mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

3 (2000), Nr.1/März

Rezension

10. XIVth International Congress of Aesthetics. XIVème Congrès international d'Esthétique. XIV. Internationaler Kongress für Ästhetik. "Aesthetics as Philosophy". "L'Esthétique comme philosophie". "Ästhetik als Philosophie". Ljubljana 1998. Proceedings. Part I: Introductory and Invited Papers, hg. v. Ale`'s Erjavec = Filozofnik Vestnik/Acta Philosophica 20 (1999), Nr.2, 296 S.; ... Part II: Selected Papers, hg. v. Ale`'s Erjavec/Lev Kreft/Marija Bergamo = Filozofnik Vestnik/Acta Philosophica 20 (1999), Nr.2/Supplement, 368 S.; beide Bände zusammen kosten SIT 16.000,- oder $ 70,- und können bestellt werden über Access, MasterCard, EuroCard oder VISA unter Angabe des Ablaufdatums bei: Filozofski vestnik, Znanstvenoraziskovalni Center SAZU, P.P. 306, Gosposka 13, 1001 Ljubljana, Slovenia. 21736 Zeichen

Das Problem von größeren internationalen Kongressen wie diesem ist, daß oft gute Generalthemen leider kaum aufgegriffen werden. Das sehr gute Thema des Laibacher Kongresses lautete "Ästhetik als Philosophie". Sein mehrdeutiges Schillern gruppiert sich um das Kernproblem gegenwärtiger philosophischer Ästhetik. Es kann heißen, inwiefern Ästhetik überhaupt noch Philosophie ist, ihr angehört oder nicht schon längst in Alltagsdesign, Oberflächenästhetik oder Erscheinungsweisen diffundiert ist, wie es im Corporate Design einer "Philosophie von Mercedes" sinnfällig wird. Es kann in einem starken, provokanten Sinn heißen, ob nicht die ganze Philosophie als solche von der ästhetischen Reflexion her zu entfalten ist. Es kann aber auch bescheidener die genaue Überprüfung des philosophischen Status der Ästhetik angesichts der Beteiligung theoretisch orientierter Kunstwissenschaften oder Grundlagenreflexion bedeuten. Inwieweit hat der Kongreß das Thema erschöpft?

Zuerst seien die beiden Inhaltsverzeichnisse wiedergegeben. Part I enthält die Einleitung des Kongreßleiters von der Slowenischen Akademie der Wissenschaften, Ale`'s Erjavec (Aesthetics as Philosophy), den Hauptvortrag von Arnold Berleant (Re-thinking Aesthetics), die Beiträge und Einleitungen zu den Plenarsitzungen, den Tagungen und den Konferenzen wieder. Zu den Plenarsitzungen waren eingeladen waren Stefan Morawski (On Bitter-Juicy Philosophizing via Aesthetics), Carolyn Korsmeyer (Disgust), Martin Jay (Drifting into Dangerous Waters: The Separation of Aesthetic Experience from the Work of Art) und Boris Groys (The Artist as an Exemplary Art Consumer). -- Ebenso eingeladen wurden Maryvonne Saison (Playful Thinking: Theater and Philosophy (du jeu dans la pensée)), Misko Suvacovic (Advocates: Art and Philosophy. Approaching the 'Relations' of Philosophy and Art in the 20th Century) und Paul Crowther (Art and the Reconfiguration of Contemporary Philosophy) zur Tagung "Philosophie und Kunst", Marina Grzinic (the Virtual-Image and the Real-Time Interval), Marie-Luise Angerer (Life as Screen? Or how to grasp the virtuality of the body) und Jos de Mul (Virtual Reality. The Interplay Beween Technology, Ontology and Art) zu "Ästhetik der Virtualität" sowie Joseph Margolis (All the Turns in 'Aestheticizing' Life), Lev Kreft (History and Everyday Life) und Wolfgang Welsch (Sport - Viewed Aesthetically, and Even as Art?) zu "Ästhetisierung des Alltagslebens". -- Konferenzen wurden ein/geleitet von Bohdan Dziemidok zu Artistic Expression of National Cultural Identity (a), von Arto Haapala zu Aesthetics, Ethics, and the Meaning of Place (b), von René Passeron zu Esthétique et poïetique (c) und von Marija Bergamo zu Musik als Gestalt der begrifflosen Erkenntnis (d). Davon getrennt enthält Part II die offensichtlich auch sprachlich zugeordneten Konferenzbeiträge von Sven Arntzen (Natural Beauty, Ethics and Conceptions of Nature; b), Richard Conte (Recherche et création; c), Rachida Triki (Esthétique et Philosophie des limites : La scène du nommable; c), Dalibor Davidovic (Zum Begriff 'System' in der Musikwissenschaft. Beobachtungen einiger pragmatisch ausgerichteter Entwürfe; d), Krysztof Guczalski (Musik ist keine Sprache - Argumente Susanne Langers revidiert und mit Hilfe der Ideen Nelson Goodmans untermauert; d), Werner Jauk (Interaktion - Strukturierung durch kommunizierendes Verhalten; d) und Borut Loparnik (Die Kommunikation im Schatten der Untersichtlichkeit. Eine Frage des Expressionismus; d).

