Konferenz: Rathäuser als multifunktionale Räume der Repräsentation, der Parteiungen und des Geheimnisses (Wien, )

Ver­anstal­ter: Vere­in für Geschichte der Stadt Wien; Wiener Stadt- und Lan­desarchiv; Insti­tut für Öster­re­ichis­che Geschichts­forschung Wien
Datum, Ort: 12.10.2011–14.10.2011, Wien, Wiener Stadt- und Lan­desarchiv, 4. Stock, Vortragssaal

Die in ver­gle­ichen­der Per­spek­tive noch wenig unter­sucht­en Rathäuser waren schon seit ihrem Aufkom­men im Hoch- und Spät­mit­te­lal­ter mul­ti­funk­tionale Gebäude, Kom­mu­nika­tion­sräume und Orte zweier konkur­ri­eren­der Wertesys­teme: Ein­er­seits soll­ten die Entschei­dung der städtis­chen Machthaber sowie die Vorgänge, die zu den Entschei­dun­gen führten, offenkundig und trans­par­ent sein, ander­er­seits sollte aber der Inhalt aller Beratun­gen und Diskus­sio­nen inner­halb der obrigkeitlichen Kreise streng geheimge­hal­ten wer­den. Nicht nur im poli­tis­chen Zer­e­moniell und als Stadtregierungs- und Gerichts­ge­bäude (Wohnort des Gerichts­di­eners, „Bürger“-Gefängnis) funk­tion­ierte dieses mul­ti­funk­tionalen Gebäude, son­dern auch als Ver­wal­tungs- und Wirtschaft­sein­rich­tung und schließlich – und nicht nur während der Wochen- und Jahrmärk­te – als Lager. Das ide­al­typ­is­che Rathaus bot auch Vor­rat­sräume zur Ver­sorgung der Stadt­be­wohn­er (etwa Salzgewölbe, Getrei­despe­ich­er, während der Mark­tzeit­en) und Wohn­räume für Stadtbe­di­en­stete (etwa Stadtschreiber, Rats­di­ener). Das Rathaus war aber auch Ort der hoheitlichen Ver­wal­tung von Maßen, Waa­gen, Waf­fen („Rüst- und Zeugkam­mer“) und Feuer­löschreq­ui­siten. Auf dem Herrschaft­sort Rathaus wur­den auch häu­fig Zeichen der Mark­t­frei­heit und ‑gerechtigkeit aufgesteckt, vor dem Rathaus stand häu­fig der Pranger. Die Rathäuser spiel­ten im kom­mu­nalen, vom Rat dik­tierten Raumkonzept auch als städtis­che Fest- und Gesellschaft­shäuser eine bedeu­tende Rolle – der größte, in der Ver­fü­gungs­ge­walt des Rates ste­hende Ver­anstal­tungssaal (etwa der „obere“ oder der „lange“ Saal, die Gmain-Stube) inner­halb der Städte befand sich im Regelfall dort. Der Rathaus­saal wurde fall­weise für Tanzver­anstal­tun­gen (beispiel­sweise im Fasching) oder für die Abhal­tung von Hochzeit­en („ehrentanz“), die der Rat abhängig vom sozialen Rang der inner- und außer­städtis­chen Peten­ten (darunter auch Adelige) entwed­er genehmigte oder ver­weigerte, genutzt. Aber auch Wahlver­anstal­tun­gen und Bürg­er­taidinge hat­ten ihren Ort im Regelfall im Rathaus. Die Rathäuser größer­er Städte und Märk­te besaßen vielfach neben Kapellen (oder zumin­d­est Lavabo-Nis­chen) eine Ratsstube, eine Bürg­er­stube (Gmain-Stube), eine häu­fig „Kan­zlei“ genan­nte Stadtschreiber­stube und mitunter eine eigne „Raitkam­mer“. Außer­dem befand sich in der Regel ein feuer­sicheres, mit Eisen­tür bewehrtes „gwölb“ (oft auch „gehaimb“) mit Archivtruhe bzw. dem Archivkas­ten im Rathaus. Aber auch in der „richter­laadt“ ver­wahrte man wichtige Doku­mente und mitunter Geld. Im Erdgeschoß kon­nten sich Fleis­chbänke oder auch die „Brot-Tis­che unter dem Rathaus“ bzw. die Brot­laden befinden.

