AUDITIVE AUFMERKSAMKEIT

Von Gernot-Andreas Nieder 9200794

 

PROSEMINARARBEIT

zur Lehrveranstaltung "Kognitive Psychologie II" (Proseminar zur Allgemeinen Psychologie, ID 1105)

von Prof. Michael TRIMMEL

Sommersemester 1999

 

Institut für Psychologie an der

Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der

Universität Wien

 

Inhalt

 

 

  1. Einleitung ...................................................................................... 2
  2.  

  3. Das Cocktailparty-Problem – selektive auditive Aufmerksamkeit . 3
  4.  

  5. Aufmerksamkeit im singulären auditiven Strom ............................ 8
  6.  

    1. Sprache ............................................................................... 8
    2. Melodien
    3. Zeit

     

  7. Streaming, Aufmerksamkeit und auditive Täuschungen
  8.  

    1. Streaming und Aufmerksamkeit
    2. Auditive Täuschungen und Aufmerksamkeit

 

Literatur

 

 

 

  1. Einleitung
  2.  

     

    In der vorliegenden Arbeit soll ein Teilgebiet der Aufmerksamkeitsforschung, die auditive Aufmerksamkeit, angesprochen werden. Allgemein bezeichnet Aufmerksamkeit einen Zustand konzentrierter Bewußtheit, der von einer Bereitschaft des zentralen Nervensystems, auf Stimulation zu reagieren, begleitet wird (vgl. Zimbardo, 1995, S.226). Aufmerksamkeit ist eine zentrale Komponente des Bewußtseins und der Wahrnehmung, die Beschäftigung mit ihr nimmt daher in der kognitiven Psychologie einen hohen Stellenwert ein. Auditive Aufmerksamkeit ist die gesamte an das Hörvermögen und damit an das akustisch-perzeptive System gebundene Aufmerksamkeit: Sie stellt also einen umfassenden, heterogenen Themenkomplex innerhalb der Bewußtseins-psychologie dar, weshalb es notwendig ist, sich hier auf einige wenige ausgewählte spezielle Aspekte der auditiven Aufmerksamkeit zu beschränken. Ausgehend von Gert ten Hoopens Beitrag zum Themenbereich Kognition in der Enzyklopädie der Psychologie (vgl. ten Hoopen 1996) wird zunächst auf das Cocktailparty-Problem, welches einen klassischen Ansatz der selektiven auditiven Aufmerksamkeitsforschung repräsentiert, eingegangen. Hierbei erfolgt, nach einer kurzen Begriffsdefinition und Gegenstandserklärung, eine überblicksartige Darstellung paradigmatischer Modelle und Konzepte der selektiven auditiven Aufmerksamkeit: Das Filtermodell von Broadbent, dessen Modifikation sowie das Schicksal der sekundären Mitteilung sollen Erwähnung finden. Bevor zum nächsten Kapitel übergegangen wird, werden zwei grundlegende Theorien der selektiven (auditiven) Aufmerksamkeit (die Theorie der späten Selektion und die Multilokalisationstheorie) dargelegt. Dann folgt eine Auseinandersetzung mit Aufmerksamkeit im singulären auditiven Strom, worunter drei größere Forschungsfelder fallen, die näher betrachtet werden: Sprach-, Musik- und Zeitwahrnehmung. Schließlich sollen noch relativ neue (vgl. ten Hoopen, 1996, S.115) Forschungsgebiete der Aufmerksamkeit behandelt werden: Streaming und auditive Täuschungen.

    Es wird somit auf drei Bereiche der auditiven Aufmerksamkeit eingegangen: zunächst auf Aufmerksamkeit als Selektion (entspricht dem ersten Kapitel, der Auseinandersetzung mit dem Cocktailparty-Problem), dann auf Aufmerksamkeit als Einstellung (was dem zweiten Kapitel, Aufmerksamkeit im einzelnen auditiven Strom, entspricht) und, zuletzt, auf die Gliederung der auditiven Umwelt (im Abschnitt über Streaming und auditive Täuschungen) (vgl. ten Hoopen 1996, S.116).

