mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

1 (1998), Nr. 2/September

L'Art philosophique

5. Agonistik der Zeichen. Was könnte Graphikdesign mit Philosophie zu tun haben? Überlegungen im Rückblick auf "Signs of Trouble. Internationale Positionen im Graphic Design der 90er Jahre", eine Veranstaltungsreihe von basis wien (www.basis-wien.at/). 16044 Zeichen.

Signs of Trouble. Internationale Positionen im Graphic Design der 90er Jahre. - - - Eine Veranstaltungsreihe von basis wien (Bundeskuratorin Lioba Reddeker; Walter Pamminger, Idee und Konzept; Christian Muhr, Produktion; propeller z, Graphik und Bühne) in Kooperation mit der Akademie der bildenden Künste im Atelierhaus Semper-Depot, 10. 3. bis 10. 6. 1998: The Designers Republic, 2 x 4, ag4, i³o 360°, Mevis & van Deursen, David Crow, Cornel Windlin, Anne Burdick, Jonathan Barnbrook, J. Abbott Miller, Tomato.

SItroubleGNS OF. Das sind zwei Worte, die visuell, graphisch durch Groß- und Kleinbuchstaben auseinandergehalten werden - Schrift - , aber räumlich, oberflächenmäßig ineinander übergehen - Bild - . Thema ist, daß Graphem und Darstellung nicht mehr ineinander aufgehen. Daraus ergibt sich die Befragung einer Reihe von Aspekten dieser Differenz. Bedingung ist die Digitalität der Zeichenbildung. Die Konsequenzen politischer Art sind potentiell schier unendliche Überschreitungen des Wahrnehmungscodes von Schrift und Bild. Die Konsequenzen ästhetischer Natur sind der Aufstieg des Graphic Designs hin ins als Kunst konstituierte Feld (das sich heute im Zustand der Dynamisierung des Austausches von High Art und Popular Culture befindet), aber auch der Aufstieg der Autoren zu Künstlern (ein neues "jeder ein Künstler") und der Grafikdesigner zum konzipierenden und schließlich schreibenden Autor.

Trouble. Der Titel geht wohl auf David Crow zurück. Die Veranstaltungsreihe hält aber die "Zeichen" eher in einem weitgehend dekontextualisierten Raum fest und stellt sie in einer agonistischen Arena der Performance (Debord: des Spektakels) dar. Es geht also nicht um die politische Intervention im "öffentlichen Raum, indem er <Crow> Seiten seines Magazins Trouble plakatierte." (anon., Prospekt; zum Konzept im Prospekt siehe auch weiter unten) Übrigens hat Crow selbst die geglättete Ästhetik des Zeichens (nicht dieses selbst) gemeint und diese im Rückgriff auf Ralph W. Emerson, vor dem Hintergrund von Punk und Graffitti, in troubles gebracht: "The secret of ugliness consists not in irregularity, but in being uninteresting."(The Conduct of Life, 1860, zitiert in: David Crow, The Cult of the Ugly, in: Eye 9/93, S.51-59, S.57) Dazu genau gegenläufig ist für die Veranstaltungsreihe eine Öffentlichkeit angesprochen worden, die durch Vorausberichterstattung, Interviews, aber weniger durch dreidimensional-räumlich diskursive Auseinandersetzung geprägt war. Eine Reihe von Denkwürdigkeiten, Bedenken, Vordenkerschaften tut sich hier auf. Tausend Leute zu einem Grafik-Design-Vortrag? Kein Problem (Tomato)! Da macht es nichts, wenn es nur 50 Stühle gibt, kalte Stufen zum eingequetschten Sitzen da sind, eine halbe Stunde auf den Beginn der Präsentation zu warten ist, eine ganze, wenn für die Reservierung eines Stuhls Sorge getragen werden wollte. Platzangst. Das Publikum erleidet es willig, es besteht zu 90 % aus Studenten und jungen Künstlern. Da ist 20 Uhr auch kein Problem, "party people" stehen ohnehin erst mittags auf. Verschiedene Veranstaltungstypen fallen einem ein: Popkonzert - der treibende Drum&Bass zum Warten; Fernsehhauptabendprogramm, Fernsehstudio, Multimedia-(Talk?)Show - die Macht der groß projizierten Bilder von Video, Laptopscreen und gleichzeitigen Diapositiven; die zwei- und dreifache Einführung zu den Präsentierenden - ein Politikerjubiläum? Historisch-kurrenziell betrachtet, könnte Europa in einer solchen Veranstaltungsform gegenüber den USA sogar Vorreiter sein kann. Heißt das nun, daß Öffentlichkeit in der Theorie nur mehr in der Form des Theorie-Events gestiftet werden kann? Ein Moment sei zu erwähnen nicht vergesen: die Diaprojektion von SItroubleGNS OF auf der nackten Wand des ehemaligen Depots der österreichischen Bundestheater. Da kam das Temporäre wie früher bei Haus- und (Rave-)Fabrikshallenbesetzungen und die Macht des Zeichens sinnfällig zum Ausdruck. Wie im Fernsehen oder bei den Webbrowsern war das Logo unübersehbar in in den Raum der Konfrontation eingelassen.

Job. All das ändert nichts daran, daß Designer meist in einen rigiden Zusammenhang durch die Clients eingebettet sind, was auch bei den hier vertretenen Grafikdesigners oft durch geschickte Anpassung bis an die Grenze des Konformismus abgefangen wird. Mevis & van Deursens ungeschminkte Darstellung des Scheiterns ihrer Intentionen für eine Tanzkompanie-Plakatwerbung war da mutig und aufschlußreich. Wenn aber der Vertreter von ag4 eine Viertelstunde lang den simulierten Pilotenblick-Loop über eine Stadtrandsiedlung als normal suggeriert, dann kann wohl nur mehr vom Design als Handlanger der Unternehmer- und Verwalterperspektive gesprochen werden. Weiters gaben die transdisziplinären Tomato zu, daß sie sich über brillante High-Energy-Werbespots und Homepagegestaltung auch einmal nach einem Film ohne bestimmten Zweck sehnen würden.

Theorie. Alle Teilnehmer kamen vom Design her. Es hätten grundsätzlich auch Wissenschaftler, Journalisten und andere mit grafischer Darstellung Befasster sein können, also auch Spezialisten wie Designhistoriker, Designtheoretiker, Designphilosophen (so wie Musik- oder Literaturphilosophen) oder - warum nicht!? - Philosophen. John Abbott Miller, der mit Ellen Lupton als "Design/Writing/Research" Grafik-Design gegenwartsbezogen und historisch erforscht und ausstellt (siehe www.kiosksite.com, der Link von dort zur Webpage "Design/Writing/Research" allerdings defunkt) ging als Einziger wenigstens ein paar Schritte in die Richtung eines erweiterten Begriffs des Schreibens als Grafikdesign. Erläutert an zahlreichen Projekten, beziehen sich Miller und Lupton auf Satzzeichen (von den Zwischenräumen her), Fotos als Buchstaben, Formate, Bleisatz, Buchstabenobjekte, sphärische Lettern und luminiszente Typografie. Obwohl Miller Poststrukturalismus und Dekonstruktion im Moment durch den Aufschwung neuer Medien (kinematische Schriftzeichen in 3D) eher aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt sieht, hält er an den theoretische Referenzen zu Psychoanalyse, Foucault, Dekonstruktivismus und zum Derrida der Grammatologie fest. Weil so sehr die visuelle Performance und damit der Künstler in Miller gefordert war, blieb es bei der bloßen Nennung dieser vier Theorieorientierungen. Bedauerlicherweise.

Philosophie. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, wie mit oder neben dem Phonozentrismus durch eine umfassendere und metaphysikkritischen Schriftwissenschaft auch der Raum der schriftlich (?) determinierten graphischen Zeichen eine Erweiterung erführe. Was Jacques Derrida betrifft, so hat er in seiner Grammatologie (<1967> Suhrkamp 1974 und öfter) zwar den Logozentrismus (S.11 u. ö.) der abendländischen Wissenschaftstheorie als einen Phonozentrismus (25) und Phonologismus (180ff.) aufgedeckt. Die Sprache werde durch eine ausschließlich phonisch interpretierte Schriftauffassung entstehungsmäßig und strukturell zum metaphysischen Supplement des Sinns verstellt. Doch hat Derrida in seiner Untersuchung der Schrift auf der von de Saussure vorgegebenen ausschließlichen Relation des alphabetischen Schriftbilds zur Aussprache festgehalten. Bei de Saussures Zerlegung des Zeichens (der Rede!) in Vorstellung (concept, sens; = Signifikat)) und Lautbild (image acoustique <!>; = Signifikant) fällt Derrida nicht auf (55ff.), daß das Wort und die Buchstaben, aus denen sich das Wort zusammensetzt, gerade als Schrift zumindest auch vom "image visuel" her gesehen werden muß. Vermutlich hätte sich Derrida mit einer Analyse des visuellen Aspekts des phonetischen Schriftsystems, wie schon de Saussure, zu sehr in die Nähe ideographischer oder gar piktographischer Schriftsysteme geführt gefühlt (58). Sein Vorwurf an den Schriftgegener de Saussure, er verkenne die Schrift als sprachtötend (68), als Ansteckung "der Sprache im Augenblick der 'Notation'"(61), beraubt sich der Hilfe, die eine Betrachtung der visuellen und materiellen Anteile der Schrift ergäbe. Daß die Schriftkultur nicht nur phonetisch ist (90), das Graphem das Phonem nicht abbildet (79f.), dies zu beweisen, bleibt Derrida so auf halbem Weg stehen. Derridas Eingehen auf den graphischen Text (104), Spur (106ff.) und Linearität (153, 8) erlaubt ihm nicht, die Schrift und ihre Zeichen in ihrer Plastizität zu begreifen. Kein Aspekt der Fläche oder des Raumes, kein Aspekt des Stils der Schrift, aber auch nicht des Bildes allgemein gerät in Betracht. Die Zwischenräume von Mallarmés Coup de dés (119) bilden Derridas weiteste Annäherung an diesen Bereich.

Moral. Traditionell hat Design nichts mit Wahrheit zu tun, sondern mit der Gestaltung von Wahrheit und Lüge. Außermoralisch gesehen sind Zeichen abgenutzte Metaphern, "Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen." Was für die Metapher, gilt auch für die Zeichen. Wenn der Mensch sich nicht "als Subjekt, und zwar als künstlerisch schaffendes Subjekt, vergißt" (Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn, Teil 1), dann taucht jene verunsichernd unaufhörliche Bildung neuer Metaphern wieder auf, die durch historisch lange Gewöhnung in den Untergrund gedrängt worden war. In der Linie Nietzsches ließe sich sagen, die Einbildungskraft bemächtigt sich der Schriftzeichen und verformt sie bis an die Grenze der Unkenntlichkeit, um neue Gehalte zum Vorschein zu bringen. So stellt sich Jonathan Barnbrook - unter www.virus.net werden acht Schrifttypen verkauft, etwa <Charles, Marilyn> "Manson" - in ein mimetisches Verhältnis, indem er autoritär oder mittelalterlich (postgotizistisch) anmutende Schriftformen aus Holz und Stein gegenwärtigen Situationen aussetzt, während M/M Pommes frites oder Büroklammern zu Elementen für neue Schriftsätze ablichten.

Prospekt. Diese Wahrheitsforschung hat das Design alten Stils abgelöst, das seine Wahrheit im Ethos der guten, klassischen Form der Schrift von Bodoni, Helvetica und Times sah. Ohnehin hat Graphikdesign im heutigen, starken Sinn - Graphik im Sinn von Druck- und Reproduktionsgraphik und Design von Graphemen aus dem Schriftsatz heraus und darüber hinaus - mit signifizierenden Oberflächen zu tun. Auch wenn das Konzept sich besser davor gehütet hätte zu affirmieren, daß "Design ... zum Motor unserer visuellen Kulturen <wird>" (Prospekt), dann scheint das Konzept doch intuitiv die Basis der Auswahl der bedeutendsten Künstler in diesem Bereich abgegeben zu haben. Die theoretische Expliziertheit hinkt leider hinterher. Außer der Kurzbeschreibung im Prospekt gibt es keine ausführlichere Positionsbestimmung der Signs of Troubles. Daß der Computer die Stellung der Designer und der Wahrnehmung verändert, - klar! Daß graphische Oberflächen in Aussage und Qualität autonom geworden wären, - was heißt hier autonom?! Daß das Graphische über Pop, Mode, Unterhaltung (wenn diese drei überhaupt auseinanderzuhalten sind) in die Bereiche des bewegten Bildes und der Netzwerke expandiert, ist eine wichtige Beobachtung und wurde auch von den ReferentInnen demonstriert - besonders sei hier auf Anne Burdick und das von ihr mitherausgegebene electronic book review www.altx.com/ebr verwiesen (die Homepage von The Designers Republic www.thedesignersrepublic.com ist leider oft offline). Wie sich das Graphische in Videoclip und Internet (Kino fehlte, Vorspanne!) verändert hat, wie die Zeichen wirklich zu laufen und sich zu verformen begannen, wurde gezeigt, aber kaum analysiert. Dafür erwiesen sich die behaupteten Transfers von Kunst, Architektur und Literatur (wenn auch nicht der Philosophie) ins Grafik-Design aufs Eindrucksvollste. Während der Einblick in Tätigkeitsfelder und Stile, aber auch Arbeitsformen mit allen Anschauungsmitteln wie Diapositiven, Videos, CD-ROM- und Internetprojektionen bei den meisten VertreterInnen sehr weit reichte, was es bei den theoretischen Konzeptionen nicht ebenso bestellt. Ein Verhältnis der Anwendung von Theorie auf Praxis wurde von 2 x 4 (Michael Rock, Susan Sellers) als modernistisch zurückgewiesen, dagegen von i³o 360° als integraler Bestandteil ihrer Arbeit angesehen (siehe auf ihrer ausgereiften Homepage Steve Cannon's Text Toward an Aesthetics of Digital Art, 1998, unter parasite.io360.com/aesthetics.html). Wenn schon Grafikdesign im starken Sinn, dann auch als theoretische Aktivität! Daher muß sie sich auch dagegen wehren, "in Zeiten steigender Zeichenbelastung unter die Künste des Ordnens" (Prospekt) subsumiert zu werden. Solche "Künste", die ohnehin von zahllosen Interfaces erledigt werden, würden nur eine reaktive Registrierung und Verwaltung, nicht aber eine Kunst im ästhetisch-philosophischen Sinne darstellen.

Kürzel. Einige allgemeinere, zunächst historische Bemerkungen seien am Platz. "Graphics" und Lyrics bedeuten Zeichnung und Dichtung in einer reduzierten, kürzelhaften Form. Hinsichtlich der Produktion von einzelnen Werken könnte bei Graphic Design modern und ohne spezifische Rücksicht auf Bild und Schrift von der Kunst des Kürzels gesprochen werden (auch hätte sie inzwischen Eingang in die Musik gefunden, die "acoustics" wären dann die Signations und Djingles im Radio). So ließe sich eine Linie vom Emblem zur Logokunst des corporate design beziehungsweise von der Kurzschrift (J. Willis +1628, F. X. Gabelsberger +1849) über den elektromagnetischen Schreibtelegraphen (1837, Morse) zur Schriftdigitalisierung ziehen.

Dichtung. Von den kleinen literarischen Gattungen - nach Gottsched in der Antike Sinngedichte, Grabschriften (Epigramme) und Überschriften sowie neuzeitlich Wahlsprüche, Sinnbilder und ihre Überschriften (Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen, 4.Aufl., 1751) - läßt sich schließlich über die Inkludierung des Zeitungsletterdesigns im synthetischen Kubismus, den Montagen eines John Heartfield und die surrealistischen Wort-Bild-Poeme Apollinaires und Magrittes ein Bogen schlagen zur postliterarischen Analyse von Pop und Concept Art. Dort wurde einerseits der Sinnentleerung des Interior Design, wie es die Schöner-Wohnen-Zeitschrift Today's Homes unfreiwillig festhielt, ironisch das bunte Leben von POP entgegengestellt: "What Makes Today's Homes So Different, So Appealing?" (Richard Hamilton, 1956). Andererseits tat sich in der Reduktion der Konzeptkunst die Irreduzibilität der Schrifttype auf: Selbst die damalige, von Joseph Kosuth und anderen zumeist verwendete Schreibmaschinentype, konnte sich einer bestimmten Ästhetik nicht entziehen, die mit Benjamin Buchloh, wenn auch nicht aus den von ihm vertretenen Gründen, als "Ästhetik der Bürokratie" bezeichnen könnte (in: October, Nr.55, Winter 1990). Aufgrund dieser Irreduzibilität haben sich denn auch post-/neokonzeptualistische Künstler in einer "Kampfmaßnahme" bewußt für eine bestimmte Schrifttype (und Fotoästhetik) entschieden (Barbara Kruger) und die spezifische Materialität des Schriftträgers - elektronische Schriftlaufbänder oder Marmorbänke - und seinen Umraum thematisiert (Jenny Holzer).

