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[Tagebuch, 14. Dezember 1911; Donnerstag]

14. XII (1911) Mein Vater machte mir Mittag Vorwürfe, weil ich mich nicht um die Fabrik kümmere. Ich erklärte, ich hätte mich beteiligt, weil ich Gewinn erwartete, mitarbeiten könne ich aber nicht, solange ich im Bureau sei. Der Vater zankte weiter, ich stand beim Fenster und schwieg. Abend aber ertappte ich mich bei dem von jenem Mittagsgespräch ausgehenden Gedanken, dass ich mich mit meiner gegenwärtigen Stellung sehr zufrieden geben könne und mich nur hüten müsse, die ganze Zeit für die Litteratur freizubekommen. Kaum hatte ich diesen Gedanken näherer Beobachtung ausgesetzt, war er auch nicht mehr erstaunlich und kam mir schon gewohnt vor. Ich sprach mir die Fähigkeit ab, die ganze Zeit für die Litteratur ausnützen zu können. Diese Überzeugung kam allerdings nur aus einem Augenblickszustand, aber sie war stärker als dieser. Auch an Max dachte ich wie an einen Fremden, trotzdem er heute in Berlin einen aufregenden Vorlese- und Vorspielabend hat; jetzt fällt mir ein, dass ich an ihn nur dachte, als ich der Wohnung des Frl. Taussig mich beim Abendspaziergang näherte

Spaziergang mit Löwy unten am Fluß. Der eine Pfeiler des auf der Elisabethbrücke sich erhebenden innen von einer elektr. Lampe beleuchteten Bogens sah als dunkle Masse zwischen seitlich hervorströmendem Licht wie ein Fabrikskamin aus und der über ihm zum Himmel sich ausspannende dunkle Schattenkeil war wie steigender Rauch. Die scharf begrenzten grünen Lichtflächen zur Seite der Brücke.

Wie mir während des Vorlesens von Beethoven und das Liebespaar von W. Schäfer verschiedene mit der vorgelesenen Geschichte gar nicht zusammenhängende Gedanken (ans Nachtmahl, an den wartenden Löwy) mit großer Deutlichkeit durch den Kopf giengen, ohne mich in dem gerade heute sehr reinen Vorlesen zu stören.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at