     

     

     

     

     

     

  3. Das Cocktailparty-Problem – selektive auditive
  4. Aufmerksamkeit

     

    Das Cocktailparty-Problem ist ein zentrales Beispiel für akustische selektive Aufmerksamkeit und bezeichnet im Prinzip die "Fähigkeit des menschlichen Hörers ... , einem Sprecher, der sich zwischen anderen Sprechern befindet, zu folgen" (ten Hoopen, 1996, S. 116). Man versteht darunter das Verfolgen eines singulären auditiven Musters, wie zum Beispiel der Rede einer Person, in einem akustischen Umfeld, das durch mannigfache interferierende Hörreize repräsentiert wird, welche das herauszuhörende Hörmuster kontrastieren. Es ist festzuhalten, daß Maschinen diese Unterscheidung wesentlich schwerer fällt als Menschen (vgl. ebd., S. 117).

    Spezifische Forschungsergebnisse zu dieser Problematik existieren seit den frühen 50er Jahren, besonderes Interesse wurde der fokussierten Aufmerksamkeit (das Folgen einer Mitteilung in einer Mischung aus auditiven und/oder visuellen Reizen) sowie der geteilten Aufmerksamkeit (das Verfolgungen mehrerer Mitteilungen zugleich) geschenkt (vgl. ebd., S. 117). Bekannt wurden die Experimente von Cherry (1953, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 117), welcher zwei Untersuchungsreihen zur Lösung des Cocktailparty-Problems durchführte: In der ersten Versuchsreihe wurden zwei Mitteilungen vom selben Sprecher gelesen und auf einem Tonband einander überlagernd aufgezeichnet; die Versuchspersonen sollten eine Mitteilung (Mitteilung A) von einer anderen (Mitteilung B) unterscheiden. Die Fähigkeit zu dieser Leistung wird als "Beschatten" ("shadowing") bezeichnet. Da die Versuchspersonen Mitteilung A nur unter großer Mühe beschatten konnten (es fehlten Kontrastgeräusche), bot Cherry in einer zweiten Versuchsreihe die Mitteilungen beiden Ohren getrennt dar und beobachtete eine Verbesserung seitens der Versuchspersonen, die Beschattungsaufgabe zu lösen. Moray (1959, vgl. Trimmel, 1996, S. 70) kam, "selbst nach 35 Wiederholungen des Textes" (Trimmel, 1996, S. 70) zu ähnlichen Resultaten. Der Grund dafür war die Organisierung des Experiments nach dem dichotischen Paradigma. "Die simultane ... Darbietung zweier unterschiedlicher Reize, wobei jedem Ohr jeweils ein Reiz dargeboten wird" (Tartter, 1988, S. 283, zit. n. ten Hoopen, 1996, S. 118) ermöglichte eine höhere Beschattungsleistung.

    Innerhalb des dichotischen Paradigmas ist die Frage des Selektionskriteriums von Bedeutung: während in Universitätslabors der laterale Winkelabstand zwischen akustischen Mitteilungen 180 Grad beträgt, konnten Spieth, Curtis und Webster (1954) zeigen, daß bereits bei einem Winkelabstand von 10-20 Grad Selektion möglich war (vgl. ten Hoopen, 1996, S.117f). Die Versuchspersonen konnten also bei einer sehr geringen Entfernung der beiden unterschiedlichen Schallquellen voneinander eine auditive Trennung (Selektion) bewerkstelligen, eine Tatsache, die zur Formulierung des Lokalisationsparadigmas geführt hat.

