mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), N.4/Dezember

Aesthetica

2. Der nützliche Duft der Blume. Erweiterte Fassung des Sektionsvortrags "Über den Untergang der Ästhetik an der Schwelle der analytischen Philosophie - Moritz Schlick 1909" , gehalten auf "Rationalität Realismus Revision", dem Dritten Internationalen Kongreß der Gesellschaft für Analytische Philosophie, München, 15.-18. September 1997, 18. September 1997. Zeichen.

1 Intro

2 "Grundproblem der Ästhetik" 1: Terrainsondierung bis 1909

3 "Grundproblem der Ästhetik" 2: Darwin und das Spiel

4 "Grundproblem der Ästhetik" 3: Physiologische Ästhetik: G. Allen

5 "Grundproblem der Ästhetik" 4: direkter Faktor

6 "Grundproblem der Ästhetik" 5: Kritik

7 "Lebensweisheit"

8 Der methodologische Schlick

9 Der lebensphilosophische Schlick

10 Der Untergang der Ästhetik

1 Intro

Ästhetik ist allgemeine Theorie der schönen Künste sowie eine Theorie des Schönen und in Erweiterung auch des Erhabenen, Neuen, Pittoresken, Sentimentalischen, Häßlichen, sofern diese Qualitäten auf eine kognitiv angelegte ästhetische Empfindung gegründet werden können. Obwohl es am zu behandelnden Aufsatz Schlicks von 1909 und die gesamte Tendenz seiner Ästhetik erstaunen mag - , dieser klassischen, wenn nicht metaphysischen Fragestellung ist auch Moritz Schlick noch verpflichtet. Die Grundfrage der Ästhetik, die Schlick leibnizisch modelt, ist: "warum erscheint überhaupt irgend etwas als schön?"<1>. Sie wird zwar gleich antimetaphysisch durch ein kausales "warum" näher bestimmt. Dabei denkt der bei Planck ausgebildete Physiker Schlick an eine relationale Ursache, das heißt: an eine causa efficiens. Nicht auf die Eigenschaften des Objekts soll es in der Bestimmung des Schönen ankommen, sondern auf die Ursachen der Wirkung dieser Eigenschaften. Dennoch, dieser Versuch der Erklärung wird kippen und zwar hineinkippen in die Erklärung einer causa finalis. Der Abgrund, der sich dabei auftut, macht nicht nur eine eigentümliche Spaltung im Denken Schlicks aus, sondern geht mit der Verdrängung des Ästhetischen in der (sprach)analytischen Philosophie einher.

2 "Grundproblem" 1: Terrainsondierung

Schlick erhebt gleich zu Beginn seines Textes einen prinzipiellen Einwand, wenn derartige Erklärungen psychischen Grundphänomenen gegenüber versucht werden. Er gilt - es ist die große Zeit der psychologischen Ästhetik - auch für diese. Denn die Gegenstände der Psychologie sind, an Wilhelm Wundt gedacht, komplex. Die Frage nach der Lust als Erstem ist so sinnlos wie Frage nach Grund der Empfindungen: "Alle Empfindungen ... sind ihrer Natur nach untrennbar mit Gefühlen verbunden;/ ... So scheint auch die Frage nach der Erklärung jener Gefühle, die bestimmte Wahrnehmungen begleiten und die wir ästhetische nennen, keinen Sinn zu haben."<2>

Doch in welchem Feld des ästhetischen Denkens bewegt sich Schlick? Ein Jahr, bevor sein Artikel erschien, wurde diese Vielfalt von Ernst Meumann in seiner "Einführung in die Ästhetik der Gegenwart"<3> bündig dargestellt. Breite Ausgangsbasis ist die empirische Ästhetik des Psychophysikers Fechners. Es sei ihm gelungen, erstens methodisch das Experiment in die Ästhetik einzuführen, zweitens theoretisch, die traditionell metaphysischen Fragestellungen einem sekundären assoziativen Faktor der ästhetischen Wahrnehmung gegenüber dem direkten Faktor der natürlichen Empfindungsmechanik zuzuordnen. Dazu steckt Meumann ein allgemeines Untersuchungsfeld des ästhetischen Verhaltens ab, in dem das produktive wie rezeptive Verhalten ebenso wie Kunst und Kultur aufgehoben wären. In diesem Raster befanden sich tatsächlich die Ansätze der inneren Wahrnehmung eigener Erlebnisse bei Lipps, Volkelt, Siebeck, Groos und der Brentano-Schule ebenso wie die soziologische Ästhetik Jean-Marie Guyaus, die Positionen der Sinnesphysiologie bzw. Neurologie eines Hirt oder Carstanien oder die Ansätze der evolutionistischen, biologischen Ästhetik Herbert Spencers und Grant Allens. Doch wie in diesem Meer von Ästhetiken nicht ertrinken?

Schlicks Vorgangsweise besteht nun einerseits in der Konzentration auf "das" Grundproblem, andererseits in der auffallend weiträumigen Reflexion auf den Status der Philosophie. So bezieht Schlick gegen fast alle von Meumann referierten Ansätze und damit auch gegen die Psychologielastigkeit Meumanns selbst Stellung. Schlick geht nicht den Weg der psychologischen Ästhetik in Richtung einer Kunstpsychologie, deren Grundlagen nach 1918 der allgemeinen Wahrnehmungspsychologie entnommen werden würden.<4> Es ist auch nicht die soziologische Ästhetik, die mit Georg von Lukács in diesen Jahren präneomarxistisch vorgestellt wird, deren Vorläufer Jean-Marie Guyau von Schlick einmal kurz gestreift wird - obwohl Schlick neben seinem Physik-Studium in Berlin ab 1900 nicht nur Dilthey, sondern wahrscheinlich auch Simmel gehört hat, der ab 1901 außerordentlicher Professor war.<5>

Schlicks Aufsatz behandelt "in entwicklungsgeschichtlicher Beleuchtung" nun nicht das Grundproblem, sondern die Grundfrage, und zwar eigentlich "Warum wirkt etwas als schön?". Explanatorisch besteht nach Schlick eine Erklärung darin, eine Tatsache auf eine andere zu reduzieren bis hin zu letzten irreduziblen Tatsachen. So gesehen, können psychische Prozesse aber nicht die letzten Tatsachen sein.<6> Man kann dabei gleich unterscheiden, so Schlick, daß, zum Beispiel bei der Kugel, ästhetisches Wohlgefallen wie selbstverständlich hervorgerufen wird, ästhetische Gefühle dagegen erst auf einer sehr späten Entwicklungsstufe auftreten. Weil die Ästhetiker gewöhnlich auf die evolutiv späten Entwicklungen bezugnehmen, sehen sie zum Beispiel den Anteil der niederen Sinne nicht, sehen nur die beiden höchstentwickelten Sinne. Wenn die Evolution als Gesichtspunkt eingeführt wird, dann deshalb, weil sie Schlick eine zeitliche Erklärung erlaubt. Geradezu programmatisch heißt es: "Die ästhetischen Phänomene sind danach Entwicklungsprodukte aus einfacheren, jedenfalls ursprünglicheren psychischen Funktionen, und von ihrer Erklärung kann nur insofern die Rede sein, als sie auf diese letzteren zurückgeführt, in gewissem Sinne als deren Spezialfälle erkannt werden."<7>

Schlick muß damit eine immanent psychogenetische Erklärung zurückweisen - das ästhetische Gefühl oder das ästhetische Gefallen ist keine letzte Tatsache. Wundts völkerpsychologisch-entwicklungsgeschichtliche Methode ist vom Ansatz her beschränkt, weil sie die Biologie nicht integrieren kann. Und Schlick ist gegen Fechners Psychophysik als umfassende Methode, weil nicht klar ist, ob mit ihr wirklich einfachste ästhetische Prozesse untersucht werden - ein Gemälde mit vielen Figuren kann einen einfacheren psychischen Prozess, eine geometrische Figur auslösen. Zudem sind für das ästhetische Urteil komplizierte, psychische Anlagen erforderlich.<8> Gibt es Fechners direkten Faktor überhaupt? Gibt es ein Element, das uns der Frage nach der ästhetischen Impression näher bringt? Nein, denn diese Selbstbeobachtung ist laut Schlick unmöglich. Auch ist die ursprüngliche Empfindung, die des Tastens, wegen der inzwischen erfolgten Entwicklung der anderen Sinne gar nicht mehr zugänglich. Die Sinne sind elementar in genau der Hinsicht, daß sie eben nicht weiter analysiert, das heißt auf andere Elemente zurückgeführt werden können. Somit kann das Element - der direkte Faktor - psychologisch nicht erklärt werden. Weiters bestimmt das Wirklichkeitsbild die ästhetischen Gefühle, "die Assoziationen haben nicht mehr ein so freies Spiel."<9> Die experimentelle Methode Fechner kann die einfachsten Fälle - Objekt und Psyche - nicht erreichen.

Dagegen aber verfolgt "die entwicklungsgeschichtliche Methode ... die Ausbildung der psychischen Funktionen zurück bis zu ihren einfachsten Formen"<10>, wenn sie auch nur gedanklich, nicht experimentell rekonstruiert werden kann.<11> Wenn die Empfindungen sich aus dem Tastsinn entwickeln - mit Fechner könnte man entgegnen, daß diese Reduktion nur die blinde Nachtansicht anspricht - , so sind doch die einzelnen Sinne wie die Sinnesqualitäten wesensmäßig verschieden, daher auch irreduzibel. Man könnte mit Schlick sagen, sie sind historisch-evolutiv irreversibel entstanden. Zudem müßten mit Fechner das Element als direkter Faktor und sein analysierbarer Teil als indirekter Faktor unterschieden werden. Nur insofern dem ästhetischen Eindruck die Bildungsweise "angesehen" werden kann, handelt es sich um den indirekter Faktor. Auf ihn, so Schlick hier wiederum ganz in der Linie der Fechnerschen Ästhetik von unten, hat sich die Ästhetik immer bezogen. Wenn daher die ästhetischen Lustgefühle sich als worauf immer irreduzibel herausstellen sollten, dann wäre der direkte Faktor gewonnen. Das ist das Ziel der Untersuchung. Am Schluß wird es heißen: "Nur diese wenigen Vermutungen über die Natur des direkten Faktors seien hier ausgesprochen. Das eigentliche Gebiet der psychologischen Ästhetik macht doch die Erforschung des indirekten Faktors aus."<12>

Wenn Schlick die psychologischen Philosophen wie Fechner kritisiert, dann weniger um deren Methode in ihrem Bereich zu bestreiten, sondern um einem reduktiv naturwissenschaftlicheren Ansatz den Hintergrund einer Bühne zu geben. Die Naturwissenschaftlichkeit der Psychologie, wie sie 1909 noch immer von der Philosophie zu emanzipieren im Begriff ist, müßte nach Schlick zumindest um eine Physiologie erweitert werden, die nun ihrerseits von einer evolutionistischen, das heißt phylogenetischen Perspektive geprägt ist.<13> So will es der Titelzusatz "in entwicklungsgeschichtlicher Beleuchtung". Hier bringt Schlick Darwin herein, zunächst in bezug auf die Sinne.

3 "Grundproblem" 2: Darwin und das Spiel

Damit meint Schlick nun die Umgebung eines Organismus - sein zweiter Schwerpunkt. Wenn die Ästhetik das Studium des Nutzlosen im Psychischen ist, das heißt der Lust am Schönen - vergleichbar der Lust am Nützlichen - <14>, dann scheint es möglich, derart die "Entwicklung der ästhetischen Werte aus nichtästhetischen"<15> zu erklären. Wenn die Lust aber arterhaltend und damit auf Zwecke orientiert ist, wie ist es dann "möglich, daß Lust durch etwas erweckt wird, das mit dem Nutzen, mit Selbsterhaltung und Fortpflanzung gar nichts zu tun hat?"<16> Schlick räumt ausdrücklich ein, daß bei niedrigen Entwicklungsstufen der subjektive Zweck des Handelns noch nicht vorhanden sei, daß es psychische Ursachen von Handlungen erst bei intelligenten Lebewesen gebe. "Wie ist es (objektiv und biologisch) möglich, daß der Anblick von etwas Nutzlosem Lust erzeugen kann?"<17> Was mit dem Erreichen von Selbsterhaltung in der Arbeit nichts mehr zu tun hat, was also nutzlos geworden ist, kann nur eines sein: Spiel. Das Spiel ist Schlick aber das Wesentliche der ästhetischen Betätigung. Ästhetisch ist die Freude an Sinneswahrnehmungen um ihrer selbst willen<18>, ästhetisch ist die Muße, die Ruhe vom Kampf ums Dasein. Damit scheint der Nutzen der ästhetischen Funktionen als letztes Erklärungsprinzip bestätigt.<19>

Schlick kann hier mit Spencer und seiner Schule an Schiller anknüpfen, der mit seinem "Spieltrieb" schon mehr als hundert Jahre früher eine geschichtlich determinierte "bio-"anthropologische Konzeption verheißen hatte.<20> Daher ist allein die "Konzeption des Kunstwerks ... das Ästhetische, Künstlerische, der Rest des Schaffens ist Handwerk und Arbeit."<21> Zugleich erscheint das Spiel in den Rang einer anthropologischen Konstante gehoben und damit aus der bloß, wenn auch transzendentalphilosophischen begründeten, "psychologischen" Bindung freier Einbildungskraft mit gesetzmäßigem Verstand herausgenommen.<22> Damit kommt er einer Ästhetik ohne Kunsttheorie nahe, einer Identifikation von Leben und Kunst, wie sie für den Jugendstil und die Bewegungen um 1900 wesentlich waren.

Was die Kunst betrifft, kann Schlick den Gegensatz zwischen "ästhetisch" und "nützlich" nun als den von Spiel und Arbeit entwicklungsgeschichtlich über den subjektiv-psychologischen Standpunkt hinaus objektivieren. Er meint dabei - gegen Meumann - weder Spiele auf Gewinn noch Spiele auf Sieg. Sie verblieben für Schlick wohl in der Sphäre der Selbstbehauptung, des wie immer verfeinerten Kampfs. Doch davon abgesehen könne das künstlerische Schaffen nicht als Tändelei, als Spielerei, sondern nur als Lebensaufgabe angesehen werden. Mehr noch, sie ist edles Vergnügen - daher der umfassendere Spielbegriff, der über die Zerstreuung hinausgeht, die nur partiell als Ablenkung von den kleinen Sorgen gerechtfertigt sein könne. So kann das Werk ernster, wirklicher Arbeit gegen Spiel und Amüsement nicht ausgespielt werden. Gerade die rein biologische Betrachtungsweise der leiblichen Spiele sei im Recht, die Kunst und die Wissenschaft als ein Spiel zum Vergnügen aufzufassen.

Allgemein führt Schlick die Entstehung des Schönen und der Kunst auf den Nutzen zurück und davon separat wiederum auf "das zufällige Auftreten eines ursprünglichen, direkten Faktors ."<23> Da aber der direkte Faktor in erster Linie nicht herangezogen werden soll, kann mit Darwin das Fundamentalproblem nicht gelöst werden - bestenfalls durch Übertragung auf andere "schöne" Objekte.

Weiters geht es um die Rolle der Sexualität. Wenn wie bei Darwin der ästhetische Sinn eine Funktion der Gattenwahl des Weibchens ist - etwa für das schöne Gefieder, den schönen Pelz des Männchens - , dann ist nach Schlick nicht nur der Nutzen, sondern einmal mehr das Spiel der wesentliche Gesichtspunkt der Erklärung. Die Anwendung der Erklärung mit der ästhetischen Aufmerksamkeit für als schön nur vorgestellte Objekte entspricht nicht der "logischen Seite der Frage nach dem Ursprung des Schönen".<24> Schlick beantwortet daher die Frage, warum Objekte als schön wirken, mit dem Hinweis auf Befindlichkeit. Im Zustand völliger Befriedigung kann ein ehemals nützliches Objekt mit Lust begleitet und Inhalt einer schönen Vorstellung sein, und das, je mehr der tatsächliche Nutzen durch äußere Umstände verschwindet. Das betrifft Schlick zufolge jegliches kulturelles Unterfangen.<25>

4 "Grundproblem" 3: Physiologische Ästhetik - G. Allen

Größeren Raum nimmt die Beschäftigung mit Grant Allen ein, mit dessen physiologischer Ästhetik.<26> Sie dürfte nicht unabängig von Nietzsches Ausführungen "Zur Physiologie der Kunst" vor sich gegangen sein.<27> In Allens Ansatz erscheint die Lust als mit der Vorstellung von "nützlichen" Objekten assoziiert, die mit dem direkten Faktor verquickt ist. Dieser sollte aber laut Schlick nur ein letztes Zufluchtsmittel sein. Die Lust am Schönen kommt demgemäß von der Lust der sexuellen Befriedigung, die auf Objekte übertragen werden, die als schön erscheinen.

Doch wegen der Vermengung mit dem direkten Faktor entspricht Allen "mehr der zeitlichen, als der logischen Seite der Frage nach dem Ursprung des Schönen"<28>. Diese Festellung erstaunt, denkt man an Schlicks Insistieren auf seinem evolutionären Standpunkt. Für eine angenehme Vorstellung - wenn ein lustspendendes Objekt im Zustand der Sättigung gesehen wird - gilt: "Je inniger nun dies Lustgefühl mit der Vorstellung sich unmittelbar assoziiert und je mehr einerseits das Bewußtsein von der Nützlichkeit des Objektes, wenn vorhanden, andererseits vieleicht durch äußere Umstände seine tatsächliche Nützlichkeit verschwinden, um so mehr nimmt das Angenehme der Vorstellung den Charakter des 'Schönen' an."<29> Das klingt nun wie Entwicklung im 19. Jahrhundert, wie Fortschritt, aber auch wie Geschichte im hermeneutischen Sinn, wie Auflösung, wie Entfaltung.

Indem das ästhetische Gefühl im Sehen eines nützlichen Objekts im Zustand völliger Befriedigung und im Verschwinden der äußeren Nützlichkeit entsteht, wandelt sich eine angenehme Vorstellung in eine schöne. Schlick denkt hier eine graduelle Entwicklung, einen kontinuierlichen Übergang, wohl im Gegensatz zu Kant, der keinen Übergang zwischen dem Angenehmen und dem Schönen zugelassen hätte, geschweige denn einen der Geschichte oder der Evolution.<30>

Schlick diskutiert Allens ästhetische Evolution in folgenden Tatsachen: Gesicht und Körper, primitives Kunsthandwerk, die höheren dekorativen wie nachahmenden Objekte und die sogenannten Kunstformen der Natur und die Landschaft.

Gesicht und Körper, erstens, sind nach Schlick nur primär im Vergleich mit Tieren, etwa, was, nach Darwin, das Feder- und Pelzkleid betrifft. Man sieht gleich, daß ihre Wahrnehmung nicht immer mit einem sexuellen Lustgefühl assoziiert wird. Die Empfindung eines "Schönen" ist von Zeiten des Sexualinstinkts abhängig. Dagegen sind die ästhetischen Gefühle wie die intellektuellen Funktionen nur auf der menschlichen Stufe vorhanden. Und es geht nicht nur um die Bewunderung der Körper- und Gesichtsbildung. Die Verunstaltung durch Tätowierung zeigt Schlick, daß die Schönheit nicht universell ist. Das Bild des Menschen mußte sich erst mit angenehmen Assoziationen verknüpfen. Erst mit den angenehmen Bildern kamen dann die schönen, so wie der Anblick muskulöser Körper Voraussetzung für die Wahrnehmung freundlicher Ausdrucksbewegungen als Ausdruck guter Gesinnung war. Auch manch greller Schmuck geht dem Gefallen am bloßen Körper voran. Wer würde hier nicht an Adolf Loos denken, mit dessen Perspektive des Fortschritts zur Ornamentlosigkeit überhaupt sich Schlick hier trifft.<31>

Der zweite Punkt Allens ist das primitive Kunsthandwerk. Schlick wiederum will sogar so weit gehen, die Freude an den Erzeugnissen großer Handfertigkeiten dem an Gesicht und Körper vorangehen zu lassen. Es handelt sich um mit Gefühlen besetzte Verzierungen: schöne, symmetrische Gebilde sowie die Nachahmung bekannter Menschen oder Tiere.

Die höheren dekorativen wie die nachahmenden Objekte nehmen den dritten Rang ein, wobei das Gefallen an den Produkten der Geschicklichkeit dem Gefallen an ihr vorhergeht und das Abbild früher als der abzubildende Gegenstand als schön empfunden wird.

Auf diese Objekte folgen viertens die sogenannten Kunstformen der Natur und fünftens die Landschaft, bei der es bereits eher um den indirekten Faktor geht. Zu ihrer Entwicklung braucht es gefühlsbetonte Reproduktionen, etwa für den Eindruck durch den gestirnten Himmel<32>, die sich an die Wahrnehmung des Bildes anschließen. Stellt man sich dagegen den Sonnenuntergang als Scheibe hinter dem Fensterglas vor, dann verschwindet (magritteanisch) die erhabene Schönheit. Für Geschicklichkeit, Früchte, Jagdtiere oder andere Objekte des Schönheitssinn genügt uns "zu wissen, daß alle die erwähnten Möglichkeiten zu verschiedenen Zeiten wahrscheinlich wirklich waren, daß ... der ... Prozeß der assoziativen Übertragung der Gefühle die Ursache war für die Entstehung des indirekten ästhetischen Faktors oder sogar, falls ein solcher Faktor sich nicht nachweisen ließe, des ästhetischen Genusses überhaupt."<33>

5 Grundproblem 4: direkter Faktor

Gibt es also eine psychologische Basis für den Gegensatz von schön und nützlich? Schlicks verweist darauf, daß es Düfte mit und ohne Nutzen gibt. Sie können der Arterhaltung dienen wie der Bratenduft - dann geht der spielenden Tätigkeit das Unlustgefühl bei der Arbeit voraus. Und sie können das Lustgefühl direkt vermitteln. "Schön" ist dann, wie die Kombination zweier Farben, ein Blumenduft, denn das Vorurteil zum Augen- und Ohrensinn gegenüber den niederen Sinnen ist abzulegen. Aber auch hier hat Schlick Bedenken. Das Schöne als Lustgefühl ohne eine vorausgehende Unlust ist ihm unzureichend. Es könnte sich ein Schönheitstrieb entwickelt haben, der unbefriedigt blieb. Und es kommt diese Charakterisierung auch anderen nicht-nützlichen Tätigkeiten zu, etwa der Freude am Wahren.

Oswald Külpe <34>, auf den Schlick sich hier bezieht, hat Reizgefühle, Beziehungsgefühle und Vorstellungsgefühle unterschieden. Während, so Külpe, 1., die Reizgefühle Lustgefühle durch Angenehmes oder Nützliches sind, ergeben sich, 2., die Beziehungsgefühle aus der sittlich-wissenschaftlichen Befriedigung - für Schlick wird schon hier das Spiel der Vorstellungsgefühle gespielt, denn Nacktheit würde als unschön aufgefaßt, sie ist, statt wie bei Külpe Vorstellungsgefühl, nur Reizgefühl - , und erst die Vorstellungsgefühle, 3., sind die ästhetischen Gefühle, weil sich hier die angenehme oder unangenehme Wirkung ausschließlich aus einem Inhalt der Vorstellung ergibt.

Nach Schlick sind Kunst wie Wissenschaft in der dritten Gruppe unterzubringen, weil sie einer späteren Entwicklungsstufe angehören. Hier ist der "Entstehungsprozeß des indirekten Faktors des ästhetischen Genusses"<35> zu situieren. Schlick meint ökonomisch, daß die Anpassung so weit fortgeschritten sei, daß die früheren Akte als nur mehr Energie als nötig verschwendende aufgegeben würden. Lustgefühle knüpfen an Vorstellungen an, "weil jeder Überschuß an Lust dem Individuum das Dasein wertvoller macht."<36> Damit wird die Verhinderung der Unlust der "Langenweile"<37> zum Charakteristikum aller spielenden Funktionen.

Schlick steuert also auf das rein sinnliche Wohlgefallen als direkter Faktor zu und - findet es im Wohlgeruch der duftenden Blume. Dieses "Ästhetische" existiert ohne den reproduktiven, assoziativen Faktor. Deswegen und allein deswegen ist eine rein psychologische Analyse nicht möglich. Denn wenn der direkte Faktor nicht existierte, dann müßte auf die psychologische Erklärung des ästhetischen Genusses verzichtet werden. Er ist vielmehr eine irreduzible Tatsache und zwar - ohne daß Schlick es sagt - als Element ebenso wie als Explanat, womit die Isolierung dieses Faktors dem Programm des Reduktionismus genügt. Physiologisch müßte, nach Schlick, nun gezeigt werden, daß Sinneswahrnehmungen und ihre physiologische Korrelate über das Nervensystem vereint auftreten. Doch von physiologischen Korrelaten sei man noch weit entfernt.

Wie aber könnte der direkte Faktor nun wirklich entstanden sein? Spinozas Diktum, daß die Lust der Übergang von geringerer zu größerer Vollkommenheit ist, liest Schlick mit Darwin und bestimmt Vollkommenheit als eine vollkommen zweckmäßige, energetische Anpassung. Ihr entspricht eine möglichst große Summe der Lust - für Schlick allgemein das Ziel der Evolution. Daher auch die Tendenz der Wahrnehmungs- und Vorstellungstätigkeit, Lust zu optimieren, etwa im Schlaf: "Unaufhörlich ist die Seele von Vorstellungen erfüllt, die fast ausschließlich unmittelbar aus der Sinneswahrnehmung stammen; wenn alle diese sich mit Lustgefühl verbinden könnten, so wäre damit eine unerschöpfliche Quelle der Freude erschlossen, und wenn einmal durch eine zufällige physiologische Anlage eine Sinneswahrnehmung sich direkt mit Lust verknüpfte, so lag aller Grund vor, daß sich diese Anlage kräftig weiterentwickelte."<38> Gibt es also eine neue Art, eine ästhetische Art von Anpassung? Schlicks Credo: "Wie die primäre Anpassung den arbeitenden Sinnen die Objekte der Umgebung angenehm macht, so bewirkt die ästhetische, daß sie den spielenden Sinnen schön erscheinen."<39>

6 Grundproblem 5: Kritik

Man wird Schlick einige bemerkenswerte Intentionen nicht absprechen können.<40> Auch wenn Étienne Maigre einwendet, daß der direkte Faktor weder psychologisch, noch biologisch reduziert werden kann, weil er eine Form der Anpassung ist. Seine polemische Frage, warum denn das Objekt des Bedürfnisses aus der Erinnerung heraus zu einem schönen, ja schon allein angenehmen werden müsse - könnte es auch anders sein? - , verkennt die einfache tatsache der positiven Besetzung und ihres Erlebnisgehalt. Man kann Maigre einräumen, daß Bei Schlick nicht klar ist, welcher notwendige Zusammenhang zwischen dem Eindruck des Schönen und der Assoziation angenehmer Ideen besteht - nur, das war auch nicht Schlicks Fragestellung der Untersuchung, die ihr Ziel schon in der Erhellung des direkten Faktors erreicht fände. Man müsse vielmehr den Ursprung des ästhetischen Sinns in unserer Körperstruktur suchen - wird etwas von allen Rassen als schön wahrgenommen? Ist es als eine geregelte zerebrale Aktivität aufzufassen? Aber das genau gibt Schlick ja zu, wenn er zwar nicht auf neurologische Gegebenheiten eingeht, aber doch klar zu Grant Allen sagt, daß zumindest die Bewegungen in ihrer Ausdrucksmodifikation maßgeblich und an erster Stelle zur ästhetischen Wahrnehmung gehören. Schönheit stellt sich, entgegen der Ansicht Maigres, eben nicht her angesichts der Ökonomie der Anstrengung, die Opposition von "schön" und "nützlich" bleibt also begründet.<41> Anders als bei der biologischen Kritik müßte Schlick auf den ersten Blick Emil Utitz <42> Zugeständnisse machen. Eine Anthropologie ohne "realistisch" staffelnde Wertlehre würde den idealistischen Schwächen Schillers zum Opfer fallen. Doch man sehe, was Schlick zu Kunst und Ästhetik in dieser Hinsicht in seiner parallel oder unmittelbar vorangehenden Arbeit zu sagen hat.

7 Lebensweisheit

Nahezu gleichzeitig mit dem Aufsatz 1909 war Schlicks Buch "Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre" wie aus dem Nichts erschienen.<43> Im Herbst 1907 abgeschlossen, war sein 25jähriger Autor nicht Philosoph, sondern Physiker, der vor drei Jahren bei Max Planck promoviert worden war.

Das geistige Doppelleben, das in diesem Sachverhalt aufscheint, geht auch aus einem unveröffentlichten Manuskript<44> hervor. Dort schreibt der Schüler Moritz Schlick, daß er von den Arbeitern der Fabrik seines Vaters beeindruckt gewesen sei, nämlich wie die Arbeiter schönes, weißes Elfenbein zerschnitten, wie das Kinderfräulein Märchenbücher vorlas, bis er sie auswendig konnte. Schweres Scharlach und eine schwere Diphtherie mit sechs Jahren hinterließen bleibende Schäden. Er beschäftigte sich geistig gegen die Langeweile in der schulfreien Zeit, empfindet eine Vorliebe für die Musik, lernt mit zwölf Klavier. Unter den Künsten beeindruckt ihn besonders die Malerei, die er mit Öl- und Aquarellmalerei betreibt. Schlick erwähnt in einem Zug die Beschäftigung mit physikalischen Experimenten und elektrischen Apparaten. Von den Bildern ging er zu poetischen Versuchen über, schreibt scherzhaft drei Epen, darunter zwei romantische, und bekennt seine Probleme bei der Findung des Stoffs. Auch Dramatisches hat er versucht, Lyrik. Als Schlick 1900 am Realgymnasium (mit Latein <45>) maturiert, nimmt er sich vor, mit diesen jugendlichen Tätigkeiten Schluß zu machen. Parallel entwickelt sich ihm das Philosophieren wie von selbst. Reisen in mehrere Naturlandschaften Europas lassen ihn die Welt wie ein Uhrwerk erscheinen. So sehr ihn der Mensch und das Leben in bezug auf das Glück beschäftigen, wie er sagt, so will er doch zugleich mit der Philosophie abrechnen und sich ungestört seinen Neigungen zu den exakten Wissenschaften hingeben. Doch, wie Emil Reich berichtet<46>, während des Physikstudiums von 1900 bis 1904 betreibt Schlick privat ein Altgriechischstudium. In Zürich, wohin er nach dem Studium, wie er schreibt, wegen der Landschaft übersiedelt, befaßt er sich dann ausführlich mit der Psychologie<47>, einem Bereich, den er in seiner jugendlichen "Lebensweisheit" nur zusammengebastelt habe und nun auf den aktuellen Stand der Wissenschaft zu bringen bringen beabsichtigt. Zugleich gewinnt er ein philosophisches Problem- und Selbstbewußtsein, wie der spannungsgeladene Aufsatz über das "Grundproblem der Ästhetik" aus 1909 zeigt.

"Lebensweisheit", zu deren Grundgedanken Schlick sich auch später bekennt, ist ohne eine einzige Fußnote geschrieben, Verweise auf andere Autoren finden sich wenige, Quellen werden nicht angegeben. Schlicks erstes, zugleich auch erstes philosophisches Buch - in der Länge nur von der Allgemeinen Erkenntnislehre übertroffen - entstammt noch ganz seinen spontanen Niederschriften aus der Jugendzeit, ja Schülerzeit, also teilweise der Zeit noch vor der Weihe in die zeitgenössiche Physik in Berlin bei Max Planck. Er arbeitete die Texte einige Jahre später aus, als ihm klar geworden war, daß er sich für die Philosophie entscheiden würde.

Bei diesem Buch handelt es sich um praktische Philosophie. Der dritte Abschnitt von dreien betrachtet die "Menschen untereinander", versteht sie als aus dem Willen zur Macht heraus abgestimmte Werkzeuge und Objekte der Triebe, die, über Haß und Mitleid hinaus, zur Liebe in ihren verschiedenen Formen finden.<48> Dem geht ein erster Abschnitt "Der Wille zum Glück. Psychologische Vorbemerkungen" über Handeln, Triebe und die Lust voraus. "Handeln ist immer eine Lust"<49>, und die größte Lust aus Genuß und mehr noch Freude bringt Glückseligkeit. Daher ist der Wille zum Glück das oberste Gesetz. "Die allzumenschlichen und die übermenschlichen Triebe bedeuten also für die Gattung, was Leidenschaften und Freudenschaften für das Individuum sind.<50> Es ist der zweite Abschnitt "Der Mensch mit sich selbst", der für die Ästhetik interessant ist.

Wenn Schlick "Das Glück des Leibes"<51> durch den Nutzen gegen "Das Glück der Seele"<52> im Spiel abhebt, dann geht es darum zu zeigen, daß in der Selbsterhaltung das Leben vor dem Handeln kommt und nicht, ethisch, danach, wie er mit Jean Paul und Spencer klar zu machen versucht. Die Arbeit bestimmt er mit Goethe als einen Kampf gegen die Natur - Elemente als Objekt - und als Nutzung der Natur - ihre Objekte sind dann Werkzeuge. Doch das kann nur ein Teil der Kultur sein, wenn die Kultur der "Inbegriff aller künstlichen Mittel <ist>, die die Menschheit geschaffen hat, um ihre Glückseligkeit - des Leibes wie der Seele - zu mehren."<53> Der Mensch dieser Kultur befindet sich im Kampf mit den Elementen, wie Schlick ausführlich am Wetter zeigt.<54> Die Genußfähigkeit des Körpers macht das "Glück der Sinne"<55> aus, wobei gemäß Epikur "Arbeit und Spiel"<56> auf Lust als Folge oder Zustand der Tätigkeit abzwecken: "das Spiel ist das höchste Glück des Leibes."<57> Schlick unterscheidet glückmehrende und nicht glückmehrende Spiele und interessiert sich für die "Bedeutung von Spiel und Arbeit ... in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht"<58>. Sein Credo: "Die Evolution strebt dahin, alle arbeitenden Tätigkeiten allmählich in spielende zu verwandeln."<59> Das gilt auch für das geistige Tun, wenn die "Tätigkeiten in sich selbst lustvoll" sind.<60> "Die Natur hat offenbar ein großes Interesse daran, dergestalt alle Mittel zu Zwecken, alle Arbeiten zu Spielen umzubilden, denn dies ist ... die sicherste Art, den Menschen zu den richtigen Handlungen zu veranlassen; sie werden ihm so gewissermaßen ans Herz gelegt und bilden nicht mehr bloß leicht zu verfehlende Wege der Lust."<61> Anders gesagt, das Ideal ist, Ziele spielend zu erreichen. Bei "den Spielen der Seele"<62> des Menschen geht es Schlick um die "Schönheit seiner Seele"<63>. Sie findet sich bei Künstlern und Wissenschaftlern, denen das Spiel Beruf sei, die um des Spiels willen arbeiten. Wie heißt es im aufsatz von 1909? "Wiedie primäre Anpassung den arbeitenden Sinnen die Objekte der Umgebung angenehm macht, so bewirkt die ästhetische, daß sie den spielenden Sinnen schön erscheinen."<64>

Die Kunst selbst<65>, die Lust des Genießenden, entspringt dem Willen zur Schönheit. Als lustvolles Spiel der Gefühle wird das Auge "an sich" zur Lust im ästhetischen Sinn. Darauf hin evoluieren historisch die Entdeckung der Verzierung, sodann die Kunstwerke als solche mit nachzuahmender Vorlage, die Freude am Ohr durch den Rhythmus und die Poesie der lustvollen Gemütsbewegungen. Es ist dies eine Reihe, die der "Entwicklungsgeschichte der Gefühle"<66> analog ist. Schlick betont, daß außer der Musik die Kunst immer Nachahmung, ja sogar "Surrogat der Natur"<67> ist. Aber: "Die Kunst ist ihrer Natur nach ein unvollkommener Weg zur Befriedigung des Willens zur Schönheit, zu seiner höchsten Glückseligkeit führt nur das ästhetische Genießen der Wirklichkeit"<68> selbst. Schlick begründet diese Ansicht damit, daß zur Anpassung an Kunstwerke evolutiv weniger Zeit gewesen sei, und zitiert Emerson: "Die Tugend der Kunst liegt in der Abtrennung, in der Loslösung eines Objektes aus der verwirrenden Mannigfaltigkeit"<69>. Er fährt fort zu sagen, wir sähen eine "gereinigte, ... verklärte Wirklichkeit vor uns, die nun unsere Gefühle zu ganz ungestörtem Spiel anregt."<70> Noch stärker ist ihm "die Kunst ... ein Notbehelf"<71>, sie wird, wie auch Architektur und Kunsthandwerk<72>, "eines schönen Todes sterben."<73> Kaum andere Entwicklungsgesetze gibt Schlick für die Musik an. Auch hier ist ihm letztlich das Meeresrauschen stärker als ein Konzert. Er will die Ahnung verspüren, "daß auch in der Musik die Natur den Künstler meistern wird"<74> - ist doch die Musik so natürlich wie die Sprache des singenden Vogels. Es wundert nicht, wenn Schlick "Das Genie"<75>, den Schaffenden in seiner Lust, der, wenn er schafft, aus seiner Welt aufwacht<76>, in die gleiche Richtung führt. "Dieses Reich der Träume selbst zu schaffen"<77>, ist die Aufgabe des überragenden Menschen, der dahin gelangt zu sehen, "daß die Welt schon alles hat und seiner nicht mehr bedarf."<78>

Wie wäre nun Schlicks Verhältnis von Lebensweisheit und wissenschaftlicher Philosophie fassen? Als die beiden Aspekte, die wie bei der Betrachtung einer der beiden Ansichten eines Vexierbilds immer auch den Rest des anderen zu sehen gibt? Als Abspaltung? Als Verdrängung? Oder weniger psychologisch: als die zwei Hälften der Philosophie?

8 Der methodologische Schlick

Schlick glaubt, an der menschlichen Gestalt oder dem Gesicht ein ideales Objekt ausmachen zu können, das sich durch alle Exemplare der Gattung Mensch hindurch als direkter Faktor zeige und an das der Mensch am besten angepaßt sei. Es ist nicht so sehr die Frage, ob sich durch "experimentelle Verifikation" übereinandergelegter Photographien einer Reihe von Individuen wirklich die "überraschende Wohlgefälligkeit" beweisen lässt <79>. Vielmehr ruft dieser Einfall am Schluß der Untersuchung in Erinnerung, daß Schlick auf eine empirisch abgesicherte methodische Vorgangsweise aus ist. Denn beim Schritt von der Deskription der Eigenschaften schöner Objekte - traditionell in der metaphysischen Philosophie - zur Erklärung der Ursachen der Wirkung dieser Eigenschaften geht es Schlick auch um eine Wende in der Methodologie. Es ließe sich sagen, die naturwissenschaftliche Forschung (seit Fechner) sei für ein Repertorium ästhetischer Erkenntnisse noch nicht weit genug gediehen, daher auch nicht für eine allgemeine Beantwortung der Schlickschen Grundfrage zu haben. Doch Schlick hält eine vollständige Induktion prinzipiell für unerreichbar.

Philosophisch befinden wir uns damit in einer unbequemen Situation. Einerseits darf die Beschäftigung mit dem Grundproblem nicht aus dem Auge verloren werden - der Philosophie ginge sonst wohl die Arbeit aus - , andererseits sollen wir dem Stand der wissenschaftlichen Erfahrung entsprechen und damit die Transformation in Wissenschaft erreichen, ja akzeptieren. Schlicks Bekenntnis ist eindeutig. Erst wenn die Grundfragen der Einzelwissenschaften gelöst sind, dann kann in einem erkenntnislogisch zweiten Schritt die empirische Wissenschaft die Tatsachen nach den Gesetzen der Logik in ein geschlossenes, klassifizierendes System bringen, und das philosophische Bedürfnis ist befriedigt. Ein solches System dient dann nicht der Gewinnung von Erkenntnissen, "hat ... aber stets zu ihrer Verifikation gedient".<80>

Hand in Hand mit der Transformation der philosophischen Grundfrage geht aber auch Schlicks verallgemeinernder Schritt über die causa efficiens hinaus. Erklärung einer Tatsache heißt nun, eine Tatsache zum Spezialfall einer anderen Tatsache zu machen. Resolutiv-methodisch geht es um die Reduktion auf nicht weiter analysierbare Tatsachen - elementaristisch gesprochen, auf elementare Tatsachen, unauflösbare Elementen. Sind die psychischen Prozesse dessen, was ästhetisch wirkt (wonach die Grundfrage frägt) unableitbar ursprünglich so "wie die elementaren psychischen Phänomene etwa der Sinnesempfindungen"?<81> Es wird nun klarer, wieso der direkte Faktor als irreduzible Tatsache so wichtig war - ohne daß Schlick es sagte - : als formales Element eines Explanandums, womit dem dem reduktionistischen Programm genüge getan ist.

Die Sache könnte, nach Schlick, aber auch so verlaufen, daß die Philosophie wohl zuerst direkt auf das Hauptproblem zugeht - für Schlick Platon - , dann aber durch die Hinwendung zu Spezialuntersuchungen das Interesse an den Grundproblemen verlöre, bis die inzwischen formierte Wissenschaft (der Ästhetik) sich wieder der Grundfrage zuwendet. Das bleibt bei Schlick allerdings so unklar, wie die Einsicht in das letzlich vielleicht unausweichliche Abdanken der Philosophie auch höchst unbefriedigend wäre. Die Philosophie könnte dann vorläufig nur eine Orientierung durch den Dschungel der vielfältigen Antworten geben. Dieses Ungenügen hat Schlick im weiteren dazu getrieben, den Status der Grundfrage als einem philosophischen Fragen zu untersuchen.

Wenn Schlick das Grundproblem der Ästhetik als "Warum wirkt etwas schön?"<82> zu reformulieren sich anschickt, dann gibt es auch auf diese Frage, seit die Philosophie im späten 19. Jahrhundert weitgehend selber "wissenschaftlich" geworden ist, eine Reihe von Antworten. Mit der Spezialisierung der philosophischen Ästhetik im Sog des positivistischen Historismus nach Friedrich Theodor Vischer<83>, mit der Metamorphose der psychologischen Forschung auf Lehrstühlen der Philosophie zu einer eigenen Disziplin und mit der allgemein erfolgenden empirischen Wendung der Philosophie zu Biologie, Psychologie und Soziologie hin<84> befindet sich Schlick in einer Zeit, die epistemisch aus allen Nähten platzt. Zugleich bleibt die Spannung zur Philosophie durch die permanente Grundlagenreflexion bis zum Ersten Weltkrieg im "Medium" Psychologie gewahrt.<85> So zeigt sich etwa auch in der immer noch "philosophischen" Disziplin Ästhetik ein stark angewachsenes Bedürfnis nach Klärung ihres Grundstatus als philosophische Disziplin. Verständlich, daß sich die Auffassungen des Grundproblems der Ästhetik - warum etwas als schön gilt - und die Antworten darauf auf vielfältigste Weise unterscheiden.

Diese Position - wenn sich Schlicks Ansatz als solche bezeichnen lässt - , dieses Anliegen schlägt in den kommenden Jahren gegenüber der psychologisch-lebensphilosophioschen Arbeit, aber auch gegenüber eines konkreten Versuchs einer Transformation in empirische Fragestellungen ähnlich einem ästhetischen Grundproblem als eine ausschließlich vorherrschende durch. 1910 stellt Schlick den etablierten oder entstehenden Wissenschaften noch vehementer die Aufgabe, anstatt Erkenntnisse zu gewinnen, die aufgefundenen Fakten mit Naturgesetzen zu ordnen. Er weist, gegen die Einteilung Rickerts, Windelbands und Dilthey, die Trennung zwischen Naturwissenschaften und Geschichte zurück. Denn die wissenschaftliche Systemkonstruktion liegt in der Struktur des Erkenntnisvermögens begründet, das nur die naturwissenschaftliche und die philosophische Begriffsbildung unterscheiden zuläßt.<86> Zur Erinnerung: Schlick hatte sich gegen Fechner ausgesprochen, sofern dieser an einer Gleichwertigkeit von direktem und assoziativem Faktor festhielt. Hier nimmt er erneut das Abgrenzungsproblem von Wissenschaft (Psychologie) und Philosophie auf.

Dem nicht genug, ist Schlick der Ansicht, daß mit der Abgrenzung von naturwissenschaftlicher und philosophischer Begriffsbildung die Philosophie sogar neu definiert werden könnte. Alles Verstehen ist Reduktion auf Relationen in Gesetzen oder die Subsumption eines individuellen Falles unter ein Gesetz. Hier tauchen sie wieder auf, die irreduziblen Tatsachen, und zwar als Qualitäten. Schlick fordert die Reduktion aller Regelmäßigkeiten auf quantitative Beziehungen ohne Qualitäten bei einem gleichzeitigen Minimum an Gesetzen. Handlungen und historische Ereignisse sind eingeschlossen. Auf diese Weise wird Philosophie nun als Theorie der Qualitäten verstanden. Es sind Metaphysik, Ethik, Erkenntnistheorie, Naturphilosophie, Psychologie und Logik, die die qualitativen Gesetze formulieren. Und die Psychologie tut dies, so Schlick, sogar am meisten. Ist die Philosophie aber deswegen schon eine Naturwissenschaft? Etwa in Gestalt der Psychophysik? Auch hier sagt Schlick nein, denn die Empfindung etwa kann nicht geteilt oder addiert werden, folglich Psychisches nicht mathematisiert werden. "Psychology, despite experimental methods, can never be made subject to the scientific type of concept-formation."<87> Jetzt wissen wir genauer, woher die philosophische Methode kommt. Es geht, so sagt Schlick, nicht nur um die innere Erfahrung. Auch wenn die Entwicklung der Wissenschaften langsam vonstatten geht, so kann die Philosophie doch die freigelegten, vielfältigen Qualitäten, wie sie mit den Grundbegriffen der Einzelwissenschaften vorgewiesen werden, in einer universellen Weltanschauung vereinigen. Schließlich wird eingeräumt, daß manche Einzelwissenschaften wie Ethik, Ästhetik und Psychologie in einem hohen Grad philosophisch sind - was jedoch nicht zur Spaltung von Natur- und Geisteswissenschaften führen darf, sind doch geistige, das heißt mentale Qualitäten nicht zahlreicher als andere.

Überhaupt ist das wissenschaftliche Wissen dem Alltagswissen überlegen durch "sharply defined concepts in place of the intuitive ideas which come into comparison in the act of knowing."<88> Methodisch wie mit dem Seziermesser heißt es: "We must now take a closer look at the situation thereby created. In so doing, we shall first emphasize only what is most important, and shall later complete our observations, after having worked through the main features of what logic has to say about concepts." <89> Ob die Auslöschung intuitiver Elemente <90> eine Verbindung des Urteils im wissenschafts- und wahrheitslogischen Sinn zum ästhetischen Urteil gibt, wie Schlick es 1909 kurz ansprach, wäre trotz der Position zu fragen, die Schlick gegen die Intuitionisten James und Bergson sowie dem Husserl von "Philosophie als strenge Wissenschaft" weiter einnimmt, wennn er also eine Metaphysik mit der Methode der Intuition ablehnt. Solche Leute, so Schlick im Gestus späterer Radikaler wie Wittgenstein oder Carnap, suchten künstlerische und nicht intellektuelle Befriedigung.<91>

Noch 20 Jahre später besteht für Schlick das nun zur Wende ausgegebene Programm <92> in der Überlegenheit der durch Frege, Russell und Wittgenstein konkret gewordenen Logik, in der Einsicht in das Wesen des Logischen bis an dessen Grenze - , daß nämlich die logische Form als Form selbst undarstellbar bleibt. An die Stelle der Erkenntnistheorie oder Erkenntnispsychologie tritt die Sprache und ihr Ausdrückbares. Noch immmer wird die Wissenschaft als eine Gewinnung und Systematisierung von Erfahrungssätzen einschließlich der Alltagsaussagen etwa der Lebensführung aufgefasst. Es gibt keine Philosophie als Wissenschaft oder Erkenntnissystem. Es gibt sie nur als "Tätigkeit, durch welche der Sinn der Aussagen festgestellt oder aufgedeckt wird. Durch die Philosophie werden Sätze geklärt, durch die Wissenschaften verifiziert."<93> Die Philosophie baut also, modern, wie sie ist, nicht aus philosophischen Sätzen und sei es aus jenen der induktiven Metaphysik der Wahrscheinlichkeit des späten 19. Jahrhunderts, die noch als Kuppel gesehen wurde. Daß der Sinn und letzte Inhalt nicht wieder in Aussagen formuliert werden kann, macht die Emanzipation der Wissenschaften von der Philosophie aus, daß der Sinn der Grundbegriffe für die erfolgreiche Weiterarbeit klar genug geworden war - aber nicht auf allen Gebieten der Philosophie! "Ethics and esthetics certainly do not yet possess sufficiently clear concepts. Most of their work ist still devoted to clarifying them, and therefore it may justly be called philosophical."<94> So scheint es nur allzuverständlich, wenn in Schlicks Vorlesung von 1933/34 Kultur, Jugend, Ethik und Ästhetik nicht mehr vorkommen.<95>

Wenn Schlick sagt: "Qualitäten lassen sich nicht sagen, sondern nur im Erlebnis aufzeigen, Erkenntnis hat damit aber nichts zu schaffen."<96> und dabei ausdrücklich an seinen Text "Erleben, Erkennen, Metaphysik" anknüpft. Hier<97> stellt Schlick das nichtmitteilbare Erleben gegen die mitteilbare Erkenntnis formaler Strukturen von Sachverhalten, das Kennen. "Wer von der Erkenntnis mehr verlangen sollte, würde sie mit dem Kennen (Erleben) verwechseln oder mit der Kunst, deren Sinn es ist, Erlebnisse anzuregen."<98> Die Geisteswissenschaften trachten folglich danach zu verstehen, indem sie das Erkennen mit dem Erleben zu verbinden versuchen, damit auch die Wissenschaft mit der Kunst. Das scheint das äußerste Zugeständnis an die Kunst, an das Ästhetische zu sein.

9 Der lebensphilosophische Schlick

Und doch! Gibt es nicht, nach dem Absinken des Kontinents "Lebensweisheit" - jenem spätromantischen Jugendstil im "Versuch einer Glückseligkeitslehre" aus Elementen von Epikur, Schopenhauer, Nietzsche, Darwin, Spencer und Alltagspsychologie - und trotz des Sinnverbots des Tractatus, eine Repulsion des Zurückgedrängten, etwa wenn Schlick "Vom Sinn des Lebens" handelt? Die bekannteste Fassung, die von 1927, wird im Manifest des Vereins Ernst Mach wie beiläufig neben dem Programm einer physikalistischen Einheitswissenschaft von Friedrich Waismann resümiert: "Gibt es einen Ausweg aus dem pessimistischen Gedankengang, daß das Leben nur ein Pendeln zwischen Schmerz und Langeweile sei? In der Gegenwart werden Arbeit und Zweck verehrt. Aber der Sinn des Lebens kann nur in Zuständen liegen, die ihr Ziel in sich selbst tragen, also nur im Spiel (im weitesten und besten Sinne des Wortes, nicht 'Spielerei'); Beispiele: Kunstschaffen und Kunstgenießen, Erkennen, Sport usw., und als wichtigstes die hochgesteigerten Formen eines von Güte erfüllten Miteinanderlebens der Menschen. Zur Loslösung von dem Druck der absoluten Zweck- und Pflichtvorstellungen ist aber nur der Geist der Jugend fähig, der vom Lebensalter prinzipiell unabhängig ist; in ihm liegt der Sinn des Lebens. (Diese Auffassungen sind bereits in [2 <Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre>] vertreten und sollen in einer 'Philosophie der Jugend' später weiter ausgeführt werden.)"<99>

Schon seine Rostocker Antrittsvorlesung<100> trägt Züge des Zwiespalts. Philosophie muß das wissenschaftliche Weltbild heute vollenden, wenn es neben den wissenschaftlich intellektuellen Faktoren auch die emotionellen gibt. Neben dem Reich des Seins gibt es auch das Reich der Werte. Philosophie steht nicht nur in Beziehung zur Wissenschaft, sondern auch zur Kultur. "As in antiquity, philosophy today is again not exclusively a science, but at the same time something more; it stands in a close relationship to life and forms at many points the link between it and science."<101> Hier schließt sich Schlick nicht nur an die Dualität von Natur und Geist an, sondern expressis verbis an den Dilthey um 1900 an, der ein ungewöhnlich stark gestiegenes Interesse an Philosophie in den Konjunkturen Nietzsche und Sozialismus festzustellen glaubte. Schlick meint, der Mensch ist immer ein handelndes Wesen, weswegen die letzten Gründe sogar im Bewerten und nicht im Wissen lägen. "Hence spiritual fulfilment, which is the final goal of all philosophy, must take place, in its most important aspects in the realm of values; in these aspects it is the affair of mankind generally, and not merely of the learned. To be sure, the means it employs for working at cultural tasks are always intellectual in character; in this respect philosophy differs from art and religion, which must remain wholly in the realm of feelings and merely ruin themselves if they seek to migrate into the realm of understanding."<102>

Schlick situiert die Arbeit im Reich der Werte, im "cultural field" aus. Doch neue Werte können nicht geschaffen werden, sie werden von Philosophen, Dichtern, Künstlern und religösen Führern entdeckt: "The philosopher however must claim the right to approach all values as an arbiter, and culture as a judge; the crations of artists, religious leaders or other men of imagination, which have not originally sprung from the intellect, must yet be able to prove their legitimacy before the tribunal of the understanding."<103> Es ist die Stunde der Psychologie fürs Leben, denn "such a secure footing in the realm of values can be provided only by psychology."<104> Ob mit Nietzsche oder Dilthey, der Inhalt der Psychologie ist das Leben des Geistes - die Werte, Gefühle und Motive der Gedanken und Handlungen. "On this psychological foundation the true sciences of value can then arise: the philosophy of art and beauty, or aesthetics, and the philosophy of conduct and morality, or ethics."<105> Schlick denkt also noch im systematischen Rahmen von 1908.

Dennoch sieht er in der psychologisch geprägten Ästhetik ein Scheitern, das zumindest in dieser Weise 1909 nicht Gegenstand war. "Nor ethical and aesthetic inquiries have for long been zealously pursued on a psychological basis, and it is therefore to be supposed, that an extremely strong direct influence of philosophy on life should be continually occurring here. But in reality this is not the case. Aesthetics has hitherto been unable to contribute very much directly to the great aim pursued by mankind in this area: so to permeate the whole of life with a sense of beauty that man tolerates nothing in his culture that offends against good taste. But education of good taste seems in the meantime, rather, to be wholly the work of practising art, not of theory."<106> So sehr also die Philosophie in der Form der Psychologie dem Leben nahesteht, ebenso bleibt Faktum, daß in der Durchdringung des Lebens bestenfalls die Kunst, etwas der Jugenstil, nicht aber die Theorie der Ästhetik sich durchsetzen konnte. Schlick bestätigt die Abkopplung der Avantgarde. Er sieht, daß der geringe direkte Effekt von ethischer und ästhetischer Philosophie auf das Leben mit der Kompliziertheit der Lebensbedingungen zu tun hat. Dennoch mißt er dem indirekten, kulturellen Effekt philosophischer Bemühungen Bedeutung zu. Die Klarheit geistiger Atmosphäre fördere alle kulturellen Bereiche, "leaves the way open for the aesthetic and moral completion of man. Science, morality and art, the true, the good and the beautiful, are in this way to the highest degree mediately dependent in their development upon philosophy."<107> Wie könnte Philosophie platonischer verstanden werden denn als "particular contribution to the harmonious fulfilment of the human spirit"?<108>

Doch damit riss die Beschäftigung mit der Lebensphilosophie nicht ab. In mindestens einem Vortrag dieser frühen 20er Jahre blieb Ästhetisches, wie wohl auch in einer der ersten Wiener Lehrveranstaltungen, in der Schopenhauer und Nietzsche behandelt wurden <109>, Gegenstand. Im Kieler Vortrag "Ueber den Sinn des Lebens" <110> behandelt Schlick Ästhetisches, wenn er vom diesseitigen Wert und Ziel des Lebens spricht. Zugleich wird eine Wende zur Ethik vollzogen. "Für Nietzsche wurde die Kunst zum Sinn des Lebens. Aber diese Lösung kann wohl nicht befriedigen, denn sie stellt die künstlerische Betrachtung dem lebendigen Handeln gegenüber. Hierbei wird der Sinn des Lebens in das Reich der Phantasie verlegt, wohin man sich erst retten muß. In der zweiten Periode seines Schaffens hat Nietzsche diese Idee fallen lassen; er verkündet, der wahre Sinn des Lebens liege in der Erkenntnis. Aber die Flucht zur Wissenschaft ist auch nur eine Flucht vor dem handelnden Leben. ... In seiner dritten Schaffensperiode ahnte Nietzsche, daß das Leben des Menschen so lange keinen rechten Sinn hergeben will, als es unter der Herrschaft von Zwecken steht, die der Mensch sich für die Zukunft stellt. Man kann in der Tat keinen Sinn des Daseins finden, wenn man es nur vom Standpunkte des Zweckes betrachtet."<111> Mit dem Blick auf Zwecke wird zugleich die Betrachtung des Daseinssinns überwunden. "Der Kern und der letzte Wert des Lebens kann nur liegen in solchen Zuständen, die um ihrer selbst willen da sind, die eine Erfüllung in sich selbst tragen und nicht auf eine Erfüllung in der Zukunft zu harren brauchen. Es gibt Tätigkeiten, die im Gegensatz zur Arbeit stehen. Sie werden folgerichtig Spiel genannt. Nur muß das Wort Spiel im weitesten Sinne gefaßt werden."<112> Es folgt ein Bekenntnis zum "genialen Denker" Friedrich Schiller: "'Um es endlich einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung Mensch ist, und er ist nur da Mensch, wo er spielt'. Dieser Satz wird einst das ganze Gebäude der ästhetischen und Lebenskunst tragen. Längst lebte dieser Satz in der Kunst und dem Gefühle der Griechen, nur daß sie in den Olympos verlegten, was auf der Erde sollte ausgeführt werden."<113> Der Spielbegriff werde "in der Philosophie der Zukunft eine große Rolle spielen. Das leuchtende Beispiel des schöpferischen Spiels bietet der Künstler. Seine Tätigkeit im Zustande der Inspiration ist wahre Wollust. Das Kunstwerk ist das Produkt einer glücklichen Minute seines Schöpfers, und seine Wirkungen sind von einem Segen für die Menschheit, der die Jahrhunderte überdauert."<114> 1927 wird diese nietzscheanisch angehauchte Lebensphilosophie ausgeführt und von den Überbleibseln des Schlickschen Jugendstils befreit.<115> Mit ihr hat Schlick wohl bis zu seinem Lebensende an einer Weltauffassung fastgehalten, die ein Anderes der Wissenschaft nicht für ausgeschlossen, sondern kompatibel hielt.

War es über weite Strecken das Hochhalten der Wissenschaft gegenüber der ästhetischen und lebens- bzw. kulturphilosophischen Fragestellungen, so rücken nun die Grundfragen der Ethik für kurze Zeit ins Zentrum. In "Fragen der Ethik"<116> kommt die Ästhetik nur am Rand vor. Schlick geht es um empirische Ethik als psychologische Teildisziplin, deren Hauptproblem in der Aufklärung der Frage besteht, warum der Mensch moralisch handelt.<117> Um dem näherzukommen, geht Schlick wieder psychologisch vor, indem er die Zusammensetzung der ästhetische und ethische Freuden aus den natürlichen, unzerlegbaren Lustgefühlen untersucht. Der Schluss daraus: Es ist die Angleichung der Motivgefühle an die Erfolgsgefühle, die das Glück bringt. Eine stille, freudvolle Zustimmung (Freude wie Kind beim Spiel) zum anderen kann dann unsere Handlungen begleiten. Wir führen sie um ihrer selbst willen, wenn sie unseren Talenten entspringen. Das macht uns gütig <118> Doch auf die Frage, ob es absolute Werte gibt<119>, antwortet Schlick mit einem eindeutigen Nein. "Wenn für die hypothetischen Wertgefühle etwas Ähnliches gälte wie für die Empfindungen, wenn Wertaussagen sich ebenso zu einem konsequenten System zusammenschlössen wie Wahrnehmungsaussagen, dann könnten Wertgefühle objektive Werte garantieren. aber das ist ja nicht der Fall. Das Chaos der Wertungen ist sprichwörtlich, und es besteht keine Hoffnung, die Wertlehre, Ethik und Ästhetik auf eine Stufe mit der Physik zu heben, was doch sonst leicht sein müßte."<120>

Der Position von 1909 näher ist jene wertphilosophische Mitteilung über (oder via Sprachrohr von?) Schlick: "Die Tatsache des Wertens selbst kann nur durch Zurückführung auf Gefühle, also psychologisch verständlich gemacht werden. Um zu begreifen, warum ganz bestimmte Verhaltensweisen oder Gegenstände als 'gut' oder 'schön' gewertet werden müssen, ist der Mensch als Träger der Wertgefühle zunächst in seiner Wechselwirkung mit der Umwelt als Teil des Naturganzen zu betrachten, sind die Gesetze des menschlichen Gefühlslebens in umfassendere Zusammenhänge einzuordnen. Durch Erforschung und Anwenden dieser Gesetze, also auf rein psychologischem Weg will Schlick versuchen, die Grundfrage der Ethik, Aesthetik und Geschichtsphilosophie zu lösen; und wenn man sich dann den mehr objektiven Problemen dieser Disziplinen (z.B. der Aufstellung eines Wertsystems, eines Moralprinzips) zuwendet, so findet man, daß alle zu ihrer Erledigung nötigen Vorbedingungen durch die Klarstellung jener Hauptprobleme bereits geschaffen sind."<121>

Den Zeiten der philosophischen Anthropologie entsprechend hat Schlick den idealistisch anthropologischen Grundzug hinsichtlich einer ästhetisch mitgemeinten Philosophie der Jugend auch in Zeiten wissenschaftlicher Weltauffassung immer festgehalten. Dies beweisen nicht nur die beiden Texte über "den Sinn des Lebens" in den 20er Jahren. Auch die Bemerkung über Lebensweisheit in bezug auf Alltagssätze in "Die Wende der Philosophie" hält den Bezug auf die menschliche Lebenswelt in seinem umgekehrten Pessimismus fest. Und es ist zuletzt das Credo der Glücksvermehrung, auf das hin er den konkreten Bewertungen von ästhetischen und moralischen Handlungen zugunsten vitaler Handlungen auf der Basis von Lust und Unlust auch am anderen jegliche Absolutheit abspricht. "In der Ästhetik und Ethik führt der strenge Empirismus zu dem Ergebnis, daß es keinen Sinn hat, von 'absoluten' Werten zu sprechen; nur die bei den Menschen tatsächlich vorgefundenen wertenden Verhaltungsweisen können Gegegenstände der Untersuchung sein. Auf diesem Standpunkte ergibt sich eine neue Begründung einer Art von Eudämonismus, dessen Moralprinzip ungefähr lautet: Mehre deine Glückseligkeit! Die Philosophie ist keine Wissenschaft, obwohl sie alle Wissenschaften durchdringt. Während nämlich diese aus Systemen wahrer Sätze bestehen und Erkennntnis enthalten, besteht die Philosophie in der Aufsuchung des Sinnes der Sätze und schafft Verständnis, das zur Weisheit führt."<122>

10 Der Untergang der Ästhetik

1927, im Sommer, als Schlicks "Vom Sinn des Lebens" schon erschienen war, wurde nicht nur der Weltjugendtag in Wien abgehalten. 1927 war auch das Jahr einer Zentenarfeier, die Beethoven zu seinem Todestag am 27. März gewidmet war. Ging es Schlick um einen Beethoven, der wie alle klassischen Wiener Komponisten bis ins Alter "jung" blieb und nicht wie ein Wagner endete - als pessimistischer Alter im Angesicht der Jugend sterbend, wie es Thomas Mann und Bernardo Bertolucci sahen? Wie das Gedenkalbum von 1927 <123> suggeriert, hätte es nur noch der Regression in den ständischen Festzug bedurft, wie ihn ein Makart Ende des 19. Jahrhunderts zu Ehren Kaiser Franz Josefs gestaltete. Dem entgegen muß an den Versuch einer Überwindung des Historismus und seiner ständestaatlichen Tendenzen in der XIV. Ausstellung der Wiener Secession zu erinnern, die bekanntlich Max Klingers Beethoven-Skulptur zum Ausgangspunkt einer Manifestation des Jugendstils nahm, die bis zu Beethovenbearbeitungen von Gustav Mahler reichte. Das war nicht nur der Jugenstil, das war die Moderne, als die sich ein selbständiges Bürgertum 1902 begriff.

War Schlicks Spielbegriff zu wenig modern? "Spiel" war nach 1908 nicht nur, wie später das Komplement Jugend, eine Konstante im Schlickschen Denken. Auch für den Wittgenstein um 1930, der mit Schlick mehrere Male diskutierte, sollte "Spiel" wichtig werden. Dabei muß Wittgenstein von Schlick und dessen biologisch anthropologischen Spielbegriff Notiz genommen haben.<124> Schon aus dem "Grundproblem der Ästhetik"<124> könnte Wittgenstein von Schlicks Spielbegriff zumindest gesprächsweise Kenntnis gehabt haben.<125> Doch "Spiel" fand von einer ganz anderen Seite den Impuls zu einer neuen philosophischen Konzeption. Es war just Weyls Text <126> mit einer Bemerkung über den Formalismus in der Mathematik, der auch vom Phänomen her einen Spielbegriff in die Diskussion einbrachte, dessen Spielerisches nur mehr ein Aspekt sein konnte.

Im Anschluß an Weyl, der den mathematischen Formalismus als die Position beschreibt, in der die Axiome der Mathematik wie Spielregeln des Schachspiels verstanden werden, meint Wittgenstein <127>, daß nicht nur die Mathematik, sondern alle Syntax willkürlich ist, entsprechend den Bewegungen auf dem Schachbrett. Es kommt also auf die Anwendung an. Eine Schachfigur, anders als bei Frege, hat aber keine Bedeutung. Auch spielt sie als ein Materielles keine Funktion - sie könnte gedacht (oder am Bildschirm repräsentiert) sein. Eine Figur wird im Schach zum Bauern erst durch Spiel(regeln) bestimmbar, die aber immer nur das jeweilige Spiel bestimmen. Die Theorie des Schachspiels ist aber nicht nur Theorie, sondern auch Kalkül (Technik), ist Beschreibung und Beweis. Die Pointe, auf die es hier ankommt, ist, daß die Sprache (als System) als eine ernste und das Spiel als spielerisches nicht entgegengesetzt werden können. Das Spiel ist vielmehr weder Ernst noch Spaß. Nach Wittgenstein kann ein Spiel im Sinne eines Regelanwendens mit Spielraum sowohl im Ernst oder im Spiel vollzogen werden. "Ein Kalkül ist Spiel, wenn ich ihn so auffassen kann, daß er mir Spaß macht. Im Kalkül selbst liegt weder die Beziehung auf den Ernst noch auf den Spaß."<128> Damit ist aber der klassischen Konzeption, die Schlick noch auf anthropologische Bahnen bringen wollte, eine Absage erteilt. Die Schönheit, die Kunst, die Ästhetik ist nicht mehr einem bestimmten Bereich, etwa der Freiheit - das freie Spiel von Verstand und Einbildungskraft, der Spieltrieb - reserviert. Sie wird zum Aspekt, ohne noch als direkter Faktor lebensphilosophisch ausgelegt werden zu können. Damit aber ist nur das Faktum bestätigt, daß Schlick selbst neben anderen theoretisch das ästhetische Grundproblem nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr verfolgte.

Längst hatte sich die Anschauung Bahn gebrochen, daß die Ästhetik nicht auf der selben Höhe zu behandeln sei wie die Logik. Frege meinte 1891: "Für den dichterischen Geschmack genügt es, dass Alles einen Sinn habe, für den wissenschaftlichen dürfen auch die Bedeutungen nicht fehlen."<129> Moore schrieb 1903, daß die Ästhetik in Ethik aufgehen würden, wenn man nur einmal die Ästhetik als die gute, bewundernde Betrachtung guter Ganzheiten reformulieren würde.<130> Auch sonst werden ästhetische Urteile parallel zu Werturteilen durchgespielt. Und weil, so Ayer, das Sprechen über Kunst etwa als Kritik nur Emotionen vermittle, könne die Ästhetik nicht einmal eine eigene Erkenntnisart verkörpern.<131> Damit war der Untergang der Ästhetik als philosophische Disziplin weitesthin besiegelt. Es sollte einige Zeit brauchen, bis man entdeckte, daß der Kunst und im weiteren dem Ästhetischen als Sprachspiel neue Dignität verliehen werden konnte. Wenn Kunst nicht in einer Definition festgelegt werden kann, so lassen sich doch, im wiedergewonnenen Vertrauen auf den normalen Sprachgebrauch, aus dem Sprachspiel Kunst, etwa aus der Familienähnlichkeit der verwendeten Fälle gewisse philosophisch relevante Schlüsse ziehen. Doch das ist schon ein anderes Kapitel der Geschichte der Ästhetik im 20. Jahrhundert.

Endnoten

<1> Moritz Schlick, Das Grundproblem der Ästhetik in entwicklungsgeschichtlicher Beleuchtung, in: Archiv für die gesamte Psychologie, hg. v. E. Meumann und W. Wirth, XIV. Band, Leipzig: Wilhelm Engelmann 1909, S.102-132; engl. in: Schlick 1979a, S.1-24, S.102

<2> a.a.O., 104f.

<3> E<rnst>. Meumann, Einführung in die Ästhetik der Gegenwart, = Wissenschaft und Bildung. Einzeldarstellungen aus allen Gebieten des Wissens 30, 4. überarb. Aufl., hg. v. Richard Müller-Freienfels, Leipzig: Quelle & Meyer 1930 (1. Aufl. 1908)

<4> Man denke an die Kunstpsychologen Rudolf Arnheim, Anton Ehrenzweig und Ernst Gombrich.

<5> Siehe dazu die Darstellung in: William Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848-1938, = Forschungen zur Geschichte des Donauraums, Bd.1, 3.Aufl., Wien/Köln/Weimar: Böhlau 1992 (The Austrian Mind. An Intellectual and Social History. 1848-1938, Berkeley/Los Angeles 1972), S.367-381. Leopold Rosenmayr, Geschichte der Jugendforschung in Österreich, Wien: Österreichisches Institut für Jugendkunde 1962, S.46f. Rosenmayr behandelt die dichterische Phantasie der Jugendlichen im Referat eines diesbezüglichen Kapitels der Dissertation von Siegfried Bernfeld, Über den Begriff der Jugend, Wien: Diss. 1915. William M. Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848-1938, = Forschungen zur Geschichte des Donauraums, Bd.1, 3.Aufl., Wien/Köln/Weimar: Böhlau 1992, S.197-201 ("Moritz Schlick: Initiator und Kritiker des Wiener Kreises" <The Austrian Mind. An Intellectual and Social History. 1848-1938, Berkeley/Los Angeles 1972>: Jugend, Spiel, Genie, Kindheit, echte Begeisterung. S.200: die bestmöglichen Chancen für die Jugend, erst in den 60er Jahren von der Jugend gefordert: Kampf gegen Erziehung durch Zwang: "die Jünger der Spontaneität" (S.201) S.200f.: Utitz 1930: Expressionismus, weil das unausdrückbare, unmittelbare Erleben im Gegensatz zum Erkennen bei Schlick zum Expressionismus führt. - "Rank verkündete das Poetische an Freud und formte die Psychoanalyse zu einem Korrektiv an der Konsumgesellschaft um. Gemeinsam mit Moritz Schlick hat dieser Sproß der 'fröhlichen Apokalypse' die nach 1960 aufkommenden Forderungen der Jugend nach Selbsterschaffung vorweggenommen."267; Am Ende seiner groß angelegten Übersicht heißt es Richtung Woodstock-Generation auf S.403: "Befreiung des Ich und des Es von den überholten Erlässen eines Über-Ich ... Zuvor schon war dieses Plädoyer für die Spontaneität von Schlick, Buber, Ebner vorgetragen worden, von jenen Österreichern also, denen in explizitester Form eine Vorwegnahme der Grundsätze der heutigen Jugend gelungen war. Für Millionen ist Kreativität zu einem Ideal des Ich geworden, das jedes Dogma verdächtig macht und die Selbsterfüllung zum obersten Kriterium erhebt."> Studium 1909/10 bei Simmel. Siehe auch Moritz Schlick (1979e), The Present Task of Philosophy, in: ders. (1979a), Philosophical Papers, Volume I (1909-1922), hg. v. Henk L. Mulder u. Barbara F. B. van de Velde-Schlick, übers. v. Peter Heath, = Vienna Circle Collection 11</2>, Dordrecht/Boston/London: Reidel 1979, S.104-118 <Die Aufgabe der Philosophie der Gegenwart, Antrittsvorlesung Univeristät Rostock 1911, nicht publiziert>, besonders S.113. Die Zählung 1979e beruht auf meiner Schlick-Bibliographie in: Peter Mahr (Hg.), Erinnerung an Moritz Schlick. Ausstellungskatalog und Textbeiträge anläßlich der 60. Wiederkehr seines Todestages, = Biblos-Schriften 165, Wien: Österreichische Nationalbibliothek 1996, S.35-59. Siehe auch: Moritz Schlick (1910b), Das Wesen der Wahrheit nach der modernen Logik, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie 34 (1910); engl. in: ders. (1979a), a.a.O., S.41-103, S.62: Simmel wird hier mit seinen Ausführungen "Über eine Beziehung der Selektionslehre zur Erkenntnistheorie, in: Archiv für systematische Philosophie 1 (1895), S.45ff. wie selbstverständlich der pragmatistischen Wahrheitstheorie zugeordnet. Nur Jean-Marie Guyau wird öfters erwähnt.

<6> Dies gilt für Schlick durchgängig. Er ist gegen die Methode der Einfühlung Lipps', Denn einer wissenschaftlichen Ästhetik kommt es ja gerade auf die Erklärung des ästhetischen Gefühls an, darauf, es zu reduzieren. Die Methode der Induktion fruchtet nicht. Es hat keinen Sinn, sich an den Merkmalen ästhetisch günstig oder ungünstig wirkender Dinge zu orientieren, um zu einer Verallgemeinerung über die Merkmale der Dinge zu kommen. Induktion und Klassifikation wie bei Witasek bringen keinen Gewinn der Erkenntnisse, bestenfalls dienen sie "ihrer Verifikation"104, wie Schlick sagt. Vgl. die Ausführungen zur Reduktion in: Peter F. Strawson, Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics, London: Methuen & Co. Ltd. 1959, 8. und letztes Kapitel über "Logische Subjekte und Existenz", wo gleich zu Beginn Kunstwerke (Werke der Musik, Literatur, aber auch der Malerei) als Individuen (Typen) angesprochen werden, und die darauf folgende Diskussion bei Arthur Danto, The Artworld, in: Journal of Philosophy, vol. 61 (1964), S.571-584; übers. v. Peter Mahr, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42 (1994), S.907-919, und Richard Wollheim, Art and its Objects. An Introduction to Aesthetics, New York/Evanston: Harper & Row 1971

<7> Schlick, Das Grundproblem ... , a.a.O., S.106

<8> Offensichtlich bereits unter dem Eindruck Husserls stehend wird Schlick ein Jahr später (und noch öfters) die Psychophysik Fechners kritisieren in 1910a, 1910b. 1910b: Moritz Schlick (1910b), Das Wesen der Wahrheit nach der modernen Logik, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie 34 (1910), S.386-477; engl. in: ders. (1979a), Philosophical Papers, Volume I (1909-1922), hg. v. Henk L. Mulder u. Barbara F. B. van de Velde-Schlick, übers. v. Peter Heath, = Vienna Circle Collection 11</2>, Dordrecht/Boston/London: Reidel 1979. Schlicks "Grundproblem der Ästhetik" ist gewissermaßen auch eine Antwort auf K. S. Laurilas "Ist der ästhetische Eindruck aus einer oder mehreren Quellen abzuleiten?" aus dem vorhergehenden Band des "Archivs für die gesamte Psychologie". Laurila bezieht sich auf die vier Prinzipien Volkelts: die Gefühle, die Lebensanschauung höheren Grades, die Fremdheit des Objekts gegenüber dem Alltagshandeln, die Handlungsfähigkeit, welche letztere drei auf das Gefühl als Ziel gerichtet sind.

<9> Moritz Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.107

<10> ebd.

<11> Yrjö Hirn, Der Ursprung der Kunst, Leipzig 1904, S.184: "kaum eine Abhandlung von gleicher Bedeutung ... nicht nur für die Kunsttheorie, sondern auch für die eigentliche Ästhetik, wie die Kapitel über geschlechtliche Zuchtwahl in der 'Abstammung des Menschen'".

<12> Moritz Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.132

<13> a.a.O., S.106f. spricht von der Biologie als "die höchste Instanz".

<14> Wie William James sagt, nach Schlick, a.a.O., im Verweis auf William James, Psychology, briefer course, 1900, S.5 --- James wird von Schlick zwar kritisiert - "Truth happens to an idea. It becomes true, is made true by events. Its verity is in fact an event, a process: the process of its verifying itself, its veri-fication."63f. <Schreibweise James, Pragmatism, New York 1907>, aber später - II. Positive Investigations (1-7 Wahrheitskritertium; 8-14 Natur der Wahrheit)- gilt, 2., als einziges Wahrheitskriterium für Tatsachen-Behauptungen die Verifikation 74 in Wissenschaft: Experiment. 3. Verifikation: Erkenntnis der Identität zweier Urteile (Sätze), eines davon Wahrnehmungsurteil 4. verités des faits äußere, verités des raisons innere Intuition. 5. Unterschied zwischen Tatsachen- und Vernunftwahrheiten. 6. Postulat universeller Gültigkeit für wahres Urteil. Für Vernunftwahrheiten zutreffend, vollkommene Erfahrung. ... bejahende Identität: "Alles Erkennen ist Wiedererkennen." B. Erdmann, hier S.101

<15> Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.110

<16> a.a.O., S.111

<17> ebd.

<18> Schlick verweist auf den locus classicus: Aristoteles, Metaphysik, I/1

<19> Schlick übernimmt dabei die Arbeitsbestimmung Darwins. Er kann dabei, wie bis zu den kulturanthropologischen Forschungen nach dem 1. Weltkrieg allgemein üblich, die Sexualität der Menschen nicht in der Perspektive des Überschusses, der Verschwendung in den Blick bekommen. Vgl. George Bataille, Der heilige Eros (L'Érotisme). Mit einem Entwurf zu einem Schlußkapitel, übers. v. Max Hölzer, = Ullstein Buch 3097, Frankfurt am Main/Berlin/Wien: Ullstein 1974, S.109-113 u.ö.

<20> Karl Groos; Siehe dazu: Christian G. Allesch, Geschichte der psychologischen Ästhetik. Untersuchungen zur historischen Entwicklung eines psychologischen Verständnisses ästhetischer Phänomene, Göttingen/Toronto/Zürich: Verlag für Psychologie Hogrefe 1987, S.280.

<21> Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.113

<22> Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 35

<23> Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.115. Was die Ursprünglichkeit dieses Faktors betrifft, befindet sich Schlick in einer ganzen Strömung des Ursprungsdenkens seiner Zeit. In den ersten Jahren der von Max Dessoir herausgegebenen Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft wurden die ausführlichen Schriftenverzeichnisse in "I. Ästhetik" und "II. Allgemeine Kunstwissenschaft" eingeteilt, wobei "II." mit "2. Anfänge der Kunst" einen eigenen Punkt enthielt. Schlick nahm zumindest Kenntnis von der Zeitschrift, wenn er nicht überhaupt seinen Beitrag beim ebenfalls in Berlin ansässigen Max Dessoir eingereicht hatte. Ursprungstheorien - Friedrich Engels, Moritz Hörnes, Gustave Courbet - werden aus dem Historismus als eines seiner Extreme entlassen und schwenken nach 1900 in die anthropologische Wende ein in biologischer, evolutionistischer, vergleichend-völkerkundlicher, soziologischer, primitivistisch-künstlerischer und fundamentalontologischer Weise. Punktuell dazu: Peter Mahr, OK o.k.? Philosophische Überlegungen zum Expressionismus Oskar Kokoschkas und seiner Rezeption, in: Oskar Kokoschka - aktuelle Perspektiven, hg. v. d. Hochschule für angewandte Kunst in Wien, Archiv und Sammlung/Oskar-Kokoschka-Zentrum, <Wien: o.V.> 1998, S.56-58

<24> Schlick, a.a.O., S.116

<25> Auch hier nimmt Schlick einen Faden seiner Kulturphilosophie auf: Schlick, Lebensweisheit ... , a.a.O.

<26> Grant Allen, Aesthetic Evolution in Man, Mind XX, 1880

<27> Siehe die 1906 von Elisabeth Förster-Nietzsche herausgegebe Nachlaßsammlung: Friedrich Nietzsche, Umwertung aller Werte, hg. v. Friedrich Würzbach (1940), = dtv 6079, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1977, S.378-387. Auch wenn die Kapitelüberschrift etwas irreleitet und auch wenn Nietzsche hier hauptsächlich "Traum" und "Rausch" individuell-körperlich ohne genetische oder speziell evolutionäre Gesichtspunkte aufgreift, so nahm der nietzschebegeisterte Schlick den Impuls zurecht auf, denn Nietzsches Befassung mit Spencer und den Darwinianern schlug sich auch in den publizierten Texten immer wieder nieder.

<28> Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.116

<29> ebd.

<30> Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 3: das Urteil über das Angenehme eines Gegenstands ist nicht bloß Urteil, und das Angenehme gefällt nicht nur, sondern vergnügt auch - wovon Kant das ästhetische Urteil abhebt. Nach Jean-Marie Guyau, Les problèmes de l'esthétique contemporaine, Paris: Alcan 1884, wird, so Schlick, der Unterschied zwischen Schönem und Angenehmen mit der Zeit verschwinden.

<31> Adolf Loos, Ornament und Verbrechen <1910>, in: ders., Trotzdem,

<32> Die Anspielung auf Kant, Kritik der praktischen Vernunft (Beschluß), ist unüberhörbar, der mit dieser Imago nicht das Schöne, das in der Einbildung aufgeht, sondern das Erhabene verdeutlichen will.

<33> Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.122

<34> Oswald Külpe, Über den assoziativen Faktor des ästhetischen Eindrucks, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 23 (1899), S.145-183

<35> Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.126

<36> ebd.

<37> ebd.

<38> Schlick, Das Grundproblem ..., a.a.O., S.130

<39> ebd.

<40> Anderer Meinung ist Karlheinz Lüdeking, Erprobung der Ästhetik durch logische Analyse der Sprache, in: Kruntorad, Paul (Hg.): Jour fixe der Vernunft. Der Wiener Kreis und die Folgen, = Band 1 der Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1991, S.246-265, S.246: "Aus dem Wiener Kreis hat tatsächlich niemand einen konstruktiven Beitrag zu Fragen der Ästhetik geleistet. Es gibt zwar einen Aufsatz von Moritz Schlick. ... Dieser Aufsatz erschien jedoch lange, bevor Schlick nach Wien ging. ... Schlick stellt in diesem (nicht sonderlich bemerkenswerten) Jugendwerk einige Mutmaßungen darüber an, weshalb die Menschen der Urzeit ein ästhetisches Interesse an Dingen entwickeln konnten, die keinen unmittelbaren Nutzen für sie hatten."

<41> Étienne Maigre, in: L'Année psychologique 16 (1910), 435-437; Etienne Maigre, <Rez.> Moritz Schlick, Das Grundproblem der Ästhetik in entwicklungsgeschichtlicher Beleuchtung, (Le problème fondamental de l'esthétique envisagé du point de vue de l'évolution) ... , in: L'Année psychologique, 16 (1910), S.435f.

<42> Emil Utitz, Zur Philosophie der Jugend, in: Kant-Studien 35 (1930), S.437-465. Der nach Ortega y Gasset gewidmete Teil ist S.450-462, insbesondere die Kritik auf S.460f.

<43> Moritz Schlick, Lebensweiheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre, München: C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck 1908. Das Buch kam in einem damals wenig renommierten Verlag heraus und blieb so gut wie unbeachtet. Das einschlägige Büchernachweisverzeichnis für Deutschland nennt nur vier Standorte. In Österreich scheint es kein einziges Bibliotheksexemplar zu geben. Zur Entstehung ist nichts weiteres bekannt. Laut telefonischer Auskunft im Juni 1996 beim Verlag C. H. Beck wurden die Korrespondenz und der Vertrag mit dem Autor mitsamt dem Verlagsarchiv am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört. Eine der seltenen Rezensionen (anon. Notiz, Moritz Schlick [Dr.], Lebensweisheit ..., in: Deutsche Literaturzeitung (Berlin), 31. Oktober 1908/Nr.44, Sp.2777) resümiert eine Triebpsychologie des Einzelnen, die auf das Glück von Leib und Seele in Kunst, Wissenschaft, Genie und Religion gerichtet ist, und eine Triebpsychologie der Menschheit, in der die Menschen zu Werkzeugen und Objekten der Triebe werden - hin zu mehr Liebe.

<44> Im folgenden werden Mitteilungen Schlicks zur Kenntnis gebracht aus zwei Manuskripten (Nachlaß, Nr.82,2 und Nr.82<,4>), was teilweise schon geschah in: Peter Mahr, Moritz Schlick - Biographie, in: ders. (Hg.), Erinnerung an Moritz Schlick. Ausstellungskatalog und Textbeiträge anläßlich der 60. Wiederkehr seines Todestages, = Biblos-Schriften 165, Wien: Österreichische Nationalbibliothek 1996, S.21-27. Der Veröffentlichung harren nicht nur die beiden hier wie dort verwendeten, sondern auch die sechs anderen autobiographischen Dokumente sowie eine Fülle in der Schlickforschung immer wieder genannter oder ungenannter Texte über Nietzsche, Schopenhauer, Ästhetik und Ethik, Ethik und Kulturphilosophie, Spiel des Daseins, ästhetische Wertungen, Jugend, Popper-Lynkeus, Feste, Erlebnis und Zweifel, Staat und Kultur, Natur und Kultur, Geschichtsphilosophie, Philosophiegeschichte, Gestaltpsychologie und Phänomenologie.

<45> Man denke an die den Englischunterricht einschließende, realgymnasiale Ausbildung, wie sie im Unterschied zur humanistischen etwa bei Musil oder Wittgenstein wichtig werden sollte, deren Auffassung von Moderne ebenso wie bei Loos oder Duchamp mit der angelsächsischen Ingenieurskunst verbunden ist.

<46> Emil Reich, Bericht über die Neubesetzung der Philosophie-Ordinariate <1921, Ausschnitt>, in: ders. (Hg.), Erinnerung an Moritz Schlick. Ausstellungskatalog und Textbeiträge anläßlich der 60. Wiederkehr seines Todestages, = Biblos-Schriften 165, Wien: Österreichische Nationalbibliothek 1996, S.67-72, S.67

<47> a.a.O., S.67f.

<48> ad: Moritz Schlick, Lebensweisheit, <anon. Notiz> in: Deutsche Literaturzeitung (Berlin), 31. Oktober 1908/Nr.44, Sp.2777: 3. Teil, Triebpsychologie der Menschen als Werkzeuge und Objekte der Triebe: "Mehr Liebe tut uns not."

<49> Moritz Schlick, Lebensweisheit ..., S.22

<50> a.a.O., S.57

<51> a.a.O., S.64-119

<52> a.a.O., S.120-168

<53> a.a.O., S.73

<54> a.a.O., S.88-83

<55> S.95-112

<56> S.112-119

<57> S.114

<58> S.115-119

<59> S. 115

<60> S.116

<61> ebd.

<62> S.120-125

<63> S.120

<64> Grundproblem S.130

<65> Lebensweisheit, S.125-143

<66> S.129

<67> S.130

<68> S.132 im Original gesperrt. Es kündigt sich hier bereits die Wieder-Holung der Welt in der Kunstwelt an. Siehe dazu: Arthur C. Danto, Die Kunstwelt (1964), übers. v. Peter Mahr, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42 (1994), Nr.5, S.907-919, S.914

<69> Emerson, zit. a.a.O., S.136

<70> ebd. Damit ist, in Schillerscher Färbung, nicht nur das Verhältnis von Verstand und Einbildungskraft (mit dem Kant in den §§ 35ff. der Kritik der Urteilskraft seine Kunstdefinition einleitet) definitiv aufgelöst - wobei schon Kant mehrfach auf den Blumengeruch zu sprechen gekommen war (etwa § 32 und besonders im § 8, wo er den Geruch der Rose dem Angenehmen und damit dem Sinnesurteil und nicht dem Schönen beziehungsweise dem Geschmacksurteil zuordnet) - , sondern auch die letzte Konsequenz realistischer Kunst antezipiert als eine "Verklärung des Gewöhnlichen", mit welchem Titel Arthur Danto seine Philosophie der Kunst von 1981, übers. v. Max Looser, = stw 957, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, zusammenfaßt.

<71> S.137

<72> S. 141

<73> S.138

<74> S.143

<75> das gleichnamige Kapitel, S.156-159

<76> S.156

<77> 157

<78> S.158

<79> Grundproblem, S.131 Vgl. dagegen Dieter E. Zimmer, Schönheit, was ist das? Ein Wissenschaftsreport, in: Die Zeit magazin, 5. Januar 1996, S.8-15, der das Wohlgefallen, wenn auch noch nicht Empfinden von Schönheit, von Gesichtermischungen bestätigt - allerdings für Frauen eher als für Männer.

<80> Schlick, Das Grundproblem ... , a.a.O., S.104. Schlick meint Stephan Witasek, Grundzüge der allgemeinen Ästhetik, Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1904, der die ästhetisch günstig oder ungünstig wirkenden Dinge von ihren Klassen und Merkmalen her aufrollen möchte. Das sei Voraussetzung für die Erklärung des ästhetischen Gefühls (wie bei Lipps, Volkelt und anderen) - weswegen zuerst Gesichtspunkte durch Erkenntnisse, dann die Klassifikation /Repertorium/ Einteilungsgrund, dann die Erklärung gegeben werden müssen. Erkenntnisse liefern somit gewissermaßen Gesichtspunkte für ihre Klassifikation im "Repertorium" mit. Die Philosophie wäre also - wenn dieser hinkende Vergleich erlaubt ist - das Schwert, das den gordischen Knoten der vielen Einzelerkenntisse zugleich auflöst und zu einer Ordnung flicht.

<81> Schlick, a.a.O., S.105

<82> Schlick, a.a.O., S.102. - Bei Stephan Witasek (a.a.O., S.9-11) übrigens, auf den sich Schlick bezieht, kann das Ästhetische auf ästhetisch wirkende Dinge, auf Vorgänge wie künstlerisches Schaffen und ästhetisches Genießen und auf Dispositionen wie etwa Fähigkeiten zurückgeführt werden.

<83> Friedrich Th. Vischer, Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Zum Gebrauche für Vorlesungen, Carl Mäcken's Verlag, Reutlingen/Leipzig 1846-51; Stuttgart 1852-58 und die auf ihr fußenden Ästhetiken von Robert Zimmermann, Max Schasler, Otakar Hostinský, Bernard Bosanquet und Benedetto Croce, die die Fülle des Materials primär als Philosophiehistoriker zu bändigen imstande waren.