Der Redlichkeit halber haben die Herausgeber des zweiten Bandes die zehn Konferenzen und vier Kongresse genannt, aus denen die Druckbeiträge ausgeählt wurden. Wohl der Verteilung in den Sektionen entsprechend, gibt es in Part II (unverständlicherweise ohne Kurzbios und Abstracts) mit Abstand am meisten Beiträge aus der Sektion "Ästhetik und Philosophie" (1). Dann folgen "Ästhetische Erfahrung" (3), "Die Ästhetik und die Geschichten und Theorien von Kunst, Literatur, Musik, Architektur, Design, Film, Fotografie, Tanz" (10) und "Kunst, Kultur und Ästhetik im Osten, Westen, in der ersten, zweiten und dritten Welt" (9). Von "Ästhetik und Geschichte" (2) ist Albert van der Schoot (Rational Order in Tone Scales and Cone Scales) vertreten, von "Feministische Theorie und Ästhetik" (5) Karin Frey (Preserving the Subject. Kristeva's Aesthetics in Light of Kant), von "Angewandte Ästhetik" (7) Katya Mandoki (The Indispensable Excess of the Aesthetic) und von "Ästhetik und Philosophie des Körpers" (8) Gabor Csepregi (The Clever Body and Aesthetics of Movement). Die Sektionen "Ästhetik, Kritische Theorie und Poststrukturalismus" (4) und "Ästhetik und Ethik" (6) wurden anscheinend nicht gehalten.

Aus der Sektion 1 vertreten sind Antana Andrijauskas (Recherches des principes de l'Esthétique non-classique'), W. Stephen Croddy (The Epistemology of Analytic Cubism), Pietro Kobau (Welches Interesse haben wir an einer aufklärerischen Ästhetik?), Yacouba Konate (Art, Philosophie et Modernité: L'Afrique en Effet), Germina Nagat (Description and Explanation in Art Exegesis), Ossi Naukkarinen (Philosophical Aesthetics and the Aesthetics of Everyday Life), Katerina Reed-Tsocha (Dividing Lines, Impoverished Domains), G. W. Trompf (Post-Modernism as Decadence. On Aesthetics and the Philosophy of History) und Zhou Laixiang (My Harmonious Aesthetics and Philosophy); aus Sektion 3 Christian Allesch (Aesthetic Experience - A Topic at the Cross-Roads between Philosophy and Psychology), Vaidas Matonis (Artistic Experience as a Construct of Multifaceted Cognitive Sub-Systems), Raffaele Milani (The Aesthetic Exploitation of Landscape), Joosik Min ('Fengliu' the Aesthetic Way of Life in East Asian Culture), Christiane Page (Une expérience esthétique : Le travail du grotesque dans la formation de l'acteur) und Simo Säätelä (Between Intellectualism and 'Somaesthetics'; aus Sektion 10 Keiji Asanuma (Sense de la matière), Viktor Bychkov (Ästhetische Prophezeiungen des russischen Symbolismus), Jozef Muhovic (Art«Aesthetics«Philosophy), Dabney Townsend (Aesthetics and the Representation of Discovery), Richard Woodfield (Photography and the Imagination), Ernest Zenko (Modern Artist and his Space: László Moholy-Nagy); aus Sektion 9 Jale Erzen (The Plight of Aesthetics and Art Criticism. The Universal Model or Pluralism - What are the Criteria?), Giovanna Lelli (A typology of Medieval Ilsamic Poetics. Elements of a Comparative Analysis between the Islam and the West), Grazia Marchianò (The Enlarging of the nAesthetic Ecumene through Transcultural Studies), Maja Milcinski (The Aesthetics of Decay) und Evanghélos Moutsopoulos (La création musicale comme expérience esthétique).

