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[Tagebuch, 3. Dezember 1911; Sonntag]
3 XII 11 Ich habe jetzt ein Stück in Schäfers Karl Stauffers Lebensgang. Eine Chronik der Leidenschaft gelesen und bin von diesem großen in mein nur in Augenblicken erhorchtes Innere dringenden Eindruck so befangen und festgehalten, dabei aber durch das von meinem verdorbenen Magen mir auferlegte Hungern und durch die übliche Aufregung des freien Sonntags so ins Weite getrieben, so dass ich ebenso schreiben muß, wie man sich bei äußerer durch Äußeres erzwungener Aufregung nur durch Fuchteln mit den Armen helfen kann.
Das Unglück des Junggesellen ist für die Umwelt, ob scheinbar oder wirklich, so leicht zu erraten, dass er, jedenfalls, wenn er aus Freude am Geheimnis Junggeselle geworden ist, seinen Entschluß verfluchen wird. Er geht zwar umher mit zugeknöpftem Rock die Hände in den hohen Rocktaschen, die Ellbogen spitz, den Hut tief im Gesicht, ein falsches schon eingeborenes Lächeln soll den Mund schützen, wie der Zwicker die Augen, die Hosen sind schmäler, als es an magern Beinen schön ist. Aber jeder weiß wie es um ihn steht, kann ihm aufzählen was er leidet. Kühle weht ihn aus seinem Innern an, in das er mit der noch traurigern andern Hälfte seines Doppelgesichtes hineinschaut. Er übersiedelt förmlich unaufhörlich, aber mit erwarteter Gesetzmäßigkeit. Je weiter er von den Lebenden wegrückt, für die er doch, und das ist der ärgste Spott, arbeiten muß, wie ein bewußter Sklave der sein Bewußtsein nicht äußern darf, ein desto kleinerer Raum wird für ihn als genügend befunden. Während die andern und seien sie ihr Leben lang auf dem Krankenbett gelegen, dennoch vom Tode niedergeschlagen werden müssen, denn wenn sie auch aus eigener Schwäche längst selbst gefallen wären, so halten sie sich doch an ihre liebenden starken gesunden Ehe-Verwandten, er, dieser Junggeselle bescheidet sich aus scheinbar eigenem Willen schon mitten im Leben auf einen immer kleineren Raum und stirbt er, ist ihm der Sarg gerade recht.
Wie ich letzthin meinen Schwestern die Selbstbiographie Mörikes vorlas, schon gut anfieng aber noch besser fortsetzte und schließlich, die Fingerspitzen auf einander gelegt, mit meiner ruhig bleibenden Stimme innere Hindernisse bezwang, einen immer mehr sich ausbreitenden Ausblick meiner Stimme verschaffte und schließlich das ganze Zimmer rings um mich nichts anderes aufnehmen durfte als meine Stimme. Bis dann meine aus dem Geschäft zurückkehrenden Eltern läuteten.
Vor dem Einschlafen das Gewicht der Fäuste an den leichten Armen auf meinem Leib gespürt.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |