18. Mai 1999

Die Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion von Schachter

  

Schachter ging bei der Erstellung seiner Theorie von drei Grundannahmen aus:

 

Basierend auf diese Grundannahmen stellte Schachter fest, daß Empfindungen körperlicher Veränderungen (wie Herzklopfen, Zittern, Glühen des Gesichts) zwar notwendig, aber - anders als bei James - nicht hinreichend für das Erleben von Emotionen sind. Laut Schachter muß zum Erleben einer Emotion neben der körperlichen Erregung noch ein zweiter Faktor hinzukommen, nämlich eine KOGNITION über die erregungsauslösende Situation.

 

Emotionen beruhen also auf dem Zusammenwirken von zwei Faktoren:

  1. physiologischer Erregung
  2. Kognition

 

 "Erstens, wenn ein Zustand von physiologischer Erregung gegeben ist, für den das Individuum keine unmittelbare Erklärung hat, dann wird es seinen Zustand ‚benennen‘ und seine Empfindungen im Sinne derjenigen Kognitionen beschreiben, die für es verfügbar sind ... In Abhängigkeit von den kognitiven Aspekten der Situation könnte genau derselbe Zustand physiologischer Erregung als ‚Freude‘ oder ‚Wut‘ bezeichnet oder mit irgendeiner anderen aus der großen Vielfalt emotionaler Bezeichnungen versehen werden. Zweitens, wenn ein Zustand von physiologischer Erregung gegeben ist, für den ein Individuum eine vollständig angemessene Erklärung hat (zB ‚Ich fühle mich so, weil ich gerade eine Adrenalin-Injektion erhalten habe‘), dann wird kein Erklärungsbedürfnis entstehen, und es ist unwahrscheinlich, daß das Individuum seine Empfindungen im Sinne alternativer verfügbarer Kognitionen benennen wir. ... Drittens, wenn dieselben kognitiven Gegebenheiten vorliegen, dann wird das Individuum nur insoweit emotional reagieren oder seine Empfindungen als Emotionen beschreiben, als es einen Zustand von physiologischer Erregung erlebt" (Schachter, 1964, S. 53).

 

Weiters nimmt Schachter an, daß die körperliche Erregung nur die Intensität der Emotion determiniert. Die Qualität der Emotion, also welche Emotion entsteht, hängt ausschließlich von der Kognition ab.

Dabei ist aber nicht die tatsächliche, sondern die subjektiv erlebte, also wahrgenommene, Erregung von Bedeutung.

 

Eine Kognition umfaßt dabei 2 Faktoren:

Erstens eine emotionsrelevante Bewertung einer Situation (zB "diese Situation ist gefährlich"), zweitens die Überzeugung der Person, daß ihre wahrgenommene Erregung durch diese emotionsrelevante Situationseinschätzung verursacht wurde. Es reicht also nicht aus, wenn Erregungsempfinden und Situationseinschätzung gleichzeitig vorhanden sind. Eine Emotion entsteht nur dann, wenn die Person überzeugt ist, daß die Erregung durch ihre Einschätzung der Situation verursacht wurde. Dies nennt man eine Kausalattribution der Erregung auf die Situationseinschätzung (zB könnte ich die Wahrnehmung einer körperlichen Erregung darauf zurückführen, daß ich eine Situation als gefährlich einschätze).

Wenn die Person die Erregung auf eine "nichtemotionale" Ursache zurückführt, dann soll nach Schachter keine Emotion entstehen. Eine nichtemotionale Ursache wäre zB Treppensteigen.

 

Schachter unterscheidet 2 Wege, auf denen Emotionen entstehen können: den alltäglichen und den eher atypischen Sonderfall.

 

Der alltägliche Fall

ist dadurch charakterisiert, daß diejenige Gegebenheit, die zu Erregung führt, auch gleichzeitig eine emotionale Kognition über die Ursachen der Erregung nahelegt.

ZB kommt mir bei einem Spaziergang ein zähnefletschender Hund entgegen. Das führt zu einer emotionsrelevanten Einschätzung, wie "diese Situation ist gefährlich". Diese Einschätzung löst eine körperliche Erregung aus, es erhöht sich also meine Pulsfrequenz, ich zittere usw. Die wahrgenommene Erregung führe ich auf die Einschätzung der Situation als gefährlich zurück. So entsteht also eine Emotion – in diesem Fall Furcht. (Bei diesem Vorgang ist aber nur der entstehende emotionale Zustand bewußt!)