    Von großer Bedeutung für die selektive auditive Aufmerksamkeitsforschung sind die Beobachtungen von Broadbent (1954,1958). Broadbent (vgl. ten Hoopen, 1996, S. 118) belegte mit Untersuchungen zum dichotischen Hören - er stellte beispielsweise fest, daß unterschiedliche Ziffernreihen, von denen jeweils eine einem Ohr dargeboten wurde, von den Hörern bei der Wiedergabe eher nach dem Ohr als nach der Reihenfolge geordnet wurden - ein Paradigma der gespaltenen Gedächtnisspanne: die Versuchspersonen reproduzierten "zuerst den gesamten Input des einen Ohres, dann den gesamten Input des anderen Ohres" (Broadbent, 1954, zit. n. Zimbardo, 1995, S. 227). Broadbent erklärte dies damit, daß die Versuchspersonen sich zunächst auf die zu beschattende Information eingestellt hatten und erst nach der Reproduktion dieser Information sich der im sekundären Pufferspeicher zwischengelagerten sekundären Mitteilung (siehe unten) widmeten.

     

    Das Filtermodell von Broadbent (1958)

     

    Aufgrund seiner Ergebnisse und der Befunde aus anderen Untersuchungen mit der Beschattungstechnik formulierte Broadbent (1958) ein Filtermodell der selektiven auditiven Wahrnehmung (vgl. ten Hoopen, 1996, S. 118). Broadbent sah die Aufmerksamkeit nach dem Prinzip eines selektiven Filters organisiert, der die Menge des eintreffenden Inputs entweder durch Abblockung unerwünschter Informationen und/oder durch Weitergabe relevanter Informationen an das Bewußtsein reguliert (vgl. Zimbardo, 1995, S. 227). Die eintreffenden Mitteilungen gelangen zunächst in einen sensorischen Pufferspeicher, auf den der Filter folgt. Läßt der Filter eine Mitteilung nicht durch, so verbleibt diese im Pufferspeicher. Durchgelassene Informationen gelangen nach der Filterpassage in das sogenannte "P-System", welches die Mitteilung modifiziert und so dem Bewußtsein zuleitet. Für die Durchleitung durch den Filter nahm Broadbent die Ausdrucksgestalt der Mitteilung (zum Beispiel Männer- oder Frauenstimme, vgl. ebd.) als entscheidendes Kriterium an: "Eine der Mitteilungen wird aufgrund physischer Merkmale durch einen Filter geleitet, die anderen verbleiben weiterhin im sensorischen Pufferspeicher" (vgl. ten Hoopen, 1996, S.118). Eine weitere zentrale Annahme Broadbents ist die Theorie der kognitiven Verarbeitung semantischen Inputs mit nur einem einzigen Informationskanal (vgl. Trimmel, 1996, S.70), welcher sich durch ein beschränktes Fassungsvermögen auszeichnet. Die Funktion dieses Informationskanals wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die "Menge an Information, die dieser Kommunikationskanal in einer bestimmten Zeit verarbeiten kann, ... dadurch begrenzt (wird), daß die Aufmerksamkeit nicht beliebig zwischen verschiedenen Informationsquellen hin und her springen kann" (Zimbardo, 1995, S. 227). Es ist also in der Regel nicht oder nur eingeschränkt möglich, die Aufmerksamkeit mehren Informationskanälen gleichzeitig zuzuwenden, jedoch stellt es kein besonderes Problem dar, eine singuläre Mitteilung aus der Schallkulisse, in die diese Information eingebettet ist, herauszuhören (zu beschatten).

