mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), Nr.2/Juni

L'art philosophique

3. Über "Die Kunstwelt" von Arthur C. Danto, aus: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42 (1994), Nr.5, S.905-906 (zu: Arthur C. Danto, Die Kunstwelt, übers. v. Peter Mahr, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42 (1994), Nr.5, S.907-919). Mit drei 1994 aus Platzgründen unveröffentlichten Passagen. 10834 Zeichen.

Am 15. Oktober 1964 erschien Arthur Dantos Text The Artworld im Journal of Philosophy, dem Heft 19 des 61. Jahrgangs auf den Seiten 571-584. Das Journal of Philosophy wird vom Department of Philosophy der Columbia University herausgegeben. Hier ist Danto seit 1952 Professor, am Journal wirkt er seit 1965 als Redakteur mit. Wie es die damals zwei Mal pro Monat erscheinende Zeitschrift bis heute hält, werden die wichtigeren Referate des jeweils am Jahresende stattfindenden Treffens der Eastern Division der American Philosophical Association im Herbst abgedruckt. Das Referat selbst hielt Danto dann im Ballroom East des Statler Hilton Hotels in Boston am Vormittag des 28. Dezember, und zwar innerhalb der Session "Symposium: The Work of Art". Morris Weitz moderierte, und William Kennick kommentierte - sein Abstract Theories of Art and the Artworld war gleich nach Dantos Text auf den Seiten 585-587 zu finden.

Danto befand sich damit in der Gesellschaft arrivierter Philosophen - die beiden hatten seit den 50er Jahren bereits wichtige Texte und allgemeine Anthologien zur Ästhetik vorgelegt. In einer Zeit, in der die Definition von Kunst auf die des Kunstwerks verschoben wurde und dieses gegen mentalistische Bestimmungen (Collingwood, Sartre, Alexander) auf die weder notwendigen, noch hinreichenden Bedingungen einer beliebigen Gruppe von Charakteristika reduziert wurde (Ziff), war Weitz einer der ersten gewesen, die in der Folge von Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit nominalistisch gegen jegliche Verallgemeinerung von kunstrelevanten Eigenschaften argumentierten (The Role of Theory in Aesthetics , 1956). Kennick hatte dann überhaupt die ganze bisherige Ästhetik in Frage stellen wollen, indem er das Identifizieren von Kunstwerken einer natürlichen, sicheren Anwendung der Redewendung "Kunstwerk" auf die Klasse der Kunstwerke zuordnete und daher eine zusätzliche Kunstdefinition für überflüssig hielt ( Does Traditional Aesthetics Rest on a Mistake?, 1958).

Dieser Anfang der 60er Jahre in der amerikanischen Ästhetik verbindlichen Strömung tritt Danto in vielen seinen Arbeiten mit der Ansicht entgegen, daß Analyse und Theorie verbunden werden können. <<<Ja er geht so weit, in seiner ebenfalls 1964 abgeschlossenen Analytical Philosophy of History (dt. 1974) einen Eklektizismus der Analyse anzubieten, wie er etwa in der vorbarocken Bologneser Malerei vorliege. Dort schließt er sich an das von Peter Strawson entwickelte Programm einer deskriptiven Metaphysik an, die als begriffliche Analyse von Denkweisen definiert ist, insofern diese Analyse eine allgemeine Beschreibung der Welt liefert. Aus dieser Analyse kann auf eine "deskriptive Metaphysik einer historischen Existenz" geschlossen werden, die über die historische Kontingenz von Ereignissen hinausgeht. Kunst spielt in diesem Buch eine mehrfache Rolle. Hinsichtlich "Geschichte und Chronik" (Kap. VII) wird deutlich, daß Geschichte eine kreative Imagination ist, die in der Erzählung oft vom Selbstverständnis der behandelten Zeit abhängt. Gerade im Vergleich der griechisch-antiken Malerei und der des 19. Jahrhunderts zeige sich, daß der ersten schon auf Grund nicht vorhandener Chroniken eine geringe Historizität zukommt, während bei letzterer das eigene historische Selbstbewußtsein einer "historischen Imagination" in der Geschichtsbetrachtung entgegenkommt. Das gilt, auch wenn die Geschichte noch nicht als in einer "substantivenPhilosophie" zu Ende kommend gedacht wird (Kap. I) - eine Philosophie, der sich Danto in bezug auf das hegelsche Ende der Kunst zu Beginn der 70er Jahre zuwenden wird, in den beiden Aufsätzen The Last Work of Art: Artworks and Real Things (1973) und The Transfiguration of the Commonplace (1974/76). Wie in Die Kunstwelt wird die Imitationstheorie (IT) kritisiert. Auch hier tritt Dantos berühmte Gedankenfigur auf: Das Ideal der IT könnte gegenüber der immer unzulänglich bleibenden Nachahmung letztlich nur vom nachgeahmten Ding selbst erfüllt werden (Realtheorie RT), sodaß Geschichte wie Kunst als Nachahmung prinzipiell unerfüllbar ist.

Noch ein zweites Buch wird 1964 abgeschlossen. Wie in der Geschichtsphilosophie scheint es auch bei Nietzsche as Philosopher (1965) wenig direkte Verbindung zu Themen der aktuellen Kunst oder Kunstphilosophie zu geben. Doch verweist schon die "Transfiguration", die Danto in Die Kunstwelt bezüglich der Akzeptanz der postimpressionistischen Malerei (RT) geheimnisvoll und dann in der Transfiguration of the Commonplace (1981) offen an diejenige der schottischen Schwester Helena von der Verklärung aus dem Roman der Muriel Sparks von 1961 knüpft, auch auf Nietzsches Kunsttheorie im 4. Kapitel der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Hier geht es um das einzige von Nietzsche genannte Bild, die Transfiguration von Raphael nach Matthäus 17, 1-20. Im Zuge der Bestimmung des Apollinischen gehe es dem Maler um eine Darstellung Jesu, wie er samt seinen Kleidern zu leuchten beginnt. Nietzsche sieht hier die apollinische Welt des schönen Scheins am Werk, die gegen den leidvollen Widerschein des Urschmerzes der alltäglichen Welt Apollo als principium individuationis vergöttlicht. Für Danto schafft jenes Urvermögen der Illusion, jene Kunst als Traum entlang der wirklichen Welt eine Kunstwelt, einen Schein des Scheins, als der uns die Kunst selbst scheinen kann. Durch Nietzsche mag er Geschmack daran gefunden haben, eines der Komposita einzuführen, die im Englischen nicht üblich sind. Doch ist "Kunstwelt" schon vor dem Beginn spezialisierter Welten und Dantos Wiedergewinnung eines ontologischen Horizonts in der Philosophie Thema gewesen. Geht der Begriff dieser Welt auf Schelling zurück? Immerhin hatte dieser im letzten Abschnitt seines Systems von 1800 gesagt: "Es sind ... Produkte einer und derselben Tätigkeit, was uns jenseits des Bewußtseins als wirkliche, diesseits des Bewußtseins als idealische, oder als Kunstwelt erscheint."

Beanspruchte Danto für seine Geschichtsphilosophie eine eklektizistische Analyse, so ist Dantos "Kunstwelt" eklektisch, insofern er ganz im Gegensatz zum rein analytischen Paradigma verschiedene Ansätze vermengt. Neben Strawson ist dies Thomas Kuhn, dessen 1962 erschienene Structure of Scientific Revolutions ein deutliches Echo in der Historisierung des Gegensatzes von IT und RT in der Kunstwelt findet. Jener Bruch ist auch von Danto nicht länger ignoriert worden, der noch 1960 mit Sidney Morgenbesser eine Anthologie der Wissenschaftstheorie in der analytischen Tradition herausgegeben hatte. Aber auch andere Autoren steuern Motive bei. Von Collingwood kommt die monadische Struktur der Welt des Kunstwerks, und der Zen-Buddhismus kommt Danto in den Anschauungen des Abstrakten Expressionismus der 50er Jahre entgegen, in der Transfiguration des Pinselstrichs zur reinen Bedeutung. Sartre, mit dessen Werk Danto als Fulbright-Fellow 1949/50 bekannt wird und über den er 1973 eine Monographie veröffentlicht (dt. 1977), hatte schon in L'imaginaire geschrieben, daß wie bei König Midas alles in "Gold" verwandelt wird, was das Bewußtsein in Imaginäres transformiert. Dazu kommen zahllose Anspielungen wie die auf Augustinus' Gottes- und Erdenstaat, den Nouveau-Roman-Regisseur Alain Resnais von Letztes Jahr in Marienbad, Heideggers Kunstwerk-Aufsatz (Van Gogh), den Tiermaler Erwin Landseer aus dem 19. Jahrundert (Landseerscher Hirsch), Platons Politeia (Glaukon und die anderen) und auf scholastischeSpitzfindigkeiten (Wie viele Engel finden Platz..).

Das alles ordnet sich um die Kunst des 4 Jahre jüngeren Warhol an.>>> Unaufhörlich hat Danto auf die für ihn entscheidende Erfahrung der Brillo-Box hingewiesen. Wie es im Interwiev mit Karlheinz Lüdeking (Kunstforum 123, 1993) zum Ausdruck kommt, dürfte die Findung der Identität als Philosoph gegenüber der Identität des Malers, der Danto noch bis in die 50er Jahre hinein gewesen war, keine leichte gewesen sein. Gerade in dieser Zeit ereignete sich in den USA mit der Malerei der abstrakten Expressionisten ein ungemeiner künstlerischer Aufschwung. Doch Pop Art wird nicht akzeptiert, wie Danto in einer enttäuschenden Diskussion von The Artworld in einem Club abstrakter Expressionisten feststellen muß. Weiters hatten die Philosophen das Philosophisch-Werden der Kunst in der Brillo-Box, in der 1964 noch keineswegs allgemein akzeptierten Pop Art, mit Skepsis beäugt. Aber auch die Künstler konnten Dantos "ontologisches Argument" nicht als das ihrige betrachten, wenn sie über die noch einen Rest von IT beinhaltende, wenn auch diese überschreitende Kunst Warhols hinaus wollten.

Die Minimal Art versuchte eine pure Gestaltwahrnehmung anhand der von aufgemalten Logos befreiten Flächen geometrischer Körper, die Conceptual Art führte gerade in ihre kunstreflektierende Produktion den "Linguistic Turn" ein (der Titel einer von Rorty 1965 herausgegebenen Textsammlung analytischer Sprachphilosophie), den Dantos historisch-metaphysische Kunsttheorie zu überschreiten gedachte. Und die Postminimal Art (Process, Land und Body Art) nahm sich dann eines entgrenzten Materials an, das so gar nicht zu den fertig gestellten Produkten paßte, auf die Dantos Unterscheidung von Dingen und Produkten der Pop Art abstellte. Wenn also Dantos Text - 1964 - zeitgemäßer nicht sein konnte, so blieb ihm aufgrund des Unverständnisses der in alle Richtungen explodierenden Kunstwelt der späteren 60er Jahre, kein Erfolg beschieden. Schließlich standen in Warhols Werk die Brillo-Boxen eher im Schatten der Siebdruckbilder, und 1965 wendete sich Warhol ausschließlich dem Avantgarde-Film zu.

Eine Reaktion sollte erst aus dem heißen Klima der Philosophie der späten 60er Jahre kommen und Die Kunstwelt zur Pflichtlektüre der 70er Jahre werden lassen. George Dickie hatte unter Berufung auf Danto aus der Kunstwelt eine Institutionentheorie herausgelesen und diese als allein mögliche Definition von Kunst überhaupt ausgegeben (Defining Art, 1969). Obwohl dieser Ansatz den Artikel Dantos in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte (neben den 1968 erschienenen Languages of Art von Goodman und Art and its Objects von Wollheim), führt gerade Dickies Akklamation zu einer Distanzierung von seiten Dantos, um seine Ansichten 1981 <<<- in Ergänzung der analytischen Geschichtsphilosophie, analytischen Handlungsphilosophie, Wissensphilosophie ->>> im Buch The Transfiguration of the Commonplace zu präzisieren. Dantos Artikel bleibt aber fester Bezugspunkt der ästhetischen Diskussion und wird in eine Reihe von Anthologien aufgenommen. Sein größtes Verdienst ist die Aufnahme der metaphysischen Tradition der Continental Philosophy, ohne das analytische Paradigma preiszugeben. So hat ihn Pierre Bourdieu unlängst in seinem Text Die historische Genese einer reinen Ästhetik (1987; dt. Merkur 11/1992) fälschlicherweise in die Nähe zu Heideggers Ontologie gerückt. <<<Bourdieu findet dann jedoch ohne Erwähnung Dantos im kunsterweiternden Prädikatenkalkül der Stile von Die Kunstwelt eine Bestätigung, wenn er den Avantgardekünstler an der Spitze einer kumulativen Kunstgeschichte vergangener Überschreitungsversuche situiert.>>>

Mittlerweile hat sich Danto ganz auf die Kunst eingelassen, auch imkunstkritischen Sinn. Seit 1984 schreibt er neben Texten zur Kunstphilosophie Texte über Ausstellungen, die auch regelmäßig in der angesehenen amerikanischen Wochenzeitschrift The Nation erscheinen. Seither sind vier Bände gesammelter Artikel erschienen: The Philosophical Disenfranchisement of Art 1986/dt.1993, The State of the Art 1987, Encounters and Reflections: Art in the Historical Present 1990/dt.1993 und Beyond the Brillo Box: Art in the Post Historical Period 1992. Und heuer wird er die renommierten Andrew W. Mellon Lectures an der National Gallery in Washigton halten, in denen Gombrich seinerzeit Kunst und Illusion entwickelte. Man darf gespannt sein, wie Danto seinen Weg von der ontologisch-historischen Theorie der Kunstwelt über die analytische Philosophie künstlerischer Transfiguration bis über The End of Art hinaus seinen Denkweg in der Kunst reflektieren wird.(*)

(*) Hans Julius Schneider sei für seine behutsame Lektüre der Übersetzung gedankt, die mich vor so manchen Fallen bewahrte.

für den 1994 erschienenen Text (c) Peter Mahr 2000

für die Zusätze (c) Peter Mahr 2000

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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