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An Felice Bauer

Nacht vom 27. zum 28.XII.I2
 

Meine Liebste, wenn das Täschchen, das ich Dir verdanke, die ungeheure Inanspruchnahme, die es bei mir zu erleiden hat, lange aushält, dann ist es ein gutes Täschchen. Manchmal geht mir das Verlangen nach Dir an die Kehle. Das Täschchen wird aufgerissen und freundlich und lieb zeigst Du Dich gleich dem unersättlichen Blick. Unter dem Licht der Straßenlaternen, an den beleuchteten Auslagen, am Schreibtisch im Bureau, beim plötzlichen Innehalten auf den Korridoren neben dem einnickenden Schreibmaschinisten, am Fenster des Wohnzimmers, während große Gesellschaft und Verwandtschaft hinter mir das Zimmer füllt - Liebste, Liebste, selbst dieses kurze Wort könnte ich, wenn ich an Dich denke, nicht immer aussprechen, weil ich oft nur mit aneinandergepreßten Zähnen an Dich denken kann. Und dass dieses Bildchen so unerschöpflich ist, das ist freilich ebensoviel Freude wie Leid. Es vergeht nicht, es löst sich nicht auf wie Lebendiges, dafür aber bleibt es wieder für immer erhalten und ein dauernder Trost, es will mich nicht durchdringen, aber es verläßt mich auch nicht.

Natürlich habe ich mir gleich gesagt (aus Eigennutz! aus Schlauheit! aus Geistesgegenwart!), dass ich, da nun einmal die Wunderwirkung der Bilder feststeht, auch mein Bild unbedingt bei Dir haben muß.

Ich bin gleich zum Photographen gelaufen, um mir ein Bild im gleichen Format machen zulassen, aber unsere Schnellphotographen sind langsamer als Euere, es wird erst in einer Woche fertig. Außerdem aber hat mich Dein Einfall, Liebste, mit solcher Gier gepackt, dass ich Dir den Vorschlag mache, solche Bildchen jeden Monat auszutauschen. Du veränderst Dich doch, die Jahreszeit geht weiter, Du trägst andere Kleider - nein Liebste, ich verlange zu viel, ich verirre mich. Ich soll zufrieden sein, dass ich dieses Bildchen besitze, für das ich Dir in jedem Brief von neuem danken sollte.

Dein Donnerstagbrief, der nach den ersten 5 Worten abgebrochene Brief, schaut eigentlich im ersten Augenblick erschreckend aus, wie wenn irgend eine böse und mächtige Hand Dir die Hände festgehalten oder Dir gar noch etwas Ärgeres angetan hätte. Nun, Du hast ja aber noch den Briefumschlag geschrieben, sage ich mir, das Zeitungsblatt eingelegt, den Brief auch eingeworfen vielleicht, es wird also nichts so Schlimmes geschehen sein, und ich darf morgen wieder einen Brief erwarten.

Darin, dass Deine Mutter gegen Dich so tyrannisch ist, verstehe ich sie nicht recht, in allem sonst dagegen verstehe ich sie sehr wohl. Hast Du denn nicht dadurch, dass Du Dich selbst erhältst, zuhause eine besondere Stellung, gar Deiner Schwester gegenüber, die, soweit ich merke, nur in der Hauswirtschaft arbeitet? Und wird das Besondere dieser Stellung von niemandem respektiert? Während also Deine Mutter in der Unterschätzung Deiner Arbeit ein großes Unrecht zu begehen scheint, hat sie in allein andern recht. Sie hatte im Seebad recht, als sie Dir nicht von der Seite ging (ach, was wollte denn der junge Mann? Nur weg mit ihm!), sie hat recht, wenn sie sich über meine Briefe ärgert (vielleicht auch über diesen, trotzdem er ihr doch recht gibt), von der Notwendigkeit dieser Briefe könnte ich sie wohl jetzt nur höchstens im Traum überzeugen, sie hat schließlich recht - und in welchem Ausmaße! - wenn sie zwischen Mann und Frau jede andere Lebensweise als die Ehe für sinnlos hält. Habe ich mich z. B. nicht schon oft für sinnlos erklärt?

Die Enquete des Berliner Tageblatt hast Du stillschweigend mit eingepackt. Es ist wirklich das beste. Was für urdumme Fragen da gestellt sind! Die Zeitung bekommt dadurch eine Art menschlichen, wenn auch idiotischen Gesichtes. Alle Antworten, aus denen das Dumme der Frage nicht hervorgeht, sind schlecht, denn sie decken sich eben nicht mit den Fragen. Dabei sind doch diese Fragen so leicht zu beantworten, dass ich gleich beide beantworte: Also "er" muß allerdings hübsch sein. "Sie" dagegen muß nichts mehr und nichts weniger sein, als ganz genau so wie sie ist.

Dann ist sie allerdings so dass man sich in der tiefen Nacht gar nicht von ihr trennen kann und weiter und weiter an sie schreiben möchte in irgend einer sinnlosen Hoffnung, dass man sie dadurch vor sich ganz und gar lebendig machen wird. (Max Brods] "Die Höhe des Gefühls" hast Du wohl schon. Die zweierlei Schrift in der Widmung erklärt sich dadurch, dass dieses Buch eines der 20 Luxusexemplare ist, von denen jedes von vornherein mit Maxens Unterschrift versehen war. Aber das sah kalt aus und so habe ich es ihn der Wahrheit gemäß ergänzen lassen.

Heute habe ich einen Brief von dem Löwy bekommen den ich beilege, damit Du siehst, wie er schreibt. Seine Adresse habe ich - ohne es Dir anzuzeigen - vor einiger Zeit gefunden und ich habe auch schon einige Briefe in der Zwischenzeit von ihm bekommen. Sie sind alle einförmig und voll Klagen; dem armen Menschen ist nicht zu helfen; nun fährt er immerfort nutzlos zwischen Leipzig und Berlin hin und her. Seine frühern Briefe waren ganz anders, viel lebhafter und hoffnungsvoller, es geht vielleicht wirklich mit ihm zu Ende. Du hast ihn für einen Tschechen gehalten, nein, er ist Russe.

Adieu Liebste was auch geschehen möge, wir behalten einander lieb, nicht wahr? Wo ist Dein Mund?

Franz




hübsch Das Thema der Rundfrage (Berliner Tageblatt, 25. Dezember 1912, .4. Beiblatt) war: "Muß er hübsch sein? Muß sie klug sein?" U. a. waren Antworten von Franz Blei, Franz Werfel, Max Dauthendey, Hugo Salus und Rudolf Herzog abgedruckt.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at