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[Tagebuch, 26. März 1911; Sonntag]
26 III 11
Teosophische Vorträge des Dr. Rudolf Steiner Berlin. Retorische Wirkung: Behagliche Besprechung der Einwände der Gegner, der Zuhörer staunt über diese starke Gegnerschaft, weitere Ausführung und Belobung dieser Einwände, der Zuhörer geräth in Sorge, völlige Versenkung in diese Einwände als gebe es sonst nichts, der Zuhörer hält jetzt eine Widerlegung überhaupt für unmöglich und ist mit einer flüchtigen Beschreibung der Verteidigungsmöglichkeit mehr als zufriedengestellt.
Dieser rhetorische Effekt entspricht übrigens der Vorschrift der devotionellen Stimmung. - Dauerndes Anschauen der Fläche der vorgehaltenen Hand. - Auslassen des Schlußpunktes. Im allgemeinen fängt der gesprochene Satz mit seinem großen Anfangsbuchstaben beim Redner an, biegt sich in seinem Verlaufe so weit er kann zu den Zuhörern hinaus und kehrt mit dem Schlußpunkt zu dem Redner zurück. Wird aber der Punkt ausgelassen, dann weht der nicht mehr gehaltene Satz unmittelbar mit ganzem Atem den Zuhörer an.
früher Vortrag Loos und Kraus.
Wir sind jetzt fast gewöhnt, in westeuropäischen Erzählungen, sobald sie nur einige Gruppen von Juden umfassen wollen, unter oder über der Darstellung gleich auch die Lösung der Judenfrage zu suchen und zu finden. In den Jüdinnen nun wird eine solche Lösung nicht gezeigt ja nicht einmal vermuthet, denn gerade jene Personen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen stehen in der Erzählung weiter vom Mittelpunkt ab, dort wo die Ereignisse sich schon rascher drehn, so dass wir sie zwar noch genau beobachten können, aber keine Gelegenheit mehr finden, um von ihnen eine ruhige Auskunft über ihre Bestrebungen zu erhalten. Kurz entschlossen erkennen wir darin einen Mangel der Erzählung und fühlen uns zu einer solchen Ausstellung umso mehr berechtigt, als heute seit dem Dasein des Zionismus die Lösungsmöglichkeiten so klar um das jüdische Problem herum angeordnet sind, dass der Schriftsteller schließlich nur einige Schritte hätte machen müssen, um die seiner Erzählung gemäße Lösungsmöglichkeit zu finden.
Dieser Mangel entspringt aber noch einem andern. Den Jüdinnen fehlen die nichtjüdischen Zuschauer, die angesehenen gegensätzlichen Menschen, die in andern Erzählungen das Jüdische herauslocken, dass es gegen sie vordringt, in Verwunderung, Zweifel, Neid Schrecken und endlich, endlich in Selbstvertrauen versetzt wird, jedenfalls sich aber erst ihnen gegenüber in seiner ganzen Länge aufrichten kann. Das eben verlangen wir, eine andere Auflösung von Judenmassen erkennen wir nicht an. Auch berufen wir uns auf dieses Gefühl nicht nur in diesem Fall, es ist in einer Richtung wenigstens allgemein. So freut uns auch auf einem Fußweg in Italien das Aufzucken der Eidechsen vor unsern Schritten ungemein immerfort möchten wir uns bücken, sehn wir sie aber bei einem Händler zu Hunderten in den großen Flaschen durcheinanderkriechen in denen man sonst Gurken einzulegen pflegt so wissen wir uns nicht einzurichten
Beide Mängel vereinigen sich zu einem dritten. Die "Jüdinnen" können jenen vordersten Jüngling entbehren, der sonst innerhalb seiner Erzählung die besten zu sich reißt und in schöner radialer Richtung an die Grenzen des jüdischen Kreises führt. Das eben will uns nicht eingehn, dass diesen Jüngling die Erzählung entbehren kann, hier ahnen wir einen Fehler mehr, als dass wir ihn sehn.
Du hast heute Geburtstag, aber ich schicke Dir nicht einmal das gewöhnliche Buch, denn es wäre nur Schein; im Grunde bin ich doch nicht einmal im Stande Dir ein Buch zu schenken. Nur weil ich es so nötig habe, heute einen Augenblick und sei es nur mit dieser Karte in Deiner Nähe zu sein, schreibe ich und habe mit der Klage deshalb angefangen, damit Du mich gleich erkennst.
