzt sich mit ihrem Bierglas zu ihm. Das Bild des vor 12 Jahren verstorbenen Stammgastes, der 14 Jahre lang hergegangen ist. Er hebt das Glas, hinter ihm ein Gerippe. Viele stark verbundene Studenten in Leipzig. Viel Monokel. Kurzer Besuch in einem B. Ein Mädchen mit Brustschmuck nachtmahlt ein Rippchen. Unsere undeutliche Auskunft über den Grund unseres sofortigen Weggehns.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at