mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

2 (1999), Nr.3/September

L'art philosophique

3. Welche Beurteilungskriterien für bildende Kunst halten Sie (gegenwärtig) für wichtiger als soziologische? - Lektüre von Michael Fried's Modernist Painting and Formal Criticism in der Fassung von 1965 (1992). Mit einer Einladung. 31984 Zeichen.

Vorbemerkung 1999. Untenstehender Text wurde 1992 auf die thematische Frage obenstehenden Titels durch einen Bildhauer geschrieben, der eine Koproduktion für eine Ausstellung in der Wiener Galerie Theuretzbacher beabsichtigte. Die Ausstellung sollte mit verändertem Konzept stattfinden, das Kunstwerk selbst ist nie entstanden. Später habe ich die Gelegenheit genützt, den Text mitsamt Michael Fried's Essay "Modernist Painting" - klassischer Topos in der analytischen Kunstphilosophie, bekannt im kontinentalen Europa nur durch eine Übersetzung ins Französische (Revue d'Esthétique), nicht aber ins Deutsche - der Arbeitsgemeinschaft Analytische Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Wien vorzulegen und bei zwei ihrer Zusammenkünfte, am 11. (mit Diapositiven) und 18. April 1994, zu diskutieren. Der Text war in der Form, ohne dem Künstler eine stilistische Richtung vorzugeben, collageartig gehalten, um eine räumliche Verarbeitung zu befördern. Auch inhaltliche Offenheit wurde riskiert in der Überzeugung, daß eine künstlerische Ausarbeitung auch inhaltliche Veränderungen mit sich bringen würde. In der Hoffnung, daß das ursprüngliche Idee zu einer Realisierung findet, lade ich hiemit KünstlerInnen ein, den orthographisch redigierten Text als Material für ein Kunstwerk zu verwenden - über die Modalitäten dafür können wir uns via e-mail (siehe unten) verständigen.

ANTWORT

Die Kriterien der formalen Kritik, obwohl sie der sozialen Dimension nicht heterogen sind. Das wird von den Fakten der historischen Entfremdung und der Moral bestätigt. Es gibt eine Menge von Arten von Kriterien, von denen keine den anderen überlegen ist - aus einer formalen Perspektive heraus.

FRAGEN

1. Welches sind soziologische Beurteilungskriterien? Zunächst der soziale Gehalt, die soziale Relevanz: visuelle Aussagen über Gesellschaft können ikonographisch sein (die Abbildung sozialer Ereignisse von der Renaissance bis zum Photorealismus), narrativ (von der Ilias auf Keramik bis zu Comic Strip und literarischem Post-Konzeptualismus; bei ausgedehnter Skulptur; mittels Bildserien wie in der Graphik) und prozessual (von Dada bis zum Aktionismus) <a>. Bei allen drei verschiedenen Darstellungsmodi kann die Formfrage zur Frage des Designs verkümmern: Wie gut ist es gemacht?

Zweitens das Zeitgenössische - die Gesellschaft als der gegenwärtige, lebendige Körper wie das Wasser für den Fisch. Kann eine Kunst substanziell sein, die sich nicht dem ominösen Moment der Aktualität eines fortlaufenden, historischer Prozesse stellt (von David's "Schwur der Horatier" bis zu Joseph Beuys)?

Drittens das Parteiliche. Im Dienste welcher Werte? Wie kann der Aufruhr in South Central L.A. dargestellt werden? Wie Richard Gere's Gerbil-Affäre? <ß>Ist hier nicht jede bildliche Darstellung unzulänglich? Kann nicht das Abbild in jeden beliebigen Zusammenhang gestellt werden? Kann nicht die visuelle Erzählung in Journalismus oder Soziologie kollabieren? Befindet sich nicht das prozessuale Event in der Gefahr, in eine bloß politische Aktion umzukippen, bei der die Ästhetik zur Dekorfrage wird?

Die Frage der Kritik sollte über das Kriterium der Form auf ein zweistufiges Argument angelegt werden: - a) Der Formalismus muß erweitert werden. Das Imaginäre und mit ihm die Warenwelt können nicht davon abgehalten werden, in den Formalismus einzudringen.<t> Und zum formalen Ganzen eines Bildes oder einer Skulptur: Hat nicht die Integration von Pop, Minimal und Conceptual Art ineinander über das Begehren ein Politisches freisetzen können, wie es der Neokonzeptualismus der 1980er Jahre vorzuführen versucht hat. - b) Legt nicht das alles nahe, die Formalität als ein Inneres von Malerei und Skulptur erneut als eine gesellschaftliche Bestimmung zu untersuchen, als eine Bestimmung, die nicht zuletzt eine äußere Zwecksetzung politischen Potentials ermöglicht? <d>

<a> siehe Danto, und die formalistische Konservierung bereits bei Schwarzkogler.

<ß> siehe den theoretischen Zugang von Slavoj Zizek in Flash Art 1992.

<t> Magritte, Lichtenstein, Warhol. Zu Andy Warhol siehe Michel Foucault's formalistische Analyse in seinem Essay "Dies ist keine Pfeife", übers. v. W. Seitter, München: Hanser Verlag 1974 und den vorletzten Absatz von seinem "Theatrum Philosophicum", in: Critique 282 (1970). Man bemerke gerade in diesem Zusammenhang auf S.47 Fried's fragwürdige Gegenüberstellung von moderner Malerei und Neo-/Dadaismus, speziell dem von Duchamp (als gescheiterter Kubist), Cage, Johns und Rauschenberg. Fried greift hier eine Bemerkung von Greenberg's "After Abstract Expressionism" auf über die "großen und kleinen Einzelheiten, die immer ganz zum Bereich des Willkürlichen und visuell Bedeutungslosen gehörten" auf S.30 von: Art International, Vol.VI, Nr.8, 25. Oktober 1962. Es braucht nicht extra erhellt zu werden, daß Warhol unter anderem die formalistischen Konsequenzen aus dem Neodadaismus zog.

