"Sozialökologische Interaktionsmodelle"


Excerpt aus dem Artikel "Humanökologie" (P. WEICHHART) im Lehrbuch "Geographie" (2007), hrsg. von H. GEBHARDT et al.

Letzte Aktualisierung: 03.12.2007

© Peter Weichhart, 2005


Von besonderer Bedeutung sind die im Rahmen humanökologischer Überlegungen entwickelten Modelle von Gesellschaft, die sich von den Gesellschaftskonzepten der Sozialwissenschaften sehr deutlich unterscheiden. Die Mainstream-Soziologie ist durch ein grundlegendes Axiom gekennzeichnet. Es lautet: „Soziales darf/kann nur durch Soziales erklärt werden“. Damit hat sich die Soziologie von anderen Humanwissenschaften abgegrenzt und von bio- oder geodeterministischen Kausalzuschreibungen distanziert. Dementsprechend fasst die Soziologie „Gesellschaft“ als eine rekursive (auf sich selbst rückverweisende) kommunikative Struktur auf. Mit dieser konstruktivistischen Konzeption gerieten allerdings die Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und der materiellen Welt aus dem Blickfeld der Sozialwissenschaften. Aus dieser Perspektive kann zwar untersucht werden, wie Gesellschaften ihr Verhältnis mit der materiellen Welt in Kommunikationsprozessen thematisieren (vgl. N. LUHMANN, 1986), nicht aber die „reale“ stofflich-energetische Struktur“ der Interaktion.

Um Gesellschaft-Umwelt-Beziehungen angemessen und umfassend darstellen zu können, sind also Ansätze gesucht, welche die konstruktivistische Gesellschaftskonzeption mit einer Perspektive verknüpfen, von der aus gleichermaßen auch die materiellen und körperlichen Komponenten der sozialen Welt thematisiert werden können. Ein derartiges Gesellschaftsmodell wurde von der Arbeitsgruppe „Soziale Ökologie“ der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universität Klagenfurt vorgelegt (http://www.iff.ac.at/socec/; zuletzt besucht 6. 2. 2005). Von dieser humanökologisch ausgerichteten interdisziplinären Forschungsgruppe wird das Gesellschaft-Umweltproblem über die Untersuchung des gesellschaftlichen Metabolismus (Stoffwechsels) dargestellt.

Bei diesem Modell  (Abb.) wird neben der rekursiven kommunikativen Komponente der gesellschaftlichen Sinnkonstitution auch die physisch-materielle Komponente des Sozialsystems berücksichtigt. Dabei wird über das Konzept der Population die reale Körperlichkeit des Menschen berücksichtigt. Die Aktivitäten der Population in der materiellen Welt werden dabei von den Gegebenheiten der symbolischen Kommunikation und den daraus entstehenden Kultur- und Sinnsystemen gesteuert. Durch den Prozess der „Kolonisierung“, der durch Arbeit und Aneignung konkretisiert wird, sind Populationen mit naturalen Ökosystemen in Form physisch-materieller Beziehungen verknüpft. Die hier ablaufenden Handlungen erzeugen einen Stoffwechsel zwischen Gesellschaft und sozialen Systemen, der neben einer somatischen (körpereigenen) auch eine extrasomatische (technische) Komponente aufweist. Im Gefolge dieser Kolonisierungsprozesse, durch die Elemente der physisch-materiellen Welt neu geordnet, verändert und umstrukturiert werden, entsteht jenes Gefüge von Artefakten, das in der klassischen Geographie als „Kulturlandschaft“ bezeichnet wurde. Entscheidend bei diesem Ansatz ist die Ausweitung des Gesellschaftsbegriffs, dem damit auch eine stofflich-materielle und körperliche Komponente zugeschrieben wird. Es kommt auch unmissverständlich zum Ausdruck, dass weite Bereiche der sozialen Welt als hybride Systeme anzusehen sind.