Lotte und Stefan Ossmann auf der Demo gegen den §109

Liebe Alle,

die Änderungen des §109 des Universitätsgesetztes gefährden die Wissenschafts- und Lehrlandschaft an österreichischen Universitäten. Am 6. Dezember fand eine Demonstration dagegen statt, Lotte und ich waren als Redner*innen eingeladen. Anbei die Rede und eine Impression.

Liebe Anwesenden,

mein Name ist Stefan Ossmann, ich darf stellvertretend für die IG LektorInnen sprechen. Ein Verein, der gegründet wurde, um auf die Situation von befristeten Lektor*innen und freien Wissensarbeiter*innen hinzuweisen, und deren Beschäftigungsverhältnisse zu verbessern.

Das war im Jahr 1996, vor 26 Jahren. Das es uns heute noch gibt, ist einerseits ein Zeichen, dass wir die letzten Jahre gute Arbeit geleistet haben; es ist aber andererseits auch ein Armutszeugnis der österreichischen Universitätslandschaft, dass es uns 2022 immer noch geben muss, und dass ich in den letzten 2,5 Jahrzehnten wenig zum Guten gewendet hat. Ganz im Gegenteil, mit dem §109 in der jetzigen Fassung ist die Situation prekärer und hoffnungsloser als je zuvor.

Ich habe 2004 am zweiten Bildungsweg im Alter von 28 zu studieren begonnen. 2007 erhielt ich meinen ersten Tutorumsvertrag, und wechselte von der Studierendenseite auf die Dunkle Seite der Macht, ich trat ein Dienstverhältnis mit der Universität Wien ein. Natürlich mit einem befristeten Vertrag. Es folgten Anstellungen als Studienassistent, natürlich ebenfalls mit einem befristeten Vertrag. Nach Abschluss des Studiums durfte ich als Lektor unterrichten – Sie erraten es vielleicht schon – wieder mit einem befristeten Vertrag. Dann folgten EU-Forschungsprojekte und eine eingeworbene Drittmittelstelle, die es mir ermöglichte, ein Doktorat zu absolvieren. Wenig überraschend wieder befristet. Seit dem Doktortitel unterrichte ich wieder als Lektor – und das wieder befristet, jeweils auf 6 Monate angestellt, ohne der Sicherheit, erneut eine Anstellung für 6 Monate zu bekommen.

Dieses perfide Spiel konnte ich die letzten 15 Jahre mitspielen, mit der kleinen Lotte Josephine Lillith kann und will ich dieses Spiel nicht mehr spielen. Ich will keine große internationale Karriere, ich will nicht alle 2 bis 6 Jahre das Land und die Universität wechseln müssen. Alles was ich will, ist in Würde von meinen Lehrverträgen leben zu können. Das war bis jetzt schon schwierig, mit dem 109er wird es verunmöglicht. Spätestens in 7 Jahren muss mich die Universität Wien rauswerfen, mich mit einem Defacto Berufsverbot belegen, und mich dann im Alter von 54 vor die Tür setzen.

Und das ist noch nicht alles. Ich wollte in Karenz gehen, um mehr Zeit mit meiner Tochter verbringen zu können; um meiner Partnerin die Möglichkeit zu geben, in der Privatwirtschaft den Anschluss nicht zu verlieren; und um ein Zeichen zu setzen, dass Kinderbetreuung halbwegs fair und gleich verteilt gelebt werden kann. Auch das wurde mir verunmöglicht. Mit einem 6-Monatigen Vertrag kann ich nicht in Karenz gehen, weil der gesetzliche Karenzanspruch über die Anspruchszeit hinausgeht. Das ist die Realsituation, mit der Lektor*innen konfrontiert sind. Und um das ganze in Zahlen zu gießen – Stefan Ossmann ist kein Einzelfall. Von 7.500 wissenschaftlichen Angestellten an der Uni Wien sind ca. 2.000 Lektor*innen, davon 63 in einem unbefristeten Vertrag. 63 Personen von 2.000, werte Damen und Herren, das bedeutet dass so wie ich sich jedes Semester über 1.900 Personen neu bewerben müssen, und nicht wissen, ob und in welchem Umfang Sie in 3 Monaten wieder einen Job haben werden – und die, so es zu keiner Entfristung kommt, ALLE 2029 vor die Tür gesetzt werden. Auf Lebenszeit an der Uni Wien.

Deswegen bin ich heute hier, deswegen stehe ich hier mit meiner erstgeborenen Tochter am Arm. Wir fordern eine Reparatur des §109, der – so erklärt es mir die Politik seit über einem Jahr – gut gemeint war, aber so schlecht und stümperhaft gemacht und umgesetzt, dass es mir bis heute nicht klar ist, was die dafür damals verantwortlichen Personen, allen voran Wissenschaftsminister Prof. Dr. Werner Fassmann, und Wissenschaftssprecherin Mag.a. Eva Blimlinger, eigentlich beruflich machen, und wofür sie von meinem und Ihrem Steuergeld bezahlt werden oder wurden.

Nehmen Sie werte Damen und Herren hier in den großen und prächtigen Büros am Ballhausplatz endlich Ihre Verantwortung in der Regierung war, reparieren Sie was Sie kaputt gemacht haben! Finden Sie endlich Lösungen für ein Problem, das kein neues ist, vor dem Sie sich aber erfolgreich seit Jahrzehnten verstecken. Auch wenn es für mich in einem Aspekt zu spät ist, ich nicht mehr in Karenz gehen kann, und sich die Chancenungleicheit zwischen Männer und Frauen in der Republik dadurch fortschreibt – sorgen Sie zumindest dafür, dass ich mein Kind nach Ablauf meiner Kettenvertragszeit weiter füttern kann.

DANKE!

Copyright: Elke Christiansen