Ein Blick auf die beiden Inhaltsverzeichnisse zeigt, daß auch in Ljubljana die aktuellen Themen geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung vertreten waren. So sprachen Carolyn Korsmeyer über Ekel, Maja Milcinski über Verfall, Jos de Mul über virtuelle Realität, Wolfgang Welsch über Sport, Lev Kreft und Ossi Naukarinen über die Ästhetik des Alltagslebens und Simo Säätelä über die unlängst von Richard Shusterman in die Diskussion gebrachte Somästhetik. Keine Frage ein Erfolg. Doch richtet man vom Generalthema "Ästhetik als Philosophie" her den Blick auf die ausgewählten Themen und den Gewinn durch ihre Bearbeitung - wie anders soll ein Kongreß anhand von Kongreßakten beurteilt werden - , dann ist die Ausbeute an Erkenntnisfortschritt sicher geringer.

Daß die Ästhetik seit einiger Zeit in einem Umbildungsprozeß begriffen ist und nicht mehr in einer multikontingent bedingten Hochkonjunktur wie in den späteren 80er und frühen 90er Jahren, wäre zu adressieren gewesen. Streng genommen wird der Ernst der Situation wohl von einigen wenigen anderen erfaßt, aber nur von Ale`'s Erjavec auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Sein Einleitungsreferat erkennt die Ästhetik - notabene: noch immer philosophische Ästhetik - als eine moderne Disziplin auf der Suche nach Gegenständen und Methoden, damit sie die Relation zur Philosophie erneuern kann. Dies wird nicht zuletzt durch die Umbildung der Geisteswissenschaften erforderlich, die ihrerseits neue Werkzeuge zur Erfassung der gesellschaftlichen Realität formt. Darin gehen die neue Beziehung der Kunst zur Kultur ebenso wie - die Auflösung des Gegensatzes von Kunst und Massenkultur, womit in Bezug auf Wolfgang Welsch "Ästhetik" nur mehr deskriptiv gebraucht wird - die Globalisierung der Kultur gegen die nationalen philosophischen Reiche auch in der Ästhetik. Darin sieht Erjavec die Chance, den mittlerweile leer gewordenen Signifikanten der Ästhetik zu füllen, indem sich die Philosophie nicht mehr nur auf die Kunst, sondern auch auf die Kultur insgesamt bezieht. Erjavec beschwört die kritische Natur der Philosophie insbesondere im Bezug auf die Postmoderne-Konzeptionen von Zygmunt Baumann und Welsch. Nach Erjavec sieht Baumann den wesentlichen Schritt an der institutional theory of art, daß es nicht mehr um den Konsens der Philosophen darüber gehen kann, was Kunst ist. Dem widerspricht Erjavec, indem er auch in der alles ausschöpfenden Tendenz des Wittgensteinianismus (Bedeutungen als Wortgebräuche) einen auch normativ relevant werdenden Universalismus einklagt. Die bei Welsch unterschiedenen einzelnen Kulturen und die transkulturellen Formen der Kulturen will er in den Diskurs holen, ebenso die Differenz von, welschisch gesprochen, Aisthetik und Ästhetik qua Kunstphilosophie fruchtbringend aufheben. Die normative Leere der gegenwärtigen Kunst selbst entspricht dem, sodaß ein neues Verhältnis von Ästhetik und Kunst und zwar der Kooperation denkbar wird. Über die Ästhetisierung (Alltagästhetik) hinaus behält eine solche Ästhetik die Kunst als ihren privilegierten Gegenstand.