 

Nun zum nicht-alltäglichen Fall der Emotionsentstehung:

Dieser liegt dann vor, wenn sich eine Person in einem Zustand physiologischer Erregung befindet, für den keine unmittelbare Erklärung oder geeignete Kognition verfügbar ist. So kann man einer Person zB Adrenalin injizieren, ohne daß sie weiß, daß es sich um Adrenalin handelt. Das Adrenalin führt zu Herzklopfen, Zittern, Glühen des Gesichts und zu den meisten der Symptome, die mit einer Entladung des sympathischen Nervensystems verbunden sind. (Schachter, 1964)

Diese wahrgenommene Erregung, für die die Person keine Erklärung hat, regt nun ein Bedürfnis an, diese körperlichen Empfindungen zu verstehen und zu benennen. Die Person sucht jetzt also nach einer Ursache. Findet sie eine plausible emotionale Ursache (also eine emotionsrelevante Einschätzung), so führt sie ihre bisher unerklärte Erregung auf diese Kognition zurück. Je nach Art der Kognition erlebt sie also Furcht, Liebe, Wut oder eine andere Emotion.

Zum besseren Verständnis nannte Schachter einige Beispiele: Ist die Person zum Zeitpunkt der Erregung mit einer schönen Frau zusammen, so wird sie entscheiden, heftig verliebt oder sexuell erregt zu sein. Befindet sie sich aber gerade im Streit mit der Ehefrau, so entsteht die Emotion Haß oder Wut.

Der nicht-alltägliche Fall ist aber wirklich nur als Sonderfall anzusehen. Im Normalfall ist eine emotionale Erklärung der Erregung meist unmittelbar vorhanden, weil wir ja die erregungsauslösende Situation kennen.

 

Das Experiment von Schachter und Singer (1962)

 

Um ihre Theorie zu überprüfen, haben Schachter und Singer 1962 ein vielzitiertes Experiment durchgeführt. Dieses bezog sich auf den nicht-alltäglichen Fall der Emotionsentstehung. Dafür baten sie Versuchspersonen, an einem angeblichen Experiment über die Wirkung einer Vitamininjektion auf die Sehfähigkeit teilzunehmen. Die Testpersonen wurden also bezüglich des Ziels des Experiments getäuscht.

 Bei dem Experiment wurden 3 Faktoren manipuliert:

Erstens die physiologische Erregung: den Versuchspersonen wurde entweder Adrenalin oder eine Kochsalzlösung, die nicht zu einer Erregung führt, injiziert. Die Symptome einer Adrenalin-Injektion sind Herzklopfen, Zittern, Glühen des Gesichts und eine beschleunigte Atmung.

Zweitens wurde das Erklärungsbedürfnis manipuliert, indem man die Versuchspersonen über die Wirkung von Adrenalin entweder gar nicht, in zutreffender Weise oder in unzutreffender Weise informierte. Dabei soll bei der zutreffenden Information kein Erklärungsbedürfnis der wahrgenommenen Erregung entstehen, weil durch die Information ja bereits eine (nichtemotionale) Erklärung vorhanden ist.

Die dritte unabhängige Variable war die emotionale Kognition. Die Versuchspersonen wurden entweder mit einem euphorischen oder einem ärgerlichen weiteren Versuchsteilnehmer, der in Wirklichkeit ein Vertrauter des Versuchsleiters war, zusammengebracht. Das euphorische oder ärgerliche Verhalten dieser Person sollte den Versuchspersonen eine Kognition – also eine emotionale Einschätzung der Situation - nahelegen; zB in der Ärgerbedingung "dieses Experiment ist eine Zumutung".

Die Erfassung der resultierenden Emotion erfolgte auf zwei Wegen. Das Verhalten der Versuchsperson wurde durch einen Einwegspiegel beobachtet, man registrierte, ob sich die Vp selbst euphorisch oder ärgerlich verhielt. Außerdem mußte die Vp die beiden Fragen "Wie gut oder glücklich fühlen Sie sich augenblicklich?" und "Wie gereizt, ärgerlich oder verletzt fühlen Sie sich?" auf einer 5-Punkte-Skala beantworten.