Stil. In die Entwicklung geht aber auch der Stil ein. Von stylos, dem Stift oder Stiel oder Griffel also, sollte sich die persönliche, dann individuelle Schreib/Zeichenweise zu einer vorbildlichen, dann im Sinne einer "Sprache", einer allgemein verbindlichen Schreib/Zeichen/Designweise entwickeln: Stil. - Auch ein materieller Aspekt mischt sich ein. Gegenüber Blei und anderen Materialien hat sich über lange Zeit jener (Kohlen-)Stoff durchgesetzt, der dem ihn fassenden Stift den Namen geben sollte: Graphit. Evident, daß die Beziehung der Bezeichnung auch in die andere Richtung geht. Die Verwendung jenes Stoffs im Zeichnen, wie sie sich in Haltung, später auch materiellem Hilfs-Gestell niederschlug, sollte dem Stoff den Namen geben.

Kunst. Damit eng zusammen hängt die Herausbildung des Designs zum Graphic, Book, Industrial, Visual Design zusammen. Für die Moderne mußte dabei das Verhältnis von disegno und pittura geklärt werden. Gegenüber dem allographischen disegno (Entwurf) für die Multiplikation in der seriellen Produktion konnte sich zunächst der autographische disegno behaupten, der seine Kraft vom Ingeniösen der künstlerischen Ausführung in der Malerei noch zu einem Zeitpunkt beziehen sollte, als - spätestens ab dem Expressionismus - der entwurfshaften Zeichnung selbst autographischer Rang des Ausgeführtseins zugesprochen wurde (und die Bürde, Zeichen für etwas zu sein, abgenommen wurde). Damit einhergehend wurde der technische Entwurf mit der ästhetischen Stellung des Entwurfs in den dekorativen Künsten nobilitiert (Historismus und Jugendstil) - "das" Design rückte endgültig in den Rang der (angewandten) Künste auf. Buchgestaltung sollte bald als eigenes Fach mit weitgehenden Bereichen wie Schrift, Satzspiegel, Illustrationstechniken, Papier- und Objektgestaltung unterrichtet werden. Von dort war es - unter Hereinnahme der zunächst in Plakaten, Zeitungen und anderen Periodikas wie Druckschriften verwendeten Graphien und Druckverfahren wie Litho-, Photo- und Xerographie sowie Holzschnitt-, Linolschnitt-, Rotations-, Offset- und Siebdruck - nur mehr ein kleiner Schritt zur Preisgabe des Leitmediums Buch und der Fixierung des Aufgabenbündels zu Graphic Design.

Ein Zeichen ist etwas, das für etwas anderes steht. Peirce's Definition entspricht genau dem Gewerbe oder der Kunst des Grafikdesigns. Wie für sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, so ist Grafikdesign auch fähig zum Anschluß an die "autonomen" Künste, den Bereichen jener Zeichen, die nicht vorwiegend für etwas anderes, sondern vornehmlich für sich selbst stehen. Vielmehr noch kann Grafikdesign subversiv wirken und die fünf oder acht oder elf Künste aufheben, indem es sich in den Räumen zwischen den Künsten einnistet, im Gesamtkunstwerk Elemente zusammenklebt, die Errungenschaften anderer Künste alltagsästhetisch diffundiert oder zum Developer von Technologien visueller Kommunikation avanciert. Indem es sich also in der Regel exogenen Zwecken verpflichtet und Produktionen anhängt, von deren Erfolg der seine selbst abhängt (den es daher über ein Gesamtmarketing anstrebt), wird Grafikdesign nicht über Theorie vermittelt oder durchgesetzt. Quo vadis, Theorie? Ohne die historischen Selbstverständnisse - nowhere.

Peter Mahr (c) 1998

Feedback: mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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