Gegenüber diesem sprudelnden, gegenwartsorientierten und Soziologie wie Zeitdiagnose einbeziehenden Einleitungsvortrag war der Hauptvortrag von Arnold Berleant eher enttäuschend. Ästhetik als Philosophie wurde von ihm von vornherein konventionell als Zweig der Philosophie angesetzt, so wie er die Disziplin ihre erste Begründung bei Kant in dessen erster und dritter Kritik erfahren habe. Das sei positiv, weil an die kritische Tradition und den offenen Begriff ästhetischer Erfahrung anzuknüpfen wäre, negativ, weil die postkantische Tradition nach wie vor zu stark sei. Kant zog sich im folgenden als Bezugspunkt durch. Die Kritik an der Ästhetik, wie sie bei Terry Eagleton und Wolfgang Welsch zum Ausdruck kommt, hat dabei Gründe in bezug auf die Kunst und die Philosophie. Andererseits können nicht mehr an den Topos desinteresselosen Gefallens und die Vermögenspsychologie des 18. Jahrhunderts angeknüpft werden. Gewiß, aber ist das eine große Einsicht? So blieb auch das Programm zukünftiger Ästhetik schmal und wenig ambitioniert, wenn Berleant forderte, sich auf die sinnlich perzeptuellen Phänomene zu konzentrieren, statt eines Universalismus und Essenzialismus einen Pluralismus zu vertreten, die ästhetischen Werte mit anderen zu untersuchen und das Ästhetische allgemein zu kritisieren.

Auch Stefan Morawski kam auf die Ästhetisierung zu sprechen. Philosophisch ästhetikgeschichtlich sah er historisch drei Einstellungen am Werk: die Interpretation ästhetischer Ideen innerhalb eines philosophischen Grundansatzes, die methodische Begründung der mit ästhetischen Phänomenen befaßten Wissenschaften (Geisteswissenschaften) um 1900 und die postästhetische Einstellung, derzufolge nach Featherstone 1991 und Welsch 1990 und 1996 die Ästhetisierung im Zentrum der ästhetischen Diskussion stehen muß. Doch ist Welsch's Ästhetik schon ein Organon der Philosophie? Nein, meint Morawski kritisch-skeptisch mit Marquard. Einer postästhetischen Haltung ohne Postästhetik geht es immer noch um die conditio humana. Ästhetik und Kunst sind nämlich die empfindlichsten Instrumente in Reaktion auf die Zeit. Bitter-saftig wie eine Grapefruit ist daher die Suche nach aisthesis zugleich mit ihrer heftigen Steigerung in unserer Zeit.

Der ganz unberechtigterweise viel zu selten gestellte Frage, was nicht-philosophische Ästhetik sei, geht Ossi Naukkarinen nach. Die Gefahr einer solchen Fragestellung ist, in eine a-philosophische Fragestellung à la Bourdieu abzurutschen (so viel dazu jetzt auch im Detail gesagt werden müßte). Doch Naukkarinnen ist sich des philosophischen Horizonts bewußt, wenn er die Alltagsästhetik, um die es ihm in konkreten Analysen geht, in diskursiven Ansprüchen im Vergleich mit der theoretisch/philosophischen Ästhetik als unklar, unbegründet, unkritisch und philosophieverarmend einschränkt. Allerdings liegen die Vorteile auch auf der Hand: die sinnvolle Frage, ob man "wie seine eigene Ästhetik aussehen" kann, die schnellere Mitteilung einer tragbaren Ästhetik, die Austauschbarkeit der Ideen (positiv gesehen). Zweifach könnte die Ästhetik als Philosophie vom Alltagsleben profitieren: als Verlebendigung der PhilosophInnen und als Förderung ihrer Verständlichkeit.

Eine solide Forschung, die die Fruchtbarkeit der erschreckend gering vertretenen ästhetikhistorischen Fragestellungen zeigt, stellt Pietro Kobau vor. Die Institutionalisierung der Ästhetik in Richtung ihrer methodischen Rechtfertigung befragend, geht er auf einen nur auf den ersten Blick kuriosen Fall ein. Der Dichter und Poetiker Samuel Coleridge schrieb 1817 das methodologische Vorwort "Treatise on Method" zur erst 1845 erschienenen Encyclopedia Metropolitana, das wegen einem Streit mit dem Herausgeber nicht abgedruckt und vom Autor in seinen Essays on Method von 1818 herausgegeben wurde. Die drei darin abgeleiteten grundlegenden Fakultäten des Rechts, der Theorie und des Geschmacks veranlassen Kobau, in wenigen Strichen die hochinteressante Vorgeschichte bei Wolffs Psychologie und Baumgartens Logik zu verankern und so ins Denkgeflecht von Technik, Logik und Psychologie der Neuzeit seit Bacon und Descartes einzuordnen. Es erscheint damit ein Aspekt, der am Kongreß sonst überhaupt nicht angesprochen wurde, nämlich das Verhältnis der philosophischen Disziplinen untereinander und (siehe Morawski) zu den Einzelwissenschaften.

