mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

4 (2001), Nr.1/März

Commented Criticism

7. Hanslick, Wagner und was beim Beckmessern zu beachten ist. 5985 Zeichen.

 

Ob er einen Wunsch hätte, meinte Kaiser Franz Josef zu Anton Bruckner. Dessen Antwort war, wenn er dem Hanslick verbieten möchte, schlecht über seine Musik zu schreiben. Nicht anders Richard Wagner; nur waren seine Mittel direkter, die eines Kaisers für sich, der sich das Recht des am Markt der öffentlichen Meinung ermächtigten Bürgers voll herausnahm. Wagner, von früh auf deklarierter Antisemit (J. M. Fischer), hat nie eine Diskussion mit dem Musikkritiker der Wiener Neuen Freien Presse, Eduard Hanslick, gesucht. Dieser mochte das eine oder andere Werk Wagners scharf kritisiert haben, sein Angriff auf die diffamierend so genannte "verrottete Gefühlsästhetik" im Vorwort seines 1854, 1858 und 1865 die ersten drei Mal erschienenen "Beitrags zur Revision der Ästhetik der Tonkunst", neben harmlosen sporadischen Bezugnahmen auf Wagners Opern im Haupttext, auch auf Wagner gerichtet gewesen sein.

Doch was gab Wagner das moralische Recht, seine nicht gegen einzelne Kritiken oder die Musikästhetik, sondern die gegen die Person und den Menschen Hanslick selbst gerichteten Gehässigkeiten so weit zu treiben, daß er den Text der "Meistersinger von Nürnberg" (1861-67, UA 1868 in München) - ob mit oder ohne "Hanslich", war dann schon egal - in Wien in Anwesenheit Hanslicks vortrug und Hanslicks Namen in die zweite Auflage seiner antisemitischen Broschüre "Das Judentum in der Musik" von 1869 hineinzuschmuggeln?

Es war aber nicht diese simple Inkorporation des von Wagner wie ein Fremdkörper immunisierten Namens "Hanslick", sondern der Meistersinger Sixtus Beckmesser (der im Entwurf von 1861 - auf "häßlich" anspielend - noch Veit Hanslich heißen sollte), der das Verhältnis Wagner-Hanslick berühmt macht. Es ist bekanntermaßen der mit einer Reihe von Attributen von Hanslick ausgestattete Beckmesser, der, entsprechend Wagners Rancune, schlecht wegkommt und als solcher bis in die Alltagssprache Eingang gefunden hat. Das eine ist also, daß der unglückliche Stadtschreiber Beckmesser als unmoralisch gezeichnet wird, daß ihm der Galgen angedroht, Schabernack mit ihm getrieben, daß ihm der Besitz des gestohlenen Preislieds fast aufgezwungen wird.

"Daß der Passus etwa ironisch gemeint sein könnte, wird durch den David <Lehrjunge David verprügelt Beckmesser> des Kontexts weitgehend ausgeschlossen.

Das andere aber ist, daß das redliche Meta-Handwerk im von Wagner sogenannten Gemerke alles Handwerk pedantisch genau hinsichtlich der Einhaltung der Regeln zu überprüft, wie sie für redliche Kunst gelten. Auch das wird lächerlich gemacht. Es bleibt aber in der Substanz der Geschichte um das Preislied unantastbar, weil der funktionelle Wert beträchtlich ist. Beckmesser schneidet daher in der gesamten Oper besser ab, als es sein Ruf will. Die Figur dürfte Wagner unter der Hand immer wertvoller geworden sein, sogar des Mitgefühls wert: er hat ein verantwortungsvolles Amt inne, ist der einzige Intellektuelle, will (was nicht zu verübeln ist) eine gehobenere Stellung durch die Heirat mit Eva, wird durch den erhofften Schwiegervater ermutigt, ist Opfer einer Intrige von Sachs (der ihm dessen Autorenschaft suggeriert), kommt seinerseits durch den schalen Triumph der Sachs-Partei nicht so schlecht weg und wird zum Schluß vom Feldfest nicht ausgestoßen (Wapnewski).