Die bis­lang kaum bezüglich ihres, die Abstim­mungsmodal­itäten verdeut­lichen­den, Mobil­iars unter­sucht­en Ratsstuben waren neben mehr oder min­der prächti­gen Öfen entwed­er mit Tis­chen und/oder Bänken aus­ges­tat­tet, in Enns beispiel­sweise saßen Stadtschreiber, ‑richter und Innere Räte am Tisch; die Genan­nten dage­gen sozial­räum­lich getren­nt auf ins­ge­samt vier Bänken. In Waidhofen/Ybbs saß der Rat hier­ar­chisch nach Ein­tritts­da­tum geord­net an einem Tisch. Die dies­bezüglich noch kaum aus­gew­erteten Kam­mer­amt­srech­nun­gen wür­den zudem Mess­in­gleuchter, Lat­er­nen, Hafn­erkrüge (und ab dem 16. Jahrhun­dert ver­mehrt Zinnkrüge), „gewirchte Handtüch­er“ und Tis­chtüch­er zu Tage fördern. Daneben waren die Rathäuser aber auch par­tiell Sakral­räume, wie das Beispiel Retz mit ein­er eige­nen Rathauskapelle und der dort ange­siedel­ten Cor­poris-Christi-Brud­er­schaft verdeutlicht.

Wenn die Rathäuser in der Hab­s­burg­er­monar­chie baulich auch nicht mit ihren Nürn­berg­er oder Augs­burg­er Ver­wandten mithal­ten kon­nten, so beste­hen die Wiener, Linz­er, Steyr­er oder Bud­weis­er Rathäuser doch den Ver­gle­ich mit einem schlos­sar­ti­gen Adelspalais bzw. mit den früh­neuzeitlichen Land­häusern der Stände (etwa Brünn/Brno, Graz, Pressburg/Bratislava, Inns­bruck) mit Leichtigkeit. Viele Rathäuser ver­fü­gen zu Beto­nung ihrer poli­tis­chen Wichtigkeit und zur Erhöhung der Repräsen­ta­tions­fläche über einen Turm. Daneben – als wären nicht schon aus­re­ichend Funk­tio­nen augezählt – fungierte das Rathaus als Gerichts- und Gefängnisort.

Neben der baulichen Aus­gestal­tung der Rathäuser zeigt vor allem der kün­st­lerische Schmuck der Rathäuser den Dis­tink­tion­swillen des jew­eili­gen Stad­trates. Sel­ten nur waren die Fas­saden von Rathäusern min­i­mal geschmückt, son­dern die Innen- und Außengestal­tung der Rat­shäuser umfasste auch in den öster­re­ichis­chen Kle­in­städten ikono­graphisch meist drei Bereiche:

  1. Die Ratssitzungsz­im­mer ver­wan­del­ten sich im Laufe der Neuzeit in „Lan­des­fürsten­säle“, wo ein­er­seits den Hab­s­burg­ern gehuldigt wurde.
  2. Das zweite zen­trale Motivbün­del der bürg­er­lich-obrigkeitlichen Ikono­gra­phie bildete neben der Huldigung an die Hab­s­burg­er auch die „gerechte“ Herrschaft, die gemalte oder skulp­tur­al aus­gestal­tete Alle­gorie von „guter“ und „schlechter“ Regierung und die Visu­al­isierung von bürg­er­lichem Gemeinsinn und Kommunalismus.
  3. Als drit­ter Zweig ein­er kom­mu­nalen Ikono­gra­phie lassen sich die bürg­er­lich-geneal­o­gis­chen Porträts der Amtsin­hab­er und die schon mit­te­lal­ter­lich bis ins 19. Jahrhun­dert belegten Wap­pen­darstel­lun­gen interpretieren.

Die Tagung spürt den Dynamiken des Rathaus­baues im Spät­mit­te­lal­ter, der Frühen Neuzeit und im bür­glich-lib­eralen-kon­ser­v­a­tiv­en 19. Jahrhun­dert nach, indem vor allem der Ver­gle­ich von Rathaus­re­gio­nen angestrebt wird. Das Rathaus dient heute nicht nur als Ort der Repräsen­ta­tion, son­dern immer mehr auch der Even­tkul­turen (am Beispiel Wien etwa AIDS-Ball, Feiern von Fußballmeis­ter­schaften, Wei­h­nachts­markt etc.).