     

    Modifikation des Filtermodells

     

    Broadbents theoretischer Ansatz war "für andere Wissenschaftler neu und aufregend" (Zimbardo,1995,S.228) und lieferten "der Erforschung der Aufmerksamkeit eine empirische Grundlage" (ebd.). Doch trotz des Einflusses von Broadbents Modell ließen sich damit einige empirisch beobachtete Sachverhalte nicht befriedigend erklären, so zum Beispiel die Ergebnisse von Treisman (1960, vgl. ten Hoopen, 1996, S.119). Treisman schaltete eine zu beschattende Mitteilung plötzlich zum anderen, zu ignorierenden Ohr um und fand, daß die Versuchspersonen einige wenige Worte dieser Mitteilung reproduzierten, obwohl diese nun dem nichtbeschatteten Ohr dargeboten wurde. In einem weiteren Beschattungsexperiment bot Treisman (1964, vgl. Trimmel, 1996, S. 71) dem zu ignorierenden Ohr eine identische Mitteilung, welche "auch dann erkannt (wurde), wenn ein zeitlicher Abstand bestand, oder auch dann, wenn zwei unterschiedliche Sprachen verwendet wurden bzw. verschiedene Sprecher den Text lasen" (Trimmel, 1996, S. 71). Treisman (1960, 1964) konnte also zeigen, daß Mitteilungen nicht allein nach physischen Eigenschaften, sondern auch aufgrund der Bedeutung (des Inhalts) verarbeitet wurden. Er formulierte die Abschwächungs-Theorie der selektiven (auditiven) Aufmerksamkeit (Treisman, 1964, vgl. Trimmel, 1996, S. 71), wonach "eingehende Botschaften nach den physikalischen Eigenschaften, nach dem Muster von Silben und Wörtern, sowie der Wortbedeutung analysiert" (Trimmel, 1996, S.71) werden. Auch die Treismans Erkenntnisse bestätigenden Funde von Gray und Wedderburn (1960, vgl. ten Hoopen, 1996, S.119) sowie die Beobachtung einer Veränderung des psychogalvanischen Hautreflexes (PGR-Reaktion), der auch auf Wörter im zu ignorierenden Ohr auftrat, durch Moray (1970, vgl. Trimmel, 1996, S.71) gab Anlaß zu einer Modifikation des Broadbent-Konzeptes. Betrachtet man diese Ergebnisse, so wird deutlich, daß Aufmerksamkeit kein "Alles-oder-Nichts"-Phänomen (Zimbardo, 1995, S.228) nach der Filtertheorie ist, daß also nicht nur jeweils ein einziger Informationskanal repräsentiert wird. Vielmehr ist die Aufmerksamkeit ein gradueller, abgestufter Vorgang, wobei auch der Input, der ignoriert wurde, eine Bedeutungsanalyse, "wenn auch nur teilweise und nicht bewußt" (ebd.), erfährt. In diesem Sinne formulierte Neisser (1974, vgl. Trimmel, 1996, S. 71) ein Modell der Selektion der Aufmerksamkeit durch präattentive Analyse: "Nach dieser Theorie werden die nicht selektierten Informationen aus allen Kanälen analysiert ... , allerdings abgeschwächt bzw. reduziert" (Trimmel,1996, S. 71).

     

     

    Das Schicksal der sekundären Mitteilung

     

    Auf Basis der Erkenntnisse Treismans (1960, 1964) und anderer (Gray & Wedderburn, 1960; Moray, 1970), die, wie erwähnt, der zu ignorierenden Mitteilung mehr Bedeutung zukommen ließen als Broadbents Filtermodell, ist das Schicksal dieser sekundären Mitteilung vermehrt in den Blickwinkel der Forschung geraten. Mittels Gedächtnis-, Konditionierungs- und Reaktionszeituntersuchungen ist es gelungen, einige Ergebnisse bezüglich der Verarbeitung der sekundären Mitteilung zu erhalten.

    Norman (1969, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 119) unterbrach die Versuchspersonen während der Beschattungsaufgabe und stellte bei der Prüfung des unmittelbaren Gedächtnisses auch eine richtige Wiedererkennung der sekundären Mitteilung fest, woraus gefolgert werden kann, daß entweder "der Filter sich schnell dem Inhalt des anderen physischen Kanals im Pufferspeicher zugewendet haben könnte" (ten Hoopen,1996, S. 119) oder daß die zweite Mitteilung Zugang zum P-System erlangt hat, jedoch nicht im Langzeitgedächtnis gespeichert wurde. Beide Erklärungen sind mit Broadbents Annahmen vom Filtermodell verträglich.

