mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), Nr.2/Juni

Miszelle

8. Repräsentierung, Imaginierung, Pikturalisierung, Symbolisierung: metacittà, ad Fuksas. Zeichen.

Aus dem Kinosaal hinaus in einen fremden Stadtteil gehen, diesen Eindruck behalten. In einer anderen Stadt ein Déjà-vu. Im städtischen Internet-Service die schnellste Verbindung von A nach B suchen und dabei die Umgebung einem ersten Blick unterwerfen. Sich um 2 Uhr nachts die Stadt mit Hunderttausenden von schlafenden Menschen vorstellen. Den Aufschrei der Masse im Stadion hören und 1:? denken. Das Wahrzeichen einer Stadt erkennen. Bei all dem geht es noch nicht einmal um die physische Stadt, um deren anonyme, unberechenbare, ja weitgehend unplanbare materielle Konfiguration, die den Grund für all jene Bilder abgibt! Und wenn bereits die einzelnen Stadtarchitekturen nur von einer zerstreuten Masse im Kollektiv mehr aufgesogen, als rezipiert werden (Benjamin), wie soll dann eine wenig organisierte Ansammlung von Architekturen als ein Ganzes, gar als ein Kunstwerk wahrgenommen werden, in dem wir uns noch dazu zu sammeln in der Lage wären? Repräsentierend funktioniert das abwesende Bild der Vorstellung und Erinnerung, das zur Vergegenwärtigung drängt. Hier fordert die Topik ihr Recht, die Erinnerung an kriegerisch oder psychisch besetzte Punkte der Stadt. Sie bedrängt, verschiebt das festgeschriebene, gepflegte Ortsbild. Vergegenwärtigend ist auch das Bild von einer Anhöhe aus - im Grenzfall einer durch umliegende Berge ermöglichten Vogelperspektive mit einem stadtkartenähnlichen Bild identisch. Imaginierend befinden wir uns in der Sicht der Annäherung an die Stadt oder der Entfernung von ihr, eine Vergegenwärigung, nur affektiv stärker. Obwohl die vormalige Vogel-, die heutige Flugzeugperspektiven seit einer gewissen Zeit simuliert und dabei die kartographische Luftphotographie zum Ausgangspunkt genommen werden kann, gewinnt der Blick erst in der Einbildung des Immensen und der Extension an Bedeutung. Es wird ein mathematisches Erhabenes so dynamisch, wie bislang nur die Natur es vermochte (Kant): Wann endlich, so fragt sich der Fluggast über der Megacity, wird der Fleck kommen, mit dem freies Land beginnt, mit dem das Flugfeld sichtbar wird? Pikturalisierend , mit Vergegenwärtigung und Einbildung Hand in Hand geht das Faktum der zunächst immer künstlichen Stadt einher. Als Zeichnung, Gemälde, Bühnenbild, Foto, Film, Song und Simulation entfaltet die Pictura auch hier ihre reiche Aktivität: vom ersten Stadtgrundriß und -orientierungsbild, von der zum kompakten Flecken ummauerten, mittelalterlichen Stadt (Carcassonne), von den zentralperspektivisch oder mercatorprojizierten Stadtplänen seit der Renaissance, von der Verlandschaftlichung (die Townscape Delft), der Vedutenmalerei bis zur CAD-simulierten, virtuellen, fraktalen Stadt (The Legible City). Es bleiben die monumentalfotografierten, filmisch projizierten Realfiktionen und Realfragmentdesigns, die man den als unkomplett oder unzulänglich deklarierten Stadtbildern überstülpt oder den Bellevues als Einrahmung angedeihen läßt. Symbolisierend treiben die Wortvorstellungen ihre Rhetorik: die Stadtwappen, die Stadtlogos, die Wahrzeichen, bis hin zu den Metaphern - Big Apple, das Tor zum Osten, die schwimmende Stadt, dem Broadway Boogie-Woogie - den markanten Gebäudezeichen (spots), den unverwechselbaren Lichtkonfigurationen der Nacht. Nicht genug, treten ganze Stadtsymbole wie aus einem Guß auf den Plan: readymaking wie bei Allan McCollum und zugleich abstrahierend-baukastenartig wie bei Matt Mullican (Celebration). Da kann dann schon die Gegen-/Utopie der japanischen Schnellentwicklungsstadt bewundert werden (Koolhaas). Diese ganze vierfältige Anthropologie des Stadtbildes wird eines Tages vielleicht erschöpft sein. Wenn einst ein Netz von Städten den Erdball überzogen haben wird, dann wird es nicht nur Metacities geben - inderen Ironie schon heute sich ein Österreich übt, das ein Haus mit Giebeldach zum Schutz der Renovierung einer Reiterskulptur am Dach seines antik-graezisierenden Parlaments stellt. Dann wird es vielleicht speziellen, urbanen Gebilden welcher Verkörperung auch immer vorbehalten sein, in einer überlagernden, markierenden, steigernden und theoretisch reflektierenden Weise eine Stadt zu bilden. Aber wie soll das vor sich gehen, wenn die Pictura nicht mehr hinreicht, die Imago keinen Halt mehr findet und das Symbol keine signifikante Differenz mehr stiften kann? Etwas weiter gefragt: Wenn sowohl die Politik wie die Architektur den mehr oder weniger demokratisch verhandelten, öffentlichen Aufträge der sich bildenden Städte entspringen, welcher Art von Repräsentation können beide dann noch sein? Oder wird es ein durchgehend präsentisches Bild der Stadt geben können, ein Wahrnehmungsbild mitsamt einer Raumgestaltung, in der wir uns auch visuell-plastisch wiederfinden und in der sich die Zugehörigkeit zum gemeinschaftlichen Körper "Stadt" plastisch erleben und nutzen läßt?

(c) Peter Mahr 2000

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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