Anders geht Martin Jay, als Historiker inzwischen anscheinend philosophischerals viele Philosophen geworden, an das Verhältnis von Ästhetik und einer diese umfassenden Theorie heran. Die Trennung der ästhetischen Erfahrung vom Kunstwerk in der Moderne zeige, daß ein interesseloses Wohlgefallen anstelle objektiver Standards des Geschmacks insofern problematisch ist, als mit dem Privileg des Subjekts, womit die ästhetische Erfahrung auf Nicht-Kunstwerke (Natur wie soziale Phänomene) ausgedehnt werde, deren ethische und erkenntnismäßige Aspekte unterdrückt wurden. Das wird von Jay in der offensichtlich erweiterten Druckfassung anhand eines frischen Blicks auf die Ästhetik des 18. Jahrhunderts ebenso wie einiger wichtiger kunsttheoretischer Debatten im 20. Jahrhundert unter Bezugnahme auf interessante Literatur diskutiert. Anders gesagt, die Ästhetisierung des Gewöhnlichen geht unberechtigterweise in andere Subsysteme der Moderne hinein (womit ein Weberianisch-Habermasianischer Ansatz vertreten wird). Dewey-Shusterman gehen zu wenig weit, wenn sie das Kunstobjekt neu beleben wollen, denn die ästhetische Erfahrung in der Gleichursprünglichkeit von Subjekt und Objekt wird zu schnell gefordert. Die Spannung zwischen Kunstobjekten und Erfahrung muß bleiben, damit das Unversöhnte in der größeren Kultur nicht voreilig aufgehoben wird.

Vollständig anders geht Maryvonne Saison an das Verhältnis von Philosophie und Ästhetik heran. Im Topos des spielerischen Denkens will sie die alte Rivalität von Theater und Philosophie überwinden. Andere Aspekte des Verhältnisses müssen erkannt werden. Es geht um philosophische Ideen in der Realität (des Theaters?), genauer um eine Externität der Philosophie im künstlerischen, hier theatralischen Raum, im Bühnenraum. Umgekehrt soll die Bühne nicht nur mit Ideen der Unterhaltung versehen werden. Alles liege einmal mehr im Betrachter/Zuschauer.

Daß dieses Verhältnis von Theater und Philosophie seit einigen Jahren auch in der Philosophie, ist von Saison nicht erwähnt, dafür von Mi`'sko `'Suvacovic vor Augen und Ohren geführt worden. Im Kongreßband haben wir eine schriftlich ausgearbeitete Version eines anhand von Thesen spontan gehaltenen Vortrags vor uns, der mit einem parallelen Auftritt der Tänzerin Jill Sigman gehalten wurde. Ihm geht es darum, die Beziehung Kunst/Philosophie in den Formen des Verfechtens respektive Befürwortens (advocating) zu analysieren: den Gebrauch des einen im anderen, die Philosophie in der Bestimmung des Advokaten im Bereich des Wissens (Althusser), die Beschreibung der jeweils spezifischen Aktivität. Ein ekstatisch eklektischer Reichtum des Sinnesvergnügens oder eine nomadische Entrückung einer möglichen Welt des Vertretens in eine mögliche Welt wird beansprucht. Leider finden die Ausführungen nicht weiter eine Begründung. Fast allen ReferentInnen kann vorgeworfen werden, daß die Bereitschaft gering ist, sich auf die bestimmt sehr schwierigen Entwicklungen der Philosophie der letzten Jahrzehnte einzulassen (wie Morawski andeutet), aus denen heraus sich die Ästhetik und das Ästhetische vorläufig ableiten ließen.