Organ­isatoren:
Susanne C. Pils (susanne.pils@wien.gv.at)
Mar­tin Scheutz (martin.scheutz@univie.ac.at)
Christoph Sonnlech­n­er (christoph.sonnlechner@aau.at)
Ste­fan Spe­vak (stefan.spevak@wien.gv.at)


Das Pro­gramm:

Mittwoch 12. Okto­ber, Beginn 9.00–9.15

  • Begrüßung durch den Präsi­den­ten des Vere­ins für Geschichte der Stadt Wien
  • Begrüßung durch die Direk­torin des Wiener Stadt- und Landesarchivs
  • Begrüßung durch den Direk­tor des Insti­tuts für Öster­re­ichis­che Geschichtsforschung

(1) Ein­leitung

9.15–10.00
Die Mul­ti­funk­tion­al­ität von Rathäusern – Ver­such eines Überblicks: Mar­tin Scheutz (Wien)

10.00–10.45
Wan­del der architek­tonis­chen Form unter dem Ein­fluss sich wan­del­nder Öffentlichkeit: Stephan Albrecht (Bam­berg)

Kaf­feep­ause 10.45–11.15

11.15–12.00
Das Rathaus als umwelt­geschichtlich­er Erin­nerung­sort: Christoph Sonnlech­n­er (Wien)

Mit­tagspause 12.00–13.30

Exkur­sion Altes und Neues Rathaus Wien
Beginn der Exkur­sion Altes Rathaus 14.00
Beginn der Exkur­sion im Neuen Rathaus 16.00

Führung durch das Alte Rathaus in Koop­er­a­tion mit Friedrich Polleroß, Neues Rathaus: Andreas Nier­haus (bei­de Wien)

Don­ner­stag 13. Okto­ber 2011

(2) Die Rathäuser in Mit­te­lal­ter und Neuzeit (Bauphasen, Situ­ierung, Finanzierung etc. – u. a. auf der Grund­lage des Städteatlas)

Regionale Schw­er­punk­te
9.00–9.45
Der lang­wierige Weg zum Rathaus im tschechis­chen Mit­te­lal­ter: Josef Zem­lic­ka (Prag)

9.45–10.30
Rathäuser in hes­sis­chen Kle­in­städten: Denkmäler kom­mu­nalen Selb­st­be­wusst­seins oder Kom­pen­sa­tio­nen für den städtis­chen Nieder­gang?: Hol­ger Gräf (Mar­burg)

Kaf­feep­ause 10.30 – 11.00

11.00–11.45
From the judge’s house to the town’s house (in englis­ch­er Sprache): Judit Majorossy (Budapest)

11.45–12.30
Zur Veror­tung von Rathäuser. Beispiele aus Niederöster­re­ich, Oberöster­re­ich und der Steier­mark anhand des Öster­re­ichis­chen Städteat­las: Susanne Pils (Wien)

Mit­tagessen 12.30–14.00

(3) Dynamiken und Still­stand im Rathausbau

Regionale Schw­er­punk­te
14.00–14.45
Rathäuser im west­lichen Öster­re­ich in Mit­te­lal­ter und Früher Neuzeit: Klaus Brand­stät­ter (Inns­bruck)

14.45–15.30
Volk­sh­errschaft und Standes­dünkel. Rathaus­bau der Frühen Neuzeit in der Eidgenossen­schaft: Axel Ch. Gampp (Basel)

Kaf­feep­ause 15.30–16.00

16.00–16.45
Städtis­che Selb­st­darstel­lung zwis­chen Mon­u­men­tal­ität und Funk­tion­al­ität. Rathäuser im 20. und 21. Jahrhun­dert: Andreas Nier­haus (Wien)

Fre­itag 14. Okto­ber 2011

(4) Repräsen­ta­tion­skul­tur am Beispiel der Rathäuser

9.00–9.45
„Die erste große Probe der neuen Zeit“: Der Wiener Rathauskeller: Inge Pod­brecky (Wien)

9.45–10.30
Das Rathaus als Muse­ums- und Ausstel­lung­sort. Über For­men und Funk­tio­nen städtis­ch­er Repräsen­ta­tion in Wien 1888–1958: Sán­dor Beke­si (Wien)

Kaf­feep­ause 10.30–11.00

11.00–11.45
Poli­tis­che Brüche und gewan­delte Repräsen­ta­tion am Beispiel des Alten Rathaus­es der Stadt Linz: Wal­ter Schus­ter (Linz)

11.45–12.30
Rathaus und Kirche im 20. Jahrhun­dert – Poli­tis­che Diver­genz und Kon­gruenz in der Kle­in­stadt: Ste­fan Spe­vak (Wien)

Ende der Tagung – Ver­such ein­er Syn­these: Karl Fis­ch­er (Wien)

Quelle: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=16851