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[Stempel: Stapelburg, 9. 7. 12]

[An:] Herrn Dr. Max Brod k.k. Postkonceptspraktikant Prag k.k. Postdirection

Abs.: Dr Franz Kafka Jungborn im Harz P. Stapelburg

[Briefkopf: Rudolf Just's Kuranstalt, Jungborn i. Harz]


Mein lieber Max, hier ist mein Tagebuch. Wie Du sehen wirst, habe ich, weil es eben nicht nur für mich bestimmt war, ein wenig geschwindelt, ich kann mir nicht helfen, jedenfalls ist bei einem solchen Schwindel nicht die geringste Absicht, vielmehr kommt es aus meiner innersten Natur und ich sollte eigentlich mit Respekt da hinunterschaun. Es gefällt mir hier ganz gut, die Selbständigkeit ist so hübsch und eine Ahnung von Amerika wird diesen armen Leibern eingeblasen. Wenn man auf den Feldwegen geht und seine Sandalen neben die schweren Stulpenstiefel eines vorübergehenden alten Bauern setzt, dann hat man keine besonders stolzen Gefühle, aber wenn man allein im Wald oder auf den Wiesen liegt, dann ist es gut. Nur Lust zum Schreiben bekommt man vorläufig davon nicht; wenn sie herankommt, dann ist sie jedenfalls noch nicht im Harz; vielleicht ist sie in Weimar. Eben habe ich 3 Ansichtskarten an sie geschrieben.

Lebe wohl und grüße alle

Dein Franz        
 

9. VII



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


mein Tagebuch: Kafkas Weimarer Reisetagebuch (siehe BKR).


an sie: D. i. an Margarethe Kirchner, die Tochter des Hausmeisters im Goethehaus zu Weimar (siehe BKR).


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at