 

 

 

 

Placebo

Adrenalin

 

 

Informiert

Nicht informiert

Falsch informiert

Euphorie

 

 

 

 

 

Hypothesen

Niedrig

Niedrig

Hoch

Hoch

 

Skalierung

1.61

0.98

1.78

1.90

 

Verhalten

16.00

12.72

18.28

22.56

Ärger

 

 

 

 

 

Hypothesen

Niedrig

Niedrig

Hoch

 

 

Skalierung

1.63

1.91

1.39

 

 

Verhalten

0.79

-0.18

2.28

 

 

In der Tabelle finden sich die Ergebnisse für die beiden Emotionsmaße. Die unter "Skalierung" aufgeführten Werte beziehen sich auf die Berichte der Vpn über den eigenen Gefühlszustand auf den oben beschriebenen 2 Skalen, genauer auf die Differenz der beiden Skalierungen. Je positiver dieser Wert ist, desto mehr überwiegt das positive Gefühl (gut und glücklich) das negative (gereizt, ärgerlich und verletzt). Die in der Tabelle unter "Verhalten aufgeführten Werte geben das Ausmaß wider, in dem die Vpn euphorisches (in der Euphorie-Bedingung) bzw. ärgerliches (in der Ärger-Bedingung) zeigten.

 

Ergebnisse:

Unter der Euphorie-Bedingung kam es bei den Versuchspersonen, die über die Adrenalin-Wirkung falsch bzw. nicht informiert wurden, erwartungsgemäß zu den stärksten Emotionen. Die niedrigsten Werte sind in den Bedingungen, in denen die Vpn korrekt über die Adrenalin-Wirkung informiert wurden bzw. überhaupt kein Adrenalin injiziert wurde (Placebo). Das entspricht ebenfalls der Erwartung von Schachter und Singer.

Es kam aber auch unter der Placebo-Bedingung zu relativ hohen Emotionswerten. Nach der Hypothese dürften ohne Adrenalin-Injektion, also ohne Auslösung einer körperlichen Erregung, nur sehr schwache oder gar keine Emotionen entstehen.

Zusammenfassend kann man sagen, daß die Ergebnisse des Experiments die Hypothesen von Schachter und Singer nur teilweise bestätigten.

 

Die Beeinflussung von Emotionen durch Fehlattributionen:

Aus der Zwei-Faktoren-Theorie läßt sich nun unter anderem ableiten, daß es ganz bestimmte Konsequenzen hat, wenn eine Person ihre Erregung auf eine falsche Ursache zurückführt.

Wir gehen jetzt also davon aus, daß eine Person körperlich erregt ist. Die Ursache dafür kann entweder emotionaler Natur (zB Ankündigung eines Elektroschocks) oder nichtemotionaler Natur (zB Treppensteigen) sein. Gleichzeitig wird der Person eine falsche Kognition bezüglich der Erregung nahegelegt. Nun gibt es 4 Typen einer solchen Fehlattribution:

 

Ursache, auf die Erregung zurückgeführt wird

Wahre Ursache der Erregung

Emotional

nichtemotional

emotional

Veränderung einer sich sonst ergebenden Emotion

Herbeiführung einer sich sonst nicht ergebenden Emotion

nichtemotional

Verhinderung einer sich sonst ergebenden Emotion

Beibehaltung eines nichtemotionalen Zustands

  1.  Ist die wahre Ursache der Erregung emotionaler Natur und die Ursache, auf die sie fälschlicherweise zurückgeführt wird, ebenfalls, resultierte eine Veränderung der sich sonst – also ohne Fehlattribution – ergebenden Emotion (zB Angst statt Wut).
  2. Ist die wahre Ursache emotionaler Natur und die Ursache, auf die die Erregung fälschlicherweise zurückgeführt wird, nichtemotionaler Natur, so wird eine sich sonst ergebende Emotion verhindert. Dieser Fall könnte von großer praktischer Bedeutung sein. Durch das Auslösen von Fehlattributionen könnte es gelingen, negative Emotionen wie Furcht oder Angst therapeutisch zu beseitigen.
  3. Ist die wahre Ursache der Erregung nichtemotionaler Natur und die Ursache, auf die die Erregung fälschlicherweise zurückgeführt wird, emotionaler Natur, wird eine sich sonst nicht ergebende Emotion herbeigeführt. Dies ist der Fall, wenn man beispielsweise Adrenalin injiziert, der Versuchsperson aber gleichzeitig eine falsche, emotionale Ursache der resultierenden Erregung nahelegt.
  4. Bei der Kombination einer nichtemotionalen Ursache mit einer falschen, ebenfalls nichtemotionalen Kognition ergibt sich die Beibehaltung eines auch sonst auftretenden nichtemotionalen Zustandes.

 

Nun kurz zur Hypothese der vorbereitenden Information:

Die Autoren Calvert-Boyanowsky und Leventhal (1975) gehen von früheren Untersuchungen aus, die besagen, daß man (zumindest negative) emotionale Reaktionen allein dadurch abschwächen kann, daß man den Versuchspersonen zutreffende Informationen über Symptome von Erregung gibt, die zB ein elektrischer Schock auslösen wird. Diese Information hat laut Calvert-Boyanowsky und Leventhal "vorbereitenden" Charakter, das heißt, sie macht die Symptome, wenn sie dann eintreten, weniger überraschend und unangenehm.

