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An Hedwig W.
Du, Liebe, man lebt merkwürdig in Triesch und darum muß man
sich darüber nicht wundem, dass ich heute auf meinem Globus auf
dem beiläufigen Platz von Triesch einen roten Punkt gemacht habe.
Es war ja heute regnerisch, ich nahm den Globus herunter und schmückte
ihn so.
In Triesch ist man verweint, ohne früher geweint zu haben, man geht
in ein Kränzchen und will dort nicht gesehen werden, man hat einen
mir ganz unbekannten Seidengürtel angezogen, man schreibt einen Brief
dort und schickt ihn nicht weg. Wo schreibt man diesen Brief? Mit Bleistift
wohl, aber im Schoß oder an der Mauer, an der Kulisse? Und war die
Beleuchtung im Vorzimmer genügend, um darin einen Brief zu schreiben?
Neugierig aber bin ich nicht, neugierig wäre es, um ein Beispiel zu
geben, wenn ich dringlich wissen wollte, mit wem Fräulein Agathe getanzt
hat. Das wäre unpassend und Du würdest recht tun, mir nicht zu
antworten.
Aber so geschieht es, dass Du - sei es auf dem Umweg über andere
Personen - mit allen Leuten in Triesch in irgend einer unmittelbaren Beziehung
stehst, selbst mit dem Diener im Hotel oder irgend einem Feldhüter,
auf dessen Feld Du Rüben stiehlst. Du gibst ihnen Befehle oder läßt
Dich von ihnen zum Weinen bringen, ich aber habe das zu lesen, so wie man
in der Verbannung - eine andere kenne ich noch nicht -Nachrichten über
wichtige Veränderungen in der Heimat lesen will und doch kaum lesen
kann, weil man unglücklich ist, dort nichts tun zu können, und
so glücklich, jetzt etwas zu erfahren. Hier darf ich es sagen, dass
ich mit Kranken, die Du pflegst, kein Mitleid habe.
Die Entscheidung über mich, die letzte, kommt morgen, aber dieser
Brief ist ungeduldig, sobald ich "Liebe" darauf schreibe, wird
er lebendig und will nicht mehr warten. Du verkennst mich hübsch,
wenn Du glaubst, dass Streben nach idealem Nutzen meiner Natur angemessen
ist, denn es genügt zu sagen: Nachlässigkeit gegen praktischen
Nutzen.
Ich weiß es, Du mußt von Wien weg, aber ganz so ich von Prag,
wobei wir allerdings gut dieses Jahr in Paris zum Beispiel verbringen könnten.
Aber folgendes ist richtig: Wir fangen damit an, das zu tun, was wir brauchen,
und werden wir, wenn wir das fortsetzen, nicht notwendig zu einander kommen
müssen?
Ich bitte, schreibe mir genau über Deine Prager Zukunft, ich werde
vielleicht etwas noch vorbereiten können, ich tue es gern.
Dein Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at