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[Tagebuch, 20. Februar 1911; Montag]
20. II 11
Mella Mars in der "Lucerna". Eine witzige Tragödin, die gewissermaßen auf einer verkehrten Bühne so auftritt, wie sich Tragödinnen manchmal hinter der Szene zeigen. Beim Auftreten hat sie ein müdes, allerdings auch flaches leeres altes Gesicht, wie dies für alle bewußten Schauspieler ein natürlicher Anlauf ist. Sie spricht sehr scharf auch ihre Bewegungen sind so von dem durchgebogenen Daumen angefangen, der statt der Knochen harte Sehnen zu haben scheint. Besondere Wandlungsfähigkeit ihrer Nase durch die wechselnden Lichter und Vertiefungen der ringsherum spielenden Muskeln. Trotz der ewigen Blitze ihrer Bewegungen und Worte pointiert sie zart.
Kleine Städte haben auch kleine Umgebungen für den Spaziergänger.
Die jungen reinen gut gekleideten Jungen neben mir im Promenoir erinnerten mich an meine Jugend und machten daher einen unappetitlichen Eindruck auf mich.
Kleist Jugendbriefe 22 Jahre alt. Gibt den Soldatenstand auf. Zuhause fragt man: Also welche Brodwissenschaft, denn die hielt man für selbstverständlich. Du hast die Wahl zwischen Jurisprudenz u. Kameralwissenschaft. Aber hast Du auch Konnexionen bei Hofe?" Ich verneinte anfänglich etwas verlegen, aber erklärte darauf umso viel stolzer, dass ich wenn ich auch Konnexionen hätte, mich nach meinen jetzigen Begriffen schämen müßte, darauf zu rechnen. Man lächelte, ich fühlte, dass ich mich übereilt hatte. Solche Wahrheiten muß man sich hüten auszusprechen"
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |