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An Direktor Eisner

[Prag, wahrscheinlich 1909]
 

Lieber Herr Eisner, ich danke Ihnen für die Sendung, mit meiner Fachbildung steht es sowieso schlecht. Walser kennt mich? Ich kenne ihn nicht, "Jakob von Gunten " kenne ich, ein gutes Buch. Die anderen Bücher habe ich nicht gelesen, teils durch Ihre Schuld, da Sie trotz meines Rates "Geschwister Banner " nicht kaufen wollten.

Simon ist, glaube ich, ein Mensch in jenen "Geschwistern". Läuft er nicht überall herum, glücklich bis an die Ohren, und es wird am Ende nichts aus ihm als ein Vergnügen des Lesers? Das ist eine sehr schlechte Karriere, aber nur eine schlechte Karriere gibt der Welt das Licht, das ein nicht vollkommener, aber schon guter Schriftsteller erzeugen will, aber leider um jeden Preis. Natürlich laufen auch solche Leute, von außen angesehen, überall herum, ich könnte Ihnen, mich ganz richtig eingeschlossen, einige aufzählen, aber sie sind nicht durch das Geringste ausgezeichnet als durch jene Lichtwirkung in ziemlich guten Romanen. Man kann sagen, es sind Leute, die ein bischen langsamer aus der vorigen Generation herausgekommen sind, man kann nicht verlangen, dass alle mit gleich regelmäßigen Sprüngen den regelmäßigen Sprüngen der Zeit folgen. Bleibt man aber einmal in einem Marsch zurück, so holt man den allgemeinen Marsch niemals mehr ein, selbstverständlich, doch auch der verlassene Schritt bekommt ein Aussehen, dass man wetten möchte, es sei kein menschlicher Schritt, aber man würde verlieren. Denken Sie doch, der Blick vom rennenden Pferde in der Bahn, wenn man seine Augen behalten kann, der Blick von einem über die Hürde springenden Pferde zeigt einem sicher allein das äußerste, gegenwärtige, ganz wahrhaftige Wesen des Rennbetriebs. Die Einheit der Tribünen, die Einheit des lebenden Publikums, die Einheit der umliegenden Gegend in der bestimmten Jahreszeit usw., auch den letzten Walzer des Orchesters und wie man ihn heute zu spielen liebt. Wendet sich aber mein Pferd zurück und will es nicht springen und umgeht die Hürde oder bricht aus und begeistert sich im Innenraum oder wirft mich gar ab, natürlich hat der Gesamtblick scheinbar sehr gewonnen. Im Publikum sind Lücken, die einen fliegen, andere fallen, die Hände wehen hin und her wie bei jedem möglichen Wind, ein Regen flüchtiger Relationen fällt auf mich und sehr leicht möglich, dass einige Zuschauer ihn fühlen und mir zustimmen, während ich auf dem Grase liege wie ein Wurm. Sollte das etwas beweisen? [fragmentarisch]




Direcktor Eisner einer der Leiter der "Assicurazioni Generali", faßte bald eine besondere Vorliebe für den jungen Beamten und suchte, wenn auch vergeblich, ihm seine Arbeit zu erleichtern. Der hochgebildete, gütig-skeptische, literarisch sehr interessierte Mann (ein Cousin des Komponisten Adolf Schreiber) scheint Kafka mit einer der Figuren in einem Roman Robert Walsers verglichen zu haben, die so gern süß-beschaulichem Müßiggang frönen. - Kafka war damals ein eifriger Besucher der Prager Pferderennen in Kuchelbad (vergleiche die Skizze "Zum Nachdenken für Herrenreiter" in seinem ersten Buche, sowie eine Zeichnung im Anhang zur Biographie), lernte auch selbst reiten (vergleiche die Postkarte vom 10. III. 1910).


Jakob von Gunten: Robert Walser, Jakob von Gunten. Berlin, 1909.


Geschwister Tanner: Robert Walser, Geschwister Tanner. Berlin, 1907.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at