 

Die Emotionstheorie von Mandler

 Auch George Mandler hat eine Theorie der Emotion formuliert. Seine Theorie hat große Ähnlichkeit mit derjenigen von Schachter. Mandler nimmt wie Schachter an, daß Emotionen auf physiologischer Erregung und auf Kognitionen über die auslösende Situation beruhen. Verglichen mit der Zwei-Faktoren-Theorie von Schachter hat Mandlers Emotionstheorie jedoch relativ wenig Aufmerksamkeit gefunden. Ein Grund dafür könnte sein, daß Mandler – im Gegensatz zu Schachter – seine Theorie nicht systematisch empirisch überprüft hat. Außerdem basiert Mandlers Theorie auf den Untersuchungen von Schachter und Singer und ähnelt Schachters Theorie sehr stark.

Die ursprüngliche Fassung seiner Theorie nannte Mandler die Musikautomaten-Theorie der Emotionsentstehung. Er nahm an, daß das Entstehen einer Emotion beim Menschen vergleichbar ist mit der Funktionsweise eines Musikautomaten.

Dabei vergleicht er die körperliche Erregung, also die Aktivierung des sympathischen Nervensystems, mit dem Einwerfen einer Münze in den Musikautomaten. Nach dem Einwerfen ist jede beliebige Platte – oder eben jede beliebige Emotion – verfügbar. Die Auswahl der Platte – also die Art des erzeugten emotionalen Verhaltens – hängt aber davon ab, daß der richtige Knopf gedrückt wird. Die Musikautomaten-Theorie von Mandler stimmt also mit Schachters Theorie im wesentlichen überein.

 

"Die Ähnlichkeit zwischen beiden beruht darauf, daß die Funktionsweise eines Musikautomaten zwei Vorgänge beinhaltet – das Einwerfen einer Münze und die Auswahl einer Schallplatte. Wenn die Münze eingeworfen ist, kann jede der im Automaten vorhandenen Platten gespielt werden; solange aber keine Münze eingeworfen wurde, ist keine Platte verfügbar. Darüber hinaus bedeutet das Einwerfen einer Münze nicht, daß eine Melodie gegenüber der anderen bevorzugt gewählt wird. Analog betrachten wir die Erzeugung von emotionalem Verhalten als einen zweistufigen Prozeß, wobei die Aktivierung der Viszera (möglicherweise des sympathischen Nervensystems) dem Einwerfen der Münze in den Musikautomaten vergleichbar ist. Die Auswahl Schallplatte (das heißt, die Art des emotionalen Verhaltens, das erzeugt wird) ist jedoch nicht durch die Aktivierung der physiologischen Reaktion vorbestimmt, sondern hängt vielmehr davon ab, daß der richtige Knopf gedrückt wird. In den Experimenten von Schachter wurde dies entweder durch das Verhalten des Vertrauten des Versuchsleiters oder durch die Erklärung des Versuchsleiters erreicht. ... Aktivierung (Einwurf der Münze) und Wahl der Emotion (Wahl der Melodie) sind jedoch nicht notwendigerweise unabhängige Prozesse, da dieselbe Situation sowohl Aktivierung als auch die Auswahl eines bestimmten emotionalen Zustands verursachen kann" (Mandler, 1962, S. 289/290).

 

Später präzisierte Mandler seine Theorie. Er formulierte eine allgemeine These über die Wirkung einer Unterbrechung von organisierten Handlungssequenzen: "Die Unterbrechung einer integrierten oder organisierten Handlungssequenz bewirkt einen Zustand der (physiologischen) Erregung, dem emotionales Verhalten folgt" (Mandler, 1964, S. 164).

Das heißt also, daß nach Mandler körperliche Erregung unter anderem durch die Unterbrechung organisierter Handlungssequenzen entstehen kann.

Später erweiterte Mandler seine Theorie dahingehend, daß nicht nur Unterbrechungen von Handlungen oder mentalen Strukturen wie Plänen und Erwartungen zu physiologischer Erregung führen sollen, sondern ganz allgemein das Registrieren von Diskrepanzen. Gemeint sind Diskrepanzen zwischen Erwartung und Erfahrung einerseits und den tatsächlichen Gegebenheiten andererseits. Der Organismus reagiert also auf Veränderungen der Umwelt.