    Corteen & Wood (1972, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 120) konditionierten ihre Versuchspersonen, bevor diese an einem Beschattungsexperiment teilnahmen, mit elektrischen Schocks auf Städtenamen. In dem zu ignorierenden Kanal erschienen die konditionierten Städtenamen neben anderen, nicht konditionierten Städtenamen. Die gemessenen galvanischen Hautreaktionen (PGR) waren nicht nur für konditionierte, sondern auch für andere Städtenamen signifikant, obwohl seitens der Versuchspersonen keine Städtenamen bewußt gemerkt wurden. Ähnliche Ergebnisse fanden sich auch in Nachfolgeuntersuchungen (Corteen & Dunn, 1974; v. Wright, Anderson & Stenman, 1975, vgl. ten Hoopen, 1996, S.120). Diese Funde aus Konditionierungsexperimenten scheinen das Selektionskriterium zu widerlegen, doch Wardlaw & Kroll (1976, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 120) konnten in einer exakten Replikation der Corteen-Experimente keine signifikant verschiedenen PGR-Reaktionen feststellen. Hier sind die Ergebnisse also nicht eindeutig, dennoch bleibt festzuhalten, daß der ignorierte Input unterhalb der Bewußtseinsschwelle auf bedeutungsvolle Informationen hin überwacht wird (vgl. Zimbardo, 1995, S.228) und die selektive auditive Aufmerksamkeit damit auch von vorhandenen Wissensstrukturen des Individuums beeinflußt wird. Eine Integration dieser Resultate versuchte Neisser (1967, vgl. Zimbardo, 1995, S.228) mit einer konstruktiven Perzeptionstheorie der Aufmerksamkeit: Nach Neisser kommt die (selektive, akustische) Aufmerksamkeit primär dadurch zustande, daß der sensorische Input auf vorhandene Basisstrukturen erworbener Information (das Wissen der Person) trifft, welche das Individuum den neuen Informationen hinzufügt, womit es seine eigene Perzeption konstruiert.

    Bedeutsam sind die Beobachtungen von Lewis (1970, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 120f), welcher eine Beeinflussung der Reaktionszeit für beschattete Wörter im dichotischen Setting in Abhängigkeit vom semantischen Bezug feststellte: Die Reaktionszeit auf Wörter, die von Synonymen im anderen Ohr begleitet wurden, stieg, von einem Ausgangswert für unzusammenhängende Wörter ausgehend, noch höher an, während analoge Verhältnisse bei Antonymen zu einer Verringerung der Reaktionszeit relativ zum Ausgangswert führten (vgl. ten Hoopen, 1996, S. 120f). Diese Tatsache (Lewis-Effekt), die sich weder durch Broadbents (1958) Multi-Speicher-Theorie, noch durch das Abschwächungsmodell von Treisman (1964) sowie dessen Weiterentwicklung durch Treisman und Geffen (1967, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 121) hinreichend kohärent erklären läßt, steht, nach Lewis, am ehesten mit dem Modell der späten Selektion von Deutsch & Deutsch (1963, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 121) in Einklang und blieb nicht unwidersprochen. Kimura (1961, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 121) postulierte einen Vorteil des rechten Ohrs für verbales Material ("right ear advantage",REA), was die Ergebnisse von Lewis verzerrt haben könnte. Treisman, Squire & Green (1974, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 121) replizierten den Versuch von Lewis und stellten eine Abnahme des semantischen Effekts im Verlauf des Experiments fest, das heißt der Lewis-Effekt war auf die ersten Positionen der Liste beschränkt.

