Ich gestehe: seit über zehn Jahren schon bediene ich mich einigermaßen hemmungslos der Forschungen von Peter Melichar. Das ist in der Wissenschaft nichts Ungewöhnliches und hat auch seine Ordnung, wenn man ordnungsgemäß zitiert. Aber ein Beispiel für etwaige Unschärfen: mein Blogeintrag „Was verwalteten die österreichischen Staatsangestellten der Ersten Republik?“ zitiert eine statistische Aufzählung von Gottfried Dorer aus dem Jahr 1922, die ich zuerst bei Melichar gefunden habe, und zwar in dem hier bereits zitierten Artikel „Objekt der Begierden? Staatliche Verwaltung und Bürgertum in der Ersten Republik“. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Also soll hier Peter Melichar gewürdigt werden, der gegenwärtig am vorarlberg museum für die Geschichtswissenschaft verantwortlich ist. Ich habe ihn im Jahr 1999 als Leiter einer Lehrveranstaltung über Gaston Bachelard kennengelernt, und in den darauf folgenden Jahren im Projekt „Berufsverbote und Entlassungen als Formen nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich“ der Österreichischen Historikerkommission mit ihm zusammengearbeitet. Von Peter Melichar stammen wesentliche Teile des Kapitels über Beamte und Militär im Buch „Berufsschädigungen in der nationalsozialistischen Neuordnung der Arbeit. Vom österreichischen Berufsleben 1934 zum völkischen Schaffen 1938-1940“, das aus diesem Projekt resultierte. Der schon erwähnte Artikel „Objekt der Begierden“ entstand aus Vorüberlegungen, die schon einige Jahre davor unveröffentlicht unter dem Titel „Beamten-Macht. Bemerkungen zur österreichischen Hochbürokratie in der Zwischenkriegszeit“ vorlagen, und die mir der Kollege Melichar freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Auch daraus habe ich geschöpft, wie man z.B. an meinem Artikel Beamte im Un/Ruhestand aus dem Jahr 2011 sehen kann.
Mein Forschungsprojekt hätte ich mir womöglich aufmalen können, wenn Peter Melichar sich zuerst offiziell auf das Thema Staatsbedienstete in der Zwischenkriegszeit gestürzt hätte. Er versteht einfach mehr davon. Und nicht nur davon. Er hat über Antisemitismus, Reichtum, Korruption, Militärs, Unternehmer und vieles mehr geforscht und geschrieben. Eine Liste der wichtigsten Werke findet man hier. Peter Melichar weiß alles über alle (darunter auch Beamte), die in der Zwischenkriegszeit Rang und Namen hatten (inklusive Aliasnamen und Affairen), und das hat er größtenteils auch akribisch elektronisch erfasst. Auf diesen Datenschatz darf ich für mein Projekt zugreifen und werde selbstverständlich meine Funde ebenso mit ihm teilen. Ich freue mich auf gedeihlichen und anregenden Austausch von Gedanken und Akten.
„If I have seen further it is by standing on ye shoulders of Giants“, schrieb Isaac Newton.[1] Einer meiner Riesen ist Peter Melichar.
[1] Dabei hat Newton den Vergleich nicht selbst erfunden, vielmehr wurde dieser von Bernhard von Chartres im frühen 12. Jahrhundert geprägt und ist überliefert, weil Johannes von Salisbury ihn zitiert hat. Die ganze Rezeptionsgeschichte kann man bei Robert K. Merton, On the shoulders of giants, New York 1965, nachlesen.
Bildquelle: Manuskript aus Süddeutschland ca. 1410, Library of Congress, Rosenwald 4, Bl. 5r, Wikicommons.
Eine schöne Würdigung eines erschreckend belesenen, zugleich in unzähligen Details unzähliger Quellen bewanderten, auf produktive Weise inhaltlich widerborstigen und mit seinem Wissen großzügigen Kollegen. So kenne ich den Herrn jedenfalls. Und gut, wenn derlei mal ohne einen der Anlässe thematisiert wird, die den Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft entspringen (runder Geburtstag, Abgang, Ableben, Laudatio für was-auch-immer).