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[Tagebuch, 13. Oktober 1911; Freitag]
13 X 11 Kunstloser Übergang von der gespannten Haut der Glatze meines Chefs zu den zarten Falten seiner Stirn. Eine offenbare, sehr leicht nachzuahmende Schwäche der Natur, Banknoten dürften nicht so gemacht sein.
Die Beschreibung der Rehberger hielt ich nicht für gelungen, sie muß aber doch besser gewesen sein als ich glaubte oder mein vorgestriger Eindruck von der Rehberger muß so unvollständig gewesen sein, dass ihm die Beschreibung entsprach oder ihn gar überholte. Denn als ich gestern abend nachhause gieng, fiel mir augenblicksweise die Beschreibung ein, ersetzte unbemerkt den ursprünglichen Eindruck und ich glaubte die Rehberger erst gestern gesehn zu haben undzwar ohne Max, so dass ich mich vorbereitete, ihm von ihr zu erzählen, gerade so wie ich sie mir hier beschrieben habe.
Gestern abend auf der Schützeninsel, meine Kollegen nicht gefunden und gleich weggegangen. Ich machte einiges Aufsehen in meinem Röckchen mit dem zerdrückten weichen Hut in der Hand, denn draußen war kalt, hier aber heiß von dem Athem der Biertrinker, Raucher und Bläser des Militärorchesters. Dieses Orchester war nicht sehr erhöht, konnte es auch nicht sein, weil der Saal ziemlich niedrig ist und füllte das eine Ende des Saals bis an die Seitenwände aus. Wie eingepaßt war diese Menge von Musikern in dieses Saalende hineingeschoben. Dieser Eindruck des Gedrängtseins verlor sich dann ein wenig im Saal, da die Plätze nahe beim Orchester ziemlich leer waren und der Saal sich erst gegen die Mitte füllte.
Geschwätzigkeit des Dr. Kafka. Gieng zwei Stunden hinter dem Franz-Josefs-Bahnhof mit ihm herum, bat ihn von Zeit zu Zeit mich wegzulassen, hatte die Hände vor Ungeduld verflochten und hörte so wenig zu als möglich war. Es schien mir, dass ein Mensch, der in seinem Beruf Gutes leistet, wenn er sich in Berufsgeschichten hineinerzählt hat, unzurechnungsfähig werden muß; seine Tüchtigkeit kommt ihm zu Bewußtsein, von jeder Geschichte ergeben sich Zusammenhänge undzwar mehrere, er überblickt alle, weil er sie erlebt hat, muß in der Eile und aus Rücksicht auf mich viele verschweigen, einige zerstöre ich ihm auch durch Fragen, bringe ihn aber dadurch auf andere, zeige ihm dadurch, dass er auch weit in mein eigenes Denken hinein herrscht, seine Person hat in den meisten Geschichten eine schöne Rolle, die er nur andeutet, wodurch ihm das Verschwiegene noch Bedeutungsvoller scheint, nun ist er aber schon meiner Bewunderung so sicher, dass er auch klagen kann, denn selbst in seinem Unglück, seiner Plage, seinem Zweifel ist er bewunderungswürdig, seine Gegner sind auch tüchtige Leute und erzählenswert, in einer Advokatenkanzlei, die 4 Concipisten und 2 Chefs hat, war eine Streitsache, in der er allein dieser Kanzlei gegenüberstand durch Wochen das Tagesgespräch dieser 6 Juristen. Ihr bester Redner, ein scharfer Jurist, stand ihm gegenüber, daran fügt sich der oberste Gerichtshof, dessen Urteile angeblich schlecht, einander widersprechend sind, ich sage im Tone des Abschieds eine Spur von Verteidigung dieses Gerichtes, nun bringt er Beweise, dass dieses Gericht nicht verteidigt werden kann und wieder muß man die Gasse hinauf und hinab, ich wundere mich sofort über die Schlechtigkeit dieses Gerichtes, darauf erklärt er, warum das so sein muß das Gericht ist überbürdet, warum und wieso, gut ich muß weg, nun ist aber der Kassationshof besser und der Verwaltungsgerichtshof noch viel besser und warum und wieso, endlich bin ich nicht mehr zu halten, nun versucht er es mit meinen eigenen Angelegenheiten, wegen deren ich zu ihm gekommen bin (Gründung der Fabrik) und die wir schon längst durchgesprochen haben, er hofft unbewußt, mich auf diese Weise zu fangen und zu seinen Geschichten wieder verlocken zu können. Nun sage ich etwas, halte aber während meiner Worte die Hand ausdrücklich zum Abschied hin und werde so frei. Er erzählt übrigens sehr gut, in seinem Erzählen mischt sich das genaue Ausgebreitetsein der Schriftsätze mit der lebhaften Rede, wie man sie öfters bei so fetten, schwarzen, vorläufig gesunden, mittelgroßen, von fortwährendem Zigarettenrauchen erregten Juden findet. Gerichtliche Ausdrücke geben der Rede Halt. Paragraphen werden genannt, deren hohe Zahl sie in die Ferne zu verweisen scheint. Jede Geschichte wird von Anfang an entwickelt, Rede und Gegenrede wird vorgebracht und durch persönliche Zwischenbemerkungen förmlich geschüttelt, nebensächliches, an das niemand denken würde, wird zuerst erwähnt, dann nebensächlich genannt und bei Seite geschoben, ("ein Mann, wie er heißt, ist Nebensache" - ) der Zuhörer wird persönlich herangezogen, ausgefragt, während die Geschichte nebenan sich verdichtet, manchmal wird der Zuhörer sogar vor einer Geschichte, die ihn gar nicht interessieren kann, natürlich nutzlos ausgefragt, um irgend eine provisorische Beziehung herzustellen, eingeschobene Bemerkungen des Zuhörers werden nicht sofort, was ärgerlich wäre (Kubin) sondern zwar bald aber doch erst im Laufe der Erzählung an richtiger Stelle eingelegt, was als sachliche Schmeichelei den Zuhörer in die Geschichte hineinzieht, weil es ihm ein ganz besonderes Recht giebt, hier Zuhörer zu sein.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |