mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

1 (1998), Nr. 2/September

Rezension

13. Ästhetik & Kommunikation, 29. Jahrgang, Heft 100. Von Frankfurt zur Berliner Republik, April 1998, Berlin: Ästhetik & Kommunikation e. V., 256 S. Preis: 20,- DM. Die Homepage der Zeitschrift ist www.prkolleg.com/aesthetik. 6095 Zeichen.

Das Heft enthält neben 25 neuen Texten 4 Nachdrucke aus den vorangegangenen 99 Heften, die Listen aller Heftthemen, aller Artikel und Autoren sowie ein darauf bezogenes Autorenregister. Als Illustrationen dienen neben wenigen redaktionsdokumentarischen Fotos die 100 Covers. Ob es an unserer bilderdurchdrungenen Gegenwart liegt oder nicht - , an ihnen ließe sich fast besser eine Geschichte des seit 1970 erscheinenden Periodikums erahnen als durch Elisabeth Haeblers pointierte Einblicke in Produktionsgeschichte und Autorenkollektiv ihrer beiden Texte "Edicollage. Ein Prolog" und "Epicollage. Ein Déjà-vu". Die vier, nicht immer vollständigen Nachdrucke bezeichnen dagegen eine Position des Blicks auf Vergangenheit und Selbstverständnis: Silvia Bovenschen, Über die Frage: Gibt es eine 'weibliche' Ästhetik? - welche seit kurzem im Umlauf die feministischen Gemüter bewegt - gelegentlich auch umgewandelt in die Frage nach den Ursprüngen und Möglichkeiten der weiblichen Kreativität (Ä&K 25, September 1976, S.68-75); Zugangsweisen: Kultur und Gesellschaft. Diskussion zwischen Hermann Bausinger, Utz Jeggle, Martin Scharfe (Ludwig-Uhland-Institut für empirische Kulturwissenschaft), Eberhard Knödler-Bunte und Rolf Lindner (Ästhetik und Kommunikation) am 12. September 1980 in Tübingen (Ä&K 42, Dezember 1980, S.80-85); Michael Vester, Was dem Bürger sein Goethe, ist dem Arbeiter seine Solidarität. Zur Diskussion der 'Arbeiterkultur' (Ä&K 24, Juni 1976, S.88-91); Jochen Rossbroich, Weibliche Rede an den linken Mann. Teils vernommen, teils ersonnen (Ä&K 37, Oktober 1979, S.136-143).

"Ästhetik und Kommunikation". Das ist nicht nur ein Titel der Art, wie sie in Kulturzeitschriften und den geistes- und sozialwissenschaftlichen Zeitschriften des früheren 20. Jahrhunderts zur Diskussion prinzipieller Fragen gepflogen wurde. Man könnte Ästhetik & Kommunikation - die Zeitschrift ist, namensgleich mit Herausgeber und Verlag, ein e<ingetragener>. V<erein>. mit Adresse Wallstraße 60, 10179 Berlin - mit den 70er Jahren verbinden, jenen Jahren, an die die späteren 90er nicht nur in Mode und Musik, sondern auch in Medienkunst und erweitertem Kunstbegriff anknüpfen. Damals schien es, das Leben wäre, im Zeichen eines in den 60ern herbeigeführten Endes der Kunst, durch ästhetische Kommunikation ersetzt und dagegen, in richtiger Weise, ersetzbar. Das heißt, ersetzt durch die immer umfassenderen Medien in Alltag und Freizeit und ersetzbar durch eine Kommunikation, die das Ästhetische weniger thematisiert, als zu eigenen Zwecken verwendet.

