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An Felice Bauer
Meine Liebste, wenn das Täschchen, das ich Dir verdanke, die ungeheure
Inanspruchnahme, die es bei mir zu erleiden hat, lange aushält, dann
ist es ein gutes Täschchen. Manchmal geht mir das Verlangen nach Dir
an die Kehle. Das Täschchen wird aufgerissen und freundlich und lieb
zeigst Du Dich gleich dem unersättlichen Blick. Unter dem Licht der
Straßenlaternen, an den beleuchteten Auslagen, am Schreibtisch im
Bureau, beim plötzlichen Innehalten auf den Korridoren neben dem einnickenden
Schreibmaschinisten, am Fenster des Wohnzimmers, während große
Gesellschaft und Verwandtschaft hinter mir das Zimmer füllt - Liebste,
Liebste, selbst dieses kurze Wort könnte ich, wenn ich an Dich denke,
nicht immer aussprechen, weil ich oft nur mit aneinandergepreßten
Zähnen an Dich denken kann. Und dass dieses Bildchen so unerschöpflich
ist, das ist freilich ebensoviel Freude wie Leid. Es vergeht nicht, es
löst sich nicht auf wie Lebendiges, dafür aber bleibt es wieder
für immer erhalten und ein dauernder Trost, es will mich nicht durchdringen,
aber es verläßt mich auch nicht.
Natürlich habe ich mir gleich gesagt (aus Eigennutz! aus Schlauheit!
aus Geistesgegenwart!), dass ich, da nun einmal die Wunderwirkung
der Bilder feststeht, auch mein Bild unbedingt bei Dir haben muß.
Ich bin gleich zum Photographen gelaufen, um mir ein Bild im gleichen Format
machen zulassen, aber unsere Schnellphotographen sind langsamer als Euere,
es wird erst in einer Woche fertig. Außerdem aber hat mich Dein Einfall,
Liebste, mit solcher Gier gepackt, dass ich Dir den Vorschlag mache,
solche Bildchen jeden Monat auszutauschen. Du veränderst Dich doch,
die Jahreszeit geht weiter, Du trägst andere Kleider - nein Liebste,
ich verlange zu viel, ich verirre mich. Ich soll zufrieden sein, dass
ich dieses Bildchen besitze, für das ich Dir in jedem Brief von neuem
danken sollte.
Dein Donnerstagbrief, der nach den ersten 5 Worten abgebrochene Brief,
schaut eigentlich im ersten Augenblick erschreckend aus, wie wenn irgend
eine böse und mächtige Hand Dir die Hände festgehalten oder
Dir gar noch etwas Ärgeres angetan hätte. Nun, Du hast ja aber
noch den Briefumschlag geschrieben, sage ich mir, das Zeitungsblatt eingelegt,
den Brief auch eingeworfen vielleicht, es wird also nichts so Schlimmes
geschehen sein, und ich darf morgen wieder einen Brief erwarten.
Darin, dass Deine Mutter gegen Dich so tyrannisch ist, verstehe ich
sie nicht recht, in allem sonst dagegen verstehe ich sie sehr wohl. Hast
Du denn nicht dadurch, dass Du Dich selbst erhältst, zuhause
eine besondere Stellung, gar Deiner Schwester gegenüber, die, soweit
ich merke, nur in der Hauswirtschaft arbeitet? Und wird das Besondere dieser
Stellung von niemandem respektiert? Während also Deine Mutter in der
Unterschätzung Deiner Arbeit ein großes Unrecht zu begehen scheint,
hat sie in allein andern recht. Sie hatte im Seebad recht, als sie Dir
nicht von der Seite ging (ach, was wollte denn der junge Mann? Nur weg
mit ihm!), sie hat recht, wenn sie sich über meine Briefe ärgert
(vielleicht auch über diesen, trotzdem er ihr doch recht gibt), von
der Notwendigkeit dieser Briefe könnte ich sie wohl jetzt nur höchstens
im Traum überzeugen, sie hat schließlich recht - und in welchem
Ausmaße! - wenn sie zwischen Mann und Frau jede andere Lebensweise
als die Ehe für sinnlos hält. Habe ich mich z. B. nicht schon
oft für sinnlos erklärt?
Die Enquete des Berliner Tageblatt hast Du stillschweigend mit eingepackt.
Es ist wirklich das beste. Was für urdumme Fragen da gestellt sind!
Die Zeitung bekommt dadurch eine Art menschlichen, wenn auch idiotischen
Gesichtes. Alle Antworten, aus denen das Dumme der Frage nicht hervorgeht,
sind schlecht, denn sie decken sich eben nicht mit den Fragen. Dabei sind
doch diese Fragen so leicht zu beantworten, dass ich gleich beide
beantworte: Also "er" muß allerdings hübsch
sein. "Sie" dagegen muß nichts mehr und nichts weniger
sein, als ganz genau so wie sie ist.
Dann ist sie allerdings so dass man sich in der tiefen Nacht gar nicht
von ihr trennen kann und weiter und weiter an sie schreiben möchte
in irgend einer sinnlosen Hoffnung, dass man sie dadurch vor sich
ganz und gar lebendig machen wird. (Max Brods] "Die Höhe des
Gefühls" hast Du wohl schon. Die zweierlei Schrift in der Widmung
erklärt sich dadurch, dass dieses Buch eines der 20 Luxusexemplare
ist, von denen jedes von vornherein mit Maxens Unterschrift versehen war.
Aber das sah kalt aus und so habe ich es ihn der Wahrheit gemäß
ergänzen lassen.
Heute habe ich einen Brief von dem Löwy bekommen den ich beilege,
damit Du siehst, wie er schreibt. Seine Adresse habe ich - ohne es Dir
anzuzeigen - vor einiger Zeit gefunden und ich habe auch schon einige Briefe
in der Zwischenzeit von ihm bekommen. Sie sind alle einförmig und
voll Klagen; dem armen Menschen ist nicht zu helfen; nun fährt er
immerfort nutzlos zwischen Leipzig und Berlin hin und her. Seine frühern
Briefe waren ganz anders, viel lebhafter und hoffnungsvoller, es geht vielleicht
wirklich mit ihm zu Ende. Du hast ihn für einen Tschechen gehalten,
nein, er ist Russe.
Adieu Liebste was auch geschehen möge, wir behalten einander lieb,
nicht wahr? Wo ist Dein Mund?
Franz
hübsch Das Thema der Rundfrage (Berliner
Tageblatt, 25. Dezember 1912, .4. Beiblatt) war: "Muß er
hübsch sein? Muß sie klug sein?" U. a. waren Antworten
von Franz Blei, Franz Werfel, Max Dauthendey, Hugo Salus und Rudolf Herzog
abgedruckt.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at