mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

4 (2001), Nr.1/März

Miszelle

9. Einbildungskraft. 2026 Zeichen.

 

Eine kleine Beobachtung: Die archiv- bzw. büropapiertaugliche 10-Punkt-Größe der eingestellten Schrift von Word hat sich auch als gleich kleine Schriftgröße für Homepages und deren Editorenprogramme durchgesetzt und wird sogar, zur Zeit modemäßig, als erstaunlich kleines Schriftdesign von Print-Magazinen übernommen. Worauf beruht dieser wundersame Übersetzungsfehler betreffs der ursprünglichen Buch-10-Punkt, der sich über den A4-Ausdruck zur 11-Punkt und zum 12- oder 14-Punkt des Internets wandeln müßte? Diesen Fehler werden die Computerhistoriker einst untersuchen, einschließlich der Optoontogenese der Kurzsichtigkeit, die mit der erzwungenen Nähe zum Bildschirm einhergeht. Sie läuft auf nichts anderes hinaus, als uns in den Bildschirm hineinzuziehen und in ihm verschwinden zu lassen, auch mental. Der schottische Film "Trainspotting" hat den Sachverhalt veranschaulicht. Einer der Protagonisten blickt und langt so weit in die Klomuschel, in die die Heroinnadel - Symbol unserer Computerabhängigkeit - hineingefallen war, daß er baconesk vom Abfluß mitgerissen wird und sich ebenso wie die Nadel in einer imaginären, braunen, stinkenden Höhle wiederfand. Sollten uns die mehr und mehr einhüllen Monitore, anstatt uns die Konzentration auf Objekte visueller Arbeit zu ermöglichen, zu den wenn auch saubereren Klomuscheln werden, in denen wir abgeschieden mehr oder weniger sauberen Geschäften nachgehen? Woher kommt die Sehnsucht nach dem nahen Monitor, das Verschleiern des Interfaces? Psychotechnisch gesagt, weil wir die Umgebung vergessen wollen oder müssen. Ökonomietechnisch gesagt, weil uns der das Word-10-Punkt in den Computer ein-lädt. Der Umkehrung des Downloading gemäß, also weg von den Personal Computern, wie es die Industrie will, nun ein Inloading, ein Einsaugen, Einbinden des Subjekts. Das läuft auf nichts anderes als eine Revolutionierung des Einbildung hinaus. Noch bevor also die Computer zur produktiven Einbildungskraft erzogen werden, wandelt sich dieses eine der psychischen Grundvermögen zur passiven Formation. Nicht wir bilden, und nicht wir imaginieren dafür. Sondern wir selbst sind es, die zum Teil eines Gebildes werden, in Zusammenhänge eingeblendet, zu Teilobjekten der Einbildung. Wir sind eingebildet - diesmal aber ganz und gar uneitel und ohne Narzißmus.

(c) Peter Mahr 2001

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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