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[Stempel: Stapelburg, 14. 7. 12]

[An:] Herrn Dr. Max Brod k.k. Postkonceptspraktikant Prag k.k. Postdirection

Abs.: Dr Franz Kafka Jungborn im Harz P. Stapelburg


13. Juli 1912
 

Mein lieber Max, wer verlangt denn, dass Du mir Briefe schreibst! Ich mache mir die Freude, Dir zu schreiben und so die Verbindung zwischen Dir und mir zusammenzuziehn (wobei ich allerdings auch an Weltsch und Baum denke, zu selbständigem Schreiben an sie bringe ich mich nicht; ich müßte so vieles wiederholen, um das Besondere zu finden) und sollte Dich außerdem noch aufhalten wollen? Du wirst mir eben, bis ich nach Prag komme, die Stellen aus Deinem kurzen Tagebuch mit Erklärungen vorlesen und ich werde vollständig zufrieden sein. Nur eine kleine Karte schicke mir hie und da, damit ich meine Briefe nicht gar so verlassen auf dem Felde singe.

    Du hast das Fräulein Kirchner für dumm gehalten. Nun schreibt sie mir aber 2 Karten, die mindestens aus einem unteren Himmel der deutschen Sprache kommen. Ich schreibe sie wörtlich ab:

    Sehr geehrter Herr Dr. Kafka!

    Für die liebenswürdige Sendung der Karten und freundliches Gedenken, erlaube ich mir Ihnen besten Dank zu sagen. Auf dem Ball habe ich mich gut amüsiert, bin erst mit meinen Eltern morgens ½ 5 Uhr nach Hause gekommen. Auch war der Sonntag in Tiefurt ganz nett. Sie fragen, ob es mir Vergnügen macht, Karten von Ihnen zu erhalten; darauf kann ich nur erwidern, dass es mir und meinen Eltern eine große Freude sein wird, von Ihnen zu hören. Sitze so gern im Garten am Pavillon und gedenke Ihrer. Wie geht es Ihnen? Hoffentlich gut.

    Ein herzliches Lebewohl und freundliche Grüße von mir und meinen Eltern sendet

Margarethe Kirchners            

    Es ist bis auf die Unterschrift nachgebildet. Nun? Bedenke vor allem, dass diese Zeilen von Anfang bis zu Ende Literatur sind. Denn wenn ich ihr nicht unangenehm bin, wie es mir vorkam, so bin ich ihr doch gleichgültig wie ein Topf. Aber warum schreibt sie dann so, wie ich es wünsche? Wenn es wahr wäre, dass man Mädchen mit der Schrift binden kann!

    Das Jahrbuch wird in Deiner Karte nicht erwähnt. Über Weltsch bitte ich Dich um eine kurze Nachricht. Streichle ihn für mich! Und grüße das Fräulein Taussig und die Baumischen.


Dein Franz        

Nicht weniger als 7 Tagebuchblätter



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Fräulein Kirchner: Siehe Anm. 8 oben.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at