<84> mit einem Wort: zu den Human- bzw. Kulturwissenschaften, zu denen sich auch die "Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft" wandelt, wie der Titel der damals einzigen und lange Zeit wichtigsten einschlägigen "Zeitschrift" lautete. Siehe: Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, übers. v. Ulrich Köppen, = stw 96, Frankfurt: Suhrkamp 1974

<85> Siehe Nicole D. Schmidt, Philosophie und Psychologie. Trennungsgeschichte, Dogmen und Perspektiven, = re 556, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch 1995

<86> Moritz Schlick (1910a): Die Grenzen der naturwissenschaftlichen und philosophischen Begriffsbildung, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie 34 (1910), S.121-142; engl. in: ders. (1979a): Philosophical Papers, Volume I (1909-1922), hg. v. Henk L. Mulder u. Barbara F. B. van de Velde-Schlick, übers. v. Peter Heath, = Vienna Circle Collection 11</2>, Dordrecht/Boston/London: Reidel 1979, S.25-40. Mit diesem Artikel, in dem die Kritik am Empfindungsbegriff Fechners und der Psychophysik als einer bloß extensiven Größe noch einmal zugespitzt und die philosophische Tätigkeit als Vereinheitlichung der Begriffe (Qualitäten) bestimmt wird, beginnt eine intensive Rezensionsaktivität, die bis zum letzten Band 1916 dreißig Besprechungen logischer, wissenschaftstheoretischer und naturphilosophischer Publikationen umfasst.

<87> Schlick, Die Grenzen ... (engl), a.a.O., S.25

<88> Moritz Schlick (1979f <1911/12>), What is Knowing?, in: ders., Philosophical Papers, Volume I (1909-1922), hg. v. Henk L. Mulder u. Barbara F. B. van de Velde-Schlick, übers. v. Peter Heath, = Vienna Circle Collection 11</2>, Dordrecht/Boston/London: Reidel 1979a <Was ist Erkenntnis?, aus: Grundzüge der Erkenntnislehre, Vorlesung an der Universität Rostock 1911/12, unpubliziert>

<89> a.a.O., S.131f.

<90> a.a.O., S.133

<91> Moritz Schlick, Gibt es intuitive Erkenntnis?, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie 37 (1913), S.472-488.

<92> Moritz Schlick (1930/31): Die Wende der Philosophie, in: Erkenntnis 1 (1930/31), S.4-11; photomechnischer Nachdruck in: Hubert Schleichert (Hg.), Logischer Empirismus - der Wiener Kreis, = Kritische Information 21, München: Wilhelm Fink 1975

<93> a.a.O., S.8

<94> So lautet die Parallelstelle zu a.a.O., S.9, in "The Future of Philosophy <2>", in: College of the Pacific Publications in Philosophy I (1932); wieder in und zitiert nach: Richard M. Rorty (Hg.), The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method. With Two Retrospective Essays, 3.Aufl., Chicago-IL/London: The University of Chicago Press 1992, S.43-53, S.52

<95> Moritz Schlick, Die Probleme der Philosophie in ihrem Zusamenhang. Vorlesung aus dem Wintersemester 1933/34, hg. v. Henk Mulder, Anne J. Kox u. Rainer Hegselmann, = stw 580, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986

<96> Schlick, Wende ... S.9

<97> Erleben, Erkennen, Metaphysik, in: Kant-Studien 31 (1926), S.146-158, nach Friedrich Waismanns kurzer Zusammenfassung des Artikels in seiner fast die Hälfte der Publikation umfassenden "Bibliographie" von: Wissenschaftliche Weltauffassung - Der Wiener Kreis. Moritz Schlick gewidmet, = Veröffentlichungen des Vereines Ernst Mach, Wien: Artur Wolf 1929, S.33-58

<98> Waismann, a.a.O., S.45

<99> Zumindest Teile dieses "Abstracts", a.a.O., S.46, könnten auf einem Hinweis beruhen, den Waismann, der das frühe Buch möglicherweise selbst nicht kannte, gesprächsweise von Schlick bekam.

<100> Moritz Schlick (1979e), Die Aufgabe der Philosophie der Gegenwart, Manuskript, 1911, übers. v. Peter Heath, als: The Present Task of Philosophy, in: ders., Philosophical Papers, Volume I (1909-1922), hg. v. Henk L. Mulder u. Barbara F. B. van de Velde-Schlick, = Vienna Circle Collection 11</2>, Dordrecht/Boston/London: Reidel 1979, S.104-118

<101> a.a.O., S.113

<102> a.a.O., S.114

<103> a.a.O, S.116f.

<104> a.a.O., S.117

<105> ebd.

<106> a.a.O., S.117f.

<107> a.a.O., S.118

<108> ebd.

<109> Wie ein nachträglich eingeklebter Zettel im Exemplar des Vorlesungsverzeichnisses der Universität Wien vom WS 1922/23 belegt, hielt Schlick gleich in seinem ersten Wiener Semester eine Vorlesung über Schopenhauer und Nietzsche. Aber dann zog er sich aus diesem Gebiet von Lebensphilosophie und Ästhetik zugunsten der Kollegen Emil Reich und Friedrich Kainz zurück. Eine besondere Bedeutung diesbezüglicb dürfte Charlotte Bühler zugekommen sein, die mit Karl Bühler nach Wien gekommen war, als dieser gleichzeitig mit Schlick an die Wiener Universität berufen wurde. Wie Gerhard Benetka, Psychologie in Wien. Sozial- und Theoriegeschichte des Wiener Psychologischen Instituts 1922-1938, Wien: WUV-Universitätsverlag 1995, S.24-27, mitteilt, wurde Charlotte Bühler 1920 an der TH Dresden die Venia legendi für "Ästhetik und pädagogische Psychologie" verliehen, zu deren Übertragung Schlick laut handschriftlichem Sitzungsprotokoll vom Jänner 1923 eine Umbenennung auf "Ästhetik und Jugendpsychologie" vorschlägt. Charlotte Bühler hielt an der Universität Wien Vorlesungen über "Psychologie der Kunst" (SS 1923) und "Geschichte der Ästhetik" (WS 1924/25) und war ab 1929 außerordentliche Professorin.

<110> anon. <Protokoll>, Kieler Akademische Woche. Ueber den Sinn des Lebens, in: Kieler Neueste Nachrichten, 22. Juni 1922, 2.Blatt; wieder in: Peter Mahr (Hg.), Erinnerung an Moritz Schlick. Ausstellungskatalog und Textbeiträge anläßlich der 60. Wiederkehr seines Todestages, = Biblos-Schriften 165, Wien: Österreichische Nationalbibliothek 1996, S.88-92

<111> a.a.O., S.89f

<112> a.a.O., S.90

<113> ebd.

<114> a.a.O., S.91

<115> Moritz Schlick, Vom Sinn des Lebens, in: Symposion. Philophische Zeitschrift für Forschung und Aussprache 1 (1926/27), S.331-354 (photomechanischer Nachdruck in: Hubert Schleichert (Hg.), Logischer Empirismus - der Wiener Kreis, = Kritische Information 21, München: Wilhelm Fink 1975). siehe die Diskussion dieses Textes und José Ortega y Gassets "Die Aufgabe unserer Zeit" (1028) in Emil Utitz, Zur Philosophie der Jugend, S.437-465, bes. 450-462.

<116> Moritz Schlick (1930), Fragen der Ethik, = Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung, Bd.4, hg. v. Philipp Frank u. Moritz Schlick, Wien: Julius Springer 1930; neu hg. v. Rainer Hegselmann, = stw 477, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984

<117> siehe die deskriptive Orientierung im Kapitel "VIII. Welche Wege führen zum Wertvollen?", a.a.O, S.167ff.

<118> So hieß denn auch ein Vortrag "Ethik der Pflicht und Ethik der Güte", den Schlick am 31. 1. 1928 für die Ethische Gemeinde in Wien hielt und der an "Vom Sinn des Lebens, a.a.O., S.350, anknüpft. Vgl. die Lexikonartikel von Bela Juhos für die Encyclopedia of Philosophy (Bd.7. hg. v. Paul Edwards, 1967) und Kuno Lorenz für die Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie (Bd.3, hg. v. Jürgen Mittelstraß, 1995).

<119> Kap. "V. Gibt es absolute Werte?", a.a.O., S.125ff.

<120> a.a.O, S.130

<121> Emil Reich, Bericht über die Neubesetzung der Philosophie-Ordinariate (1921), in: Peter Mahr (Hg.), Erinnerung an Moritz Schlick. Ausstellungskatalog und Textbeiträge anläßlich der 60. Wiederkehr seines Todestages, = Biblos-Schriften 165, Wien: Österreichische Nationalbibliothek 1996, S.67-72, S.71f.

<122> Schlick im kurz vor seinem Tod geschriebenen autobiographischen Lexikon-Artikel, den Ziegenfuß in seinem Philosophenlexikon in den 50er Jahren herausgegeben hat. Moritz Schlick (1950a): Schlick, Moritz, in: Philosophen-Lexikon. Handwörterbuch der Philosophie nach Personen, hg. v. Werner Ziegenfuß/Gertrud Jung, Bd.II, Berlin 1950, S.462f. (wiedergegeben in: Klaus Hentschel (1988) (Hg.): Zwei vergessene Texte Moritz Schlicks, in: Centaurus 31 (1988), S.300-311). - Die Herausgeber von Schlicks zweibändigen Philosophical Papers, Henk Mulder und Barbara van de Velde-Schlick, drucken auch den Nachruf von Herbert Feigl (Erkentnnis 7 (1937/38), S.394-419), S.XV-XXXVIII ab (engl. in: Schlick (1979a), der, S.XXXV, auf Schlicks Projekt einer "Philosophie der Jugend" hinweist, das schon Waismann im Manifest ankündigte (s. o.), von dem der Nachlaß das Kapitel "Spiel, die Seele der Jugend" und die zwei Kapitelüberschriften "Schönheit, das Antlitz der Jugend" und "Adel, das Herz der Jugend" enthält. Und Josef Rauscher (ders. (Hg.), Moritz Schlick, Natur und Kultur, Wien/Stuttgart: Humboldt 1952) hat in bezug auf die Vorlesung über Ethik und Kulturphilosophie im WS 1935/36 eine Arbeit über "Natur, Kultur, Kunst" genannt, die das Hauptwerk werden sollte.

<123> Steckt hier der Sinn des Lebens? Es war wohl der Höhepunkt der Integration des Deutschen Moritz Schlick in die Wiener Gesellschaft, wenn Schlick am Komitee der Zentenarfeier beteiligt wurde. Das Gedenkalbum von ihr in der Österreichischen Nationalbibliothek hält es fest. Das Unikat hat die Signatur "ÖNB Bildarchiv Cl 2229/Nr.4" und ist etwa 70 x 50 cm groß. Genau abgestuft in 5 Fotoabzugsgrößen stellt sich eine Gesellschaft "ständisch" dar. Da sind - in genau dieser Reihenfolge - die Repräsentanten der inländischen Bundesregierung und Institute, die Vertreter ausländischer Regierungen und Institute, der Komitee-Vorsitzende und ihr Stellvertreter, die Komitee-Mitglieder, das Damen-Komitee, das Allgemeinen Komitee - dem Schlick angehört neben Alban und Helene Berg, Karl Bühler, Emil Reich, Robert Reininger, Felix Salten, Alfred Roller, Albert Sever, Heinrich Ritter von Srbik, Hans Thirring, Jakob Wassermann, Anton Wildgans und anderen - , die Mitwirkenden Künstler wie Max Devrient, Lotte Lehmann oder Alfred Piccaver mit dem Wiener Philharmonischen Symphonie Orchester und zuletzt die Teilnehmer des musikhistorischen Kongresses.

<124> Wittgenstein liest und kommentiert am 2. 1. 1930 mit Friedrich Waismann (<Friedrich Waismann,> Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, hg. v. B. F. McGuiness, = Ludwig Wittgenstein. Werkausgabe, Bd.3, stw 503, 5. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S.76-81) einen Text Hermann Weyls aus dem selben Jahrgang von Symposion I 1927 (S.1-32), in dem Schlicks "Vom Sinn des Lebens" (im Heft 6, S.331-354) erschien. Und Richard Meister hielt am 20. Mai 1927 in der Wiener Philosophischen Gesellschaft einen Vortrag "Spiel und Arbeit beim Kind und Erwachsenen".

<124> a.a.O., insbesondere S.114-123

<125> Und er könnte daraus auch den Topos der Familienähnlichkeit anhand von Porträtfotos übernommen haben, siehe Endnote 79. Die Beschäftigung Wittgensteins mit diesem fotografischen Aspekt beleuchtet Gert Walden, Fotografie als Beschreibung, in: Wittgenstein. Eine Ausstellung der Wiener Secession, Bd.1: Biographie Philosophie Praxis, Wien: o. V. 1989, S.159-164

<126> Hermann Weyl, a.a.O.

<127> <Friedrich Waismann,> Wittgenstein und der Wiener Kreis, a.a.O., S.103ff., 150ff., 131ff. und 170.

<128> a.a.O., S.170

<129> Gottlob Frege, Brief an Husserl, 24. 5. 1891, in: Hans R. Sepp (Hg.), Edmund Husserl und die phänomenologische Bewegung. Zeugnisse in Text und Bild, Freiburg/München: Karl Alber 1988, S.174f.

<130> George E. Moore, Principia Ethica, übers. u. hg. v. Burkhard Wisser, = UB 8375, Stuttgart: Ph. Reclam jun. 1984, S.276

<131> Alfred J. Ayer, Sprache, Wahrheit und Logik (1936), übers. u. hg. v. Herbert Herring, = UB 7919, Stuttgart: Ph. Reclam jun. 1981, S.150f.

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