Zur Person und Kunst von Maximilian Gottschlich

„Entgrenzung“ betitelt Maximilian Gottschlich seine Ausstellung rezenter Bilder in den neuen Räumlichkeiten des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Denn, so Gottschlich: „Wissenschaft und Kunst sind keine Gegensätze – sie repräsentieren nur unterschiedliche Interaktionssphären, mit deren Hilfe wir nicht nur Anschauungen über die Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit selbst hervorbringen …“
Er selbst praktiziert seit jeher diese Grenzüberschreitungen: in seiner thematisch breit und vielfach transdisziplinär angelegten wissenschaftlichen Tätigkeit, in seinen religiösen Überzeugungen als „jüdisch imprägnierter Christ“ und auch in seiner künstlerischen Arbeit, die er nun wieder aufgenommen hat. Gegen Ende seiner aktiven Berufslaufbahn als Universitätslehrer knüpft Gottschlich dort an, wo er vor knapp einem halben Jahrhundert aufgehört hatte: bei der Malerei. Gottschlich: „Die Faszination von damals im schöpferischen Umgang mit Farben und Formen ist ungebrochen. Dazu kommt jetzt aber ein im Schmelztiegel des Lebens und des wissenschaftlichen Arbeitens gereiftes Bewusstsein, das der Versuchung der Beliebigkeit dessen, was man zur Anschauung bringen möchte, besser widersteht. Das hat man in jungen Jahren noch nicht.“

Zu den frühen Erfahrungen mit zeitgenössischer bildender Kunst zählten für Gottschlich in den 1960er Jahren die Ausstellungen im legendären „20er Haus“ (heute 21er Haus) im Schweizergarten. Hier begegnete er den Werken berühmter Expressionisten wie Emil Nolde oder Herbert Boeckl und auch den expressionistischen, surrealen und konstruktivistischen Bildwelten Paul Klees. Sie übten ebenso große Faszination auf Gottschlich aus, wie die abstrakte Bildsprache von Wassily Kandinsky und die expressiven biblischen Bildkompositionen von Marc Chagall.
Noch während seiner Schulzeit begann Gottschlich – angeregt auch durch den glücklichen Umstand eines sehr liberalen und die eigenständige Ausdruckskraft fördernden Zeichen- und Malunterrichts durch den Waldviertler Maler Theo Laube – mit Farb- und Formgestaltung zu experimentieren. Damals entstanden erste Bilder.

Mit Beginn des Studiums am Institut für Publizistik der Universität Wien im Herbst 1968 und nebenberuflicher journalistischer Tätigkeit rückten dann aber mehr und mehr der Umgang mit dem Wort und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Phänomenen und Problemen der Medien und der sprachlichen Kommunikation in den Mittelpunkt. Dennoch suchte Gottschlich auch in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit die Verbindung von Kunst und Wissenschaft. So setzte er bei seinem damaligen Verleger durch, dass sein – mittlerweile vergriffenes – Buch „Sprachloses Leid – Wege zu einer kommunikativen Medizin“ (Springer Wien-New York 1998) auch – natürlich auf Glanzpapier gedruckte – Reproduktionen von Paul Klee, Marc Chagall, René Magritte und Ernst Steiner enthalten müsse. Gottschlich wollte mit diesen themenspezifisch ausgewählten Bildern seine kritische Analyse der kommunikativen Defizite in der Arzt-Patienten-Beziehung auch künstlerisch veranschaulichen.

1999 veröffentlichte er unter dem Titel „Die Welt ist, wie wir sie denken. Zur Kulturkritik der Mediengesellschaft“ (Springer Wien-New York) eine Sammlung seiner Analysen und Essays aus 20 Jahren. Als Cover-Bild wählte er René Magrittes Bildkomposition „Das geheime Leben“ aus dem Jahr 1928. Dieses surreale Bild – es zeigt einen, aus der Tiefe des Weltalls in ein Zimmer ohne Rückwand hereinschwebenden, geheimnisvollen Planeten – symbolisierte für Gottschlich auf perfekte Weise die geistige Situation des Lebens in einer medial vermittelten Wirklichkeit.
Sein Buch „Versöhnung. Spiritualität zwischen Thora und Kreuz. Spurensuche eines Grenzgängers“ (Böhlau 2008) leitet Gottschlich mit Marc Chagalls Bild „Die gelbe Kreuzigung“ von 1943 ein. „Ich wollte auf diese Weise mein Plädoyer für ein neues Verständnis der christlichen Religion aus dem Geist des Judentums auch bildhaft deutlich machen. Chagalls gekreuzigter Jude erinnert nicht nur an die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes durch die Jahrhunderte, sondern auch daran, dass es kein Christentum ohne Judentum gibt.“
So suchte Gottschlich also immer wieder einen adäquaten künstlerischen Ausdruck für seine wissenschaftlichen Themen um solcher Art eine alternative Perspektive auf die ihn bewegenden Probleme zu bieten.

Die hier ausgestellten Bilder sind mit Acryl auf Leinwand gemalt und entstanden seit 2012 in Wien, Menorca und Miami. Die Bildmotive spiegeln die großen Lebensthemen wider, mit denen sich Gottschlich als Universitätsprofessor für Kommunikationswissenschaft (ab I983) beschäftigt: Kommunikation als existenzielle Herausforderung, Religion im postmetaphysischen Zeitalter, das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum, das Problem des Antisemitismus, Stagnation und Wandel,

Gottschlich sucht nach einer eigenen, autonomen Bildsprache. In seinen expressiv-abstrakten Kompositionen vereinen sich Elemente des Surrealen mit symbolistischen Anklängen: „Ich versuche mithilfe von Farben und Formen etwas von den Geheimnissen hinter dem empirisch Sichtbaren zur Anschauung – im doppelten Wortsinn – zu bringen. Das Naturalistische und das Gegenständliche spielen bei mir nur eine untergeordnete Rolle und wenn, dann ist das Gegenständliche – wie der zweigeteilte Fisch im Bild „Spiri-Dualität“, der das Christentum symbolisiert – surreal verfremdet um das Geistige dahinter, das Nicht-Gegenständliche zum Vorschein zu bringen.“

Dem entspricht auch der betont assoziative Charakter der Bilder Maximilian Gottschlichs. Sie laden den Betrachter dazu ein, in den durch das Bild eröffneten Interaktionsraum einzutreten und das empirisch Gegebene mit seinen noch auf Verwirklichung wartenden Möglichkeiten zu konfrontieren und darin in Frage zu stellen. Und so begreift Gottschlich auch das Malen als kreativen Akt der Entgrenzung auf mehreren Ebenen: „Reflexion und Intuition sind zwei einander ergänzende Modalitäten der Wirklichkeitserkenntnis. Die Farbe ist der affektive Modus des malerischen Umgangs mit reflexiv gewonnenen und bearbeiteten Themen. Darin ist jedes Bild doppelter Schöpfungsakt: im Reflexiv-Geistigen, wie auch im Intuitiv-Affektiven – sich selbst vermittelnd über das Spannungsverhältnis von Abstraktion und Figuration. So verstehe ich meine Bilder als Manifestationen eines komplexen Interaktionsgeschehens, in dem sich in einem schöpferischen Akt der Entgrenzung zunächst höchst Unterschiedliches, aber in Wahrheit Zusammengehöriges zu verbinden sucht: Intuition und intellektuelle Leistung, Phantasie und Realität, Gestaltung und „Entstaltung“, die Sprache des Geistes und jene des Herzens …“

Wien, Mai 2013