Hanslick mag dem Komponisten Wagner als Klassizist erschienen sein. Was Wagner aber verschweigt, ist, daß, wenn der Fall eintritt, daß die eigenen Grenzen geöffnet und das Regelwerk als von der Genietat überschritten erkannt und gewürdigt wird, ein Kritiker von Format (wie Hanslick) contre coeur auch das können muß. Was Wagner nicht begründet, ist daß seine Entscheidung, Beckmesser im Spiel um alte und neue Kunst auf der Tradition beharren zu lassen, willkürlich bleibt. Überhaupt darf in Erinerung gerufen werden, daß sich die Musik als autonome und dann absolute Kunst gerade darin konstituierte, daß sie - wenn sie es denn im Mittelalter überhaupt je war - vom zünftigen Handwerk zur freien Kunst qua Wissenschaft aufstieg (die sie im Grunde als Musik immer gewesen war). Es hat Wagner daher das musikalische Mittelalter (an der Schwelle zur Neuzeit) durch der Brille der Romantik anders gesehen, als es wirklich war - in der Perspektive der Genies der Spätrenaissance? Sicher ist - für Wagner - nur eines, daß nämlich Wagner selber keines Merkers bedurfte. Dazu stellte er sich in seinem Selbstverständnis schon eigene Regeln auf. Dazu konnte er sich schon selbst sozial zum Durchbruch verhelfen.

Ein anderer Punkt fällt auf, Wagners Sich-Bewegen in den einflußreichsten Kreisen, die das externe Umfeld in eine Schieflage zur opernimmanenten Problematik brachte. Ist das die vieldiskutierte Krise des Liberalismus im späteren 19. Jahrhundert, die dem integralen Moment der bürgerlichen Kunstkritik eine Erschütterung zu dem Zeitpunkt versetzte, als diese gerade selbst an institutioneller Macht zuzunehmen im Begriff war: weitestgehende Verbreitung eines noch intakten Feuilletons, Stärkung durch die universitäre Lehre, Fundierung durch die Autorität der Forschung? Wie dem auch sei, Wagner hat die Instanz der Musikkritik über die Maßen als feindlich empfunden. Daß Hanslick sein Opfer in einer Antikritik wurde, damit ging Wagner - allein einmal die musikalischen Sachverhalte betreffend - zu weit. Es mag den Hanslickianern überlassen bleiben, Wagner dem Gelächter auszusetzen - aber die Chance dazu war von vornherein gering, denn diese kritischen Manöver auf der Ebene war Parodie waren von Anfang an nicht in einem fairen, balancierten, neutralen Raum angesiedelt. An diesem Punkt kommt der Antisemitismus wieder herein. So sehr Beckmesser als Figur und nicht nur als Parodie diskutierbar ist, ebenso sehr war die reale Scherenschnittbrille "Hanslick" im Blick auf Beckmesser vom nur allzu bereitem Publikum schwer abzunehmen. Wagner muß das gewußt haben. Er ist für diese, die offene Interpretation ungerechtfertigt einschränkende Rezeptionseinstellung verantwortlich, von anderem nicht zu sprechen.

Hanslicks behielt die Nerven. Seine Kritik der Münchner Ur- und der Wiener Erstaufführung (1868, 1870) war pointiert in Tadel wie Lob und entfernt davon, vernichtend oder auch nur verletzend zu sein. Auf die Parodie seiner selbst durch Wagner ging er mit keinem Wort ein. Das gilt auch für die später erschienenen Auflagen seiner Schrift "Vom Musikalisch-Schönen". Hanslicks Rolle als Wegbereiter der Musikwissenschaft, die er an der Universität Wien auf einem Lehrstuhl für "Geschichte und Ästhetik der Tonkunst" wahrnahm, ist unumstritten. Der Einfluß auf die Herausbildung des Formalismus neben dem seines Mitstreiters Zimmermann ist noch wenig untersucht. Das Manifest der "tönend bewegten Formen" - das Musikalisch-Schöne - hat wohl die abstrakte Musik des 20. Jahrhunderts in Arnold Schönbergs Folge mit vorbereitet. Und die Diskussion seiner Musikästhetik ist im angelsächsischen Raum bis heute nicht abgerissen.

(c) Peter Mahr 2001

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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