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[Tagebuch, 26. November 1911; Sonntag]

26. XI (1911) So. Mit Max R. u. S. vormittag u. nachmittag bis 5. Dann zu A. M. Pachinger.

Sammler aus Linz, von Kubin empfohlen, 50 Jahre, riesig, turmartige Bewegungen, wenn er längere Zeit schweigt, beugt man den Kopf, da er ganz schweigt, während er sprechend nicht ganz spricht, sein Leben besteht aus Sammeln und Koitieren. Sammeln: Mit einer Sammlung von Briefmarken fieng er an, gieng dann zur Graphik über, sammelte dann alles, sah dann die Nutzlosigkeit dieser sich niemals abrundenden Sammlung ein und beschränkte sich auf Amulette, später auf Wallfahrtsmedaillen und Wallfahrtsblätter von Niederösterreich und Südbayern. Es sind dies M. und Bl. die separat für jede Wallfahrt neu aufgelegt werden, im Material und auch künstlerisch meist wertlos sind, oft aber gemütliche Darstellungen enthalten. Darüber fieng er nun auch fleißig zu publicieren an undzwar zum erstenmal über diesen Gegenstand, für dessen Systemisierung er erst die Gesichtspunkte feststellte. Natürlich empörten sich die bisherigen Sammler dieser Dinge, die es versäumt hatten zu publicieren, mußten sich dann aber doch zufrieden geben. Jetzt ist er anerkannter Sachverständiger für diese Wallfahrtsmedaillen, aus allen Gegenden kommen Bitten um Bestimmung und Begutachtung dieser Medaillen, seine Stimme gilt. Im übrigen sammelt er auch alles andere noch, sein Stolz ist ein Jungferngürtel (Scapulier?), der wie auch alle seine Amulette auf der Dresdner hygienischen Ausstellung ausgestellt gewesen ist. (Jetzt war er eben dort und hat alles zum Transport verpacken lassen) Dann ein schönes Ritterschwert vom Falkensteiner. Mit einer schlechten nur durch Sammeln erreichbaren Klarheit verhält er sich zur Kunst. Aus dem Kaffeehaus im Hotel Graf führt er uns in sein überheiztes Zimmer hinauf, setzt sich aufs Bett, wir auf 2 Sessel um ihn, so dass wir eine ruhige Versammlung bilden. Seine erste Frage "Sind sie Sammler?" "Nein nur arme Liebhaber." "Das macht nichts." Er zieht seine Brieftasche und bewirft uns förmlich mit Exlibris, eigenen und fremden, untermischt mit einem Prospekt seines nächsten Buches "Zauberei und Aberglaube im Steinreich". Er hat schon viel geschrieben, besonders über "Mutterschaft in der Kunst" den schwangeren Körper hält er für den schönsten, er ist ihm auch am angenehmsten zu vögeln. Auch über Amulette hat er geschrieben. Er war auch in Stellung in den Wiener Hofmuseen, hat Ausgrabungen in Braila an der Donaumündung geleitet, ein nach ihm benanntes Verfahren zum Binden ausgegrabener Vasen erfunden, ist 13faches Mitglied von gelehrten Gesellschaften und Museen, seine Sammlung ist dem Germanischen Museum in Nürnberg vermacht, oft sitzt er bis 1 oder 2 Uhr an seinem Schreibtisch in der Nacht und um h 8 früh wieder. Wir müssen etwas in das Stammbuch einer Freundin eintragen, das er auf die Reise mitgenommen hat, um es füllen zu lassen. Selbstproducierende kommen an den Anfang. Max trägt einen komplicierten Vers ein, den Hr. P. mit dem Sprichwort "auf Regen kommt Sonnenschein" zu übersetzen versucht. Vorher hat er es mit einer hölzernen Stimme vorgelesen. Ich schreibe:

Kleine Seele

springst im Tanze u. s. w.

er liest wieder laut, ich helfe, schließlich sagt er: "Ein persischer Rythmus? Wie heißt das nur? Ghasele? Nicht?" Da können wir nicht zustimmen und was er meint, auch nicht erraten. Endlich zitiert er ein Ritornell von Rückert. Ja also Ritornell hat er gemeint. Das ist es allerdings auch nicht. Gut, aber einen gewissen Wohlklang hat es. Beim Weggehn zerwirft er das Bett, damit es vollständig sich der Zimmerwärme angleiche, außerdem ordnet er weiteres Einheizen an. - Er ist Freund Halbes. Er möchte gern über ihn reden. Wir viel lieber über Blei. Über den ist aber nicht viel zu reden, er wird in den Münchner litterarischen Gesellschaften wegen litt. Schweinereien mißachtet, von seiner Frau, die als Zahnärztin ein besuchtes Atelier hatte und ihn erhielt ist er geschieden, seine Tochter 16 Jahre blond mit blauen Augen ist das wildeste Mädel von München. In Sternheims "Hose" - Pachinger war mit Halbes im Teater - spielte Blei einen alternden Lebemann. Als ihn Pachinger nächsten Tag traf, sagte er "Herr Dr., Sie haben gestern den Dr. Blei gespielt. " Wieso? wieso? sagte er verlegen, ich habe doch den und den gespielt. " - Kubins Eheleben ist schlecht. Seine Frau ist Morphinistin. P. ist überzeugt, dass es Kubin auch ist. Man beobachte ihn nur wie er aus der größten Lebhaftigkeit plötzlich mit spitzer Nase und hängenden Wangen verfällt, geweckt werden muß, sich mit einem Aufraffen wieder ins Gespräch findet, nach einer Pause wieder still wird, was sich dann in immer kürzeren Pausen wiederholt. Auch fehlen ihm oft Worte. - Über Weiber: Die Erzählungen über seine Potenz machen einem Gedanken darüber, wie er wohl sein großes Glied langsam in die Frauen stopft. Sein Kunststück in frühern Zeiten war, Frauen so zu ermüden, dass sie nicht mehr konnten. Dann waren sie ohne Seele, Tiere. Ja diese Ergebenheit kann ich mir vorstellen. Er liebt Rubensweiber wie er sagt, meint aber solche mit großen oben gebauchten unten flachen, sackartig hängenden Brüsten. Er erklärt diese Vorliebe damit, dass seine erste Liebe eine solche Frau, eine Freundin seiner Mutter und Mutter eines Schulkollegen war.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at