Wir sind jetzt fast gewöhnt, in westeuropäischen Erzählungen, sobald sie nur einige Gruppen von Juden umfassen wollen, irgendwo unter oder über der Darstellung gleich auch die Lösung der Judenfrage zu suchen und zu finden. In den "Jüdinnen" aber wird eine solche Lösung nicht gezeigt, ja nicht einmal vermuthet, denn gerade jene Personen, die sich mit solchen Fragen befassen stehen in der Erzählung weiter vom Mittelpunkt ab, dort wo die Ereignisse sich schon rascher drehn, so dass wir sie zwar noch genau beobachten können, aber keine Gelegenheit mehr finden, um von ihnen eine ruhige Auskunft über ihre Bestrebungen zu erhalten. Kurz entschlossen erkennen wir darin einen Mangel der Erzählung und fühlen uns zu einer solchen Ausstellung umso mehr berechtigt, als heute seit dem Dasein des Zionismus die Lösungsmöglichkeiten so klar um das jüdische Problem herum angeordnet liegen, dass der Schriftsteller schließlich nur einige Schritte hätte machen müssen, um die seiner Erzählung gemäße Lösungsmöglichkeit zu finden.
Dieser Mangel entspringt wenn man genauer zusieht einem früheren. Den Jüdinnen fehlen
Es war schon eine Gewohnheit der vier Freunde Robert Samuel, Max und Franz geworden jeden Sommer oder Herbst ihre kleinen Ferien zu einer gemeinsamen Reise zu verwenden. Während des übrigen Jahres bestand ihre Freundschaft meist darin, dass sie gerne an einem Abend in der Woche alle vier zusammenkamen meist bei Samuel der als der wohlhabendste ein größeres Zimmer hatte, einander verschiedenes erzählten und dazu mäßig Bier tranken. Mit dem Erzählen waren sie um Mitternacht, wenn sie auseinandergiengen niemals fertig, da Robert Sekretär eines Vereins war, Samuel Angestellter eines kommerciellen Bureaus, Max Staatsbeamter und Franz' Beamter in einem Bankgeschäft, so dass fast alles, was einer während der Woche in seinem Berufe erlebt hatte, den drei andern unbekannt und ihnen rasch erzählt sondern ohne umständliche Erklärung auch unverständlich war. Vor allem aber brachte es die Verschiedenheit dieser Berufe mit sich, dass jeder gezwungen war seinen Beruf den andern immer wieder darzustellen, denn diese Darstellungen wurden von den andern weil sie doch nur schwache Menschen waren nicht genug gründlich aufgefaßt gerade deshalb aber und auch aus guter Freundschaft immer wieder verlangt. Weibergeschichten wurden dagegen selten vorgenommen, denn wenn auch Samuel für seine Person an ihnen Geschmack gefunden hätte, so hütete er sich, zu verlangen, dass sich die Unterhaltung nach seinen Bedürfnissen einrichte, wobei ihm öfters das alte Mädchen, welches das Bier holte, als eine Mahnung erschien. Gelacht wurde aber so viel an diesen Abenden, dass Max auf dem Nachhauseweg sagte, dieses ewige Lachen sei eigentlich bedauerlich, weil man dadurch an alle ernsten Sachen vergesse, von denen doch jeder gerade genug zu tragen hätte. Während man lache denke man für den Ernst sei noch Zeit genug. Das sei aber nicht richtig, denn der Ernst stelle natürlich größere Ansprüche an den Menschen und es sei doch klar, dass man in Gesellschaft der Freunde auch größeren Ansprüchen zu genügen fähig sei als allein. Lachen solle man im Bureau, weil man dort nicht mehr zustandebringe. Diese Meinung war gegen Robert gerichtet, der in seinem in dem alten durch ihn sich verjüngenden Kunstverein viel arbeitete und gleichzeitig die komischesten Dinge bemerkte, mit denen er seine Freunde unterhielt.