<d> Zur absoluten Ware, l'art pour l'art und das Formgesetz: Theodor W.Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1970, S.351-353

KRITERIEN

1 - soziologische Beurteilungskriterien: Ist es gesellschaftlich relevant(kommunikativ), eine Aussage über die Gesellschaft?

2 - formale: ist es harmonisch, im Gleichgewicht, gut gerahmt/gesockelt, in richtiger Größe, richtigem Material, die Gesamtheit der Bestandteile ein Ganzes, es mit der entsprechenden Bezeichnung versehen, über-/unterdeterminiert?

3 - stilistische: Ist es stilgerecht, stilbewußt?

4 - psychologische: Ist es intensiv, expressiv, cool, unverkrampft, die Absicht des Künstlers erfüllend etc.?

5 - politische: Ist es politisch korrekt, parteipolitisch adäquat, inhaltlichpolitisch (aktionistisch, ikonographisch)?

6 - ökonomische: Ist es mehr als 10.000 wert?

7 - persönliche: Ist es für die Wohnung, repräsentative Zwecke, das finanzielle Überleben des Künstlers geeignet?

8 - zeitliche: Ist es neu, innovativ, dem Zeitgeist entsprechend, historisch akkurat?

Beurteilungskriterien setzen voraus, daß etwas bereits als Kunst angenommen ist. Die Beurteilung kann sich demnach nur mehr auf die Qualität des Werks beziehen, wie immer man ihr auch diskursiv teilhaftig werden kann. <?> Die Beurteilungskriterien sind also Qualitätskriterien. Das öffnet das Feld der Beurteilung Werten, die nichts mit der Beurteilung der Kunst, wohl aber mit der Bewertung eines Gutes oder Bedeutungsträgers zu tun haben. Streng genommen sind nur "2" und "3" ästhetische Beurteilungskriterien, wobei die stilistischen - "3" - eigentlich nur Kriterien der Einordnung sind. <?> Was sind aber die Kriterien jener Qualität? Sie könnten etwas sein, was mit dem Hintergrund zusammenhängt, aus ihm hervorgeht und sich mit dem Werk in einer spontanen Weise zusammenschließt, um nicht zu sagen, sich als mit ihm zusammengeschlossen erweist, mithin: - der alte Traum, die Kriterien dem Werk selbst zu entnehmen.

<?> Auf die Debatte über die Möglichkeit von Qualität überhaupt, wie sie im Sommer 1990 zwischen Michael Brenson (New York Times), Barbara Kruger und Hilton Kramer (The New Criterion) geführt wurde, kann hier nur hingewiesen werden.

<?> Sogar der Stilbegriff etwa eines Meyer Shapiro bleibe von der modernen Malerei nicht verschont, weil die formalen Unterscheidungen, die einem Stil zu Grunde liegen, durch die Operationen der Malerei in Frage gestellt seien: Fried auf S.12 in Auseinandersetzung mit Shapiro's "Style" (in: A. L. Kroeber (Hg.), Anthropology Today, Chicago 1953)