     

    Zwei grundlegende Theorien der selektiven Aufmerksamkeit

     

    Von großer theoretischer Bedeutung für die Lösung des Cocktailparty-Problems und die Tatsache der selektiven auditiven Aufmerksamkeit sind die empirischen Erkenntnisse von Johnston und Mitarbeitern, welche, in Ergänzung und Fortführung der einschlägigen vorhergehenden Untersuchungen, einen Vergleich zweier paradigmatischer Theorien der selektiven auditiven Aufmerksamkeitsforschung, der Theorie der späten Selektion sowie der Multilokalisationstheorie, zulassen. Die Theorie der späten Selektion (z. B. Deutsch & Deutsch, 1963) postuliert eine vollständige perzeptive Analyse auf sensorischer und semantischer Ebene, also auch für Mitteilungen, die nicht Zielreize sind. Unwichtige Mitteilungen werden erst durch späte Selektion ausgesondert. Die Multilokalisationstheorie (z. B. Broadbent, 1970, Norman, 1969, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 122) entspricht dem Filtermodell: der Filter kann verschoben werden und so die Aussonderung regulieren.

    Johnston & Heinz (1979, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 121f) gelang es, den Lewis-Effekt durch gezielte Variationen der Darbietung dichotischer Ziel- und Nicht-Zielreizwörter zu beeinflussen. Es ergab sich, daß unter entsprechenden Bedingungen die Verarbeitung der Nicht- Zielreizwörter tiefer erfolgte, was den Lewis-Effekt vergrößerte, analog verringerte sich der Lewis-Effekt bei oberflächlicher Verarbeitung der Nicht- Zielreizwörter. Dies widerspricht der Theorie der späten Selektion insofern, als diese solche Sachverhalte höchstens a posteriori, nicht jedoch im vorhinein erklären kann (vgl. ten Hoopen, 1996, S. 122). Gemeinsam mit Wilson konnte Johnston (Johnston & Wilson, 1980, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 122) Belege für die Multilokalisationstheorie finden: weder die semantische Analyse noch die Zuhörbedingung alleine waren für die Resultate ihrer Untersuchung ausschlaggebend. Vielmehr erklärte eine signifikante Interaktion zwischen den beiden genannten Komponenten das Ergebnis, was einem Kompromiß der Ansätze der beiden Theorien der Selektion nahe kommt. Dies entspricht auch dem Ansatz von Norman (1968, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 123), der sowohl physische Merkmale des Inputs als auch die sogenannte "Einschlägigkeit" ("pertinence") von Information (Erwartungen, linguistische Regeln) als zentral für die Filterung ansieht.

    Zusammenfassend kann man sagen, daß Broadbents Filtermodell und die Multilokalisationstheorie entscheidende Ansätze zur Lösung des Cocktailparty-Problems beitragen, wobei jedoch auch Ansätze einer vollständigen perzeptiven Analyse mit später Selektion einbezogen werden müssen.

     

     

     

  5. Aufmerksamkeit im singulären auditiven Strom
  6.  

    Aufmerksamkeit im einzelnen auditiven Strom bezieht sich darauf, daß die hörende Person sich darauf einstellt, "bestimmte Augenblicke im Zeitfluß" (ten Hoopen, 1996, S. 124) hervorzuheben, wobei einzelne sich wiederholende Muster im Klangstrom wie beispielsweise Rhythmus oder Betonung als Orientierung dienen. Die Aufmerksamkeitsinvestition ist dabei als abhängig von den Strukturen des jeweiligen Musters gedacht, das heißt, die Klanggestaltung beeinflußt die auditive Aufmerksamkeit. Beispielhaft hierfür ist die Sprachwahrnehmung, die Musik- sowie die Zeitwahrnehmung.

     

    1. Sprache

 

Die Sprache stellt, wie die Musik, ein strukturiertes klangliches Muster dar, welches die auditive Aufmerksamkeit auf Basis der ihr zugrundeliegenden rhythmischen Strukturen beeinflußt.

Wichtig für die auditive Aufmerksamkeitsforschung bezüglich Sprache ist das Modell von Martin (1972, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 124), welches eine hierarchisch-zeitliche Strukturierung der sprachlichen Elemente sowie eine davon abgeleitete Betonungsstruktur (prosodische Struktur) impliziert, sodaß solche Strukturen, sobald diese von der hörenden Person einmal erkannt worden sind, durch Aufmerksamkeit antizpatorisch fokussiert werden können. Auf Basis dieser Annahmen führten Shields, McHugh & Martin (1974, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 124) einen Versuch zur Aufmerksamkeit im Sprachstrom durch. Mittels der klassischen Phonem-Überwachungsaufgabe (es soll ein zuvor festgelegtes Phonem soll hinsichtlich seines Erscheinens überwacht werden sowie darauf reagiert werden) wurde die Hypothese, daß "die Überwachungs-Reaktionszeit für Phoneme in betonten Silben kürzer ... als die Reaktionszeit für Phoneme in unbetonten Silben" (ten Hoopen, 1996, S.125) ist, geprüft. Es ergab sich eine signifikante Verbesserung der Reaktionszeit, also eine Verkürzung, für betonte Zielreiz-Positionen (=rhythmischer Satz), nicht jedoch für den nicht-rhythmischen Kontext. Damit konnte die Hypothese angenommen werden, gleichzeitig wurde auch eine Aussage zur "rhythmischen Aufmerksamkeit als Funktion der Zeit" (ebd.) gemacht, da die obige Hypothese eine Verbesserung der Aufmerksamkeitszuweisung impliziert, "je mehr Abschnitte aus der rhythmischen Struktur (unbetont-betont) einbezogen" (ebd.) werden. Ausgehend von dieser Untersuchung führten Pitt & Samuel (1990, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 126f) ein vergleichbares Replikationsexperiment durch, in dem die Phoneme jedoch, anders als bei Shields et.al. (1974), nicht in sinnlose Silben, sondern in zweisilbige englische Wörter eingebettet waren. Außerdem wurden die Zielreiz- Wörter in Satzkontext gebracht. Die Ergebnisse waren jedoch nicht überzeugend, es fand sich kein signifikanter Effekt für eine Verkürzung der Reaktionszeit für Zielreiz-Phoneme in betonten Silben gegenüber unbetonten Silben. Deshalb entschlossen sich Pitt und Samuel (1990), einen "binären Rhythmus" (ten Hoopen, 1996, S. 126) der Phonemfolge stärker hervorzuheben, wodurch sich ein signifikanter Unterschied in den Reaktionszeiten ergab. In Übereinstimmung mit Shields et.al. (1974) ergab sich eine Verbesserung der Aufmerksamkeit "mit zunehmender Dauer des Betonungsmusters" (ten Hoopen, 1996, s. 127). Pitt & Samuel (1990) erweiterten ihre Beobachtungen zur "Hypothese der elastischen Aufmerksamkeit" (attentational bounce hypothesis, ABH), womit gemeint ist, daß sich die auditive Aufmerksamkeit einer Person sich in die Rhythmizität einer anderen, sprechenden Person einklingen kann (vgl. ten Hoopen, 1996, S. 126).

Die Untersuchungen von Shields, McHugh & Martin (1974) sowie von Pitt & Samuel (1990) scheinen also Belege für eine rhythmusbedingte Aufmerksamkeit im einzelnen Sprachstrom zu liefern. Außerdem erhielt Robinson (1977, vgl. ten Hoopen, 1996, S. 127) in Wiedererkennungsexperimenten von Worten in Abhängigkeit vom Betonungsrhythmus der Silben Ergebnisse, welche die Resultate der beiden obengenannten Experimente stützen: weicht das Betonungsmuster von der Erwartung ab, so mißlingt das Wiedererkennen, was auch einer Verlängerung der Reaktionszeit entspräche.

 

Literatur

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