Schon wenn er anfieng verließen die Freunde ihre Plätze, stellten sich zu ihm oder setzten sich auf den Tisch und lachten besonders Max und Franz so selbstvergessen, dass Samuel alle Gläser auf ein Seitentischchen hinübertrug. War man vom Erzählen ermüdet setzte sich Max mit plötzlich neuer Kraft zum Klavier und spielte, während Robert und Samuel ihm zur Seite auf dem Bänkchen saßen, Franz dagegen der nichts von Musik verstand, allein am Tisch Samuels Ansichtskartensammlung durchsah oder die Zeitung las. Wenn die Abende wärmer wurden und das Fenster schon offen bleiben konnte, kamen wohl alle vier zum Fenster und sahen die Hände auf dem Rücken in die Gasse hinunter ohne sich von dem freilich schwachen Verkehr in ihrer Unterhaltung beirren zu lassen. Nur hie und da gieng einer zum Tisch zurück, um einen Schluck zu machen, oder zeigte auf die Lockenfrisuren zweier Mädchen, die unten vor ihrer Weinstube saßen oder auf den Mond, der sie leicht überraschte oder Max beschrieb das, was er erzählte, mit ausgespannten Fingern draußen in der Luft über die Schulter des andern weg, bis endlich Franz sagte, es sei kühl, man solle das Fenster schließen. Im Sommer trafen sie einander manchmal in einem öffentlichen Garten, setzten sich an einen Tisch ganz am Rande, wo es dunkler war, tranken einander zu und merkten im Gespräch die Köpfe beisammen das ferne Blasorchester kaum. Arm in Arm, in gleichem Schritt giengen sie dann durch die Anlagen nach Hause. Die zwei am Rande drehten die Stöckchen oder schlugen in die Gebüsche, Robert [Man denkt man beschreibt ihn richtig, aber es ist nur angenähert und wird vom Tagebuch korrigiert.] forderte sie zum Singen auf, sang dann aber allein gut für vier, der zweite in der Mitte fühlte sich dabei besonders sicher aufgehoben. An einem solchen Abend sagte Franz und drückte seine zwei Nachbarn näher an sich, es wäre doch so schön, beisammen zu sein, dass er nicht verstehen könne, warum sie nur einmal in der Woche zusammenkommen, während es doch sicher leicht einzurichten wäre, wenn nicht öfters, so wenigstens zweimal wöchentlich einander zu sehn warum nicht lieber zweimal. Alle waren dafür, selbst der vierte der von außen her Franzens leises Sprechen nur undeutlich verstanden hatte. Ein solches Vergnügen sei sicher die kleine Mühe wert, die es hie und da einem machen würde. Franz schien es als bekomme er zur Strafe dafür dass er ungebeten für alle rede, eine hohle Stimme. Aber er ließ nicht ab. Und wenn einer einmal wirklich nicht kommen könne, so sei es eben sein Schade und er könne nächstens getröstet werden, aber müßten deshalb die andern auf einander verzichten, seien nicht drei für einander genug und wenn es sein muß auch zwei. Natürlich, natürlich sagten alle. Am Rande löste sich Samuel los und gieng knapp vor den 3 andern, weil sie so einander näher waren. Dann aber schien es ihm wieder nicht so und er hieng sich lieber ein. Robert machte einen Vorschlag: Wir kommen jede Woche zusammen und lernen italiänisch. Italiänisch zu lernen sind wir entschlossen denn schon voriges Jahr haben wir in dem kleinen Stückchen Italien, wo wir waren, gesehn, dass unser Italienisch nur dazu ausreicht, nach dem Weg zu fragen, wenn wir uns ihr erinnert Euch zwischen den Weingartenmauern der Campagna verirrt hatten. Und selbst dazu hat es doch nur unter großer Anstrengung der Gefragten ausgereicht. Lernen müssen wir also wenn wir heuer wieder nach Italien wollen. Da hilft nichts. Und ist es da nicht das Beste zusammen zu lernen? Nein sagte Max wir werden zusammen nichts erlernen. Das weiß ich ebenso bestimmt, wie dass Du Sam für das gemeinsame Lernen bist. Und ob sagte Samuel. Wir werden sicher sehr gut zusammen lernen, ich bedauere es nur immer, dass wir nicht schon auf der Schule beisammen waren. Wißt Ihr eigentlich, dass wir einander erst 2 Jahre lang kennen. Er beugte sich vor, um alle 3 zu sehn. Sie hatten ihren Schritt verlangsamt und die Arme gelockert. Erlernt haben wir aber zusammen noch nichts sagte Franz. Mir gefällt es ja sehr gut so. Ich will gar nichts lernen. Wenn wir aber Italienisch lernen müssen, dann ist es besser jeder lernt es für sich. Das versteh ich nicht sagte Samuel. Zuerst willst Du dass wir jede Woche zusammenkommen, dann willst Du es wieder nicht. "Aber geh sagte Max, ich und Franz wollen doch nur, dass unser Zusammensein durch das Lernen und unser Lernen nicht durch das Zusammensein gestört wird sonst nichts. " No ja sagte Franz. Es ist ja auch nicht mehr viel Zeit sagte Max jetzt ist Juni und im September wollen wir fahren. Deshalb will ich gerade dass wir zusammen lernen sagte Robert und machte große Augen auf die zwei die gegen ihn waren. Besonders sein Hals wurde gelenkig, wenn man ihm widersprach.
Es liegt wahrscheinlich im Wesen der Freundschaft und folgt ihr schattengleich - einer wird es begrüßen, der andere bedauern, der dritte gar nicht merken
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |