mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), Nr.2/Juni

Aesthetica

1. Geschmack, Erhabenes und Mitempfindung. Das Politische der Ästhetik, 18. Jahrhundert II: Rousseau, Smith. Gefördert durch ein Stipendium der Wissenschaftsabteilung des Kulturamts der Stadt Wien und im Rahmen eines Projekts des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung der Republik Österreich. Dank an Franz Martin Wimmer und Wolfgang Pircher (beide Institut für Philosophie der Universität Wien). Der referierende Teil des Abschnitts über Adam Smith stand auch im Mittelpunkt von "Adam Smith's ästhetische Theorie der moralischen Empfindungen", das als Referat am 1. Juni 2000 am 6. Kongreß der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie in Linz gehalten und im Kongreßband 2001 erscheinen wird. 34614 Zeichen.

Mitempfindung: Smith, Rousseau

Mit dem siebten Band "G" der französischen Encyclopédie von 1757 zeichnet sich schon das Ende des Zeitalters des Geschmacks ab - verschwindet damit auch die klassisch ästhetische Repräsentation? Es gibt in diesem Band zum Stichwort "goût" drei längere philosophische Artikel.<38> Jean Le Rond d'Alembert versteht ihn als Talent empfindsamer Seelen zur Unterscheidung dessen, was in den Kunstwerken gefällt und abstößt. De facto ersetzt er ihn durch die Sensibilität. Voltaire versteht ihn als guten Geschmack, der statt künstlicher Zierde die schöne Natur sowohl produktiv wie rezeptiv empfindet. Und Montesquieu versteht den Geschmack als etwas, das in eine Balance zur Kunst gebracht werden muß. Doch nicht nur ist Montesquieus Text lang nach seiner Entstehungszeit posthum erschienen <39>, nicht nur spricht Voltaire vor dem Hintergrund seiner schon vor einem Vierteljahrhundert schienenen Schrift zum Thema vom vergangenen 17. Jahrhundert als demjenigen des Geschmacks <40>. Selbst d'Alembert als Repräsentant eines neuzeitlichen "philosophischen Geists" entwirft - etwa gegenüber den empfindungsbezogenen Vernunftschlüssen des stilbildenden Malebranche - einen vollen, vielseitigen Menschen, der die Kunstwerke mit allen Sinnen und dem Verstand, im Zweifelsfall mit dem Gefühl beurteilt.

Was tritt an die Stelle des Geschmacks, in repräsentierender Funktion? Zunächst ein kurzer, der Stadt Genf gewidmeter Artikel d'Alemberts aus demselben siebten Band der Encyclopédie. Der Text stellt jenen Menschen bürgerlicher Existenz in wenigen Zügen theoretisch folgenreich vor. Des Menschen species Schauspieler, genauer ihr Lebenswandel muß, so d'Alembert, zwar gezügelt werden, wenn die guten Sitten mit dem Verfall der Geschmacksbildung im Theater wie in der Literatur nicht verloren gehen sollen. Doch ebenso entschieden tritt d'Alembert dem Vorurteil gegen die Schauspieler entgegen, soll Genf doch nicht die Chance verspielen, mit einem europaweit vorbildlichen, festen Theater ein gehobenes Vergnügen anzubieten. Mit der "Herabwürdigung dieser Menschen"<41> im Schauspielerstand sollten dann auch ihre mißlichen Vergnügungen verschwinden.

Genau gegen diesen Standpunkt tritt sofort der Wahlgenfer Jean-Jacques Rousseau mit aller Entschiedenheit auf. Es ist nicht so sehr die Gefahr, daß Putzsucht, Verschwendung und Zügellosigkeit die Jugend anstecken könnten. Vielmehr geht es darum, daß gerade durch die feste Institution Theater (sowie durch Philosophie) der Staat wie die Gesellschaft geschwächt würden <41a> "die Musik entartete" und "in dem Maße, wie man die Regeln der Nachahmung vervielfachte, ... die nachahmende Sprache" verblassen würde.<42>

Rousseau vertritt - gegen die Kunst, das Theater und die Ästhetik - sich als den Künstler.<43> Biographisch gesprochen, ist er Künstler zuerst durchsein Leben, dann durch seine Kunstwerke der Literatur, Musik oder auch des Botanisierens. Sein ästhetisches Denken gehört denn auch nicht einer Philosophie an, deren Diziplin in der Meisterung einer der Vernunft analogen, sinnlichen, zugleich kognitiven Kunst wie bei Baumgarten besteht.<44> Obwohl sich über Rousseaus theoretische Anstrengung verstreut alle Elemente einer um das Erhabene (Burke 1757) erweiterten Ästhetik als empfindende Erkenntnis (Baumgarten 1735, 1750) beziehungsweise allgemeine Kunsttheorie (Batteux 1747) finden lassen <45>, hätte le philosophe Rousseau aus antiakademischen Gründen die Errichtung einer systematischen Theorie abgelehnt.<46> Seine Ästhetik ist bestenfalls eine "Ästhetik" der Empfindung, des Sentiments, schließlich der Sympathie - die Auseinandersetzung mit einem naturhaften Sensorium, das für ihn bald nach dem Beginn der Geschichte erreicht, dann aber bald wieder verloren wurde. Die Empfindungen braucht Rousseau zudem für das Gemeinwesen und nicht für die Kunst und die Zivilisierung des Geschmacks als solchem. Es ist die Tugend bei Rousseau, die die Stellung des Geschmacks bei Cartauld einnimmt. Tugend und freie Gesellschaft (Gleichheit) bedingen sich. Und das Wissen um die Tugend kommt nicht aus der Vernunft, sondern eben über die Empfindung und den Instinkt, die compassion.

Mit einem besonderen Sinn für das Leib-Apriori ästhetischer Empfindung hatte Rousseau bekanntlich vom "Schrei der Natur" das Mit-Erleiden und die Sprache der Künste abgeleitet, die nach seiner Auffassung nicht sofort unnatürlich wurden. Daß der Essai sur l'origine des langues im Zuge der Arbeit am zweiten Diskurs, dem über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen entstanden ist, hat Rousseau selbst mitgeteilt. Dort findet sich eine längere Passage, der das philosophisch-ästhetische Denken im Versuch entspringt. Im zweiten Discours hieß es hinsichtlich der alten Disziplin der Rhetorik lakonisch: "Die erste Sprache des Menschen, die allgemeinste, kraftvollste und die einzige, die er nötig hatte, bevor er eine Versammlung überreden mußte, ist der Schrei der Natur."<47> Entsprechend geht es im Versuch um eine Antwort auf die Fragen, ob die Gesellschaft vor der Sprache bestanden habe oder umgekehrt, ob die Sprachen durch rein menschliche Mittel entstehen hätten können.<48> Es ist dieser gleich-ursprüngliche, natürliche Ausdruck, auf den Rousseau dann auch seine Ästhetik gründet. Das soziale Band erlaubt und erfordert die Entwicklung des ursprünglich-mimetischen Anteils der Lautzeichen und ihrer anthropologischen Umgebung an Gesten. Eine genetische Theorie der Künste geht somit von der Stimme aus und zum Wort, dem Gedicht, dem Gesang über. Die Sprache verfügt nach Rousseau über Artikulationen und Stimmen, aber auch über die Wiedergabe von Gefühlen und Bildern - erst die Zeichnung als Nachahmung verleiht den Farben Leben, sodaß die Maler die Seelen mit Nachahmungen in Bewegung zu versetzen versuchen.<49> Malerei und Musik vermitteln nicht einfach angenehme Sinneseindrücke, damit wären sie nur (angewandte) Wissenschaften. Es geht um wirkliche Gegenstände, um ausgedrückte Leidenschaften. "Allein die Nachahmung hebt sie in den Rang der Kunst. Was aber macht aus der Malerei eine Kunst der Nachahmung? Die Zeichnung. Was in der Musik macht auch aus ihr eine solche Kunst? Die Melodie."<50> Rousseau befragt die Harmonie: "wie sollte man aus dieser Kunst je eine Kunst der Nachahmung machen; und wo steckt das Prinzip dieser angeblichen Nachahmung, wofür ist die Harmonie ein Zeichen, und welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Akkorden und den Leidenschaften?" Und zur Melodie: "Sie ahmt nicht nur nach, sie spricht, und ihre unartikulierte, aber lebhafte, brennende, und leidenschaftliche Sprache besitzt hundertfach mehr Nachdruck als das gesprochene Wort selbst." <51> Damit kein Zweifel darüber aufkommt, daß dies für alle Künste gelten müßte, heißt es über den Donner und das Murmeln des Wassers: "die Dinge müssen sprechen, um gehört werden zu können;in jeder Nachahmung muß immer eine Art Rede die Stimme der Natur ergänzen."<52> Doch darf sie nie über ihr stehen, die Natur nie in ein Regelkorsett sperren.

Überhaupt die Natur. Ihre Wirkungen sind gigantisch. "Alle Reichtümer der Farbmischung breiten sich gleichzeitig über die Erde aus", während die Natur den Laut unter dem Anschein des Gleichklangs versteckt - er wird von der Natur nicht zergliedert.<53> Es "kann die Malerei ... der Musik die Nachahmungen nicht zurückgeben, welche diese aus ihr schöpft. ... Es gehört zu den großen Vorzügen des Musikers, Dinge malen zu können, die man sonst nicht hören könnte, während es dem Maler unmöglich ist, jene darzustellen, die man nicht sehen könnte, und das größte Wunder einer Kunst, die allein durch die Bewegung wirkt, ist es, durch diese sogar das Bild der Ruhe hervorbringen zu können."<54> Das 19. Kapitel schließlich nennt mit der Philosophie und dem Theater zwei Gründe, wie "die Musik entartete. In dem Maße, wie die Sprache sich vervollkommnete, verlor die Melodie, indem sie sich neuen Regeln unterwarf, unmerklich ihren alten Nachdruck, und die Berechnung der Intervalle trat an die Stelle der Feinheiten der Modulationen. So kam es beispielsweise, daß die Ausübung der Enharmonik allmählich nachließ. Als die Theater zu einer festen Institution wurden, sang man dort nur noch nach der vorgeschriebenen Art, und in dem Maße, wie man die Regeln der Nachahmung vervielfachte, verblaßte die nachahmende Sprache. Die Wissenschaft der Philosophie und der Fortschritt der Urteilskraft, welche die Grammatik vervollkommnet hatten, entzogen der Sprache jenen lebhaften und leidenschaftlichen Ton, der sie zuerst hatte so gesangsähnlich sein lassen."<55> Rousseau geht es um die Geschichte einer Zivilisation, nach, deren zunehmende Vergegenständlichung des Ästhetischen in der Perspektive einer Rückgängigmachung vorgestellt werden soll. Klar, daß er damit nicht der Ästhetik als Disziplin, so sehr sie auch von Rousseau als gegen Regelpoetiken konstituiert und damit auch implizit politisch verstanden werden könnte, für sich eine politische Bedeutung zusprechen kann. Ebenso klar scheint jedoch, daß Rousseaus Geschichtsphilosophie des Ausdrucks den ästhetischen Aspekt des Menschen wesentlich politisch mitmeint, ob nun die Kultur des Ästhetischen in den Künsten besteht oder nicht.<56>

Auf dem Discours, aus dem Rousseau jene negativ-politische Ästhetik ableitete, bezieht sich Adam Smith unmittelbar nach dessen Erscheinen 1755 in der Edinburgh Review <57> und vier Jahre später in seinem ersten großen Buch. Rousseaus Vorgabe hatte gelautet: "Solange sich die Menschen mit ihren ländlichen Hütten begnügten, solange sie sich darauf beschränkten, ihre Kleidung aus Häuten mit Dornen oder Gräten zu nähen, sich mit Federn und Muscheln zu schmücken, sich den Körper mit verschiedenen Farben zu bemalen, Bogen und Pfeile zu verbessern und zu verschönern, mit schrfen Steinen einige Fischerkähne oder einige grobe Musikinstrumente zu zimmern, kurzum: Solange sie nur Werke herstellten, die einer allein machen konnte, und Künste pflegten, die nicht die Zusammenarbeit mehrerer Hände erforderten, lebten sie so frei, gesund, gut und glücklich, wie sie es ihrer Natur nach sein konnten, genossen weiter unter sich die Wonne eines unabhängigen Verkehrs. Aber seit dem Augenblick, da der Mensch die Hilfe des anderen nötig hatte, seit man bemerkte, daß es einem Einzelnen nützlich war, Vorräte für zwei zu haben, verschwand die Gleichheit. Das Eigentum war eingeführt, die Arbeit wurde nötig, und die weiten Felder verwandelten sich in lachende Felder, die mit dem Schweiß des Menschen begossen werden mußten. Die Sklaverei und das Elend entsprossen bald auf ihnen und wuchsen mit den Ernten."<58> Smith dagegen, in die Richtung zunehmender Gemeinschaftsbildung und verschönernder Befriedung der Natur denkend: "Die Freuden, welche Wohlstand und hoher Rang bieten,drängen sich aber, wenn sie in diesem Zusammenhang betrachtet werden, der Einbildungskraft als etwas Großes und Schönes und Edles auf, dessen Erlangung wohl alle die Mühen und Ängste wert ist, die wir so gerne auf sie zu verwenden pflegen. Und es ist gut, daß die Natur uns in dieser Weise betrügt. Denn diese Täuschung ist es, was den Fleiß der Menschen erweckt, und in beständiger Bewegung erhält. Sie ist es, was sie zuerst antreibt, den Boden zu bearbeiten, Häuser zu bauen, Städte und staatliche Gemeinwesen zu gründen, alle die Wissenschaften und Künste zu erfinden und auszubilden, die das menschliche Leben veredeln und verschönern, die das Antlitz des Erdballs durchaus verändert haben, die die rauhen Urwälder in angenehme und fruchtbare Ebenen verwandelt und das pfadlose, öde Weltmeer zu einer neuen Quelle von Einkommen und zu der großen Heerstraße des Verkehres gemacht haben, welche die verschiedenen Nationen der Erde untereinander verbindet. Durch diese Mühen und Arbeiten der Menschen ist die Erde gezwungen worden, ihre natürliche Fruchtbarkeit zu verdoppeln und eine größere Menge von Einwohnern zu erhalten."<59>

Kaum eine Abhandlung der Moralphilosophie hat das Sentiment so weit gefaßt, auch wenn nur eine bestimmte Gattung des Gefühls betroffen ist. Die Theorie der moralischen Empfindungen untersucht denn auch den Einfluß der Grundsätze der Nützlichkeit (im vierten Teil) sowie den Einfluß von Brauch und Mode (im fünften von sieben Teilen) auf die Gefühle sittlicher Billigung und Mißbilligung in seinen ästhetischen Aspekten. In dieser Untersuchung der moral sentiments läßt sich ein ethischer Sentimentalismus mit politischen Zügen feststellen. Kann aber die ästhetische Wahrnehmung überhaupt ein moralisches Gefühl stützen? Diese Frage, die im kurzen, vierten Teil der Theory die Politik berührt, wird mit einem ein klaren Ja beantwortet. In Grenzbereiche oder auch verwandte Bereiche der Moralphilosophie blickend, geht es Smith zunächst um die "Schönheit, die der Nutzen den Produkten der Kunst verleiht"<60>. Gemeint ist das Vergnügen der Besitzenden am Nutzen, während sie ein Ding in Funktion anschauen. So besteht der Mehrwert der Gebrauchsgegenstände im Vergnügen <61> des Besitzers an ihrem Nutzen ebenso wie in der Wahrnehmung des Gegenstandes, die an den Nutzen erinnert genau insofern Vergnügen bereitet. Ein derartiges Anschauen und Zuschauen - die Rolle des methodisch arrivierten impartial spectator bei Smith verdankt sich dabei nicht unwesentlich der Tradition des diskursiven, ästhetisch gewandten Spectator <62> - empfängt einen ästhetischen Impuls, und zwar aufgrund der Präsenz des Dings, das die wirklichen Annehmlichkeiten assoziieren läßt. Diese Anschauung ist sogar ästhetischen Impulsen gegenüber eher offen als den tatsächlichen Annehmlichkeiten. Noch stärker ist das bei jenen Zuschauern der Fall, die Smith zufolge wenn nicht von Neid, so von einer gewissen Sympathie mit den Empfindungen des Besitzers erfüllt sind und derart sich selbst im anderen repräsentieren.<63> Smith erwähnt Häuser und Geräte, elegante Vorrichtungen und kunstvolle Arrangements. Sie bedeuten die imaginäre Position des Mangels. Es kommt nämlich nicht darauf an, im Besitz des Dinges sich jederzeit aufs Neue des Nutzens zu vergewissern.

Die moralischen Empfindungen denkt Smith immer schon in bezug auf Dinge als Güter. Der nichtbesitzende Mensch ist es, der alles tun wird, um reich zu werden. Aber die reale Erfüllung der Imagination ist auch sozial wenig rühmlich, sogar verächtlich. Andererseits ist diese Erfüllung an die Vorstellung eines harmonischen Wirtschaftssystem gekoppelt, das diese Dinge hervorbringt. In dieser Vermengung der Position des imaginierten, abwesenden Objekts des wesentlich armen Menschen und des realisierten Objekts setzt sich für Smith ein Verhältnis zu einer Ordnung durch, die nicht anders als natürlich aufgefaßt wird, und zwar als Illusion, wie Smith offen zugibt. DieFreuden von Wohlstand und sozialem Aufstieg - wen reizte ein solches Großes, Schönes, Nobles nicht? Diese Täuschung der Natur des Menschen betreffs der Erreichbarkeit bewegt wie mit "einer unsichtbaren Hand" <64> aber wiederum die Reichen, ihr Vermögen zu teilen. Sie suggeriert drittens ein Wachstum zum Wohlstand hin als etwas Schönes. Die Liebe des Systems besteht in der "Rücksicht auf die Schönheit der Ordnung, der Kunst und wohl ersonnener Pläne <contrivance: Kunstgriffe>" <65>, sie treibt besonders das Interesse an der allgemeinen Wohlfahrt an. Die derart wirtschaftlich organisierte Mitempfindung läßt ein "schönes ... System" <66> als wünschenswert erscheinen. Diese illusionäre Schönheit vexiert für Smith mit der Nützlichkeit der Dinge, die auf der Ebene des Systems wiederkehrt. Der Staat wirkt wieder zurück und fungiert als ein Ästhetikum, als nützliche Spekulation. Er wird aber so auch zum Ursprung des Studiums der Politik wie der Belebung der politischen Leidenschaften, die sich daran entzünden, daß das System der administration als harmonisch laufender Regierungsmaschine möglicherweise Reibungspunkten ausgesetzt wird.<67>

Es geht also um nicht weniger als vier ästhetische Objekte, die den primären Bezug zur Welt durch die Produktion stiften. Schön wie nützlich ist die Dingvorstellung, das harmonische System der Wirtschaft, das erwartete Wachstum des Wohlstands und das harmonische System des Staats. Kann die ästhetische Wahrnehmung eine moralische Empfindung sein? Nein, weil sie an Dinge gebunden ist, die die Imagination notwendigerweise mit sich bringt. All das ist aber für Smith symbolisch repräsentiert im sozial regulierten Klassenaufstieg. Moralisch ist bestenfalls die Sympathie, die das Gleiche bei der Objektwahrnehmung und bei der Beobachtung des anderen empfinden läßt - nur erwächst aus ihr keine affektive, persönliche Bindung. Somit lautet die soziologische Ästhetik von Adam Smith: Die Dynamik der Narzißmus schafft neue Produktion; für sie ist alles Kunst minimalerweise, solange der Reiz zur Ambition des gleichen Besitzgegenstandes noch gegeben ist. Damit wird die aufgeklärte Luxustheorie der Kunst wie noch die von Cartaud de la Villate aus 1736 überwunden.

Die zweite ästhetische Betrachtung analysiert "die Schönheit, die der Nutzen den Menschencharakteren sowie ihren Handlungen verleiht", und "inwieweit diese Schönheitswahrnehmung einer der ersten Grundsätze der Zustimmung" sein kann. Das Verhältnis von Schönem und Nützlichem wird also umgekehrt. Denn darauf kommt es Smith ja an - Regeln für moralische Empfindungen zu finden, die sich beobachten und beurteilen lassen. So wie die Schönheit der angewandten Künste auf die Assoziation des Genusses und deren Antizipation in der Imagination bezogen war, so gehört die Schönheit nützlicher Menschen zu Menschen, die die Funktion eines Vorbilds erfüllen. Für Smith besitzt ein solcher Charakter "ebensoviel Schönheit, wie ... (die) allervollkommenste Maschine" <68>. In erster Linie wirken moralisch unerwartete, nichtsdestoweniger richtige Handlungen. An dieser Schwelle befindet sich der unparteiische Beobachter, wobei hier gegenüber dem ästhetischen Spectator eine Differenz besteht. Wie sehr die Nützlichkeit der Charaktere und Handlungen auch gefallen mag - , sie darf doch nicht mit Zustimmung verwechselt werden. Die Zustimmung im Blick auf allfällige Schönheit richtet sich nicht auf die Empfindung für den anderen als Person, sie darf darin nicht bloße Geschmackssache sein. Smith wertet den Geschmack daher, wie immer er auch feinsinnig sein mag, als sozial charakterlos ab.<69> Später wird Smith von vier Quellen der Empfindungen der Zustimmungen zu Charakteren oder Handlungen sprechen: von der Sympathie mit den Motiven der Person, der Sympathie mit den die Wohltat bedankenden Empfangenden, der Sympathie mit regelhaften Verhalten und derjenigen mit einer maschinenhaftschönen Systemkonformität.

Der "Einfluß von Brauch und Mode auf die Empfindungen moralischer Zustimmung und Ablehnung" drittens handelt vom demjenigen "auf die Begriffe 'schön' und 'häßlich'"<70>. Die Empfindungen von Zustimmung und Ablehung werden hier also von den Begriffen "schön" und "häßlich" bestimmt. Dabei erfaßt jener Einfluß nicht nur diese beiden Begriffe an sich, sondern dehnt sich mittels ihrer auf "Urteile über jede Art von Schönheit" <71> aus. So läßt die Assoziation zweier Gegenstände ein getrenntes Auftreten als unschön empfinden. Wenn aber in ihrer Verbindung eine natürliche Angemessenheit empfunden wird, dann wird es von der Gewohnheit noch verstärkt. Dageben mindert die Gewohnheit das Gefühl einer unangemessenen Verbindung oder beseitigt es ganz. Vor der Gewohnheit jedoch können die gesellschaftlichen Stände die Verwendung bestimmter Kleider und bestimmten Hausrats als "unharmonisch" bezeichnen. Mode gibt es aber auch bei anderen Geschmackssachen wie Musik, Poesie, Architektur - als besondere Art des Brauches - sowie in den "graziösen, ungezwungenen und einnehmenden Manieren der Großen in Verbindung mit dem üblichen Reichtum" <72>. Dennoch trennt Smith Mode und ästhetische Klassenzugehörigkeit von der zeitlichen wie sozialen Unabhängigkeit ästhetischer Produktionen. Sobald die Mode von den unteren Klassen getragen wird, erscheint sie plump. Nach fünf Jahren wirkt eine Mode verbraucht und lächerlich, wogegen ein gutes Gedicht quasi ewig Bestand hat. Die andauernde Veränderung in Brauch und Mode beinflusst also die Urteilsbildung - eine vernünftige Begründung wäre Illusion. Sogar der dorische, jonische oder korinthische Stil zeigt sich als dem Zeit- oder Völkergeschmack angemessen.

Schließlich geht es viertens um den "Einfluß, welchen der Brauch und die Mode auf die moralischen Empfindungen" <73> selbst ausüben. Wohl besteht ein Einfluß auf "unsere Empfindung für die Schönheit eines Verhaltens (conduct)"<74>. Dennoch gibt es eine Grenze. So wird zum Beispiel Neros Verhalten nie als schön beurteilt werden. Und "die Prinzipien der Einbildungskraft, von denen unser Schönheitsgefühl abhängt, sind von sehr zarter und empfindlicher Natur und können sehr leicht durch Gewöhnung und Erziehung verändert werden; die Empfindungen moralischer Billigung und Mißbilligung dagegen gründen sich auf die stärksten und lebhaftesten Affekte, deren die Menschen fähig sind, und sie können darum zwar etwas aus ihrer Bahn abgelenkt werden, aber nicht gänzlich in ihr Gegenteil verkehrt werden."<75>

Sensibilität, Empfindung der schönen Natur und die Balance zur Kunst bezeichnen die Grenze des Geschmacks. Er wird bei Rousseau und Smith als ein natürliches Vermögen identifizierbar. Und die Kritik kann negativ wie positiv den Geschmack zwischen gesittetem Vergnügen und natürlichem Ausdruck, wie später zwischen den Institutionen der Kunst, zerrreiben. So tritt die Mitempfindung und ihre Politik anstelle des Geschmacks, dessen Theorie zur philosophischen Disziplin der sensitiven Erkenntnis und Kunst avancierte. Moralische Gefühle sind erstens auf angewandte Kunst - Dekoration, Architektur, Technik - bezogen, indem die ästhetische Wahrnehmung durch erinnertes Vergnügen zu einem Impuls ausgebildet wird, der sich in einer Imagination des Nichtbesitzenden ausdrückt. Der illusionistische Bestandteil dieses Impulses beruht auf einer Täuschung der Natur, die auch in der Anschauung vom schönem Wachstum der Wirtschaft und in der Sorge ums Gemeinwohl am Werk ist. Diese Sorge ist sodann von der Vorstellung des Staats als einer schönen Maschine motiviert. Ihr entspringt nicht zuletzt das Studium der Politik. Moralische Empfindungen beziehen sich auf die Schönheit nützlicher Handlungen. Ein maschinenähnliches Handeln läßt ein ästhetisches Gefallen im unparteiischen Beobachter entstehen, wenn auch Vorbilder nicht für Billigung oder Mißbilligung in Frage kommen. Ein selbständiger Geschmack wird daher aufdiesem Gebiet abgelehnt. Ähnlich unabhängig sind die moralischen Empfindungen vom Schönheitsgefühl, das schwächer als das Gefühl der Billigung ist, sodaß trotz der Mode dieses Gefühl nie verkehrt werden kann. Auf Begriffe von und Urteile über Schönheit und Häßlichkeit dagegen hat die Mode großen Einfluß. Die Urteilsbildung ist damit als vorläufig zu verstehen, auch die moralischen Empfindungen, sofern sie sich auf die Schönheit des Verhaltens beziehen. Eine weitere Diversifikation der moralischen Gefühle zeigt sich in der Gewohnheit, der Angemessenheit von Dingen und sozialen Ständen - die Mode in Kleidung und Hausrat, aber auch Musik, Poesie und Architektur. In beiden Fällen zeigen sich die politischen Überlegungen fast ununterscheidbar in die soziologisch-historischen eingelassen.

Anmerkungen

<38> Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens de lettres. Mis en ordre & publié par M. Diderot ... & ... par M. D'Alembert, septième tome, Paris: Briasson ... 1757. Eine Auswahl wurde ins Deutsche übersetzt als: Artikel aus der von Diderot und D'Alembert herausgegebenen Enzyklopädie, übers. v. Theodor Lücke u. hg. v. Manfred Naumann, Leipzig: Reclam 1972, S.602-606 (Voltaire), S.606-631 (Montesquieu, S.632-644 (D'Alembert)

<39> Jean Ehrard, Montesquieu critique d'art, = Publications de la Faculté des lettres de l'Université de Clermont. deuxième série, fascicule 21, Paris: Presses Universitaires de France 1965 teilt mit, daß nach Montesquieus Brief an Diderot vom 16. 11. 1753 die Anlage des Essai embryonal auf 1728 zurückgeht, der Zeit, in der er seine grand tour unternommen hatte. Siehe auch: Robert Shackleton, Montesquieu. A Critical Biography, Oxford: Oxford University Press 1961

<40> Voltaire, Le Temple du goût, hg. v. E. Carcassonne, Genf: Droz 1953

<41> Jean Le Rond D'Alembert, Genf, in: Jean Le Rond d'Alembert/Denis Diderot u.a., Enzyklopädie. Eine Auswahl, hg. v. Günter Berger. Mit einem Essay von Roland Barthes, übers. v. Günter Berger, Theodor Lücke und Imke Schmidt, = Fischer TB 6584, Frankfurt am Main: Fischer 1989, S.145 und enthalten in: Jean-Jacques Rousseau, Brief an Herrn D'Alembert über seinen Artikel "Genf" im VII. Band der Enzyklopädie und insbesondere über den Plan, ein Schauspielhaus in dieser Stadt zu errichten (1758), übers. v. Dietrich Feldhausen in: ders., Schriften Band 1, hg. v. Henning Ritter, = Ullstein Materialien 35120, Frankfurt am Main/Berlin/Wien: Ullstein 1981, S.333-474, hier S.335-337

<41a> Rousseau, Brief an ..., a.a.O., S.453 u. 435

<42> Jean-Jacques Rousseau, Versuch über den Ursprung der Sprache, in dem von der Melodie und der musikalischen Nachahmung die Rede ist, in: ders., Sozialphilosophische und Politische Schriften, München: Winkler 1981, S.165-221, hier S.216. Dem entsprechend hat Jean Starobinski in seinem sonst nur Politisches am Rande streifenden Artikel: Musik und Gesellschaftlichkeit bei Rousseau (Neue Hefte für Philosophie, Nr.29, 1989, S.39-59, hier S.55) auf die politisch-elektive neben der sprachlich-musikalischen Bedeutung der Stimme für die Einheit von Ästhetik und Politik hingewiesen.

<43> siehe Leo Strauss, Naturrecht und Geschichte, = stw 216, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S.306: Der "von Rousseau vorausgeahnte Menschentypus, der die bürgerliche Gesellschaft rechtfertigt, indem er über sie hinaussschreitet, ist nicht mehr der Philosoph, sondern das, was man später den 'Künstler' nannte. Sein Anspruch auf bevorzugte Behandlung gründet sich eher auf seine Empfindsamkeit als auf seine Weisheit, eher auf seine Güte oder sein Mitleid als auf seine Tugend. Er gibt den unsicheren Charakter seines Anspruchs zu: erist ein Bürger mit einem schlechten Gewissen. Da jedoch sein Gewissen nicht nur ihn selbst, sondern zu gleicher Zeit auch die Gesellschaft anklagt, der er angehört, neigt er dazu, sich als das Gewissen der Gesellschaft zu betrachten. Aber da er das schlechte Gewissen der Gesellschaft ist, muß er notwendig ein schlechtes Gewissen haben." Parallel zum historischen Übergang der Subjektivität vom dargestellten Helden auf den darstellenden Künstler hatte sich schon für Cartaud immer mehr die Frage gestellt, ob das Heroische noch tragfähig ist, ob es noch eine repräsentierende Funktion übernehmen kann. Im Abschnitt seines essai über den Geschmack zur Frage nach dessen Willkür geht es Cartaud dann auch allein um den Helden. Willkür würde politische Gefährdung bedeuten, unberechenbare Vereinzelung der Interessen. "Die selben Gründe, die einen fragen lassen, ob das Chamäleon wirklich eine Farbe hat, setzen mich imstande zu problematisieren, ob der Geschmack nicht zufällig ist." Und nur auf den ersten Blick überrascht dann die Wendung, die die Abdankung des Helden von seiten Cartauds im Namen der philosophes signalisiert: "Aus allen Helden, die von Geschichte wie Fabel gerühmt werden, könnte man zur Not einen aus ihnen zusammensetzen, der eine einmütige Zustimmung findet; der kleine Mann bewundert das Aufsehenerregende der Eroberer, ein Philosoph fürchtet sie, ohne sie zu respektieren."276 (dazu auch Krauss, Einleitung, a.a.O., S.93)

<44> Obwohl selbst Rousseaus Eintreten für das Fest im Freien (siehe Jean Starobinski, Die Erfindung der Freiheit. 1700-1789, übers. v. Hans Staub, Genf: Skira 1964, S.101-104, im Kap. Das Fest und die Unruhe, S.85-111) nicht grundsätzlich Baumgartens Definition der Ästhetik im § 1 seiner Aesthetica widerspricht. Vgl. Ursula Franke, Kunst als Erkenntnis ... , a.a.O., das Kapitel Der Inbegriff der Empfindungsgesetze: analogon rationis, S.51f. Siehe auch: Ursula Franke, Analogon rationis, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.1, Basel/Stuttgart: Schwabe & Co. 1971

<45> Edmund Burke, A Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and the Beautiful, London 1757 <dt. 1773>; Dt.: Edmund Burke, Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, hg. v. Werner Strube, = Philosophische Bibliothek 324, Hamburg: Felix Meiner 1980. Alexander G. Baumgarten, Aesthetica, 2 Bde., Frankfurt an der Oder 1750/58; Reprint Hildesheim/New York: Georg Olms 1970. Charles Batteux, Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz <1747>, übers. und kommentiert v. Johann A. Schlegel, 3. von neuem verbesserte und vermehrte Auflage, Leipzig: Weidmanns Erben und Reich 1770, Reprint Hildesheim/New York: Georg Olms 1976

<46> Sulzers Einführung der Ästhetik in die Encyklopédie aus seiner Allgemeinen Theorie der schönen Künste (1772) kam für eine Auseinandersetzung Rousseaus mit ihr zu spät: siehe Supplément à L'Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens de lettres, deuxième tome, Amsterdam: Rey 1776, S.872ff. Reprint Stuttgart/ Bad Cannstatt: Friedrich Frommann (Günther Holzboog) 1966. Dazu auch: Lawrence Kerslake, Johann George Sulzer and the supplement to the Encyclopédie, in: StVEC 148 (1976), S.225-247

<47> Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes/Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, in: ders. Schriften zur Kulturkritik, hg. u. übers. v, Kurt Weigand, = Philosophische Bibliothek 243, Hamburg: Felix Meiner 1983, S.61-269, hier S.153-155

<48> Zur Nichtexistenz von Natürlichkeit im möglichen Bezug der ideellen Compassion läßt dagegen Diderot Garrick auf die Frage, ob dieser beim Schauspielen er selbst sei, sagen: "Davor hüte ich mich sehr. ... Wenn ich mirdas Innere zerrreiße, wenn ich Schreie ausstoße, die nicht mehr menschlich sind, so ist das nicht mein Inneres, sind das nicht meine Schreie, sondern das Innere und die Schreie eines anderen, den ich mir vorgestellt habe, der aber nicht existiert." Denis Diderot, Aus dem "Salon von 1767", in: ders., Ästhetische Schriften, hg. v. Friedrich Bassenge u. Theodor Lücke, Bd.2, Berlin/Weimar: Aufbau-Verlag 1967, S.7-217, hier S.21.

<49> Rousseau, Versuch über den Ursprung der Sprachen, a.a.O., S.203-205

<50> a.a.O., S.206

<51> a.a.O., S.207f.

<52> a.a.O., S.209f.

<53> a.a.O., S.211

<54> a.a.O., S.213

<55> a.a.O., S.216

<56> Erst Schiller wird vor dem Hintergrund der französischen Revolution den Shaftesburyschen préromantisme (Idealismus), den schon Leibniz, für Baumgarten bedeutungsvoll, anerkannt hatte und der im durch Voltaire vermittelten Sensualismus Rousseau beeinflußte, politisch-theoretisch entfalten.

<57> Adam Smith, A Letter to the Authors of the Edinburgh Review (1755), in: ders., The Early Writings, ed. by J. Ralph Lindgren, o.O.: Augustus M. Kelly 1967, S.15-28. 24ff. übersetzt Smith drei Passagen des zweiten Diskurses, nicht ohne Rousseau der "Rhetorik und Beschreibung"25 (und mangelnder Analyse) zu zeihen. Trägheit oder Abenteuer regen unsere Imagination bis hin zu den Hirtengedichten für die Jugend an, wobei aber bei Rousseau das Moment der Trägheit überwiege. Für die Sprachtheorie aber ist Rousseau explizit Ausgangspunkt. - Es geht Smith (Considerations concerning the first formation of languages 1761, in: ders., The Early Writings, a.a.O., S.225-251; auch als Anhang zur Theory of Moral Sentiments, ab der 3. Aufl. 1767; und ders., 3. On the origin and progress of language <Monday, Nov. 22, 1762>, in: Lectures on Rhetoric and Belles Lettres, Reported by a Student in 1762-63, ed. by John M. Lothian, London...: Thomas Nelson and Sons Ltd. 1963) darum, wie man vom Namen des Einzeldings zu dem einer Dingklasse kommt, wobei Adjektive und sogar Präpositionen notwendig werden. Hier auch der Hinweis auf Rousseaus 2. Discours, in dessen 1. Teil über Namen gehandelt wird. Dort gelten, nach Smith, für Rousseau die Gattungsnamen als schwierig, weil für sie Abstraktion erforderlich ist. Die Herausgeber der Theory Raphael und Macfie verweisen auf jene Passage (Adam Smith, The Theory of Moral Sentiments, hg. D. D. Raphael u. A. L. MacFie, = The Glasgow Edition of the Works and Correspondences of Adam Smith I, Indianapolis-IN: Liberty Fund 1976, IV. 1. Abs.10, 1976, S.183f.), wo Smith auf Rousseau anspielt und den Schritt von den wilden Wäldern zu den angenehmen Ebenen ins Spiel bringt, der für Rousseau durch die Einführung des Besitzes zur Ungleichheit führte, wogegen Smith's Argumentation im weiteren gerichtet ist.

<58> Rousseau, Discours sur l'origine .../Abhandlung über ..., in: ders. Schriften zur Kulturkritik, a.a.O., S.213

<59> Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle, übers. v. Walter Eckstein, = Philosophische Bibliothek 200 a/b, Hamburg: Meiner 1985, S.315. Die "Rücksicht auf die Schönheit der Ordnung, der Kunst und wohl ersonnener Pläne" (a.a.O., S.317) treibt eben nicht nur den Egoismus des Eigenwohls sondern auch das Interesse für allgemeine Wohlfahrt an. Das Mitgefühl, die Sympathie für die Menschen läßt nur über die Betrachtung der politischen Verwaltung, des Handels und der Manufakturen ein "schönes und geordnetes System" (S.318) vorstellen. - Gewiß sind Adam Smiths ästhetische Reflexionen sehr von Anwendungsaspekten dominiert. Selbst die Beschäftigung mit der Kunsttheorie, die den ersten Lebensabschnitt von Smith markiert, steht unter diesem Zeichen. Adam Smithhatte bei Hutcheson Moralphilosophie studiert, eine Disziplin, die nach damaliger Auffassung neben der Ethik im engeren Sinn auch Rechtstheorie und Ökonomie umfasste. Schon bevor er jedoch mit 27 Jahren in Glasgow auf einen Lehrstuhl für Philosophie berufen wurde und damit alle philosophischen Fächer, somit auch die Moralphilosophie unterrichtete, hatte Smith gut dotierte, öffentliche Vorträge über Rhetorik und belles lettres gehalten. Diese finden nun eine Vertiefung, sodaß Smith's Ausführungen zur Moralphilosophie in seiner Theory of Moral Sentiments nur auf den ersten Blick wenig zu ästhetischen Problemen zu vermelden wissen.

<60> a.a.O, S.307-320; = The Theory of Moral Sentiments, a.a.O., S.179-187. In der hier angestellten Analyse von Smith's Ästhetik werden ihre aperçuhaften Passagen sowie die über die Kunstkritik nach externen und empirisch-werkorientierten Erfahrungsmaßstäben (S.31f.), über Kunstkritik gegenüber entworfenen und realisierten Bauwerken (S.140) u. ä. übergangen. Auch bleibt die Theatralität ethischer Gefühle ausgeblendet: Adam Smith, from Essays on philosophical subjects (written circa 1758; pub. 1795), in: The sublime: a reader in British eighteenth-century aesthetic theory, ed. by Andrew Ashfield/Peter de Bolla, Cambridge: Cambridge University Press 1996, S.231-243, etwa S.242

<61> Wie immer sublimiert ist das auch noch die Grundlage für die Theorie des Mehr-Geniessens. Siehe Slavoj Zizek

<62> Addison/Steele/u.a., The Spectator, London 1711-12, 1714

<63> Siehe: Jacques Lacan, Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. Bericht für den 16. Kongreß für Psychoanalyse in Zürich am 17. Juli 1949, in: ders., Schriften I, 2. Aufl., Weinheim/Berlin: Quadriga 1986, S.61-70

<64> a.a.O., 316. Siehe auch: ders., An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776), ed. by R. H. Campbell/A. S. Skinner/W. B. Todd, 2 Bde., London 1976, in der Meinung, daß der Staat nicht repräsentiert, daß eine Art Naturstaat/-zustand ausreiche. Es können state und état sowohl Staat wie Zustand bedeuten, weswegen also auch "Naturstaat" nicht gänzlich an den Haaren herbeigezogen wäre. Vgl. Smith, The Early Writings, a.a.O., S.24: primitive state of mankind.

<65> a.a.O., S.317

<66> a.a.O., S.318

<67> "Er wird ... ein gewisses Verlangen in sich fühlen, jene Hindernisse zu beseitigen und eine so schöne und wohlgeordnete Maschine in Gang zu bringen. Nichts wirkt so sehr dahin, den Gemeingeist zu fördern als das Studium der Politik, ... der bürgerlichen Regierung, ... der Verfassung unseres eigenen Landes, ... seines Handels": A. Smith, a.a.O., S.320. Obwohl am Ende des Buchs scharf kritisiert, bringt die Mandevillesche Position auch positive Aspekte ein. So hat die "eingebildete" (eitle) Einbildung, deren narzißtischen Aspekt Smith klar erkennt, ökonomisch und politisch wertvolle Folgen - dazu M. M. Goldsmith, Regulating Anew the Moral and Political Sentiments of Mankind: Bernard Mandeville and the Scottish Enlightenment, in: JHI 49 (1988), pp.587-606. - Leider ist der ansonsten ästhetisch interessierte Thomas Reid in seiner TMS-Lektüre nicht in der Lage, Smith's verborgene Ästhetik wahrzunehmen. Er kommt nur nur einmal kurz darauf zu sprechen, wenn er in seinem Exzerpt vom Beurteilungsvermögen schreibt: "As by the eye we judge of Light and Darkness of Colour and Figure, by the Palate we judge of Sweet and bitter, by the Ear of Harmony and Discord[,] By our Memory we judge of what we did suffered or enjoyed in time past[,] by our understanding of of Truth and Error, by our Taste of Beauty asnd Deformity[,] so by our Moral Faculty we judge of right and wrong in Conduct." S.321 von: Thomas Reid, A Sketch of Dr. Smith's Theoryof Morals, in: J.C. Stewart-Robertson/David F. Norton, Thomas Reid on Adam Smith's Theory of Morals (Part Two), in: JHI 45 (1984), S.309-321 (= S.310-321)

<68> a.a.O., S.321

<69> Einfacher kehrt dieses Thema im letzten, historischen Teil wieder. Dort werden nicht nur die Oppositionen Tugend/Laster sowie Schönheit/Häßlichkeit parallel geschaltet (a.a.O., S.526f.). Kategorisch sind Handlungen schön, wenn sie als Teil des Verhaltenssystems der Glückseligkeit von Nutzen sind (S.544).

<70> a.a.O., S.331-341

<71> a.a.O., S.331/engl. S.194

<72> a.a.O., S.332

<73> a.a.O., S.331-341

<74> a.a.O., S.341

<75> a.a.O., S.341f. - Gegen diesen Unterschied von Ästhetik und Ethik haben Andrew Ashfield und Peter de Bolla deren Konvergenz in der Begründung betont. In ihrer Einleitung in: The sublime: a reader ... a.a.O., (S.1-16) auf S.5 sprechen sie Smith's Ansinnen an, daß der erhabene Affekt nur dann moralisch gestützt werden kann, wenn die entsprechende performative oder emotive Leistung auf die (ästhetischen) Urteile einer Gesetzgebung zurückgebracht werden kann. Das Ethische kann nicht aufgegeben werden angesichts der Grenzerfahrung des Erhabenen. Hegel vorwegnehmend, ist eine Hemmung durch die Erfahrung des anderen geboten: der unparteiische Beobachter - man selbst als der andere in Distanz und Nähe zugleich. "It is that proximity but eventual distance which in part explains why the British tradition continues to seek a solution to the problem of reconciling aesthetic affect with moral conduct, and it is in regard to these arguments and this tradition that Smith's Theory of Moral Sentiments can be seen as the central text of the British debate, as precisely the pathology of the sublime in contrast to Burke's symptomatology." - Zur Vorwegnahme der Kunstsoziologie, die die Kunst im Sog gesellschaftlichen Ehrgeizes betrachtet, in dem die Oberschicht von der Unterschicht bewundert wird und eine Dynamik der Eitelkeit am Werk ist, siehe: Barbara Aulinger, Kunst und Zivilisation. Zu den Smithschen Skizzen zur Ästhetik, in: Heinz D. Kurz (Hg.), Adam Smith (1723-1790) - Ein Werk und seine Wirkungsgeschichte, Marburg: Metropolis 1990>

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