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[Max Brod an Felice Bauer]
[Prag, 15 November 1912; Freitag]

15 XI. 1912

Liebes gnädiges Fräulein -
Vielen Dank für Ihren freundlichen Brief. Ich werde heute Nachmittag mit Franz reden, natürlich ohne Erwähnung Ihres Briefes, und werde Ihnen dann sofort schreiben, falls dies nicht, wie ich hoffe durch inzwischen eingetretene Aufklärung der Situation überflüssig geworden ist. - Ich bitte Sie nur, dem Franz und seiner oft krankhaften Sensibilität manches zu Gute zu halten. Er gehorcht ganz der augenblicklichen Stimmung. Überhaupt ist er ein Mensch, der nur das Unbedingte will, das Äußerste in Allem. Niemals gibt er sich mit Kompromissen ab. Beispielsweise: wenn er nicht die ganze Kraft zum Schreiben in sich fühlt, so ist er im Stande, monatelang keine Zeile zu dichten, statt sich mit einer halben und auch-guten Dichtung zufriedenzustellen. Und so wie in der Literatur ist es bei ihm mit Allem. Dadurch entsteht oft der Anschein, als sei er launenhaft, überspannt u.s.f. Das ist aber nie der Fall, wie ich aus genauer Kenntnis seines Charakters weiß, er ist sogar, wenn es darauf ankommt, sehr klug und geschickt in der Wahl praktischer Mittel. Nur in den idealen Dingen versteht er keinen Spaß, da ist er schrecklich streng, vor allem mit sich selbst, und daraus entstehn, da er an sich einen schwachen Körper hat und da seine äußeren Lebensumstände (Büro!!) nicht die günstigsten sind, Konflikte, über die man ihm durch Verständnis und Güte hinweghelfen muß, in dem Bewußtsein, dass ein so einzigartiger wundervoller Mensch eben anders behandelt zu werden verdient als Millionen banaler Dutzendleute. - Ich bin überzeugt, dass sie meine Worte nicht mißverstehn werden. Ich bitte Sie, sich (in) Fällen wie dem heutigen an mich zu wenden. - Viel leidet Franz darunter, dass er täglich bis 2 im Büro sein muß. Nachmittag ist er abgespannt und so bleibt ihm für die "Fülle der Gesichte" nur die Nacht. Das ist ein Jammer! Und dabei schreibt er einen Roman, der alles Literarische, das ich kenne, in den Schatten stellt. Was könnte er leisten, wenn er frei und in guten Händen aufgehoben wäre!
Ich bitte Sie noch herzlichst, niemandem zu sagen, dass ich in Berlin war. Ich habe niemanden besucht, nur mit Ihnen gesprochen. - Ich hoffe, dass es Ihnen recht gut geht und dass alles glücklich ausfällt.

Herzlichst Ihr     Max Brod

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at