Daher würde eher zum Ärger des zur Zeit 18 Personen umfassenden Redaktionskollektivs von einer Kulturzeitschrift gesprochen werden. Dem hätte wenigstens die Anfangszeit nicht entsprochen. (Die Hefte erschienen zuerst, mit Standort Frankfurt, bei Rowohlt.) Wenn schon Kultur, dann war die Ästhetik der Alltagserfahrungen ebenso gemeint und beabsichtigt wie die kulturellen Wirkungen konkret unternommener politischer Praxis. Und als solche war Kultur wohl der wichtigste Bezugspunkt für eine politische Erziehung, wie sie in den Alltag von Arbeit, Beziehungen, Familie, Freizeit eingreifen sollte. Das Register spiegelt das in 13 Gruppen wieder: Pädagogik, Natur und Technik, Kulturtheorie und kulturelle Praxis, Ästhetik, Medientheorie und Medienpraxis, Psychologie, Politik, Soziologie, Philosophie, Sexualität, Religion, Urbanität, Projekte. Ästhetik als Kultur wurde dabei mit Rückenwind versorgt vom seit mehreren Jahrzehnten sich immer stärker einbürgernden Wortgebrauch wie Sachbegriff von "Ästhetik" als eine Erscheinungsweise eines Dinges, als eines Insgesamts von Eigenschaften, als Design. Das Revival traditioneller Ästhetikdiskursformen in den 80er Jahren - postmoderne Ästhetik - konnte dem letztlich nichts anhaben. Den Zug zur Praxis bezeichnet auch "& Kommunikation". So müßte einer theoretischen Ästhetik auch Kommunikationswissenschaft zugeordnet sein. Das soll nicht heißen, daß die Beiträge nicht zur Wissenschaft beigetragen haben. Knut Hickethier, der seit 1978 über Medien schreibt und Medienwissenschaft, von vielen als Kommunikationswissenschaft ausgegeben, lehrt: "Kultur wurde jedoch auch bei Ä&K als etwas angesehen, was gegenüber den Massenmedien durch den je individuellen und gemeinschaftsstiftenden Gebrauch immunisieren sollte."125

Es geht also bei Ästhetik nicht nur um ein wie auch immer bedingte Aussehen von Menschen, Dingen und Prozessen, sondern um ein Programm. Das heißt: statt Theorie Programm und Ziel, eben: Ästhetik und Kommunikation. So waren die Umschläge bis Nr.48 (Juni 1982) immer - mal dezent als Punze, mal flächendeckend als optische Waffe - mit dem Logo (ein den Appropriationismus der 80er Jahre antizipierendes Ab-Bild) eines viereckigen, gelben Firmenschildes versehen, in das der schwarze Schriftzug "Ästhetik und Kommunikation. Beiträge zur politischen Erziehung" und eine schwarze Umrandung eingepreßt waren. Dabei erweist sich der Untertitel als entscheidendes Scharnier: Ästhetik und Kommunikation unter der Perspektive politischer Erziehung, was zunächst einmal politische Praxis bedeutet. Also nicht theoretische Ästhetik in der Philosophie seit dem 18. Jahrhundert Baumgartens, sondern praktische Ästhetik.

Alexander Baumgarten hatte ebenso an eine praktische Ästhetik gedacht, in dem nicht fertig gestellten Buch "Aesthetica" fand sie keine Ausführung mehr. Doch die Einleitung seines ersten Bands spricht immer wieder davon, daß die Ästhetik auch eine Frage der Übung, der Bildung naturwüchsiger Anlagen (felix aestheticus) sowie der Erziehung ist, wie sie später von Schiller als politisches Programm in geschichtsphilosophischer Perspektive und von Marx als kommunistische Gesellschaft des Wirbeltierkonsums entworfen werden sollte, "morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe" (Deutsche Ideologie, A. Die Ideologie überhaupt, namentlich die deutsche. <Abschnitt> Geschichte). Im zwanzigsten Jahrhundert wurde das Verhältnis von Ästhetik und Kommunikation durch die Ästhetisierung von Politik und Konsum geprägt. Die Anknüpfung an die Tradition klassischer Theoreme blieb dabei problematisch. Inzwischen sind die Begriffe "Ästhetik" und "Kommunikation" so zerfasert wie ihre Phänomenbereiche vielfältig. Eine inhaltlich-programmatische, geschweige denn politische Perspektive scheint. kaum noch möglich. Beides aber war unabdingbarer Antrieb für paradigmatische und nachhaltig wirkende Aufsätze wie demjenigen von Bovenschen. Was können also Ästhetik und Kommunikation für die Geschicke der Ästhetik in den kommenden Jahren bedeuten?

Peter Mahr (c) 1998

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