URTEILSKRAFT

Es lohnt, einer prominenten Kritik der Beurteilung, die als jeglichen Kriterien vorgängig angesehen wird, der Beurteilung als Vermögen auf den Puls zu fühlen. Für Immanuel Kant ist "eine gewisse Angemessenheit der Urteilskraft zum Gefühl der Lust" unverkennbar, sodaß "die Urteilskraft sich lediglich aufs Subjekt bezieht und für sich allein keine Begriffe von Gegenständen hervorbringt." <a> Kant definiert die reflektierende Urteilskraft als Beurteilungsvermögen (facultas diiudicandi) <b>. Man könne zeigen, wie ihr "Begriff, der die innere Wahrnehmung einer Zweckmäßigkeit der Vorstellungen möglich macht, auch zur Vorstellung des Objekts, als unter ihm enthalten, angewandt werden könne." <c> Ein "ästhetisches Reflexions-Urteil" <d> sondert er von einem ästhetischen Sinnesurteil ab. Doch weder ästhetische Anschauung, noch ästhetische Vorstellung sind einem wie immer gearteten Erkenntnisvermögen zugänglich. Es kann kein ästhetisches Urteil für eine objektive Bestimmung geben, weil ein Urteil als Erkenntnis nur objektiv sein kann, wenn sich keine Sinnlichkeit einmischt. "Durch die Benennung eines ästhetischyen Urteils über ein Objekt wird also so fort angezeigt, daß eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, in dem Urteile aber nicht die des Objekts, sondern desSubjekts und seines Gefühls verstanden werde." <e> "Im ästhetischen Sinnes-Urteile ist es diejenige Empfindung, welche von der empirischen Anschauung des Gegenstandes unmittelbar hervorgebracht wird, im ästhetischen Reflexions-Urteile aber die, welche das harmonische Spiel der beiden Erkenntnisvermögen der Urteilskraft, Einbildungskraft und Verstande im Subjekte bewirkt, indem in der gegebenen Vorstellung das Auffassungsvermögen der einen und das Darstellungsvermögen der andern einander wechselseitig beförderlich sind, welches Verhältnis in solchem Falle durch diese bloße Form eine Empfindung bewirkt, welche der Bestimmungsgrund eines Urteils ist, das darum ästhetisch heißt und als subjektive Zweckmäßigkeit (ohne Begriff) mit dem Gefühle der Lust verbunden ist." <f> Das ästhetische Sinnesurteil enthält materiale Zweckmäßigkeit, das ästhetische Reflexionsurteil enthält formale Zweckmäßigkeit ("sonst auch subjektive {Zweckmäßigkeit} genannt" und der ästhetischen Urteilskraft angehörig <g>). Nur das zweite basiert auf Prinzipien der Urteilskraft, heißt es an anderer Stelle. In diesem Urteil geht die Reflexion der Lust voran (zumindest prinzipiell), sodaß die Zweckmäßigkeit der ästhetischen Reflexion zuerst gedacht und dann empfunden wird. Dabei wird die Vorstellung des Gegenstandes unter die subjektiven und allgemeinen Bedingungen der Urteilskraft subsumiert <h>. "Urteilskraft ist das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken." <i> "Ist ... nur das Besondere gegeben ("der Natur und der Kunst" <k>), wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft ... reflektierend." <j> - "Die Kritik, als Kunst {die Kunstkritik}, sucht bloß die physiologischen (hier psychologischen), mithin empirischen Regeln, nach denen der Geschmack wirklich verfährt, (ohne über ihre Möglichkeit nachzudenken {sic!}) auf die Beurteilung seiner Gegenstände anzuwenden, und kritisiert die Produkte der schönen Kunst, so wie jene {die Kritik der Urteilskraft selbst} das Vermögen selbst, sie zu beurteilen." <l> jedoch letztere vergeblich, wenn sie das Vermögen als objektivierbares ansetzt: "§ 34. Es ist kein objektives Prinzip des Geschmacks möglich" <m>, trotz sensus communis §40, geselliger Mitteilung §41, intellektuellem Interesse §42, Genie für die Kunstproduktion §46, Geist §49 etc. <n>

<a> Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Frankfurt/Main (Suhrkamp Verlag) 1974, S. 20

<b> S. 24

<c> S. 33

<d> S. 34

<e> S. 36

<f> S. 38

<g> S. 104

<h> ebd.

<i> S. 87

<j> ebd.

<k> S. 109

<l> S. 216

<m> S. 215f.

<n> S. 224-256

DAS FORMALE

Man kann mit Fried das Formale in der Malerei fogendermaßen umkreisen. Die Malerei enthält formale Elemente: Farbe, Leinwand, Rand, Verteilung, Formen, Fläche, Ebene, Linie, Tiefe, Fleck (Louis), Figuration, Strich (de Kooning), Kontur, Modellierung, das Malerische, Raum, Bildträger (Stella), Kurvatur (Pollock), Feld, Grund, Punkt, Zeichnung, Bild, Streifen (Newman), Serie (Stella), Rahmen, Kante, Flachheit, Ecke, Mitte, Richtungt, Format, Oberfläche, Dingheit. Sie nehmen in der Moderne einen besonderen Charakter an. Sie sind mehr als nur Mittel der Darstellung. Sie reichen aus, um Qualitäten wie etwa die der deduktiven Struktur (Stella) oder der Optikalität (Pollock) hervorzubringen.

ABSTRACT

Der Hintergrund für die Kritik der Kunst ist die Moderne in der Malerei, besonders wie sie in den USA nach 1945 anzutreffen ist. Das Moment des Zeitgenössischen ergibt sich durch die künstlerische Kritik des jüngst Vergangenen und die dazu parallele formale Kritik der Kunstkritik. Seit Manet realisiert die Malerei ihre selbstkritische Dimension, in dem sie durch die Repräsentation von Bewußtsein die formalen Komponenten des Bildes im Gemälde freisetzt. Dieses Verhältnis von Malerei und Kritik bestimmt die Epoche der modernen Malerei seit Manet. Die Geschichte der modernen Malerei ist eine der fortschreitenden Radikalisierung, eine der Abkoppelung von der sozial-kulturellen Geschichte als Folge der Zuwendung zu intrinsischen Problemen des Mediums selbst. Die kunstinterne Dynamik der Entwicklung von Stilen mündet in die Dialektik der Moderne als permanente künstlerische Revolution. Durch dieses Ideal der Aktion können die traditionellen Werte erneuert werden. Der Druck dieses Ideals-in-Aktion entspricht der moralischen Anforderung, durch ein Problem hindurchzugehen. Daher begibt sich die moderne Malerei wie die formale Kritik in das Risiko des Scheiterns.

L

Daß die Maler fast zum Hintergrund für den brillanten, theoretisch-historischen Teil <A> abgeben, das soll Fried nicht nur angesichts des Umfangs der historischen Voraussetzungen des Abstrakten Expressionismus und wegen einer Ausführlichkeit der Analyse der drei mal sechs Bilder verziehen sein. Nicht nur hat Fried an zahlreichen anderen Orten den Künstlern sein Sprachrohr geliehen. So hat er, wenn auch seit den 70er Jahren nicht mehr mit Texten - an ihnen und beinahe ausschließlich an ihnen mit einer Beständigkeit festgehalten, die ohne Zweifel ihresgleichen sucht. <B> Und doch! Entspricht diese Identifikation mit dieser Kunst - der Kunst schlechthin!? - nicht einer theoretischen Identifikation, deren Stärke Fried aus ihr nur beziehen kann, wenn er sie aus der Umgebung rasanten Entwicklungen herauslöst?

Zweck seines Textes, so gibt Michael Fried an, sei, die Qualität und "etwas vom Hintergund" <C> der Arbeiten von Kenneth Noland, Jules Olitski und Frank Stella zu diskutieren. Wir schreiben das Jahr 1965. Seit 20 Jahren komme fast alle wichtige Malerei aus Amerika: de Kooning, Frankenthaler, Gorky, Gottlieb, Hofmann, Kline, Louis, Motherwell, Newman, Pollock, Smith, Still. Aber die neue visuelle Kunst sei nicht angemessen verstanden worden. Die Maler und Bildhauer praktizierten weniger Kritik, als es unter den Dichtern der Fall sei. Die visuellen Fähigkeiten seien unter Kunstkritikern noch seltener, als die verbalen der Literaturkritiker es für die neue Poesie gewesen waren <D>. Demgegenüber sei die Malerei selbst nie kritischer gewesen als jetzt, seit dem Zweiten Weltkrieg.

Dieser Umstand gibt Fried die Möglichkeit, sogleich seine erste These einzuführen: die Charakteristika der neuen Kunst kommen einer Kunstkritik entgegen, wie sie mit der formalen Kritik in der Tradition von Roger Fry und Clement Greenberg vorliege <E>. Für Greenberg hat die moderne Malerei vor 100 Jahren, also 1865 eingesetzt <F>. So erweitern Noland, Olitski und Stella die Malerei seit Edouard Manet.

<A> Fried's "Modernist Painting and Formal Criticism" aus der Zeitschrift The American Scholar, Fall 1964, wurde weiter ausgearbeitet im Teil I der Einführung des Katalogs "Three American Painters. Kenneth Noland. Jules Olitski. Frank Stella" für die Ausstellung gleichen Titels im Fogg Art Museum der Harvard University vom 21. April bis 30. Mai 1965 (und im Pasadena Art Museum vom 6. Juli bis 3. August 1965). Die Lektüre und alle Fried-Zitate (die wie andere englische Passagen hier ins Deutsche übersetzt sind) sind die von "Three American Painters". Sie behandelt also die Seiten 4-10 und 49-51 in extenso und geht auf die Seiten 10-23 (die historisch jüngste Vergangenheit, die Gemälde von Willem de Kooning, Jackson Pollock, Morris Louis und Barnett Newman), 24-32, 33-39, 40-46 (Noland, Olitski, Stella) nur ein, wenn der Zusammenhang es erfordert.

<B> siehe das Protokoll einer Podiumsdiskussion vom März 1987 mit Fried, Rosalind Kraus und Benjamin Buchloh zum Thema Theory of Art after Minimalism and Pop, in: Dia Art Foundation/Hal Foster (Hg.), Discussions in Contemporary Culture, Number One, Seattle: Bay Press 1987, S.55-91, bes. S.86

<C> Three Painters, S.3

<D> die kritischen Essays von Eliot und Pound über die Gedichte von Blackmur, Ransom und Tate.

<E> Fried weist besonders auf Clement Greenberg, Art and Culture. Critical Essays, Boston: Beacon Press 1961, hin.

<F> modernist/modernism ist hier wie in anderen Stellen mit modern/Moderne übersetzt. Das Oxford English Dictionary, 2nd Edition, Oxford: Clarendon Press 1989, Band IX, S.948-49 führt vier Bedeutungszonen an: die der Neuzeit eigene Ausdrucksweise, die Sympathie mit dem Modernen, eine Bewegung der Modernisierung in der Römisch-Katholischen Kirche zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Einstellung auf den Bruch mit klassisch-traditionellen Ausdrucksweisen in der Kunst.

L

"Obwohl Manet der erste Maler ist, den man modern nennen könnte, sind einige der Probleme und Krisen, zu denen seine Gemälde eine entschiedene und unerwartete Reaktion bilden, im Werk von David, Géricault, Ingres, Delacroix und Courbet vorhanden." <1> Doch Fried kommt es auf die Linie Manet - synthetischer Kubismus - Matisse an. Am Werk sei ein "allmählicher Rückzug der Malerei von der Aufgabe der Darstellung der Realität - oder der Realität von der Macht der Malerei, sie zu repräsentieren - zugunsten zunehmender Beschäftigung mit Problemen, wie sie der Malerei selbst eigen sind." <2>

Damit er die Fülle der Repräsentation der Malerei eines Velazquez oder Frans Hals erreiche, sei Manet gezwungen, "nicht nur seine Welt, sondern auch seine problematische Beziehung zu ihr zu malen: sein eigenes Bewußtsein von sich selbst als in und doch nicht von der Welt."<3> Manet, so schreibt Fried in der Folge von Clement Greenberg, sei der erste Maler nach Kant, "für den das Bewußtsein selbst der große Gegenstand seiner Kunst ist." <4> Seit seinem "Frühstück im Grünen" habe Manet versucht, das Bewußtsein einen Teil seiner Gemälde ausmachen zu lassen. Die Bilder besonders der 1860er Jahre seien zu tableaux vivants geworden, die nicht mehr wie in der Tradition ein besonderes Ereignis dramatisierten, sondern den Betrachter in seiner Entfremdung.

Man fragt sich, ob nicht dadurch bereits der erste Schritt zu einer drei-dimensionalen Kunst gesetzt wird, wie sie die Gestaltwahrnehmung der Minimal Art jenseits von Malerei und Skulptur bis zur Wahrnehmungsentfremdung realisiert <5>. Weiters bietet sich die Aufnahme einer Linie der Kunstgeschichte an, wie sie in Daniel Buren's Arbeiten in situ und schon vorher durch den Situationismus zum Ausdruck kommt. Interessant bleibt jedoch an der Friedschen Beobachtung an Manet, daß die moderne Malerei bereits in ihrem Beginn einem situativem Sog ausgesetzt war. Diese Kontextualisierung situativer Art von Malerei und später auch Skulptur, wie sie im betrachtend-entfremdeten Subjekt ihren Ort findet, macht derart einen politisierbaren Umraum möglich, wie er in der Minimal Art verdeckt vorliegt - vielleicht hat das Fried in seiner Attacke auf sie als eine nicht genuin visuelle Kunst wie Malerei oder Skulptur gespürt <6>.

Alles kommt darauf an, eine Reihe von Eigenheiten festzuhalten: die unverständliche Geste des Mannes rechts und der im Flug gefrorene Vogel am oberen Bildrand im "Frühstück im Freien", die feindliche, fast schematisch dargestellte Katze in "Olympia", und in beiden Bildern der starre, in die Ferne gerichtete Blick der Victorine Meurand - : sie stellen für Fried im Gemälde die buchstäblich "hemmende, entfremdende Qualität des Selbstbewußtseins" dar <7>.

Manet's realistischer Drang, diese Qualität des Selbstbewußtseins als wesentlichen Teil des Inhalts seiner Werke darzustellen, habe zur Folge, "daß das Selbstbewußtsein in dieser besonderen Situation notwendigerweise ein Bewußtsein mit sich bringt, daß das, worauf man schaut, schließlich nur ein Gemälde ist." <8> Fried postuliert: Dieses Bewußtsein vom Nur-Gemälde-Sein muß also auch zum Bestandteil des Gemäldes werden, der Maler muß dieses Bewußtsein beabsichtigt haben, und der Betrachter muß gezwungen werden, es zu fühlen. Denn blieben sonst nicht Selbstbewußtsein (Entfremdung) und damit das Bewußtsein vom Gemälde, hinter denen Manet her ist, unvollständig und uneindeutig?

Das Problem ist: einmal zugestanden, daß Manet tatsächlich Selbstbewußtsein und Bewußtsein ins Bild setzt - , was hält Selbstbewußtsein und Bewußtsein außeinander, und wie ist es überhaupt möglich, Selbstbewußtsein und Bewußtsein vom Nur-Gemälde-Sein zum Teil eines Bildes zu machen? Noch vor seiner bald folgenden Referenz auf Lukàcs und Merleau-Ponty ist klar, daß sich Fried hier schwer in Hegels Dialektik des Selbst-/Bewußtseins verwickelt hat. - Und tatsächlich, wenn es nach Hegel geht, dann enthält das Selbstbewußtsein nicht nur ein Bewußtsein seiner selbst, sondern ein Bewußtsein von Dingen, und zwar von allen Dingen überhaupt. Sie sind zwar in ihm aufgelöst, doch treibt die Notwendigkeit das Selbstbewußtsein zu einer Entwicklung und damit zu Gegenständen, die nicht mehr aufgelöst werden können: Andere, Werke, Begriffe, anerkannte Selbstbewußtseine <9>.

Wenn nun nicht am Umstand gerüttelt werden kann, daß Selbstbewußtsein visuell nicht dargestellt werden kann, so kann man Manet doch zubilligen, daß er es schafft, ein Selbstbewußtsein als in seiner Welt und damit im Bild, wie Fried sich ausdrückt "zum Funktionieren ... zu bringen". <10> Situierung, die Einrichtung von tableaux vivants und der Einsatz von Verrückung, Erstarrung, Schematisierung sind also die Mittel, entfremdetes Selbstbewußtsein wie das Bewußtsein vom Nur-Gemälde-Sein zu verkörpern. <11> Dieses Bewußtsein vom Nur-Gemälde-Sein ringt Manet, so Fried, der Malerei gegen die von alters her mit ihm verbundene Aufgabe des Ähnelns dadurch ab, daß er die Bildoberfläche durch Vermeidung des Modellierens und durch Ablehnung überzeugender Darstellung der Tiefe hervorstreicht. Er stutzt große Formen gewollt durch den Bildrand und betont einen rechteckigen Bildauftrag, nach dem sich die Elemente im Bild richten. Die Hervorhebung des Gemäldecharakters erfolge also über die Rechteckigkeit oder Flachheit der Leinwand.

Nach Fried erkennt Manet das "Bewußtsein als Problem der Kunst so wie die entfremdende Beschaffenheit seines eigenen Bewußtseins von ihm selbst." <12>. Noch mehr: Manet hätte große realistische Malerei (zum letzten Mal) und die Gründung des Modernismus durch die Betonung der Eigenschaften des Bildes unternommen. Doch erst bei einer Verteidigung von Clement Greenberg's "Art and Culture" ist für Fried der Zeitpunkt gekommen, seinen Begriff der Geschichte und Gegenwart der Kunst näher auszuführen. Doch ist der historische Zusammenhang nicht zu leugnen. <13> Kunst unter formalen Gesichtspunkten ereigne sich, entgegen etlichen Vorwürfen, sehr wohl in einer konkreten Geschichte von Kunstwerken und Kunstkritik. Das schließe aber eine "innere künstlerische Logik" <14> nicht aus, weil die modernistische Malerei in Frankreich und Amerika als Resultat der Entscheidungen von Künstlern verstanden werden müsse, sich mit den formalen Problemen der Kunst der jüngsten Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Gesamtheit dieser Auseinandersetzungen erlaube jedoch den Blick auf eine Entwicklung, wobei der inneren künstlerischen Logik keine unveränderlichen Gesetze zugrunde lägen, weil sonst Entwicklung vorhersagbar wäre.

Demgegenüber führt Fried in der Linie von Greenberg folgendes an. Seit Wölfflin's "Renaissance und Barock" 1888 könne die Unterscheidung der Stilfolgen entlang interner Dynamik oder Dialektik einsetzen und müsse nicht als Reaktion zu nicht-künstlerischer Faktoren sozialer, ökonomischer, politischer Natur angesehen werden.

Zwar hatte die Kunst der Renaissance in den Bildinhalten und durch die Auftraggeber viel mit Kirche und Staat in dieser Zeit zu tun. Doch darauseinen Einwand gegen die "stilistische oder formale Kritik" <15> abzuleiten, werde spätestens gegen das Ende des 19. Jahrhunderts unhaltbar. Obwohl die Beziehung der Kunst zur Gesellschaft sich inhaltlich radikal geändert habe, ist "der bei weitem wichtigste einzelne Charakterzug des neuen modus vivendi zwischen Kunst und bürgerlicher Gesellschaft, zu dem man während der ersten Jahrzehnte des gegenwärtigen Jahrhunderts allmählich gekommen ist, ... die Tendenz ehrgeiziger Kunst gewesen, sich immer mehr um Probleme und Themen zu kümmern, die in ihr angelegt sind." <16> Und Fried fügt in Ausweitung des Selbstbewußtseins auf die Malerei als ganze hinzu, daß es sinnvoll wäre, von einer zunehmend selbstbewußten Malerei zu sprechen, sowohl formal wie historisch. Dabei sei "intrinsisch" der wichtigste Begriff, denn dieser habe mit dem Begriff des Mediums zu tun und könne den Dialog von Philosophie und Kunstkritik befördern.

"In einem gewissen Sinn beendete die moderne Kunst in diesem Jahrhundert, was die Gesellschaft im neunzehnten begann: die Entfremdung des Künstlers von den allgemeinen Anliegen der Kultur, in die er eingebettet ist, und das Abkoppeln der Kunst selbst von den Anliegen, Zielen und Idealen dieser Kultur."<17> Spätestens mit und nach dem Kubismus gelte der "stilistische Wandel als Ausdruck der Entscheidungen individueller Künstler, sich mit den besonderen formalen Problemen zu beschäftigen, die durch die Kunst der jüngsten Vergangenheit aufgeworfen wurden". <18> Wenn derart die Hegelsche Konzeption der Kunstgeschichte (Wölfflin, Greenberg) auch nicht problemlos auf die ältere Kunst anzuwenden sei, dann dafür umso mehr für die aktuelle Entwicklung der Moderne, besonders die Malerei.

Eine Dialektik des Modernismus sei seit Manet am Werk, und Fried meint damit explizit Hegels historisches Fortschreiten, den jungen Marx und Merleau-Ponty <19>. In der Dialektik dieser drei Positionen sieht er das "Ideal einer Aktion als radikale Kritik ihrer selbst, gegründet auf ein Verständnis der eigenen gegenwärtigen Situation, das so objektiv sein soll, wie man es zu erarbeiten imstande ist." <20>

Fried hebt vervor, daß dieses Ideal einer als Kritik realisierten Aktion kein Ziel oder Gesetz der Geschichte brauche. Das Revolutionäre dieser Aktion besteht eben in einer radikalen Selbstkritik ohne Ende, wie sie in der Politik nicht realisierbar sei <21>. Während die moderne Malerei nie auf einen Stil und damit auf einen Fortschritt im alten Sinne ausgerichtet gewesen sei, hätten einige wenige Maler durch ihre Kritik an der modernen Malerei der jüngsten Vergangenheit einen Fortschritt errungen. Erst eine so verstandene Dialektik der Moderne garantiert für Fried eine Erneuerung der traditionellen Werte, zumindest jener, die nicht direkt der Repräsentation angehören. Der gewaltige Druck an Aktualität auf die Maler in bezug auf die jüngste Vergangenheit könne, so Fried, neben der Beschleunigung der Transformationen innerhalb der Moderne, zum Zusammenbruch führen.

Die Malerei von 1965 beweist für Fried die Fruchtbarkeit eines Barnett Newman von 1950, und zwar wegen seiner Kritik an de Koooning. Damit kommt Fried zu folgender Formulierung: Das Werk von Noland, Olitski und Stella strebe danach, "für die beste modernistische Malerei der Zukunft notwendig gewesen zu sein." <22> Damit ist der Referenzpunkt einmal mehr Merleau-Ponty, für den die Geschichte Fruchtbarkeit oder Reifung einer Zukunft und nicht das Trachten um Effektivität ist. <23>

<1> Michael Fried, Three American Painters, Fogg Art Museum 1965, S. 49 (hier und an anderen Stellen meine Übersetzung, P.M.)

<2> S.5

<3> S.49

<4> ebenda. Siehe den ausführlichen Versuch von Greenberg, einen Begriff von moderner Malerei als Kritik im Anschluß an Kant's Kritik der reinen Vernunft zu gewinnen in dem wohl in Verbindung mit Fried entwickelten Text "Modernist Painting", in: Art and Literature 4, Spring 1965, S. 193-201 (z.B. "ich begreife Kant als den ersten wirklich Modernen<Modernist>"). Jean-François Lyotard knüpft unter anderem an diesen Bezug in dem mit Barnett Newman einsetzenden "Das Erhabene und die Avantgarde". Auf deutsch in Merkur 424, 38. Jahrgang/Heft 2, März 1984, S.151-164.

<5> siehe Frieds Ablehnung der nach seiner Meinung medium-unspezifischen Minimal Art in "Art and Objecthood", Artforum, Juni 1967; wieder in: Gregory Battcock (Hg.) Minimal Art, New York: E.P. Dutton & Co.,Inc. 1968, S.117-147. Der Betrachter kann auch versuchen, die Wahrnehmnugsentfremdung zu kompensieren: siehe Figur 1 in Ernst Machs "Analyse der Empfindungen" (1882) und: Peter Mahr, Ernst Mach - Gestaltwahrnehmung - Minimal Art, in: Rudolf Haller/Friedrich Stadler (Hg.), Ernst Mach. Leben, Werk und Wirkung, Wien: Hölder&Pichler&Tempski 1988, S.404-431

<6> Fried, Art and Objecthood, a.a.O.; den politischen Innen- und Umraum machen Rosalind Krauss und Benjamin Buchloh in ihrer Diskussion von Art and Objecthood mit Fried deutlich, in: Theory of Art after Minimalism and Pop, in: Dia Art Foundation/Hal Foster (Hg.), Discussions in Contemporary Culture, Number One, Seattle: Bay Press 1987, S.55-91

<7> S. 49. "hemmende" übersetzt hier "inhibiting". Inhibiting kann sein, was nicht exhibiting ist (z.B. der Exhibitionist), was nicht ausgestellt oder nicht zur Schau gestellt wird. Das bedeutungsträchtige Wortfeld enthüllt einen ungeklärten Sachverhalt: Meint Fried die Hemmung des Blicksubjekts oder den abwesenden Betrachter?

<8> ebd.

<9> Das Verhältnis von Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Entfremdung und Hemmung ist bei Hegel am ausführlichsten dargestellt in seiner "Phänomenologie des Geistes", z.B. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1970, bes. S.154. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß der von Fried als philosophischer Gewährsmann angegebene Stanley Cavell ein Kunstwerk (in ihrer Möglichkeit zu betrügen) mit einer anderen Person verglichen hat. In dem etwa zur gleichen Zeit wie "Three Painters" geschriebenen "Music Discomposed" heißt es: "Objekte der Kunst ... bedeuten uns etwas nicht nur in der Art, wie Aussagen, sondern wie Leute es tun" , in: Stanley Cavell, Must we mean what we say?, Cambridge: Cambridge University Press 1976 (meine Übersetzung, P.M.)

<10> S.49

<11> Arbeitsentfremdung und historischer Entfremdung des Menschen überhaupt: Fried meint erstere (Hegel: Selbstbewußtsein), zielt aber auf zweitere als dashistorische Ereignis für Manet, den Realismus und die Malerei (Hegel: entfremdeter Geist). Siehe Hegel, op.cit.

<12> S.50

<13> Es ist nur eine Frage der Kunstwissenschaft, den Zusammenhang von Hegels romantischer Geschichtsphilosophie und Manet's Malerei als einen der Verzögerung oder Umwandlung des romantischen Dispositivs aufzunehmen; siehe Klaus Lankheit, Die Frühromantik und die Grundlagen der 'gegenstandslosen' Malerei, in: Neue Heidelberger Jahrbücher 1951, S. 55-90

<14> Fried zitiert Hilton Kramer's Besprechung von Art and Culture in: Arts 37/1, S.60-63

<15> S.7

<16> ebd.

<17> S.7

<18> S.8

<19> Er weist hin auf den jungen Marx, wie er von Georg Lukács in dessen "Geschichte und Klassenbewußtsein" von 1923 dargestellt wird, und auf Maurice Merleau-Ponty's "Die Abenteuer der Dialektik" von 1955.

<20> S.8. Aufschlußreich hinsichtlich Michael Fried's Ideal der Aktion sind Merleau-Ponty's Ausführungen zu Leo Trotzky's revolutionärem Realismus am Anfang des Kapitels "Die Dialektik in Aktion" aus den "Abenteuern" (op.cit.) und die Kritik des französischen Intellektuellen im "Epilog" des selben Buches: Wenn man alle Bedeutung der Geschichte auf die Arbeiterklasse und ihre Repräsentanten übertrage, dann gebe es keine manifeste Dialektik zwischen denen, die handeln, und denen, die jene beobachten und mit der Wahrheit ihrer Aktionen konfrontieren - damit aber auch keine Möglichkeit, jene zu ersetzen, die an der Macht sind.

<21> Vgl. die Position von Merleau-Ponty.

<22> S.9. (1999: Lyotard wird das Pathos der Vorzukunft für die Postmoderne-Theorie übernehmen, ohne sich noch auf die politische Kraft der Avantgarde verlassen zu könen.)

<23> M. Merleau-Ponty, Signes, 1960. Im Kapitel "Indirekte Sprache und die Stimmen der Stille", das sich übrigens mit der Sprache der Malerei beschäftigt, heißt es von der Geschichte, daß sie die Reifung einer Zukunft in der Gegenwart sei, und von der Aktion, daß es nicht um Effektivität, sondern um Fruchtbarkeit ginge.

