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[Zettel an Max Brod, nicht von der Post befördert. Prag, vermutlich Anfang Juli 1910]


Mein lieber Max, ich kann ja morgen wieder nicht kommen; wer weiß, ob ich abend kommen kann. Komme ich nicht um 6 zu Dir, gehe ich direkt zum Vortrag, bin ich nicht beim Vortrag hole ich Dich vom Rudolphinum ab. Schade dass Du nicht zuhause bist, ich hätte, trotzdem mein böhmisch Lehrer auf mich wartet, so gerne paar Gedichte gelesen. Die Kinder, ein ewiger Ball gehn mir nicht aus den Ohren. Arbeite lieber Max, arbeite!

Dein F        
 



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Rudolphinum: Das mit Konzertsälen und Ausstellungsräumen versehene Künstlerhaus am Kronprinz-Rudolf-Quai.


paar Gedichte . . . ewiger Ball: Anfang 1910 war Brod damit beschäftigt, Gedichte für seinen zweiten Gedichtband Tagebuch in Versen zusammenzustellen, das im Dezember des gleichen Jahres bei Juncker erschienen ist. Am 4. Juli heißt es in seinem Tagebuch: "Gedichte für das Buch" und am 6. Juli: "Kafka, der gute Freund, rettet mein Gedichtbuch, indem er über 60 mindere Gedichte hinauswirft." Zu den Gedichten, die diese Zensur passierten, gehörte "Familienglück" (Tagebuch in Versen, S. 56), auf das sich Kafka hier bezieht und dessen vorletzte Strophe lautet:

Aus dem Nebenzimmer ein Kreischen,

Erschrickst du bei so gewohnten Geräuschen?

Unsre Kinder, ein ewiger Ball,

Sie sind gesund und machen Krawall.