Humanökologie und Geographie


Excerpt aus dem Artikel "Humanökologie" (P. WEICHHART) im Lehrbuch "Geographie" (2007), hrsg. von H. GEBHARDT et al.
 

Letzte Aktualisierung: 03.12.2007

© Peter Weichhart, 2005


Die in der Humanökologie thematisierte Frage nach den Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt (bzw. zwischen „Natur“ und „Kultur“) kann auch als zentrale Problemstellung der „klassischen“ Geographie angesehen werden. Als theoretische Hintergrundpositionen zur Begründung und inhaltlichen Umsetzung dieses Erkenntnisinteresses dienten die Konzepte „Land“ und „Landschaft“. In der Landschaft, die als Integrationsprodukt oder Systemzusammenhang aller Geofaktoren angesehen wurde, würde sich der Zusammenhang zwischen Natur und Kultur in seiner konkreten Gegenständlichkeit äußern. Dies gelte auch für die Länder, die als einmalige und historisch gewachsene „Raumindividuen“ komplexe Vergesellschaftungen von Landschaften darstellen würden. In diesem Kernparadigma der klassischen Geographie wird also eine spezifische Zugangsweise zur Darstellung der Wechselwirkungen zwischen „Natur“ und „Kultur“ gewählt, die über „Raumorganismen“ fassbar und konkretisiert wird.

Anfang der 1960er Jahre kam diese klassische Konzeption der Geographie in eine ernsthafte Grundlagenkrise und die Konzeptionen der Landschaften und Länder wurde zunehmend kritisiert und letztlich verworfen. Damit kam der geographischen Gesellschaft-Umwelt-Forschung die fachspezifische theoretische Hintergrundposition abhanden, die disziplinäre Einheit löste sich immer mehr auf, und die beiden Teilfächer Humangeographie und Physiogeographie drifteten zunehmend auseinander. Der weitaus überwiegende Teil der aktuellen Forschungsfragen der Humangeographie hat nichts mit der klassischen Mensch-Umwelt-Problematik zu tun. Auch weite Bereiche der Physiogeographie lassen sich heute nicht mehr dieser Thematik zuordnen. Konkrete Kooperationen und gemeinsame „integrative“ Projekte zwischen Physio- und Humangeographen kommen gegenwärtig ausgesprochen selten vor.

Dennoch wird neuerdings immer wieder der Ruf nach einer „Reintegration“ der beiden Hauptarbeitsrichtungen des Faches Geographie laut. Die Wiedervereinigung von Physiogeographie und Humangeographie und die ausdrückliche Fokussierung auf die Mensch-Umwelt-Thematik wird von verschiedenen Autoren als besonders erfolgversprechende Strategie zur Neupositionierung des Gesamtfaches angesehen (vgl. P Weichhart 2003, S. 18-20). Allerdings fehlen derartigen Vorschlägen überzeugende Konzepte einer Theorie der Gesellschaft-Umwelt-Beziehungen.

Hier könnte eine erneute Annäherung der Geographie an die Humanökologie wertvolle Anregungen bieten. Zwar wurde bislang auch in der Humanökologie keine umfassende, konsistente und den Gesamtbereich der Erkenntnisobjekte abdeckende Theorie vorgelegt, es existieren aber eine Reihe von Grundkonzepten und Theoriebausteinen, die sich mit großem Nutzen für eine theoretische Fundierung „integrativer“ Projekte in der Geographie verwenden ließen.


Landschaften und Länder als Hintergrundtheorie in der klassischen Geographie


So geht etwa die Geographie (entsprechend der abendländischen Denktradition) von der ontologischen Basishypothese aus, dass die Welt in die zwei dichotomen Seinsbereiche „Natur“ und „Kultur“ eingeteilt werden kann. In neueren Arbeiten wird eine vergleichbare Auffassung durch den Verweis auf die „Drei-Welten-Theorie“ von K. Popper (1973) begründet. Die geographische Deutung dieser Theorie lautet: Die Realität zerfällt in drei Seinsbereiche, die voneinander unabhängig seien und zwischen denen keinerlei Beziehungen bestehen. Die Welt 1 ist die Welt der physisch-materiellen Dinge und Körper, die Welt 2 besteht aus den subjektiven Bewusstseinsinhalten und die Welt 3 ist die soziale Welt. (Bei Popper wird die Welt 3 hingegen als die Welt der objektiven Ideen definiert. Im Gegensatz zur geographischen Interpretation betont Popper übrigens ausdrücklich, dass zwischen den drei Welten Beziehungen bestehen, deren Analyse besonders bedeutsam sei.) Diese gleichsam als Axiom angesehene ontologische Hypothese der Geographie wird von der Humanökologie ausdrücklich verworfen.

Humanökologische Denkmodelle gehen vielmehr davon aus, dass Mensch (Gesellschaft, Kultur) und Natur  als Aspekte eines ganzheitlichen Zusammenhanges verstanden werden müssen. Zentrales Erkenntnisobjekt der Humanökologie sei der Mensch in der Natur. Die Welt bestehe in Wahrheit aus hybriden Phänomenen, die sich auch einer eindeutigen Klassifikation nach der Theorie der drei Welten entziehen. Die eigentlich entscheidende Fragestellung bestehe darin, den Zusammenhang zwischen Sinn und Materie zu analysieren (vgl. W Zierhofer 1999). Weiters vertreten die meisten humanökologischen Denkmodelle ein nicht dichotomes Konzept von Subjekt (Individuum) und Gesellschaft.

Das Verhältnis von
Sinn und Materie