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Daß nach all dem die Kunst seit langem in die Nähe von Problemlösung gerückt ist, läßt die Unterscheidung von Problemen in der Moral und Problemen in der Kunst hinfällig werden. Fried meint, daß ein Kunstwerk genau so viel Grund haben, genau so notwendig sein muß wie eine Aktion <½>, die auf einmoralisches Problem reagiert, die an einer Situation nicht vorbei-, sondern durch sie hindurchgeht.<*>

Während man der vormodernen Kunst noch Unbefangenheit und Willkür zubilligen konnte, sei dem modernen Maler seine Bindung zu den besonderen Problemen der jüngsten Vergangenheit wenn nicht aufgezwungen, so doch auferlegt. Mit der Ablösung der modernen Malerei von der Gesellschaft "hat die aktuelle Dialektik ... immer mehr die Dichte, Struktur und Komplexität der moralischen Erfahrung angenommen, das heißt vom Leben selbst, aber von einem Leben, wie wenige es zu leben gewillt sind: in einem Zustand fortgesetzter intellektueller und moralischer Wachsamkeit." <?> Damit aber muß der formale Kritiker zu einem moralischen Kritiker werden.

Doch betont Fried, daß dieser Typ von Kritik weder durch Selbstermächtigung, noch durch Reaktivität entsteht. Nicht die direkten künstlerische Aktionen in Richtung Gesellschaft rufen eine Kritik auf den Plan (die ideologisch und politisch wäre). Noch ist die Kunst eine Kritik des Lebens, dem ein entsprechendes Korrektiv zur Seite gestellt werden würde. Es ist das Wesen der modernen Malerei als Selbstkritik, welche den neuen Gemälden eine formale Kritik nahe sein läßt. Es ist daher die Beobachtung (und nicht das Urteil), mit der die formale Kritik anknüpft.

Man mag beklagen - räumt Fried ein - , daß Kritiker wie Roger Fry und Clement Greenberg sich ausschließlich auf eine formale Charakteristik konzentrieren, doch spreche deren Auswahl für sich: Manet, die Impressionisten, von Seurat, Cézanne, Picasso, Bracque, Matisse, Léger, Mondrian, Kandinsky, Miró. Gerade weil Dinge, Personen und Orte, weil die Situation der Herstellung eines Bildes nicht zur Gänze aus der Betrachtung ausgeschlossen seien, könne die Behandlung der angestrebten Themen eine Menge einbringen.

Doch weder die beabsichtigten Inhalte, noch die Weise der Herstellung lassen den Wert der Arbeiten eines Künstlers abschätzen. So könne man Gemälde mit einer Fülle an menschlichen Inhalten mit Gemälden ohne Inhalt vergleichen und gelange dazu, sie aus formalen Gründen zu verwerfen. Interessant, daß Fried an dieser Stelle Picasso's "Guernica" formal distanziert, jedoch seine Kritik auf Grund der möglichen Fülle des Inhalts in ihrer Gültigkeit begrenzt. Wenn auch der Inhalt relativ bleibe (er hänge von je verschiedenen Gefühlen ab), wenn auch der formale Kritiker seine Eingebungen intellektuell prüfen muß, und wenn er sogar vor der formalistischen Rhetorik privater Enthusiasmen auf der Hut sein muß - , die Werturteile der formalen Kritik bleiben unverbindlich, wenn sie nicht in der Erfahrung begründet sind. Wenn "jemand nicht spürt, daß ... Matisse's "Klavierstunde" oder Pollock's "Herbstrhythmus" herrliche Bilder sind, dann können keine kritischen Argumente die Stelle einnehmen, es zu fühlen." <+>

Doch trotz der Relativität jedes objektiv angesetzten Urteils findet der formale Kritiker in der formalistisch bewußten Malerei seine Stütze. Der formale Kritiker wird nicht nur die Bedeutung der genuinen Forschungen der neuen Malerei abwägen. Er wird fortschrittliche Arbeiten aussondern, wird Mängel in den vorgeblichen Lösungen von formalen Problemen aufweisen, und er wird (seltener) die wichtigen formalen Punkte der Aufmerksamkeit der Maler nahe bringen. Daher bleibt das Risiko, im Unrecht zu sein, für ihn genau so wie für den Maler. Aber wie in jeder Produktion ist der Irrtum der Irrelevanz vorzuziehen: nur so könne sich die Unsicherheit in der zeitgenössischen Kunstproduktiv auswirken.

<½> "Handlung" wäre hier adäquat, doch bleibt "Aktion", um den Zusammenhang mit Merleau-Ponty's Ideal der Aktion aufrecht zu erhalten.

<*> Fried bezieht sich auf Stuart Hampshire's Artikel "Logic and Appreciation". Dort heißt es: "Ein Kunstwerk ist grundlos. Es ist nicht notwendig die Antwort auf eine Frage oder die Lösung eines präsentierten Problems. ... Aktion als Erwiderung auf irgend ein moralische Problem ist nicht grundlos; sie ist auferlegt; daß es irgend eine Reaktion geben soll, ist absolut notwendig. Man kann nicht an einer Situation vorbeigehen; man muß in irgend einer Weise durch sie hindurchgehen." S.162f. in: William Elton (Hg.), Aesthetics and Language (meine Übersetzung, P.M.).

<?> S.9f.

<+> S.5. siehe eine weitere Bemerkung zur Wichtigkeit des feeling für die Arbeiten von Noland und Olitski auf S.39.

(c) Peter Mahr 1999

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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