So finden metatheoretische Überlegungen nicht notwendigerweise zum Problem Philosophie/Ästhetik. Kunst als solche institutionell oder formal zu definieren, das hat für Paul Crowther ausgespielt. Es kommt ihm darauf an, die gegenwärtige Erfahrung zu "rekonfigurieren". Nach einer langen Analyse des ästhetischen Objekts und insbesondere des Ereignisobjekts (eine zeitliche Aggregation quasi-materiellen Charakters, die quer zum Foto und zum Gemälde steht und den mechanisch reproduzierten Zeitmedien wie Film, Fernsehen oder Video gegenübergestellt werden kann) fordert Crowther, die symbolischenStrukturen besonderer Medien zu klären, insbesondere die erkenntnistheoretischen Bedingungen ihrer Lesbarkeit - Philosoph muß Kommunikationscodes der Rezeption offenlegen, damit neue Kodes möglich werden. Immerhin auch ein Programm!

W. Stephen Croddy's Beschäftigung mit einer strukturalen Linguistik Chomskyschen Typs in Anwendung auf den Picasso der analytisch-kubistischen Periode ist insofern interessant, als sich hier die Tendenz zu einem neuen Typ modernistischer theoretischer Kunstgeschichte bestätigt, womit sich eine institutionalisierte theoretische Ästhetik in Zukunft methodologisch beschäftigen wird müssen. An der Vorgeschichte der Unterscheidung von "ästhetisch" und "artistisch" ist Katerina Reed-Tsocha , und zwar in der analytischen Ästhetik, was ästhetikhistorisch und vom Thema her eher unüblich ist (Welschs Unterscheidung ist ihr unbekannt.). Leider bleibt ihr ausschließlicher Bezugspunkt, den sie in Auseinandersetzung mit Graham McFee untersucht, Monroe Beardsleys "Aesthetics. Problems in the Philosophy of Criticism", dessen erste Auflage schon 1958 erschienen ist.

Um die Kongreßthematik genauer beurteilen zu können, ist ein Blick auf die Sektion "Ästhetik und Philosophie" nötig. Für Antanas Andrijauskas ist angesichts der Informatik und Massenkommunikation eine nicht-klassische Ästhetik vor, mit der er wohl auch eine nichteuropäische meint, wenn er asiatische Ästhetiken vorschlägt, ohne sie allerdings vorzustellen. So interessant auch vom Titel her, geht es Yacouba Konate im Ausgang von Habermas eher um Philosophie als um Kunst beziehungsweise Ästhetik. Germina Nagat geht mit Engagement viel weiter, als nur einen kunstgeschichtetechnischen Topos zu behandeln. Im Ausgang von der analytischen Philosophie der Beschreibung nach Russell's theory of description gelingt es ihr allerdings kaum, eine Pointe im Feld von "Ästhetik und Philosophie" zu finden. G. W. Trompf vom Titel her anspruchsvoller Beitrag beschränkt sich auf eine unsachliche Tirade gegen die Postmoderne (in der Philosophie? in der Ästhetik?), während Zhou Laixiang ohne weitere Aktualisierung auf F. Th. Vischer zurückgehen zu wollen scheint, wenn er das klassische Schöne und das moderne Erhabene in einer dialektischen Harmonieästhetik versöhnen will.

Erjavec teilt mit, daß 550 Teilnehmer aus 48 Ländern gezählt wurden, von denen fast 200 für die Kongreßakten Beiträge einreichten. Um ein zusätzliches Bild vom gegenwärtigen Stand der Ästhetik zu bekommen, wäre natürlich nützlich, das Gesamtprogramm zu sehen. (Es ist glücklicherweise noch immer unter http://www.zrc-sazu.si/events/ica/program.htm zu lesen.) Überhaupt den Kongreß zu dokumentieren, angefangen bei einem Foto von `'Suvacovic's Performance-Vortrag anstelle einer prinzipiell schwer zu entscheidenden Illustration in den Kongreßakten, wäre eine Werbung für Kongresse überhaupt, die ja auch gesellschaftliche Ereignisse sind. Den (zusätzlichen) Finanzierungsquellen sollte es auch nicht schaden. Nicht zuletzt ginge es um Merchandising. Die Werbemappe (Design: New Collectivism, Laibach) zeigte in allen Farben den Ausschnitt Europas, auf dem die Staatsgrenzen Sloweniens zugleich das Loch des Bieröffners bildeten, dessen Griff sich über den südlichen Teil des italienischen Stiefels erstreckte.

Von solchen Einfällen blieb im Kongreßband wenig erhalten, der nichtsdestotrotz von einer guten Organisation und einem gut abgelaufenen Kongreß zeugt. Ein offenes Wort einer Fernkritik möge von den Kongressveranstaltern positiv aufgenommen werden. Wie der Rezensent haben viele - es darf vermutet werden besonders auch SlowenInnen - weder einenBeitrag eingereicht, noch am Kongreß teilgenommen, weil sie die hohe Kongreßgebühr von $ 200,- (SIT 30.000,-) für reguläre TeilnehmerInnen, $ 100,- (SIT 15.000,-) für StudentInnen und $ 100,- (SIT 15.000,-) für Begleitpersonen nicht entrichten wollten. Das ist deswegen bedauerlich, weil damit die zahlreichen jüngeren und tendenziell weniger bemittelten, potenziellen InteresssentInnen von einer Kongreßteilnahme abgeschreckt wurden, auch wenn für die ersten beiden Gruppen preißmäßig disproportional die Kongreßakten in der Gebühr enthalten waren. Große Kongresse in Europa und den USA kommen, oft einschließlich der Kongreßakten, mit maximal einem Drittel der Gebühr aus. Davon abgesehen muß die Überlegung angestellt werden, ob nicht alle nichtreferierenden StudentInnen - hier war immer noch die Hälfte der Kongreßgebühr zu bezahlen - , von der Gebühr befreit und zur Teilnahme aktiv umworben werden sollten.

Natürlich fällt die Abwesenheit prominenterer italienischer PhilosophInnen auf wie Cacciari (Venedig), Eco und Bollino (Bologna), Vattimo (Turin), neben anderen, von denen nur drei in den Akten aufscheinen. Können diese und ihre StudentInnen nur italienisch und keine der traditionellen Kongreßsprachen englisch, französisch, deutsch? Das ist unwahrscheinlich. Und es frägt sich, wieso sich die Laibacher Schule um Slavoi `'Zi`'zek (Salecl, Zupancic, Riha, Dolar) nicht, vielleicht sogar mit einem Schwerpunkt, eingefunden hat. Nicht zuletzt fällt, ob den konfliktuellen, ferialen und geographischen Kontingenzen geschuldet, die fast vollständige Abwesenheit von ÄsthetikerInnen des deutschen Sprachraums auf. 20 Namen wären zu nennen, von denen wohl 5 zusätzliche nach Laibach hätten fahren können.

Gerade einmal Wolfgang Welsch war vertreten, der mit seinem zweiten Reclambändchen 1996 (und dem auf breite Resonanz stoßenden Sammelband Undoing Aesthetics, 1997) eher nolens denn volens eine Summe einer bisweilen hektischen Aktivität erstellt, wie sie aus den 80er Jahren hervorgegangen war. So wundert es nur zum Teil, daß der inzwischen nach Jena Berufene in Laibach eigentlich schon empirisch-wissenschaftlich in die Materie Sport hineinbiß, sodaß sein umfassender Entwurf einer Sportphilosophie fast schon sportwissenschaftlichen denn kulturphilosophischen Charakter hat. Andererseits wird einem dabei klar, wie theoretisch und philosophiereif inzwischen eine noch junge Sportwissenschaft inzwischen ausgerichtet ist. Es erhebt sich die Frage, inwiefern Welschs Beitrag, entgegen dem skizzierten Forschungsinstitut für Ästhetik in seinem Hauptreferat für den letzten Internationalen Kongreß für Ästhetik in Lahti 1995 (in: Welsch, Grenzgänge der Ästhetik, 1996), eine inhaltlich wissenschaftliche Überschreitung der Ästhetik darstellt, wie ironisch oder richtungweisend ernst gemeint auch immer sein im Vergleich längste sportphilosophische Beitrag gemeint sein mag. Hat die Ästhetik die Ästhetik vielleicht doch schon verlassen?

(c) Peter Mahr 2000

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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