 

"Eine der wichtigsten biologischen Erbschaften, die wir mit anderen Lebewesen teilen, ist die Reaktion auf Diskrepanzen in unserer Umgebung – der Tatbestand, daß wir auf Zustände der Welt als ‚unterschiedlich‘ oder ‚gleich‘ reagieren. Jeder Organismus hat ein Repertoire von entweder angeborenen oder erworbenen Reaktionen auf bestimmte Aspekte seiner Umgebung. So ... reagieren wir beispielsweise auf Veränderungen der Schwerkraft, ... lernen, was man in einem Restaurant oder Garten zu tun hat usw. Aber ... die Schwerkraft hat einen normalen Wert, ... Restaurants zeichnen sich durch Tische und Essen aus, und Gärten müssen Blumen haben. Wenn irgendeines dieser Charakteristika vom Üblichen abweicht, dann ist es offensichtlich nützlich zu wissen, daß sich die Umgebung verändert hat; und wenn die Charakteristika den Erwartungen entsprechen, so ist es nützlich, auch dieses zu wissen, das heißt zu wissen, daß sie ‚bekannt‘ sind. Darüber hinaus ist es nützlich, einen Mechanismus zu besitzen, der nicht nur automatisch auf Veränderungen in der Umgebung reagiert, sondern der den Organismus auch für angemessene Handlungen und Reaktionen vorbereitet. Ein Organismus, der keinen Unterschieds-Detektor besitzt, würde von einer Welt, die sich in der Tat oft verändert, überwältigt werden, wobei diese Veränderungen häufig sein Überleben bedrohen können. Unter dem Aspekt evolutionärer selektiver Mechanismen scheint es auf der Hand zu liegen, daß schnelle und effiziente Reaktionen auf eine veränderte Welt hin einen hohen Überlebenswert haben" (Mandler, 1992, S. 106/7).

 

Emotionen in engen zwischenmenschlichen Beziehungen

Berscheid hat 1982 basierend auf Mandlers Emotionstheorie das Entstehen von Emotionen in engen zwischenmenschlichen Beziehungen analysiert. Er geht also davon aus, daß die Unterbrechung von Handlungen und Plänen eine der wichtigsten Ursachen für das Entstehen von Erregung und daher von Emotionen ist.

Berscheid unterscheidet zwei Arten von Beziehungen:

Enge Beziehungen sind im Gegensatz zu den parallelen Beziehungen dadurch gekennzeichnet, daß sie hochgradig "vermascht" sind. Es besteht also eine enge kausale Wechselbeziehung: Die Handlungen, Pläne und Erwartungen der einen Person haben einen starken Einfluß auf die Handlungen, Pläne und Erwartungen der anderen Person (und umgekehrt).

In engen Beziehungen treten normalerweise – im Alltag – wie in den parallelen Beziehungen kaum Emotionen auf. Die beiden Arten von Beziehung bergen aber ein unterschiedliches Emotionspotential. Wenn in einer engen Beziehung eine bedeutsame Veränderung eintritt – zB wenn ein Partner stirbt -, dann wird die kausale Wechselbeziehung unterbrochen. Solche Unterbrechungen sind nun aber nach Mandler die wichtigsten Auslöser von Erregung. Diese Erregung wiederum ist eine notwendige Bedingung für das Auftreten von Emotionen.

Intensive Emotionen sollen also in engen Beziehungen hauptsächlich dann erlebt werden, wenn die Beziehungen "gestört" oder beendet werden. Die intensivsten Emotionen nach Trennung oder dem Tod eines Partners werden überraschenderweise oft in solchen Beziehungen erlebt, in denen es bis dahin nur sehr wenige oder sogar gar keine intensive Emotion gegeben hat.

"Man hat viel zu lange die gängige Auffassung vertreten, daß enge Beziehungen durch das unablässige Erleben intensiver Emotionen der Freude und Hochstimmung gekennzeichnet sind oder zumindest durch viele intensive Emotionen. Es muß uns dann – ebenso wie die beteiligte Person – überraschen, daß die intensivsten Emotionen nach Trennung oder dem Tod eines Partners gerade in solchen Beziehungen erlebt werden, die bis dahin nur durch sehr wenige Emotionen gekennzeichnet waren. Tatsächlich mögen die beiden Personen in ihrer Beziehung niemals eine intensive Emotion erlebt haben" (Berscheid, 1982, S. 52).

  

Literatur:

"Einführung in die Emotionspsychologie", Band 1, Wulf-Uwe Meyer, 1993, Schützwohl

Andrea Waselmayr, 9804303