Beim Lesen von Doderers „Strudlhofstiege“ – nur zum Vergnügen, nicht für die Arbeit – stieß ich auf folgende Passage, die sehr schön umschreibt, wie sich das Beamtensein auf einen Menschen auswirkt, selbst wenn dieser kein Beamter „im gewöhnlichen Sinn“ sei oder sein wolle. Die Anmutungen und Zuschreibungen von außen bleiben niemals nur außen vor, und man fühlt sich unweigerlich an Bourdieus Überlegungen zum Habitus erinnert. Diese Beobachtungen werden dem Studenten der k.u.k. Konsularakademie Teddy Honegger (der im Diplomaten Theodor von Hornbostel sein außerliterarisches Vorbild hat [1]) in den Mund gelegt:
„Jeder untersteht oder unterliegt den Gesetzen derjenigen Kategorie, in welche ihn das äußere Leben gestellt hat, ganz unangesehen ob sein Kopf jetzt Wahres oder Falsches über diesen Punkt enthält. Es kann einer Sektionsrat im Finanzministerium sein und dabei gar kein Beamter im gewöhnlichen Sinne, ja, er kann wider Willen in diese Carrière hineingezwungen worden sein, oder er kann wesentlich zu einem ganz anderen Menschentypus gehören, etwa zu dem des Künstlers – schau Dir den Ministerialrat P. an, der übrigens bei Küffers oft die Viola gespielt hat – die Welt wird ihn als Beamten nehmen, ihn immer wieder förmlich in seine Kategorie zurückdrängen und ihn zugleich darin halten, aufrecht erhalten, stützen. Und die Welt weiß in diesem Falle wirklich was sie tut. Genau das gleiche hast du, wenn einer als Rekrut einrücken und Soldat werden muß oder als Reserve-Leutnant herumlaufen. Er mag jetzt der überzeugteste Anti-Militarist sein, so steht er doch jetzt unter den Gesetzen seines nunmehrigen Standes. Und damit meine ich jetzt aber nicht die geschriebenen Gesetze und deren äußeren Zwang, die Dienst-Pragmatik des k.k. Finanzministeriums oder das Dienst-Reglement beim Militär. Sondern durchaus das innere Funktionieren. Man kann nicht das, was man vorstellt, um mit Schopenhauer zu reden, dauernd negieren, von dem her, was man ist oder nur sein will. Es ist unmöglich, ein Kleid zu tragen, ohne daß es von uns durchwärmt wird, sich dem Körper entsprechend faltet und so weiter: es geht sozusagen in uns ein. Der Herr Leutnant wider Willen oder der Herr Hofrat gegen seine eigentliche Weltanschauung: sie befinden sich in einer Verschmelzung, ja in einer wirklich chemischen Verbindung mit dem, was sie verneinen, von dem allerersten Augenblicke an, wo sie entgegennehmen, was ihnen gebührt, sei es die respektvolle Ansprache eines Kellners, den strammen Gruß eines Soldaten, oder das Taferl mit dem Titel an der Türe des Amts-Zimmers; oder wenn sie tun, wozu sie berechtigt sind, einen Befehl geben, abends die Kaserne verlassen und erst am nächsten Tag wiederkommen, was im allgemeinen nur die Offiziere dürfen, soviel ich weiß, oder als Hofrat im Ministerium einen Akt durch die Unterschrift endgültig erledigen. Mit alledem geht das Äußere in ihr Inneres ein, und es wird, was ursprünglich nur ein Kleid oder gar nur Mantel war, in höchstpersönliche Falten gelegt, es wird ein Teil der Biographie: das ist nicht zu vermeiden.“ [2]
[1] Christian Dörner/Barbara Dörner-Fazeny, Theodor von Hornbostel, 1889-1973, Wien u.a. 2006, 22.
[2] Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, München 1951, 272f. (Hervorhebungen von mir).